Au-GEN-thera­pie

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

 

 

Bereits „expres­sis verbis“ scheint eine Verbin­dung des Auges zur Genthe­ra­pie nahe­zu­le­gen. In der Tat könnte sich ein tief­grei­fen­der Para­dig­men­wech­sel zur Behand­lung einer Reihe bisher nicht beein­fluss­ba­rer ophthal­mo­lo­gi­scher Krank­heits­bil­der abzeichnen.

Damit möchte ich Sie, liebe Lese­rin­nen und Leser, zu einem neuen Edito­ri­al der „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“ will­kom­men heißen. Wir laden Sie ein, sich rasch und kompri­miert über rele­van­te Studi­en und aktu­el­le Entwick­lun­gen zu infor­mie­ren. Akzen­te möchte ich in diesem Monat auf Erkran­kun­gen der Retina legen und hier die Themen „Genthe­ra­pie“ und „Maku­la­ö­dem“ hervorheben.

Aufgrund seiner Anato­mie bietet das Auge für die Genthe­ra­pie eine Viel­zahl von Vortei­len gegen­über ande­ren Orga­nen. Es ist sehr gut zugäng­lich, weist als vergleichs­wei­se klei­nes Organ ein begrenz­tes Reper­toire an Ziel­zel­len auf und ist zudem „immun­pri­vi­le­giert“. Dieser Sonder­sta­tus ist im Hinblick auf die poten­zi­ell immu­no­ge­nen Vekto­ren, die zum Gentrans­fer einge­setzt werden (AAV-Viren), wich­tig. Diese guten Voraus­set­zun­gen und unser diffe­ren­zier­tes Wissen um die Patho­ge­ne­se vieler Netz­haut­er­kran­kun­gen haben mehre­re Stra­te­gien zur mole­ku­lar­bio­lo­gi­schen Behand­lung bis zur klini­schen Anwen­dung voran­ge­trie­ben. Derzeit befin­den sich 25 Genthe­ra­pien in der klini­schen Prüfung (Phasen I – III). Diese decken ein zuneh­men­des Spek­trum von Augen­krank­hei­ten ab, die sowohl verschie­de­ne Formen der Reti­no­pa­thia pigmento­sa als auch die AMD und Uvea-Mela­no­me einschlie­ßen. Nach­dem im Novem­ber 2018 mit LUXTURNA die erste genthe­ra­peu­ti­sche Behand­lung durch die euro­päi­sche Behör­de EMA zuge­las­sen wurde, sind auch in Deutsch­land die ersten Pati­en­ten mit RPE-65-Muta­ti­on behan­delt worden.

Diese ersten hoff­nungs­vol­len Ansät­ze der Genthe­ra­pie im Bereich der Augen­heil­kun­de können nicht darüber hinweg­täu­schen, dass erheb­li­che Heraus­for­de­run­gen bestehen. Dies betrifft die Produk­ti­on, das klini­sche Studi­en­de­sign, die Kontrol­le der lang­fris­ti­gen Sicher­heit und die Frage der Kosten­er­stat­tung. Bisher liegen die Aufwen­dun­gen für eine einma­li­ge Behand­lung bei ca. 450.000 bis über 1.000.000 Euro. Daher ist die sorg­fäl­ti­ge Auswahl der Pati­en­ten mit sehr diffe­ren­zier­ten Ein- und Ausschluss­kri­te­ri­en sowie die kriti­sche Beur­tei­lung von Studi­en­end­punk­ten von entschei­den­der Bedeu­tung. Sowohl die Zulas­sungs­be­hör­den als auch die Kosten­trä­ger der Behand­lung sind sehr an Risk-Bene­fit-Krite­ri­en interessiert. 

Da bislang humane Lang­zeit­stu­di­en fehlen, wird aktu­ell auf unter­schied­li­chen Wegen mit modell­ba­sier­ten Schät­zun­gen operiert, um den klini­schen Nutzen der Genthe­ra­pie zu evaluieren.

Im Beitrag von Halioua-Haubold und Mitar­bei­tern aus Oxford, UK, wird in einer Modell­rech­nung die Genthe­ra­pie bei Chori­oder­mie hinsicht­lich Kosten und des klini­schen Nutzens (Lebens­qua­li­tät) evalu­iert. Dabei über­rascht es nicht, dass vor allem junge Erwach­se­ne in den frühen Stadi­en der Erkran­kung deut­lich stär­ker profi­tie­ren werden und gegen­über älte­ren Pati­en­ten eine stär­ke­re Verbes­se­rung der gesund­heits­be­zo­ge­nen Lebens­qua­li­tät zu erwar­ten ist. Gleich­zei­tig sind damit auch ethi­sche Konflik­te vorpro­gram­miert. Bleibt die Behand­lung älte­ren Pati­en­ten unmit­tel­bar verwehrt? Selbst wenn noch (gerin­ge) Erfol­ge möglich sind?

Gleich zwei weite­re Unter­su­chun­gen widmen sich der wich­ti­gen Frage, welche neuen und objek­ti­ven Endpunk­te zur Progres­si­on für entspre­chen­de Erkran­kun­gen gene­riert werden können. Für die Bewer­tung der thera­peu­ti­schen Wirkung werden aktu­ell vor allem nicht inva­si­ve Metho­den wie die Elek­tro­re­ti­no­gra­phie (ERG), Fundus­ko­pie und die opti­sche Kohä­renz­to­mo­gra­phie (OCT) herangezogen.

Alab­dul­ja­lil T et al. aus Port­land, USA, berich­ten im „Ameri­can Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“, dass die OCT-Angio­gra­fie hier einen wert­vol­len Beitrag leis­ten könnte. Sie widmen sich der Star­gardt-Krank­heit, für die eben­falls genthe­ra­peu­ti­sche Ansät­ze in Phase-II-Studi­en vorlie­gen. Auch hier wird um die Etablie­rung neuer klini­scher Endpunk­te gerun­gen. Sie postu­lie­ren, dass die verrin­ger­te Gefäß­dich­te in der Chorio­ca­pil­la­ris Rück­schluss auf die Progres­si­on der Photo­re­zep­to­ren- und Pigmen­t­epi­thel­de­ge­ne­ra­ti­on erlaubt und als Para­me­ter für die Progres­si­on der Erkran­kung heran­ge­zo­gen werden könnte.

Im „Ameri­can Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ werden von Hagag AM et al. weite­re Beob­ach­tun­gen zur OCT‑A Anwen­dung bei Reti­no­pa­thia pigmento­sa (RP) vorge­stellt. Sie wenden dabei die PR-OCTA an, um uner­wünsch­te Projek­ti­ons­ar­te­fak­te aus den OCTA-Aufnah­men zu redu­zie­ren. Eine perif­ove­al signi­fi­kant redu­zier­te Gefäß­dich­te und ein primär geschä­dig­ter tiefer reti­na­ler Kapil­lar­ple­xus werden als wesent­li­che Krite­ri­en bei RP-Pati­en­ten heraus­ge­stellt. Sie könn­ten damit als ein zusätz­li­ches Krite­ri­um für die Krank­heits­pro­gres­si­on und das Anspre­chen auf neue Thera­pien heran­ge­zo­gen werden – auf Lang­zeit­be­ob­ach­tun­gen dürfen wir gespannt sein. 

Nach diesem „Höhen­flug“ in die Grenz­be­rei­che inno­va­ti­ver Thera­pien – zurück auf den Boden in den klini­schen Alltag. Zunächst möchte ich Sie auf zwei Studi­en hinwei­sen, die auch mein Kolle­ge Detlef Holland in seinem Edito­ri­al für erwäh­nens­wert hielt.

Das Maku­la­ö­dem stellt in der Praxis ein häufi­ges Problem dar und tritt bei sehr unter­schied­li­chen Ausgangs­si­tua­tio­nen auf. Vor allem Pati­en­ten mit Uvei­tis und Diabe­tes melli­tus sind als Risi­ko­grup­pen bekannt. Pati­en­ten mit intrao­ku­la­rer Entzün­dung weisen im klini­schen Verlauf zu ca. 60–100% diese Kompli­ka­ti­on auf. Wie behan­deln?  Die POINT-Studie (Thorne et al., Ophthal­mo­lo­gy) bringt es „auf den Punkt“. Beim Vergleich intra­vit­rea­le versus para­bul­bä­re Stero­id­in­jek­ti­on erweist sich die Appli­ka­ti­on in den Glas­kör­per als signi­fi­kant über­le­gen. Es wird eine rasche­re und signi­fi­kant besse­re Wirkung auf das Maku­la­ö­dem erreicht und führt zu einem deut­li­chen Visu­s­an­stieg. Bemer­kens­wer­ter­wei­se wies intra­vit­re­al appli­zier­tes Triamci­no­lon dabei einen vergleich­ba­ren thera­peu­ti­schen Effekt zum Dexa­me­tha­son-Implan­tat auf. Bezüg­lich des Neben­wir­kungs­pro­fils konn­ten die Autoren keinen Unter­schied der verwen­de­ten Wirk­stof­fe fest­stel­len. Deut­lich limi­tiert ist diese Vorge­hens­wei­se bei Kindern mit Uvei­tis. Rasch fort­schrei­ten­de Kata­rakt und oft signi­fi­kan­te intrao­ku­la­re Druck­stei­ge­rung schrän­ken den (Off-Label-)Einsatz intra­vit­rea­ler Stero­ide deut­lich ein.

Inter­es­sant sind in diesem Zusam­men­hang die Ergeb­nis­se einer spani­schen Arbeits­grup­pe. Vegas-Reven­ga N et al.  berich­ten über sehr güns­ti­ge Effek­te auf das Maku­la­ö­dem durch Toci­li­zumab, einem syste­misch ange­wen­de­ten Inter­leu­kin-6-Blocker. Dieses Biolo­gi­kum erwies sich u.a. bei Kindern mit Maku­la­ö­dem bei JIA-asso­zi­ier­ter Uvei­tis als sehr effek­tiv. Güns­tig erweist sich hier zudem, das Toci­li­zumab zur Behand­lung der juve­ni­len Arthri­tis thera­peu­tisch zuge­las­sen ist und für diese Risi­ko­grup­pe somit direkt verfüg­bar ist. Es bleibt zu hoffen, dass die posi­ti­ven Ergeb­nis­se der bereits abge­schlos­se­nen Zulas­sungs­stu­die für Toci­li­zumab diese Thera­pie­op­ti­on auch für Erwach­se­ne mit Uvei­tis bald verfüg­bar macht.

In einer britisch-israe­li­schen Unter­su­chung erwies sich zudem die Progno­se bei Kindern (mitt­le­res Lebens­al­ter 9 Jahre) mit Maku­la­ö­dem als über­ra­schend güns­tig. Bei 75% der betrof­fe­nen Augen konnte eine komplet­te Rück­bil­dung durch unter­schied­lichs­te thera­peu­ti­sche Maßnah­men erreicht werden. Bemer­kens­wert ist, dass die durch­schnitt­li­che Zeit bis zur Rück­bil­dung des Ödems bei 6 Mona­ten lag. Dies mag der Ätio­lo­gie der intrao­ku­la­ren Entzün­dung geschul­det sein. Über­wie­gend handel­te es sich um Kinder mit inter­me­diä­rer Uvei­tis, die erfah­rungs­ge­mäß oft nur zöger­lich anspricht. Es bleibt künf­ti­gen Studi­en über­las­sen, klare Empfeh­lun­gen für die Wahl spezi­fi­scher Wirk­stof­fe auszusprechen.

Deut­lich ungüns­ti­ger als bei Kindern schät­zen wir das Thera­pie­an­spre­chen bei älte­ren Pati­en­ten mit Maku­la­ö­dem ein. Im Jour­nal „Ocular Phar­ma­co­lo­gy & Thera­peu­tics“ stel­len türki­sche Kolle­gen  ihre Ergeb­nis­se mit Rani­bi­zumab (PRN-Schema) vor. Im Fokus des Inter­es­ses stehen prognos­ti­sche Krite­ri­en. Neben höhe­rem Lebens­al­ter und weib­li­chem Geschlecht können Verän­de­run­gen in der ellip­so­iden Zone als ungüns­ti­ge prognos­ti­sche Krite­ri­en heraus­ge­stellt werden. Demge­gen­über werden hinte­re Glas­kör­per­ab­he­bung und Mikroaneu­rys­men mit einem posi­ti­ven Verlauf korreliert.

Abschlie­ßend sei noch auf die Ergeb­nis­se der REFINE-Studie zum diabe­ti­schen Maku­la­ö­dem hinge­wie­sen, die uns aus China errei­chen. Li und Mitar­bei­ter gingen der Frage nach, inwie­weit Laser­ko­agu­la­ti­on bzw. Rani­bi­zumab wirk­sam sind. Vergleich­bar zur RESOL­VE/­RES­TO­RE-Studie konnte eine signi­fi­kan­te Über­le­gen­heit für Rani­bi­zumab belegt werden. Diese Ergeb­nis­se dürfen aller­dings nicht darüber hinweg­täu­schen, dass die Laser­ko­agu­la­ti­on als addi­ti­ves Verfah­ren weiter­hin einen Stel­len­wert besitzt, der leider in diesem Rahmen nicht disku­tiert wurde.

Mit diesem kurzen Über­blick wünsche ich Ihnen eine ange­neh­me, lehr­rei­che Lektü­re. Blei­ben Sie „Neu-Gier-ig“ im Hinblick auf die hoch­ak­tu­el­len „Au-GEN-thera­pien“ und weite­re span­nen­de Entwick­lun­gen in unse­rem inter­es­san­ten Fach.

Prof. Uwe Pleyer

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