Schaf oder Wolf ? … Löwin oder …?
Sie erinnern sich? Die Aufregung war groß und die Nachricht ging um die Welt: Mit großem Aufsehen wurde die Spur einer vermeintlichen Löwin in der Region um Berlin aufgenommen. Schließlich erwies sich die Situation als Fehlalarm. Nicht eine Löwin, sondern ein Wildschwein ist in dem Video, das viral ging, zu sehen. Aber was wäre gewesen, wenn?
„Maskerade-Syndrome“ oder irreführende Befunde kennen wir auch von unseren Patienten!
Sie kennen das: Vertraute Krankheitsbilder entpuppen sich als völlige Fehleinschätzung. Sie werden oft mit Begriffen wie „Chamäleon“ oder „Maskerade“ belegt. Brisant wird es, wenn sich dahinter schwerwiegende, lebensbedrohliche Erkrankungen verbergen.
Als „Klassiker“ gelten hier Lymphome des Auges. Sie täuschen häufig entzündliche Augenerkrankungen vor. Als besonders problematisch muss das vitreoretinale Lymphom (VRL) bewertet werden, da es bei mehr als 60% der Betroffenen das Zentralnervensystem einbezieht und eine sehr schlechte Prognose quoad vitam aufweist. Da okulare Lymphome in jüngster Zeit vermehrt für Aufmerksamkeit sorgten, rücken wir das Thema in dieser Ausgabe von „Ophthalmologie Kompakt“ in den Mittelpunkt.
Lesenswert ist die Übersichtsarbeit von Kaburaki T, Taoka K im „Japanese Journal of Ophthalmology“, die das aktuelle diagnostische und therapeutische Vorgehen zusammenfasst. Goldstandard bleibt die Zytologie mit dem Nachweis maligner Zellen aus Glaskörper oder Retina. Positive Befunde werden allerdings bei lediglich 29–70% der Proben erreicht. Daher sind erfahrene Onkopathologen, die mit dem kritischen Probenvolumen und den aktuellen molekularbiologischen Nachweismethoden vertraut sind, oft entscheidend. Als diagnostisch zusätzlich wertvolle Information hat sich die Bestimmung von Interleukin-10 (IL-10) herausgestellt. Dieses Zytokin wird von den vorherrschenden B‑Lymphozyten gebildet und kann in intraokularen Flüssigkeiten zuverlässig detektiert werden. Aus der japanischen Arbeit geht auch die langjährige Erfahrung mit intravitrealen Methotrexat(MTX)-Injektionen hervor. Ein wichtiger Aspekt, da bisher kein international anerkannter Goldstandard für diese konkrete Vorgehensweise existiert. In diesem Zusammenhang ist auf die Arbeit von Junxiang Gu et al. aus Shanghai hinzuweisen. In der aktuellen Ausgabe des „American Journal of Ophthalmology“ vergleichen sie unterschiedliche MTX-Injektionsprotokolle und korrelieren diese mit ophthalmologischen Biomarkern. Sie empfehlen initial eine hochfrequente Anwendung mit zwei Injektionen pro Woche. Darunter traten gegenüber der einmal wöchentlichen Injektion seltener Rezidive auf. Auch in dieser Studie erweist sich für das Monitoring des VRL die Interleukin-10-Konzentration im Kammerwasser als wertvoller Parameter. Interleukin-10-Werte von >50 pg/ml wurden als potenzieller Schwellenwert für ein okuläres Rezidiv mit hoher Sensitivität (100%) und Spezifität (95%) berichtet. Erfahrungen, die sich auch mit unseren eigenen Beobachtungen decken. Als klinische Parameter für ein Ansprechen der Behandlung erwiesen sich rückläufige Hornhautpräzipitate und Regression subretinaler Läsionen (p<0,001) als wichtigste Befunde.
Allerdings muss bei intensiver, lokaler MTX-Gabe auch mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden. Darauf weisen Moharana et al. in „BMJ Case Reports“ hin. Bei etwa der Hälfte der Augen beobachteten sie eine Keratopathie. Der Schweregrad der Oberflächenschädigung reichte von diffuser, punktförmiger Keratopathie bis hin zur ausgeprägten Epitheliopathie. Als einfache wirkungsvolle Maßnahme empfehlen sie unmittelbar nach jeder Injektion eine intensive Spülung der Augenoberfläche und belegen dies mit einer Serie eigener Patienten.
Intravitreale MTX-Injektionen erweisen sich in vielen Studien zwar als wirksam bei der Behandlung des VRL. Liegt allerdings eine ZNS Beteiligung bereits vor und/oder soll eine Disseminierung verhindert werden, muss systemisch behandelt werden. Auch dazu liegen bisher keine standardisierten Behandlungsprotokolle vor. Als interessante neue Wirkstoffklasse werden Bruton-Tyrosinkinase Inhibitoren (BTKi) diskutiert. Hoffnungsvoll äußern sich dazu französische Kollegen in der aktuellen Ausgabe des „European Journal of Cancer“ (Soussain C. et al.). Ibrutinib ist ein selektiver BTKi, der hochsignifikant das Zellwachstum stoppt und in vitro rasch eine Apoptose induziert. In dieser prospektiven, multizentrischen Phase-II-Studie wurden schwer betroffene Patienten mit therapierefraktärem oder rezidivierendem ZNS-Lymphom und/oder primärem VRL eingeschlossen. Immerhin 50% dieser fortgeschritten erkrankten Patienten sprachen vollständig oder partiell auf die zweimonatige Behandlung an und die Überlebenszeit konnte verlängert werden. Als günstig erweist sich, dass diese kleinen molekularen Substanzen eine gute pharmakologische Verfügbarkeit im ZNS und Auge aufweisen. Daher wird die Zugabe von Ibrutinib zur Standard-Induktionstherapie mit MTX in Europa für die nächste Phase der Zulassung geplant. In Japan sind BTKi für die Behandlung des refraktären ZNS-Lymphoms bereits zugelassen. Hier wurde bereits eine randomisierte, prospektive Studie mit Tirabrutinib, einem weiteren hochselektiven BTKi, iniziiert. Wie kritisch-bedrohlich die Erkrankung verläuft, zeigt sich in der immer noch begrenzten mittleren progressionsfreien Zeit bzw. Überlebenszeit der Patienten, die mit 5 bzw. 19 Monaten angegeben wird.
Die funktionelle Prognose des VRL ist oft schwierig einzuschätzen. Darauf gehen zwei aktuelle Arbeiten ein. Kim und Mitarbeiter aus Korea berichten über 113 VRL. Bei allen Augen kam es durch intraokulare MTX Gaben zu einem signifikanten Visusanstieg. Als ungünstige Prädiktoren erwiesen sich allerdings ein deutlich reduzierter Ausgangs-Visus und subretinale Infiltrate zu Behandlungsbeginn. Die Autoren der zweiten Studie wählten einen völlig anderen, interessanten Ansatz. Jun Makita und Mitarbeiter korrelierten die Netzhautfunktion und ‑morphologie des VRL mit ERG- und OCT-Untersuchung. Bei ca. der Hälfte der Augen wurde eine stark abgeschwächt a‑Welle im ERG festgestellt. Dieses Zeichen einer schweren Dysfunktion der äußeren Netzhautschichten konnten die Untersucher mit ihren OCT Befunden korrelierten und empfehlen beide Verfahren für das „Follow-up“.
Lymphome der okularen Adnexe treten dagegen häufig auf und zählen zu den häufigsten Malignomen des Auges. Sie können Bindehaut, Orbita, Tränendrüse und Lider betreffen. Auch diese heterogene Gruppe von Lymphomen wird nahezu ausschließlich der B‑Zell Reihe zugeordnet. An der Bindehaut treten sie u.a. als MALT-Lymphome auf. Da Chlamydien in der Pathogenese des MALT-Lymphoms eine wichtige Rolle spielen, stellt sich die Frage einer antibiotischen Intervention. Ermutigende Hinweise liegen bereits von erfolgreichen Behandlungen gastrointestinaler MALT Lymphome mit oralem Doxyciclin vor. Ähnlich positive Ergebnisse berichten koreanische Kollegen. In einer Fallserie von 67 Patienten mit Bindehaut-MALT-Lymphom, behandelten Choi SH et al. diese mit einer 3‑wöchigen, systemischen Doxycyclin Gabe. Mehr als 80% der Patienten konnten sie über mindestens 5 Jahre nachbeobachten und ein vollständiges- oder partielles Ansprechen sehen. Da der Tumor nicht vital bedrohlich ist, halten die Autoren diese Behandlung als First-line-Maßnahme geeignet. Frühe Stadien des MALT-Lymphoms (T1a oder T1b) können nach Ansicht der Autoren mit 1–2 Behandlungszyklen gut beherrscht werden. Begleitende ophthalmologische Kontrollen bleiben unverzichtbar.
Resümee
Bleiben sie vigilant und ziehen bei ihren Differenzialdiagnosen im Einzelfall auch ein „Maskerade-Syndrom“ in Betracht. Für das VRL stehen eine Reihe neuer diagnostischer Optionen zur Verfügung, die zur früheren Diagnose und günstigeren Prognose führen sollten. Übrigens: Es ist nicht sicher verbürgt, welche Lehren das Berliner Ordnungsamt aus der teuersten Safari Deutschlands getroffen hat. Entgegen ersten Erwartungen wurden Berliner Polizisten nicht häufiger im Großkatzen-Gehege des Zoos gesehen. Statt phänotypischer Maskerade Analyse wurden schließlich auch hier „Biomarker“ – konkret DNA-Proben der verdächtigten Spezies – herangezogen. Hier sind wir also einen Schritt voraus …
In diesem Sinne grüßen Sie herzlichst
Uwe Pleyer und das gesamte Team von „Kompakt Ophthalmologie“