Anlass zur Hoffnung …? 

 

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

herz­lich will­kom­men zu einer weite­ren Ausga­be von „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“, der aktu­el­len online Platt­form für Augenheilkunde! 

Die gute Nach­richt zuerst. Die Inzi­denz der Neuerkran­kun­gen an Diabe­tes war laut der Deut­schen Diabe­tes Gesell­schaft in den vergan­ge­nen Jahren mit ca. 2% leicht rück­läu­fig. Dies betrifft vor allem die höhe­ren Alters­grup­pen. Aller­dings bewe­gen wir uns auf einem sehr hohen Ausgangs­ni­veau mit ca. 450.000 Neuerkran­kun­gen pro Jahr! Die Kehr­sei­te ist, dass in der Alters­grup­pe der 20- bis 39-Jähri­gen die Neuerkran­kun­gen anstie­gen: bei Männern um 2,9% und bei Frauen um 2,4% jähr­lich. Damit ist der Typ-2-Diabe­tes defi­ni­tiv keine Krank­heit des Alters mehr. Die mittel­fris­ti­gen Konse­quen­zen sind für uns Augen­ärz­te schon klar absehbar.

Schon jetzt gilt die Diabe­ti­sche Reti­no­pa­thie (DR) welt­weit als eine der Haupt­ur­sa­chen für vermeid­ba­re Sehver­lus­te im erwerbs­fä­hi­gen Alter.  Beson­ders proble­ma­tisch ist das Diabe­ti­sche Maku­la­ö­dem (DMÖ). Welt­weit sind fast 100 Millio­nen Menschen vom DMÖ betrof­fen – Tendenz deut­lich stei­gend.  Drei Gegen­maß­nah­men stehen im Vorder­grund: 1. Präven­ti­on, 2. soll­ten Verän­de­run­gen möglichst früh­zei­tig erkannt und 3. adäquat behan­delt werden. Zu den beiden letzt­ge­nann­ten Punk­ten haben wir einige aktu­el­le Arbei­ten herausgesucht.

Die Früh­dia­gnos­tik, die Indi­ka­ti­on zur Behand­lung und die Verlaufs­kon­trol­le basiert aktu­ell (noch) auf der Fluo­res­ze­in-Angio­gra­phie und dem SD-OCT. Vor allem die OCT-Unter­su­chung hat sich in durch­ge­setzt. Bereits 2020 wurden dazu vom Euro­pean Insti­tut für Advan­ced Studies in the Clas­si­fi­ca­ti­on of Ophthal­mo­lo­gy (ESASO) morpho­lo­gi­sche Bewer­tungs­kri­te­ri­en für das DMÖ vorge­legt. Es stellt sich die Frage, welcher Einfluss den einzel­nen Fakto­ren für das Anspre­chen auf die Behand­lung zukommt. In der aktu­el­len Ausga­be von BMC Ophthal­mo­lo­gy“ sind Yu L et al. (Peking, China) dieser Frage nach­ge­gan­gen. Retro­spek­tiv wurde das thera­peu­ti­sche Anspre­chen auf eine Anti-VEGF-Behand­lung analy­siert. Dabei wurden unter­schied­li­chen Stadi­en des Maku­la­ö­dems (frühes, fort­ge­schrit­te­nes und schwe­res DMÖ bzw. Makula-Atro­phie) mit dem Behand­lungs­er­folg korre­liert. Bei ca. 60% der behan­del­ten Augen konnte ein Visu­s­an­stieg erreicht werden.  Die übri­gen Pati­en­ten spra­chen dage­gen kaum an (Gewinn <5 EDTRS-Buch­sta­ben) oder wiesen im Verlauf der 6‑monatigen Nach­be­ob­ach­tung gar eine Abnah­me der Sehschär­fe (15%) um mehr als fünf Buch­sta­ben auf. Unter den ESASO-Krite­ri­en stell­te sich in der retro­spek­ti­ven Analy­se eine zentra­le Netz­haut­di­cke von ≥390 µm als prognos­tisch güns­ti­ger Faktor heraus. Hier erfolg­te ein besse­res Anspre­chen, und es bestand eine höhere Wahr­schein­lich­keit der Ödem­rück­bil­dung. Dage­gen erwie­sen sich z.B. viele (>30) hyper­re­flek­ti­ve Foci „HRF“, das Vorlie­gen von vitreo­ma­ku­lä­rer Trak­ti­on oder epire­ti­na­len Membra­nen (eine Reihe von morpho­lo­gi­schen Fakto­ren) als prognos­tisch ungüns­tig. Dies über­rascht zwar nicht, aber, so resü­mie­ren die Autoren, damit könnte eine Grund­la­ge für einen (ggf. auch auto­ma­ti­sier­ten) Behand­lungs­al­go­rith­mus geschaf­fen werden. In der Tat sind Fort­schrit­te zur auto­ma­ti­sier­ten Auswer­tung erreicht worden, und gerade wurde eine weite­re AI-basier­te Soft­ware von der FDA zur DR/DMÖ-Erken­nung zuge­las­sen. Viele der genann­ten Para­me­ter in dieser Studie sind auf fort­ge­schrit­te­ne Stadi­en der DR und des DMÖ zurück­zu­füh­ren. Daher ist es wich­tig, (noch) früher Verän­de­run­gen zu erfas­sen, um Risi­ko­pa­ti­en­ten herauszufinden.

Zahl­rei­che Belege weisen darauf hin, dass die opti­sche Kohä­renz­to­mo­gra­phie-Angio­gra­phie (OCT‑A), als nicht­in­va­si­ve Tech­no­lo­gie diese Lücke schlie­ßen und die Diabe­ti­sche Makula-Ischä­mie (DMI) sehr früh­zei­tig erken­nen kann. Wir erin­nern uns: Klinisch gelten Mikroaneu­rys­men als frühe Zeichen einer DR. Gleich­zei­tig wissen wir aller­dings auch aus histopa­tho­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen, dass ein Kapil­lar­ver­lust längst zuvor vorliegt, lange bevor Mikroaneu­rys­men auftre­ten. Dieser diagnos­tisch „blinde Bereich“ kann durch unsere bishe­ri­gen FAG-Befun­de nicht gesi­chert werden. Daher wird die FAG auch in eher fort­ge­schrit­te­nen Stadi­en einge­setzt. In mehre­ren Studi­en konnte gezeigt werden, dass mittels OCT‑A eine vermin­der­te Kapil­lar­dich­te bereits bei Pati­en­ten mit mini­ma­ler oder fehlen­der DR nach­weis­bar sind.

Ghada A. Nassar (Kairo, Ägyp­ten) vergli­chen im „Inter­na­tio­nal Jour­nal of Retina and Vitre­ous“ die mikro­vasku­lä­ren Merk­ma­le verschie­de­ner Subty­pen des DMÖ mittels OCT‑A bei unbe­han­del­ten Pati­en­ten. Nach OCT-Krite­ri­en wurden Pati­en­ten unter­schie­den, die ein CMÖ als zysto­i­des Maku­la­ö­dem (CME) bzw. als diffu­se Netz­haut­ver­di­ckung (DRT) zusätz­lich jeweils mit Vorlie­gen subre­ti­na­ler Flüs­sig­keit aufwie­sen. Alle OCT‑A Scans der Makula wurden bezgl. der typi­schen Para­me­ter – wie fovea­ler avasku­lä­rer Zone und der Gefäß­dich­te im super­fi­zia­len, oder tiefen Kapil­lar­ple­xus bzw. der Chorio­ca­pil­la­ris – unter­sucht. Als Ergeb­nis wurde resü­miert, das die Morpho­lo­gie des Maku­la­ö­dems (DRT versus CME) unab­hän­gig vom Vorhan­den­sein von subre­ti­na­ler Flüs­sig­keit der stärks­te prädik­ti­ve Faktor für die Sehschär­fe bei Pati­en­ten mit DMÖ war. Es muss kritisch ange­merkt werden, dass dies eine kleine umschrie­be­ne Studie ist, die eine Subgrup­pen­ana­ly­se erschwert. Dennoch kann als wich­ti­ge Aussa­ge fest­ge­hal­ten werden, dass eine nega­ti­ve Korre­la­ti­on zwischen der Schwe­re der DR und der fovea­len Gefäß­dich­te sowohl im super­fi­zia­len wie tiefen Kapil­lar­ple­xus besteht. Dadurch bestä­tigt sich, dass die nicht­in­va­si­ve OCT‑A eine klare Korre­la­ti­on des Ischä­mie­sta­tus mit der Progres­si­on sowohl der Diabe­ti­schen Reti­no­pa­thie als auch der Entwick­lung eines DMÖ bietet.

Einen Schritt weiter gingen Yang und Mitar­bei­ter aus Hong­kong (China; Veröf­fent­li­chung in „JAMA“), indem sie eine auto­ma­ti­sier­te Auswer­tung der Makula-Ischä­mie vornah­men und über mehre­re Jahre die weite­re Entwick­lung von DR/DMÖ beob­ach­te­ten. In ihrer Studie mit 386 Augen von 202 Perso­nen mit Typ-2-Diabe­tes zeig­ten sie, dass eine subkli­ni­sche diabe­ti­sche Makula-Ischä­mie zu Studi­en­be­ginn mit einer erhöh­ten Wahr­schein­lich­keit für ein Fort­schrei­ten der DR (2,7- bis 3,7‑fach), der Entwick­lung eines DMÖ (4,6‑fach) und einer Verschlech­te­rung des Sehver­mö­gens (1,8- bis 2,1‑fach) über einen Zeit­raum von 4 Jahren verbun­den war. Es ist wich­tig anzu­mer­ken, dass die Charak­te­ri­sie­rung der diabe­ti­schen Makula-Ischä­mie mit OCT‑A nicht durch klini­sche Unter­su­chung oder FAG erfasst werden konnte. Die meis­ten Teil­neh­mer der Studie wiesen nur diskre­te Befun­de bei mittel­schwe­rer DR oder eher weni­ger schwe­ren Erkran­kung auf. Das Risiko für ein DMÖ mit entspre­chen­der Visus­min­de­rung war v.a. mit Verän­de­run­gen im tiefen kapil­lä­ren Gefäß­ple­xus verbun­den. In ihrer sorg­fäl­ti­gen Daten­er­he­bung waren diese Ergeb­nis­se auch nach multi­fak­to­ri­el­ler Analy­se unter Einschluss von Diabe­tes Dauer, HbA1c, Blut­druck und Lebens­ge­wohn­hei­ten (Rauchen) weiter­hin signi­fi­kant. Hervor­zu­he­ben ist, dass durch AI ein robus­ter zuver­läs­si­ger Algo­rith­mus für das Erken­nen der frühen Verän­de­run­gen geschaf­fen wurde. 

Zusam­men­ge­fasst bele­gen diese Daten, dass bereits sehr früh­zei­tig Verän­de­run­gen erkenn­bar sind, auto­ma­ti­siert erfasst werden können und eine hohe prognos­ti­sche Wertig­keit aufwei­sen. Gleich­zei­tig wird an unse­rer bishe­ri­gen Klas­si­fi­ka­ti­on der frühen Diabe­ti­schen Reti­no­pa­thie gerüt­telt und neue metho­di­sche Ansät­ze werden inter­es­sant. Zudem ergibt sich daraus, dass die OCT-A-Tech­no­lo­gie zur Stan­dard­dia­gnos­tik für frühe ischä­mi­sche reti­na­le Verän­de­run­gen aufstei­gen könnte. Zudem legt die letzte Publi­ka­ti­on eindrück­lich dar, dass morpho­lo­gi­sche Daten mittels OCT‑A einen signi­fi­kan­ten klini­schen Einfluss mit prognos­ti­scher Wertig­keit zur DR bieten. Dies kommt einem Para­dig­men­wech­sel gleich, der ähnlich zum aktu­el­len Thera­pie­wan­del verläuft. Es sei nur daran erin­nert, dass wir von der foka­len Laser­fo­to­ko­agu­la­ti­on weit­ge­hend abge­kom­men und bei der anti-VEGF bzw. intra­vit­rea­len Stero­idein­ga­be ange­kom­men sind, weite­re Entwick­lun­gen lassen hoffen …

Mit diesem posi­ti­ven Ausblick wünschen wir Ihnen inter­es­san­tes Lese­ver­gnü­gen und eine erhol­sa­me Sommerzeit 

Herz­lichst

Ihr Uwe Pleyer und das gesam­te Team von Kompakt Ophthalmologi

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