Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät: Augen­ärzt­li­ches Wissen ist über­all von Bedeutung

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

schon wieder ist ein Jahr vergan­gen. Die Welt wird leider nicht einfa­cher, sondern eher immer komple­xer und zum Teil auch nur noch schwer verständ­lich für den norma­len Menschen. Daher ist es immer wich­tig, seinen Kompass zu kali­brie­ren und sein Leucht­feu­er im Auge zu behal­ten. Für uns Augen­ärz­te ist die beruf­li­che Zukunft zurzeit sicher­lich nicht die einfachs­te. Dabei denke ich nicht nur an die Hono­rar­si­tua­ti­on, sondern auch an die unter­schied­lichs­ten Konkur­renz­si­tua­tio­nen, welche sich im Moment aufzei­gen. Kürz­lich war ich auf einer Versamm­lung des BVA in Bad Sege­berg. Dort wurde über die Akti­vi­tä­ten des Fiel­mann-Konzerns im Hinblick auf augen­ärzt­li­che Diagnos­tik berich­tet. Mit Tele­me­di­zin wird eine Situa­ti­on der Konkur­renz zu uns Augen­ärz­ten geschaf­fen, welche wir aufmerk­sam beob­ach­ten und auch aktiv kommen­tie­ren müssen. Unsere Berufs­grup­pe selbst sollte sich aber nicht von dieser Art der Tele­me­di­zin abschre­cken lassen, sondern eigene Wege finden, um diese zu unse­rem Vorteil zu nutzen und auch entspre­chen­de Abrech­nungs­for­men zu erar­bei­ten. Auf diese Weise können wir als Augen­ärz­te sicher­lich von den Entwick­lun­gen profi­tie­ren und für unsere Pati­en­ten nutzen. 

Gerade in Hinblick auf eine altern­de Bevöl­ke­rung bei gleich­zei­tig an Zahl abneh­men­dem ärzt­li­chen Nach­wuchs besteht durch die Tele­me­di­zin sicher eine Möglich­keit der Opti­mie­rung der Arbeits­ab­läu­fe und der Versor­gung. Hier­bei wird auch sicher­lich die zurzeit in aller Munde befind­li­che Künst­li­che Intel­li­genz (KI) eine weit­rei­chen­de Rolle spie­len. Wir soll­ten also keine Angst vor diesen Entwick­lun­gen haben, sondern eben­falls zu Play­ern auf diesem Gebiet werden. Mit der rich­ti­gen Einstel­lung können wir sicher­lich hoff­nungs­voll in diese Zukunft unter Anwen­dung von Tele­me­di­zin und KI blicken. Hier­bei ist natür­lich die Koope­ra­ti­on unter uns Augen­ärz­ten und eine inten­si­ve Arbeit für die Projek­te unse­rer Berufs­ver­bän­de von großer Bedeutung.

Wenn wir an die unglaub­li­che Anzahl von Neue­run­gen auf unse­rem Fach­ge­biet denken, so wird aber auch schnell klar, dass es sicher­lich noch einige Zeit braucht, bis uns die KI als Ärzte über­flüs­sig machen kann. Die Komple­xi­tät der Augen­heil­kun­de und Inter­ak­ti­on mit ande­ren Fach­ge­bie­ten wird immer viel­fäl­ti­ger, und umso wich­ti­ger ist die konti­nu­ier­li­che Weiter­bil­dung. Somit möchte ich auch nun auf einige span­nen­de, neue Publi­ka­tio­nen hinweisen.

In einer sehr inter­es­san­ten Studie über die Anky­li­sie­ren­de Spon­dy­li­tis (AS) oder Morbus Bech­te­rew und ihren Zusam­men­hang zum Glau­kom berich­te­ten kürz­lich Li et al. Dabei nutz­ten sie in ihrer Studie die soge­nann­te Mendel´sche Rando­mi­sie­rung (MR). Diese Metho­de bezeich­net eine Tech­nik in der Epide­mio­lo­gie und Biosta­tis­tik für nicht­ex­pe­ri­men­tel­le Studi­en. Dabei soll der Einfluss verän­der­li­cher Risi­ko­fak­to­ren auf Krank­hei­ten unter Verwen­dung der Varia­ti­on von Genen bekann­ter Funk­ti­on genutzt werden. Besteht auch zwischen den Markern und einem Phäno­typ eine Asso­zia­ti­on, kann von einer kausa­len Bezie­hung zwischen Expo­si­ti­on und Phäno­typ ausge­gan­gen werden. Ein Vorteil dieser Studi­en ist, dass man schnell große Fall­zah­len zur Unter­su­chung heran­zie­hen kann, was die statis­ti­sche Aussa­ge­kraft erhöht. So wurden für die oben genann­te Unter­su­chung große Daten von Gen-Asso­zia­ti­ons­stu­di­en über Anky­li­sie­ren­de Spon­dy­li­tis und Kontroll­pro­ban­den sowie Glau­kom und Kontroll­grup­pen analysiert. 

Dabei verwen­de­te man sowohl die MR-Egger-Analy­se als auch den Coch­ra­ne-Q-Test. Die Anzahl der Proban­den lag zwischen 9006 und 210.000. die Studie konnte ein erhöh­tes Risiko für sowohl das Offen‑, als ob das Engwin­kel­glau­kom bei Pati­en­ten mit AS in der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung heraus­stel­len. Für uns Augen­ärz­te gilt es folg­lich, bei dieser Pati­en­ten­grup­pe auch ein vermehr­tes Augen­maß auf die Glau­kom­vor­sor­ge zu legen und unsere betrof­fe­nen Pati­en­ten über die notwen­di­gen Kontrol­len zu infor­mie­ren. Die Autoren der Studie gaben abschlie­ßend aber zu beden­ken, dass in diesem Zusam­men­hang in der Zukunft weite­re Studi­en über die Kausal­zu­sam­men­hän­ge notwen­dig sind.

Eine andere span­nen­de Arbeit über die Einflüs­se andere Erkran­kun­gen bezie­hungs­wei­se von Medi­ka­men­ten auf Krank­heits­bil­der in der Augen­heil­kun­de erschien kürz­lich im „Jour­nal of Ophthal­mic Plastic Recon­struc­ti­ve Surge­ry“. Nirmal­an et al. präsen­tier­ten eine Fall­se­rie über durch Alem­tu­zumab indu­zier­te endo­kri­ne Orbi­topa­thie. Alem­tu­zumab ist ein zyto­to­xi­scher Wirk­stoff und gehört zur Gruppe der mono­k­lo­na­len Anti­kör­per. Der gentech­no­lo­gisch herge­stell­te, verschrei­bungs­pflich­ti­ge Wirk­stoff wird zur Behand­lung der Multi­plen Skle­ro­se einge­setzt und unter dem Handels­na­men Lemtra­da vertrieben.

In der Fall­se­rie wurden 16 Pati­en­ten mit einer indu­zier­ten Orbi­topa­thie mit der konven­tio­nel­len Erkran­kung vergli­chen. Der klini­sche Akti­vi­täts-Score lag im Durch­schnitt bei 2,8 und in der akuten Phase bei 5,0. Die durch­schnitt­li­che Erkran­kungs­dau­er lag bei 14 Mona­ten. Die Pati­en­ten wurden in der Mehr­zahl medi­ka­men­tös behan­delt mit Sele­ni­um oder mono­k­lo­na­len Anti­kör­pern sowie mit chir­ur­gi­scher Inter­ven­ti­on. Im Vergleich zur gewöhn­li­chen Graves Dise­a­se zeig­ten die Pati­en­ten einen höhe­ren Schwe­re­grad, wobei die Krank­heits­bil­der ansons­ten einan­der vergleich­bar waren. Die Autoren schluss­fol­gern, dass es bedeut­sam ist, dass Pati­en­ten mit dieser Thera­pie über diese mögli­che Kompli­ka­ti­on aufge­klärt werden und gege­be­nen­falls bei Sympto­m­ent­wick­lung früh­zei­tig den Augen­arzt aufsu­chen, damit die entspre­chen­de Thera­pie einge­lei­tet werden kann. Dies kann die Verläu­fe posi­tiv beein­flus­sen da gege­be­nen­falls eine Thera­pie schon bei einem nied­ri­gen Akti­vi­täts-Score ange­ord­net werden kann.

Eine weite­re inter­es­san­te Publi­ka­ti­on über Zusam­men­hän­ge in unse­rem Körper ist kürz­lich im „Jour­nal of Applied Ergo­no­mics“ erschie­nen. Kremer et al. unter­such­ten den Zusam­men­hang zwischen Müdig­keit und der Pupil­len­re­ak­tio­nen bei Mitar­bei­tern im Gesund­heits­sys­tem. Da es in diesem Zusam­men­hang wenig empi­ri­sche Daten gibt, wurde ein Versuchs­la­bor erstellt, welches die Arbeits­be­din­gun­gen bei der Verwen­dung eines medi­zi­ni­schen Doku­men­ta­ti­ons­sys­tems nach­voll­zie­hen sollte. Hierzu wurden 49 Proban­den einge­schlos­sen. Diese muss­ten unter­schied­li­che Aufga­ben der medi­zi­ni­schen Doku­men­ta­ti­on und Erin­ne­rungs­auf­ga­ben erfül­len. Die Autoren konn­ten dabei einen eindeu­ti­gen Zusam­men­hang zwischen der Pupil­len­re­ak­ti­on und der Arbeits­be­las­tung bezie­hungs­wei­se einer Über­las­tung fest­stel­len. Eine Pupil­len­di­la­ta­ti­on war mit Müdig­keit und Arbeits­über­las­tung korre­liert. Da Müdig­keit und Über­las­tung im Gesund­heits­sys­tem und insbe­son­de­re in der medi­zi­ni­schen Doku­men­ta­ti­on zu folgen­schwe­ren Fehlern führen können, wäre mögli­cher­wei­se eine am Bild­schirm­ar­beits­platz imple­men­tier­te Kontrol­le der Pupil­len­re­ak­ti­on ein einfa­ches Werk­zeug, um eine Über­las­tung zu detek­tie­ren und so Fehlern vorzu­beu­gen. Die Autoren gaben abschlie­ßend aber zu beden­ken, dass die Labor­si­tua­ti­on sehr aufwen­dig sei und die Ergeb­nis­se limi­tiert sind. Die Studie würde aber dazu animie­ren, weite­re Unter­su­chun­gen mit ange­pass­ten Unter­su­chungs­be­din­gun­gen durchzuführen.

Auch in ande­ren Fach­ge­bie­ten hat die Reak­ti­on der Pupil­le eine rele­van­te Bedeu­tung. Insbe­son­de­re in der Neuro­lo­gie und Neuro­chir­ur­gie dient die Opera­ti­on zur Beur­tei­lung mögli­cher Schä­di­gung bezie­hungs­wei­se neuro­lo­gi­scher Defi­zi­te. Kürz­lich erschie­nen in der „Acta Neuro­chir­ur­gi­ca“ ist eine inter­es­san­te Publi­ka­ti­on über eine Studie zur Anwen­dung von Brimo­n­i­din-Augen­trop­fen für die Beur­tei­lung von koma­tö­sen Pati­en­ten. In der Trau­ma­to­lo­gie von Schä­del-Hirn-Trau­ma­ta ist die Beur­tei­lung der resi­dua­len Bewusst­seins­funk­ti­on bei klinisch nicht reagie­ren­den Pati­en­ten von großer Bedeutung.

Es wird ange­nom­men, dass die sympa­thi­sche Kontrol­le der Pupil­len­grö­ße bei bewusst­lo­sen Pati­en­ten verlo­ren­geht. Jakobsen et al. postu­lier­ten daher, dass die Gabe von Brimo­n­i­din-Augen­trop­fen als Alpha-2-Agonist bei Pati­en­tin mit noch teil­wei­se bestehen­dem Bewusst­sein ein phar­ma­ko­lo­gi­sches Horner-Syndrom indu­zie­ren sollte. Auf der ande­ren Seite wäre bei voll­stän­dig bewusst­lo­sen Pati­en­ten keine Reak­ti­on vorhan­den. Es wurde daher eine Studie aufge­legt, in der die Pupil­len­re­ak­ti­on von gesun­den Proban­den mit der von Koma-Pati­en­ten vergli­chen wurde. Man schloss 15 Pati­en­ten nach akuten Schä­del­hirn­trau­ma auf einer Inten­siv­sta­ti­on in die Unter­su­chung ein, bei welchen über das EEG oder die zere­bra­le Bild­ge­bung ein resi­dua­les Bewusst­sein ausge­schlos­sen worden war. Eine nach Geschlecht und Alter adap­tier­te, gesun­de Gruppe wurde zum Vergleich heran­ge­zo­gen. Man ermit­tel­te die Pupil­len­grö­ße in beiden Augen unter skoto­pi­schen Bedin­gun­gen vor und 5–120 Minu­ten nach der Gabe von Brimo­n­i­din in das rechte Auge über eine auto­ma­ti­sche Pupil­lo­me­trie. Als Endpunk­te der Unter­su­chung wurde die Miosis und Anis­o­ko­rie bestimmt. Diese Proof-of-princip­le-Studie zeigte, dass die Brimo­n­i­din-Augen­trop­fen in der gesun­den Gruppe eine Anis­o­ko­rie erziel­ten, jedoch nicht in der Gruppe der Koma-Pati­en­ten. Die Autoren schluss­fol­gern, dass Brimo­n­i­din-Augen­trop­fen das Poten­zi­al haben, zwischen den Extre­men im Bewusst­sein von Traum­a­pa­ti­en­ten zu diffe­ren­zie­ren, also bei der Unter­schei­dung von Hirn­tod und einer zere­bra­len Restfunktion.

Für die Zukunft sei es nun wich­tig über weite­re Studi­en auch die mögli­chen Zwischen­sta­di­en in den Bewusst­seins­stö­run­gen über vergleich­ba­re Tests zu erfas­sen. Es zeigt sich hier das Poten­zi­al, über einen einfa­chen Test mögli­cher­wei­se für die Progno­se entschei­den­de Stadi­en von hirn­ver­letz­ten Pati­en­ten erfas­sen zu können. Dies hat natür­lich nicht nur für die Pati­en­ten selber, sondern auch für die behan­deln Ärzte und die Ange­hö­ri­gen eine große Bedeutung.

Diese vier inter­es­san­ten Publi­ka­tio­nen zeigen sehr anschau­lich, wie groß die Über­schnei­dun­gen unse­res Fach­ge­bie­tes mit ande­ren Diszi­pli­nen sind und wie sehr das Wissen darum unse­ren Alltag berei­chert und span­nen­der macht. Sei es nun bei Pati­en­ten mit Anky­li­sie­ren­der Spon­dy­li­tis, einer durch Alem­tu­zumab indu­zier­ten Endo­kri­nen Orbi­topa­thie, oder die Pupil­len­re­ak­ti­on bei Über­las­tung in der Arbeits­me­di­zin oder nach Hirn­ver­let­zung in der Trau­ma­to­lo­gie – über­all ist augen­ärzt­li­ches Wissen von Bedeu­tung und hilft den Pati­en­ten oder kann auch der Opti­mie­rung des Arbeits­all­tags dienen.

Mit diesem posi­ti­ven Ausklang verab­schie­de ich mich und wünsche Ihnen eine geseg­ne­te Weih­nachts­zeit und ein gesun­des und glück­li­ches neues Jahr.

Ihr Detlef Holland

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