Neue Diagnos­tik – neue Krank­heits­bil­der – Neues über Seltenes

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

 

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

zunächst wünsche ich Ihnen eine wunder­ba­re Sommer­zeit und hoffe, Sie können sich ganz entspannt im Urlaub oder erholt nach einer Auszeit der Lektü­re des Edito­ri­als und den aktu­el­len High­lights hier widmen.

Der Blick des Edito­ri­als soll sich heute einmal auf eine anato­mi­sche Struk­tur rich­ten, welche unser Auge mehr prägt als alle ande­ren orga­ni­schen Bestand­tei­le – der Regen­bo­gen­haut. Sie ist eine komple­xe anato­mi­sche Struk­tur, welche aus dem Pigment­blatt, einer Muskel­schicht mit Sphink­ter und Dila­ta­tor, dem gefäß- und mela­no­cy­ten­rei­chen Stroma, Mela­nin­gra­nu­la und der Grenz­zell­schicht besteht. Neben ihrer wich­ti­gen Funk­ti­on in der Hell-Dunkel-Adap­t­ati­on und ihrem vor UV-Licht schüt­zen­den Pigment­blatt kommt ihr durch die unter­schied­li­che Färbung auch eine erheb­li­che kosme­ti­sche Funk­ti­on zu. Hier­durch wird die Regen­bo­gen­haut bedau­er­li­cher­wei­se auch immer häufi­ger zum Betä­ti­gungs­feld für kosme­ti­sche Inter­ven­tio­nen (Quei­ru­ga-Piñei­ro J et al. Long-term compli­ca­ti­ons of cosme­tic iris implants. BMC Ophthal­mol 2022;22(1):459.) Hier­auf werden wir aber in einem späte­ren Edito­ri­al einmal zurückkommen.

Schau­en wir doch zunächst einmal auf medi­zi­nisch rele­van­te neuere Publi­ka­tio­nen. Melen­dez-Moreno et al. berich­te­ten kürz­lich im „Survey of Ophthal­mo­lo­gy“ über eine Unter­su­chung mit 35 biop­tisch gesi­cher­ten Iris­me­l­a­no­men. Das Iris­me­l­a­nom tritt in Europa zwischen 2 und 6 Fällen pro 1 Millio­nen auf und hat mit 3–5% der uvea­len Mela­no­me die gerings­te Häufig­keit. Für die Diagnos­tik wurden in der Unter­su­chung von Melen­dez-Moreno et al. u.a. auch unter­schied­li­che Tech­ni­ken zur Unter­su­chung der Genex­pres­si­on durch­ge­führt. Dabei waren 90% der unter­such­ten Proben Klasse 1A und 10% Klasse 1B, also mit gerin­gem Meta­stasie­rungs­ri­si­ko. Kein Pati­ent hatte den soge­nann­ten Klasse-2-Status. Im Follow-up von im Median 49 Mona­ten zeigte keiner der Pati­en­ten inner­halb der Kohor­te eine Meta­sta­se oder verstarb an dem Tumor. Im Vergleich zur Lite­ra­tur zeigte sich, dass die mole­ku­lar­bio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen auch in Hinblick auf die prognos­ti­sche Klas­si­fi­zie­rung keine deut­li­che klini­sche Bedeu­tung zeigen. Entschei­dend ist hinge­gen die Ausdeh­nung mit Einbe­zie­hung des Zili­ar­kör­pers, welche mit einem deut­lich erhöh­ten Risiko für Meta­sta­sen und einem leta­len Ausgang verbun­den scheint.

Neben der loka­len Exzi­si­on steht mit der Proto­nen­the­ra­pie eine wenig inva­si­ve Thera­pie zur Verfü­gung. Diese Thera­pie­op­ti­on wurde an einer großen Kohor­te retro­spek­tiv bzgl. der Über­le­bens­ra­te und eines sekun­dä­ren Glau­koms nach­un­ter­sucht. Goll­rad et al. schlos­sen dazu 166 Pati­en­ten, die von 1998 bis 2020 an der Chari­té in Berlin mit einem güns­ti­gen Tumor­sta­di­um (T1a‑c) mittels Bestrah­lung behan­delt wurden. Zur Auswer­tung wurde eine Kaplan-Meier- sowie eine Cox-Regres­si­ons­ana­ly­se durch­ge­führt. Unter­sucht wurde die lokale Tumor­kon­trol­le, die Erhal­tung des Augap­fels sowie Glau­kom­ent­wick­lung und die Sehleis­tung. Das durch­schnitt­li­che Alter der Pati­en­ten lag bei 58 Jahren und der Median des Follow-up bei 54 Mona­ten. Wie in der zuvor erwähn­ten Publi­ka­ti­on wurde auch in diesem Kollek­tiv kein Nach­weis von Fern­me­ta­sta­sen gefun­den. Ein loka­les Rezi­div trat in nur 1,2% auf und eine Enuklea­ti­on war nur in 3% der Fälle notwen­dig. Insge­samt zeig­ten sich wenig Neben­wir­kun­gen, ein großes Bestrah­lungs­feld über 10 Uhrzei­ten konnte aber eindeu­tig als ungüns­ti­ger Faktor bzgl. des Auftre­tens eines Sekun­där­glau­koms und einer konse­ku­ti­ven Sehschär­fen­min­de­rung ange­se­hen werden.

Mit dem Auftre­ten eines Sekun­där­glau­koms beim Iris­me­l­a­nom beschäf­tig­ten sich auch Shukla at al. in „Eye“. Retro­spek­tiv wurde bei 271 Pati­en­ten mit Iris­me­l­a­nom in 40 Fällen (15%) bei Erst­vor­stel­lung ein Sekun­där­glau­kom und bei 75 Pati­en­ten (28%) im Mittel 103 Monate nach Inter­ven­ti­on entdeckt. Auch hier zeigte sich, dass ein Sekun­där­glau­kom mit einem schlech­te­ren Visus im Vergleich zur Gruppe ohne Augen­druck­erhö­hung verbun­den ist. Als ungüns­ti­ge prognos­ti­sche Fakto­ren konn­ten u.a. eine Augen­druck­erhö­hung bei Erst­vor­stel­lung, ein großer basa­ler Tumor­durch­mes­ser, ein höhe­res (T4) Stadi­um nach der AJCC Klas­si­fi­ka­ti­on (Ameri­can Joint Commit­tee on Cancer) sowie die Durch­füh­rung einer Brachythe­ra­pie analy­siert werden. Die Studi­en bestä­ti­gen eine güns­ti­ge Progno­se des Iris­me­l­anoms, bestä­ti­gen aber auch wie wich­tig auf der einen Seite eine frühe Diagno­se­stel­lung ist und auf der ande­ren Seite die Bedeu­tung ein lang­fris­ti­gen Follow-up, um u.a. ein Sekun­där­glau­kom nicht zu übersehen.

Auch im Bereich der diagnos­ti­schen Möglich­kei­ten in Bezug auf die Regen­bo­gen­haut gibt es span­nen­de neue Publi­ka­tio­nen, von denen hier zwei vorge­stellt werden sollen. Liao et al. publi­zier­ten kürz­lich ihre Unter­su­chungs­er­geb­nis­se in Hinblick auf Volu­men­ver­än­de­run­gen der Regen­bo­gen­haut in Hinblick auf das Risiko eines Engwin­kel­glau­koms (Iris volume change with physio­lo­gic mydria­sis to iden­ti­fy deve­lo­p­ment of angle closure: the Zhongs­han Angle Closure Preven­ti­on Trial. Br J Ophthal­mol 16.05.2023; doi: 10.1136/bjo-2022–322981).

Neben der Gonio­sko­pie wurde mittels Vorder­ab­schnitts-OCT das Volu­men der Iris bei Hellig­keit und Dunkel­heit analy­siert. Als Progres­si­on legte man das Auftre­ten eines Kammer­win­kel­ver­schlus­ses oder Glau­kom­an­falls fest. Unter ande­rem ein höhe­res Alter, ein enge­rer Kammer­win­kel 250 mm vom Skleral­sporn sowie eine flache­re Iris­kur­vatur und eben eine gerin­ge­re Abnah­me des Iris­vo­lu­mens während der physio­lo­gi­schen Licht­re­ak­ti­on zeig­ten sich als ungüns­ti­ge Fakto­ren für eine Progres­si­on zu einem Anfall. Insge­samt war auch die dyna­mi­sche Verän­de­rung der Iris­flä­che bei dieser Gruppe gerin­ger als bei der Gruppe ohne erhöh­tes Risiko. Das Vorder­ab­schnitts-OCT kann somit als weite­res Tool für die Risi­ko­be­wer­tung eines mögli­chen Glau­kom­an­fall heran­ge­zo­gen werden und ggf. die Indi­ka­ti­on zur prophy­lak­ti­schen Iridek­to­mie oder Linsen­ope­ra­ti­on erleichtern.

Dass auch ein Typ-2-Diabe­tes einen Einfluss auf das Iris­vo­lu­men und somit auf ein Glau­kom haben kann, konn­ten Su et al. nach­wei­sen. In einer kürz­lich im „Inter­na­tio­nal Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ erschie­ne­nen Publi­ka­ti­on wurden 115 Augen von 72 Pati­en­ten mit Engwin­kel- und Offen­win­kel­glau­kom mittels CASIA2-Vorder­ab­schnitts-OCT unter­sucht. Die Grup­pen wurden in gesun­de und Typ-2-Diabe­ti­ker unter­teilt und der HBA1c-Wert und das Iris­vo­lu­men analy­siert. In der Engwin­kel­grup­pe zeigte sich ein gerin­ge­res Iris­vo­lu­men im Vergleich zur gesun­den Probanden­grup­pe sowie eine signi­fi­kan­te Korre­la­ti­on zwischen HBA1c und dem Volu­men. Diese Korre­la­ti­on zeigte sich auch in der Offen­win­kel­glau­kom Gruppe, wobei das Volu­men höher war als bei den Pati­en­ten ohne Diabe­tes. Die Autoren schluss­fol­ger­ten daraus, dass der HBA1c-Wert einen direk­ten Einfluss auf das Iris­vo­lu­men von Glau­kom­pa­ti­en­ten hat. Der genaue Pathome­cha­nis­mus für diese Beob­ach­tun­gen und auch die klini­sche Bedeu­tung müssen jedoch noch weiter unter­sucht werden.

Ganz aktu­ell berich­ten Yüksel et al. über einen selte­nen Fall von bila­te­ra­ler akuter Iris-Tran­s­il­lu­mi­na­ti­on (BAIT) nach COVID-19 Infek­ti­on (Bila­te­ral acute Iris tran­s­il­lu­mi­na­ti­on after COVID-19 pneu­mo­nia. Eur J Ophthal­mol 2023;33(4):NP115-NP118; doi: 10.1177/11206721221113428). Beim BAIT handelt es sich um ein rela­tiv neu beschrie­be­nes Krank­heits­bild, das von Iris-Tran­s­il­lu­mi­na­ti­on, Sphink­ter­läh­mung und Pigment­di­sper­si­on gekenn­zeich­net ist. Es wurde 2004 von Bringas Calvo beschrie­ben. Die Patho­ge­ne­se bleibt unklar, es kommt jedoch zumeist nach Infek­tio­nen der oberen Luft­we­ge oder nach Anti­bio­ti­ka­the­ra­pie vor. Hier­bei ist insbe­son­de­re die syste­mi­sche oder intra­ka­me­ra­le Gabe von Moxif­loxa­cin zu nennen. Thera­peu­tisch werden lokale Stero­ide einge­setzt, welche eine Progres­si­on stop­pen und die Pigment­di­sper­si­on bessern können.

Die Fall­be­schrei­bung zeigt, dass auch im Kontext einer COVID-19-asso­zi­ier­ten Pneu­mo­nie bei einer Augen­rei­zung an dieses selte­ne Krank­heits­bild gedacht werden sollte. In einzel­nen Fällen kann das bila­te­ra­le Gesche­hen aber auch ohne eine Vorge­schich­te von Anti­bio­ti­ka­ga­be einher­ge­hen. Dieses konn­ten Oraby et al. in einem Case Report im „Jour­nal of Current Ophthal­mo­lo­gy“ zeigen (Bila­te­ral Acute Iris Tran­s­il­lu­mi­na­ti­on without Prior Systemic Anti­bio­tics. J Curr Ophthal­mol 2023;34(4):469–473; doi: 10.4103/joco.joco_93_22). Der Fall wurde zunächst als bila­te­ra­le Iridio­zy­cli­tis über­wie­sen; eine umfang­rei­che Ursa­chen­ab­klä­rung konnte alle gängi­gen Ursa­chen ausschlie­ßen. Die Irido­cy­cli­tis, welche zumeist einsei­tig auftritt, ist eine häufi­ge Fehl­dia­gno­se bei BAIT. Die verge­sell­schaf­te­te Augen­druck­erhö­hung und die Pigment­di­sper­si­on konn­ten auch hier mit loka­ler Stero­id- und druck­sen­ken­der Thera­pie kontrol­liert werden. Der Fall zeigt, dass noch viel zur Klärung bzgl. der Ursa­chen dieses Krank­heits­bil­des geforscht werden muss und dass bei einer bila­te­ra­len akuten Pigment­di­sper­si­on immer an BAIT gedacht werden sollte.

Mit einer inter­es­san­ten Medi­ka­men­ten­ne­ben­wir­kung mit umschrie­be­ner Irisatro­phie möchte ich dieses Edito­ri­al schlie­ßen. Dexycu ist ein neuar­ti­ges Stero­id­prä­pa­rat, welches zur einma­li­gen intra­ka­me­ra­len Gabe nach Kata­rak­t­ope­ra­ti­on in den USA zuge­las­sen wurde. Es handelt sich um eine Dexa­me­th­son-Suspen­si­on zur einma­li­gen intra­ope­ra­ti­ven Gabe. Eine inten­si­ve post­ope­ra­ti­ve Trop­fen­ga­be soll mit dem Medi­ka­ment über­flüs­sig werden. Ayesha et al. demons­trie­ren 2 Fälle von umschrie­be­ner Irisatro­phie, welche 2 bzw. 6 Monate nach der Gabe auftra­ten (Iris atro­phy after admi­nis­tra­ti­on of Dexycu: Addi­tio­nal evidence and possi­ble mecha­nism for a rare compli­ca­ti­on. Am J Ophthal­mol Case Rep 2023;30:101806; doi: 10.1016/j.ajoc.2023.101806). Neben dem Stero­id­glau­kom, dem Horn­haut­ödem und der Iritis stellt die Irisatro­phie eine selte­ne Neben­wir­kung von Dexycu dar. Diese Neben­wir­kung scheint insbe­son­de­re bei dunk­ler Iris aufzu­tre­ten. Als mögli­che Ursa­chen beschrei­ben die Autoren adhä­si­ve Eigen­schaf­ten von Dexycu und der verwen­de­ten Verisom®-Hydrogel-Technologie. Dieses Gel kann mehre­re Monate auch nach Abklin­gen des Stero­id­ef­fek­tes im Auge verblei­ben und so mögli­cher­wei­se die Atro­phie begüns­ti­gen. Inter­es­san­ter­wei­se trat bei den Pati­en­ten, welche das Präpa­rat bila­te­ral erhal­ten haben, die Atro­phie nur einsei­tig auf.

Wir sehen einmal erneut, dass es in unse­rem Fach­ge­biet nie lang­wei­lig wird. Große Kohor­ten­ana­ly­sen geben uns neue und wich­ti­ge Einbli­cke in selte­ne Krank­heits­bil­der wie das Iris­me­l­a­nom. Neuar­ti­ge Unter­su­chungs­mög­lich­kei­ten wie die Volu­men­mes­sun­gen mittels Vorder­ab­schnitts-OCT liefern neue hilf­rei­che Erkennt­nis­se wie z.B. beim Glau­kom und werfen gleich­zei­tig neue Fragen auf bzgl. z.B. des Einflus­ses vom Diabe­tes auf den Augen­druck. Auch neue Krank­heits­bil­der wie das BAIT und neuere Medi­ka­men­te wie das Dexycu erwei­tern unse­ren diagnos­ti­schen und thera­peu­ti­schen Horizont.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen aus dem verreg­ne­ten Norden noch eine wunder­ba­re Sommerzeit.

Ihr Detlef Holland

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