Dolci pianti … (süße Tränen …)

 

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Sehr verehr­te Kolle­gin­nen und Kollegen,

sicher­lich kennen Sie diese Roman­ze von J. Strauss, die gerne zum Neujahrs­fest wieder­ge­ge­ben wird und auch gut zu unse­rem Edito­ri­al zu Jahres­be­ginn passt. Wir begrü­ßen sie herz­lich zur ersten Ausga­be von Kompakt Ophthal­mo­lo­gie im Neuen Jahr 2024!  Viel­leicht hatten sie in den ruhi­ge­ren Tagen des Jahres­wech­sels Gele­gen­heit Neues und Nütz­li­ches für ihr tägli­ches Handeln in Kompakt Ophthal­mo­lo­gie zu finden. Auch 2024 werden wir Sie über aktu­el­le Entwick­lun­gen in unse­rem Fach informieren.

Wir können uns glück­lich schät­zen. Es gibt kaum einen Bereich in der Medi­zin, in dem in den letz­ten Jahren so viele sicht­ba­re Fort­schrit­te erreicht werden konn­ten wie in der Ophthal­mo­lo­gie. Ob es sich um die Behand­lung von akuten oder chro­ni­schen, dege­ne­ra­ti­ven oder inflamma­to­ri­schen, gene­ti­schen oder meta­bo­li­schen Erkran­kun­gen handelt – in allen Berei­chen haben sich für unsere Pati­en­ten posi­ti­ve Entwick­lun­gen erge­ben. In diesem Sinne haben wir auch in dieser Ausga­be einige aktu­el­le Arbei­ten „heraus­ge­pickt“ – und können fest­stel­len, dass es immer wieder Über­ra­schen­des zu berich­ten gibt …

Insu­lin hat sich bei topi­scher Anwen­dung als sehr wirk­sam bei Störun­gen der Horn­hau­t­epi­the­li­sie­rung erwie­sen. Dies bele­gen sowohl Einzel­be­ob­ach­tun­gen von Pati­en­ten mit neuro­tro­pher Kera­topa­thie als auch rando­mi­sier­te klini­sche Studi­en. So berich­ten G. Gian­n­ac­ca­re et al. in der Janu­ar­aus­ga­be von „Cornea “ über einen Pati­en­ten mit neuro­tro­pher Kera­topa­thie, der trotz mona­te­lan­ger inten­si­ver Behand­lung (einschließ­lich auto­lo­gen Serums, Verbands­lin­se u.a.) kein Anspre­chen zeigte. Erst die Umstel­lung auf Insu­lin-Augen­trop­fen (AT) 4‑mal/Tag (1 Einheit/ml) in Verbin­dung mit der Verband­kon­takt­lin­se zeigte Erfolg. Bereits nach 10 Tagen wurde eine Reepi­the­li­sie­rung doku­men­tiert, die nach ca. 3 Wochen zur komplet­ten Abhei­lung führte. Die Autoren geben zwar zu beden­ken, dass auch die Kontakt­lin­se Anteil an der posi­ti­ven Entwick­lung haben könnte; jedoch konnte erst durch die Kombi­na­ti­on mit Insu­lin ein Thera­pie­er­folg erreicht werden. 

Bei Diabe­ti­kern ist das Horn­hau­t­epi­thel sehr vulnera­bel und wird oft bei vitreo-reti­na­len Eingrif­fen intra­ope­ra­tiv abra­diert. Auf dieser Grund­la­ge führ­ten Aina et al. post­ope­ra­tiv eine rando­mi­sier­te Studie ihrer Pati­en­ten durch. Diese erhiel­ten entwe­der topi­sches Insu­lin (4‑mal/Tag; 0,5 Einheiten/ml) oder hoch­do­sier­te Hyaluron-AT (4‑mal/Tag; 1,8 %). Bereits 36 Stun­den post­ope­ra­tiv konnte ein hoch­si­gni­fi­kan­ter Unter­schied der Reepi­the­li­sie­rung doku­men­tiert werden. Ein Unter­schied der sich in der Folge­zeit noch deut­li­cher heraus­stell­ten sollte. Bei einer Nach­be­ob­ach­tung von 3 Mona­ten erga­ben sich keiner­lei uner­wünsch­te Wirkun­gen oder Sicher­heits­si­gna­le bei loka­ler Anwen­dung der Insulin-AT.

Die Mecha­nis­men, durch die topi­sches Insu­lin die Wund­hei­lung der Horn­haut verbes­sern könn­ten, sind noch nicht voll­stän­dig verstan­den. Insu­lin scheint die Proli­fe­ra­ti­on von Horn­hau­t­epi­thel­zel­len aufgrund seiner Ähnlich­kei­ten mit insu­li­nasso­zi­ier­ten Wachs­tums­fak­to­ren (IGF) zu verstär­ken. Sowohl Epithel­zel­len der Cornea als auch Kera­to­zy­ten expri­mie­ren IGF‑I und seine Rezep­to­ren. Sie sind an der Diffe­ren­zie­rung und der Proli­fe­ra­ti­on von Horn­hau­t­epi­thel­zel­len betei­ligt. Es hat sich auch gezeigt, dass Insu­lin eine Schlüs­sel­rol­le bei der Regu­lie­rung der Na/K‑AT­Pa­se-Pumpe spielt und damit eine entschei­den­de Bedeu­tung für die Trans­pa­renz der Horn­haut aufweist. Darüber hinaus verbes­sert Insu­lin die Rege­ne­ra­ti­on von Nerven­endi­gun­gen. Dies könnte die posi­ti­ve Wirkung bei neuro­sen­so­ri­schen Störun­gen der Horn­haut erklä­ren. Eine Proble­ma­tik, die ander­wei­tig schwie­rig zu behan­deln ist. Da neuro­sen­so­ri­sche Verän­de­run­gen auch beim trocke­nen Auge eine Rolle spie­len, könnte dies auch hier thera­peu­tisch genutzt werden. Diese Über­le­gung haben unsere spani­schen Kolle­gen Burgos-Blasco B et al. aufge­grif­fen*. Im „Euro­pean  Jour­nal of  Ophthal­mo­lo­gy“ legen sie die Ergeb­nis­se ihrer Unter­su­chung an Pati­en­ten mit schwe­rer Kera­to­kon­junk­ti­vi­tis sicca (KKS) vor. In der nicht­kon­trol­lier­ten Beob­ach­tungs­stu­die erwies sich Insu­lin gegen­über auto­lo­gen Serum-AT und Ciclo­s­po­rin-AT bezüg­lich Befund­bes­se­rung (Epithel­an­fär­bung) und Sympto­men als signi­fi­kant über­le­gen. Die Autoren resü­mie­ren – auch aus ihren frühe­ren Erfah­run­gen mit Insu­lin-AT – dass diese Behand­lung bereits in der 2. Stufe des DEWS-Thera­pie­al­go­rith­mus einge­setzt werden sollte. Insu­lin wird hier v.a. als deut­lich kosten­güns­ti­ge­re Alter­na­ti­ve zu Serum-AT  ange­se­hen. In allen vorge­stell­ten Studi­en wurde topi­sches Insu­lin als sicher und ohne Auswir­kun­gen auf den Blut­zu­cker­spie­gel berichtet.

Inter­es­sant sind in diesem Zusam­men­hang auch Beob­ach­tun­gen unse­rer Kolle­gen Kim AY et al. aus Korea. Bei Diabe­ti­kern konn­ten sie signi­fi­kant erhöh­te Konzen­tra­tio­nen proin­flamma­to­ri­scher Zyto­ki­ne und Wachs­tums­fak­to­ren (u.a. MCP‑1) im Tränen­film messen. Dies äußert sich als KKS und wirkt sich u.a. auch auf den post­ope­ra­ti­ven Verlauf nach Kata­rakt-Opera­ti­on aus. Sowohl Befun­de als auch Sympto­me der KKS sind bei Diabe­ti­kern post­ope­ra­tiv deut­lich länger verän­dert. Während sich in einer Kontroll­grup­pe die post­ope­ra­ti­ven Störun­gen bereits nach einer Woche auf das präope­ra­ti­ve Niveau zurück­bil­de­ten, blie­ben patho­lo­gi­sche Verän­de­run­gen bei Diabe­ti­kern auch noch nach 4 Wochen bestehen. Gleich­zei­tig stieg der MCP-1-Spie­gel in der Diabe­ti­ker­grup­pe post­ope­ra­tiv noch­mals signi­fi­kant an und korre­lier­te nega­tiv mit der Tränen­auf­riss­zeit. Als prak­ti­sche Konse­quenz können wir aus dieser Beob­ach­tung ziehen, dass Diabe­ti­ker nicht nur wegen des erhöh­ten Risi­kos post­ope­ra­tiv ein Maku­la­ö­dem zu entwi­ckeln kriti­scher Nach­be­ob­ach­tung bedür­fen. Auch die Ober­flä­chen­stö­rung bedarf guter Kontrol­le und Behand­lung. Ob dies künf­tig ggf. auch mit Insu­lin erfol­gen kann? Wir blei­ben gespannt …

In diesem Sinne wünschen wir als Team von Kompakt Ophthal­mo­lo­gie Ihnen einen posi­ti­ven, hoff­nungs­vol­len Jahresbeginn.

Ihr

Uwe Pleyer

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