Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
schon wieder ist ein Jahr vergangen. Die Welt wird leider nicht einfacher, sondern eher immer komplexer und zum Teil auch nur noch schwer verständlich für den normalen Menschen. Daher ist es immer wichtig, seinen Kompass zu kalibrieren und sein Leuchtfeuer im Auge zu behalten. Für uns Augenärzte ist die berufliche Zukunft zurzeit sicherlich nicht die einfachste. Dabei denke ich nicht nur an die Honorarsituation, sondern auch an die unterschiedlichsten Konkurrenzsituationen, welche sich im Moment aufzeigen. Kürzlich war ich auf einer Versammlung des BVA in Bad Segeberg. Dort wurde über die Aktivitäten des Fielmann-Konzerns im Hinblick auf augenärztliche Diagnostik berichtet. Mit Telemedizin wird eine Situation der Konkurrenz zu uns Augenärzten geschaffen, welche wir aufmerksam beobachten und auch aktiv kommentieren müssen. Unsere Berufsgruppe selbst sollte sich aber nicht von dieser Art der Telemedizin abschrecken lassen, sondern eigene Wege finden, um diese zu unserem Vorteil zu nutzen und auch entsprechende Abrechnungsformen zu erarbeiten. Auf diese Weise können wir als Augenärzte sicherlich von den Entwicklungen profitieren und für unsere Patienten nutzen.
Gerade in Hinblick auf eine alternde Bevölkerung bei gleichzeitig an Zahl abnehmendem ärztlichen Nachwuchs besteht durch die Telemedizin sicher eine Möglichkeit der Optimierung der Arbeitsabläufe und der Versorgung. Hierbei wird auch sicherlich die zurzeit in aller Munde befindliche Künstliche Intelligenz (KI) eine weitreichende Rolle spielen. Wir sollten also keine Angst vor diesen Entwicklungen haben, sondern ebenfalls zu Playern auf diesem Gebiet werden. Mit der richtigen Einstellung können wir sicherlich hoffnungsvoll in diese Zukunft unter Anwendung von Telemedizin und KI blicken. Hierbei ist natürlich die Kooperation unter uns Augenärzten und eine intensive Arbeit für die Projekte unserer Berufsverbände von großer Bedeutung.
Wenn wir an die unglaubliche Anzahl von Neuerungen auf unserem Fachgebiet denken, so wird aber auch schnell klar, dass es sicherlich noch einige Zeit braucht, bis uns die KI als Ärzte überflüssig machen kann. Die Komplexität der Augenheilkunde und Interaktion mit anderen Fachgebieten wird immer vielfältiger, und umso wichtiger ist die kontinuierliche Weiterbildung. Somit möchte ich auch nun auf einige spannende, neue Publikationen hinweisen.
In einer sehr interessanten Studie über die Ankylisierende Spondylitis (AS) oder Morbus Bechterew und ihren Zusammenhang zum Glaukom berichteten kürzlich Li et al. Dabei nutzten sie in ihrer Studie die sogenannte Mendel´sche Randomisierung (MR). Diese Methode bezeichnet eine Technik in der Epidemiologie und Biostatistik für nichtexperimentelle Studien. Dabei soll der Einfluss veränderlicher Risikofaktoren auf Krankheiten unter Verwendung der Variation von Genen bekannter Funktion genutzt werden. Besteht auch zwischen den Markern und einem Phänotyp eine Assoziation, kann von einer kausalen Beziehung zwischen Exposition und Phänotyp ausgegangen werden. Ein Vorteil dieser Studien ist, dass man schnell große Fallzahlen zur Untersuchung heranziehen kann, was die statistische Aussagekraft erhöht. So wurden für die oben genannte Untersuchung große Daten von Gen-Assoziationsstudien über Ankylisierende Spondylitis und Kontrollprobanden sowie Glaukom und Kontrollgruppen analysiert.
Dabei verwendete man sowohl die MR-Egger-Analyse als auch den Cochrane-Q-Test. Die Anzahl der Probanden lag zwischen 9006 und 210.000. die Studie konnte ein erhöhtes Risiko für sowohl das Offen‑, als ob das Engwinkelglaukom bei Patienten mit AS in der europäischen Bevölkerung herausstellen. Für uns Augenärzte gilt es folglich, bei dieser Patientengruppe auch ein vermehrtes Augenmaß auf die Glaukomvorsorge zu legen und unsere betroffenen Patienten über die notwendigen Kontrollen zu informieren. Die Autoren der Studie gaben abschließend aber zu bedenken, dass in diesem Zusammenhang in der Zukunft weitere Studien über die Kausalzusammenhänge notwendig sind.
Eine andere spannende Arbeit über die Einflüsse andere Erkrankungen beziehungsweise von Medikamenten auf Krankheitsbilder in der Augenheilkunde erschien kürzlich im „Journal of Ophthalmic Plastic Reconstructive Surgery“. Nirmalan et al. präsentierten eine Fallserie über durch Alemtuzumab induzierte endokrine Orbitopathie. Alemtuzumab ist ein zytotoxischer Wirkstoff und gehört zur Gruppe der monoklonalen Antikörper. Der gentechnologisch hergestellte, verschreibungspflichtige Wirkstoff wird zur Behandlung der Multiplen Sklerose eingesetzt und unter dem Handelsnamen Lemtrada vertrieben.
In der Fallserie wurden 16 Patienten mit einer induzierten Orbitopathie mit der konventionellen Erkrankung verglichen. Der klinische Aktivitäts-Score lag im Durchschnitt bei 2,8 und in der akuten Phase bei 5,0. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer lag bei 14 Monaten. Die Patienten wurden in der Mehrzahl medikamentös behandelt mit Selenium oder monoklonalen Antikörpern sowie mit chirurgischer Intervention. Im Vergleich zur gewöhnlichen Graves Disease zeigten die Patienten einen höheren Schweregrad, wobei die Krankheitsbilder ansonsten einander vergleichbar waren. Die Autoren schlussfolgern, dass es bedeutsam ist, dass Patienten mit dieser Therapie über diese mögliche Komplikation aufgeklärt werden und gegebenenfalls bei Symptomentwicklung frühzeitig den Augenarzt aufsuchen, damit die entsprechende Therapie eingeleitet werden kann. Dies kann die Verläufe positiv beeinflussen da gegebenenfalls eine Therapie schon bei einem niedrigen Aktivitäts-Score angeordnet werden kann.
Eine weitere interessante Publikation über Zusammenhänge in unserem Körper ist kürzlich im „Journal of Applied Ergonomics“ erschienen. Kremer et al. untersuchten den Zusammenhang zwischen Müdigkeit und der Pupillenreaktionen bei Mitarbeitern im Gesundheitssystem. Da es in diesem Zusammenhang wenig empirische Daten gibt, wurde ein Versuchslabor erstellt, welches die Arbeitsbedingungen bei der Verwendung eines medizinischen Dokumentationssystems nachvollziehen sollte. Hierzu wurden 49 Probanden eingeschlossen. Diese mussten unterschiedliche Aufgaben der medizinischen Dokumentation und Erinnerungsaufgaben erfüllen. Die Autoren konnten dabei einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Pupillenreaktion und der Arbeitsbelastung beziehungsweise einer Überlastung feststellen. Eine Pupillendilatation war mit Müdigkeit und Arbeitsüberlastung korreliert. Da Müdigkeit und Überlastung im Gesundheitssystem und insbesondere in der medizinischen Dokumentation zu folgenschweren Fehlern führen können, wäre möglicherweise eine am Bildschirmarbeitsplatz implementierte Kontrolle der Pupillenreaktion ein einfaches Werkzeug, um eine Überlastung zu detektieren und so Fehlern vorzubeugen. Die Autoren gaben abschließend aber zu bedenken, dass die Laborsituation sehr aufwendig sei und die Ergebnisse limitiert sind. Die Studie würde aber dazu animieren, weitere Untersuchungen mit angepassten Untersuchungsbedingungen durchzuführen.
Auch in anderen Fachgebieten hat die Reaktion der Pupille eine relevante Bedeutung. Insbesondere in der Neurologie und Neurochirurgie dient die Operation zur Beurteilung möglicher Schädigung beziehungsweise neurologischer Defizite. Kürzlich erschienen in der „Acta Neurochirurgica“ ist eine interessante Publikation über eine Studie zur Anwendung von Brimonidin-Augentropfen für die Beurteilung von komatösen Patienten. In der Traumatologie von Schädel-Hirn-Traumata ist die Beurteilung der residualen Bewusstseinsfunktion bei klinisch nicht reagierenden Patienten von großer Bedeutung.
Es wird angenommen, dass die sympathische Kontrolle der Pupillengröße bei bewusstlosen Patienten verlorengeht. Jakobsen et al. postulierten daher, dass die Gabe von Brimonidin-Augentropfen als Alpha-2-Agonist bei Patientin mit noch teilweise bestehendem Bewusstsein ein pharmakologisches Horner-Syndrom induzieren sollte. Auf der anderen Seite wäre bei vollständig bewusstlosen Patienten keine Reaktion vorhanden. Es wurde daher eine Studie aufgelegt, in der die Pupillenreaktion von gesunden Probanden mit der von Koma-Patienten verglichen wurde. Man schloss 15 Patienten nach akuten Schädelhirntrauma auf einer Intensivstation in die Untersuchung ein, bei welchen über das EEG oder die zerebrale Bildgebung ein residuales Bewusstsein ausgeschlossen worden war. Eine nach Geschlecht und Alter adaptierte, gesunde Gruppe wurde zum Vergleich herangezogen. Man ermittelte die Pupillengröße in beiden Augen unter skotopischen Bedingungen vor und 5–120 Minuten nach der Gabe von Brimonidin in das rechte Auge über eine automatische Pupillometrie. Als Endpunkte der Untersuchung wurde die Miosis und Anisokorie bestimmt. Diese Proof-of-principle-Studie zeigte, dass die Brimonidin-Augentropfen in der gesunden Gruppe eine Anisokorie erzielten, jedoch nicht in der Gruppe der Koma-Patienten. Die Autoren schlussfolgern, dass Brimonidin-Augentropfen das Potenzial haben, zwischen den Extremen im Bewusstsein von Traumapatienten zu differenzieren, also bei der Unterscheidung von Hirntod und einer zerebralen Restfunktion.
Für die Zukunft sei es nun wichtig über weitere Studien auch die möglichen Zwischenstadien in den Bewusstseinsstörungen über vergleichbare Tests zu erfassen. Es zeigt sich hier das Potenzial, über einen einfachen Test möglicherweise für die Prognose entscheidende Stadien von hirnverletzten Patienten erfassen zu können. Dies hat natürlich nicht nur für die Patienten selber, sondern auch für die behandeln Ärzte und die Angehörigen eine große Bedeutung.
Diese vier interessanten Publikationen zeigen sehr anschaulich, wie groß die Überschneidungen unseres Fachgebietes mit anderen Disziplinen sind und wie sehr das Wissen darum unseren Alltag bereichert und spannender macht. Sei es nun bei Patienten mit Ankylisierender Spondylitis, einer durch Alemtuzumab induzierten Endokrinen Orbitopathie, oder die Pupillenreaktion bei Überlastung in der Arbeitsmedizin oder nach Hirnverletzung in der Traumatologie – überall ist augenärztliches Wissen von Bedeutung und hilft den Patienten oder kann auch der Optimierung des Arbeitsalltags dienen.
Mit diesem positiven Ausklang verabschiede ich mich und wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit und ein gesundes und glückliches neues Jahr.
Ihr Detlef Holland