„New Kids on the Block“… oder: Wie bisher unbekannte, multiresistente Erreger in Augentropfen zu Tod und Enukleation führen
Mehrere Todesfälle und zahlreiche Erblindungen durch kontaminierte Augentropfen! Es klingt wie eine Schlagzeile aus der Sensationspresse – würde diese Meldung nicht als „Alert“ auf der Website der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta (USA) erscheinen. Hintergrund sind multiresistente Pseudomonas-aeruginosa-Erreger, die in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten zu fatalen Folgen führten. Die Spur führt zu einem Hersteller von Tränenersatzpräparaten in Indien …
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen zu Kompakt Ophthalmologie. In dieser Ausgabe fokussieren wir auf aktuelle Meldungen und Publikationen rund um das Thema infektiöse Keratitis. Wir erinnern uns: Weltweit betrachtet ist die Keratitis die häufigste Ursache unilateraler Erblindung. Ca. 4 Mio. Patienten sind betroffen. Der aktuelle Alert der CDC zeigt einerseits, wie foudroyant die akute Keratitis verlaufen kann und weist andererseits einmal mehr auf die allgegenwärtige Problematik der Resistenzentwicklung hin. Die Gründe, die zu multiresistenten Erregern führen, sind hinreichend bekannt: großzügiger und ungezielter Umgang mit Antibiotika in der Medizin und v.a. in der Tierzucht und Landwirtschaft. Problematisch kommt hinzu, dass kaum neue, effektive antimikrobielle Wirkstoffe in Sicht sind.
Pseudomonas-Erreger sind bei Infektionen der Cornea besonders gefürchtet, können sie doch rasch zur Hornhautperforation führen. Die genannten multiresistenten Stämme stellen allerdings eine Entwicklung dar, die so nicht erwartet wurde. Ebenso unerwartet war die kürzlich v.a. in Europa aufgetretene Affenpocken-Endemie. Auch sie sorgte durch ihre rasche Ausbreitung für Schlagzeilen. Die Affenpockenkrankheit wird zwar als vergleichsweise gutartig eingeschätzt, dennoch sind auch hier Todesfälle und schwer verlaufende Cornea-Infektionen mitgeteilt worden. Darüber berichten unsere spanischen Kollegen Pazos M et al. in „Ophthalmology“ (2023:S0161-6420(23)00123–9). Neben typischen Hauteffloreszenzen, die oft im Gesichtsbereich auftreten und damit schon diagnostisch hinweisend sein können, konnte das DNA-Virus mittels PCR rasch nachgewiesen werden. Schwieriger gestaltete sich dagegen die Therapie. Aktuell steht kein zugelassenes Virostatikum zur Verfügung. Pragmatisch wurde von den Kollegen mit Antiseptika (5% Polyvidon-Jod-Augentropfen) und systemischen Steroiden behandelt.
Ebenfalls unsicher ist bis dato die optimale Therapie der Akanthamöben-Keratitis (AKK). Sie bleibt in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Eine frühe Diagnose wirkt sich prognostisch günstig aus. In geübten Händen kommt dazu der konfokalen In-vivo-Mikroskopie (IVM) besonderer Stellenwert zu. Dies bestätigen Lee H et al. aus Boston (USA) in „Cornea“ (2023;42(2):135–140). In ihrer retrospektiven Fallserie vergleichen die Autoren die Diagnostik mittels IVM mit dem „Goldstandard“, der Erregerkultur, und korrelieren diese mit den klinischen Ergebnissen. Nicht überraschend: die IVM führte nicht nur deutlich rascher zur Diagnose – auch die zügig eingeleitete Behandlung resultierte in einem besseren funktionellen Ausgang. Nach 6 Monaten wurde in der IVM-Kohorte ein signifikant besserer Visus erreicht und seltener wurde eine therapeutische Keratoplastik notwendig. Interessant wäre noch der Vergleich zur PCR-Diagnostik gewesen. Ein Vorgehen, das in Deutschland bevorzugt angewendet wird.
Kontaktlinsen gelten als ein wesentlicher Risikofaktor für die AKK. Insofern ist die Arbeit von Carnt et al. vom Moorfields Hospital in London (Großbritannien) interessant (Ophthalmology 2023;130(1):48–55). Hier wurde das Infektionsrisiko zwischen verschiedenen Linsentypen in einer großen Serie von Akanthamöben-Keratitiden untersucht. Die Autoren stellen ein nahezu 4‑fach erhöhtes Risiko bei wiederverwendbaren Tageslinsen gegenüber „Wegwerf-Linsen“ fest. Interessant ist auch die Analyse weiterer, individueller Risiken der KL-Träger bei wiederverwendbaren Linsen. Unzureichende Betreuung (Beratung), unregelmäßige Befundkontrollen und überlange KL-Tragezeit (z.B. über Nacht) erhöhen ebenfalls ca. 4‑fach das Infektionsrisiko. Die Autoren kalkulieren aus ihren Daten, das durch Wegwerf-Linsen etwas jede 2. Infektion hätten vermieden werden können.
Die AKK ist ein weltweit verbreitetes Problem – allerdings mit regional sehr unterschiedlichem Profil. Dies stellt sich in einer aktuellen Analyse aus Indien heraus (Ocul Immunol Inflamm 21.04.2023). Hier wird die Keratitis deutlich häufiger durch Traumata und Verletzungen mit organischem Material verursacht. Kontaktlinsen sind dagegen nachrangig. Für uns lässt sich daraus folgern, dass die AKK auch stets bei Patienten mit Epitheldefekt, z.B. bei Gartenarbeit, berücksichtigt werden muss – unabhängig davon, ob eine Kontaktlinse getragen wird. Auch die sozioökonomischen Faktoren bei AKK unterscheiden sich im internationalen Vergleich. In Indien waren überwiegend männliche Landarbeiter betroffen. Völlig andere Verhältnisse liegen in den USA (und Europa) vor. Etwa 2/3 der AK-Patienten sind Frauen. Einer aktuellen Untersuchung zufolge sind diese zudem eher im oberen „sozioökonomischen Segment“ zu finden (Cornea 2023;42(5):572–577).
Diversität der Patientenprofile und unterschiedliche Vorgehensweisen bei Diagnostik und Therapie lassen sich im weltweiten Vergleich auch bei der bakteriellen Keratitis beobachten. Dies geht eindrucksvoll aus dem „Five Continent Survey“ von Wespiser et al. im „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology“ (23.03.2023) hervor. Weitgehende Einigkeit besteht noch bei der Diagnostik der infektiösen Keratitis. Ein primäres Hornhaut-Scraping wird von mehr als 90% der Befragten durchgeführt. Offensichtlich werden die Empfehlungen der American Academy of Ophthalmology (AAO) befolgt und dies auch bei nur mäßig ausgeprägten Befunden durchgeführt, sofern die zentrale Hornhaut betroffen ist und das Infiltrat mehr als 2 Millimeter misst. Große Unterschiede bestehen dagegen bei der Akuttherapie. In Europa und Nordamerika dominiert die kombinierte Therapie aus Fluorchinolonen (3. und 4. Generation) mit Aminoglykosiden. Dies ist vermutlich der Furcht vor resistenten, gramnegativen Erregern (Pseudomonas) geschuldet. Demgegenüber vertrauen die Kollegen in Südamerika und Ozeanien überwiegend einer Monotherapie mit Fluorchinolonen. Bemerkenswert ist die frühe Begleitbehandlung mit topischen Steroiden. Innerhalb der ersten fünf Behandlungstage werden Steroide von mehr als 70% der Befragten eingesetzt. Einvernehmen besteht allerorten hinsichtlich der Notwendigkeit engmaschiger Nachbeobachtung. Die praktische Umsetzung dazu differiert dagegen wieder. In Europa, aber auch Australien, werden schwer betroffene Patienten überwiegend stationär betreut.
Dieses Ergebnis aus der Umfrage deckt sich mit einer weiteren aktuellen Analyse zur Keratitis in Australien. Daley JR et al. berichten in „Pathogens“ (2023;12(3):413) über ihre Erfahrungen in einem tertiären Versorgungszentrum. Die Erfahrungen dieser Kollegen aus Australien sind interessant, decken sich doch viele Gegebenheiten mit den Verhältnissen in Deutschland. So finden sich beim Erregerspektrum Herpes-simplex-Viren, Staphylokokken und Pseudomonas-Spezies mit jeweils ca. 10–15% als häufigste Ursachen schwerer Keratitis. Ebenso konnte bei (nur?) etwa jedem 2. Patienten ein Erreger mikrobiologisch gesichert werden. Unter den kritischen Erregern waren Pilze mit 4% und Akanthamöben mit ca. 2% vertreten – auch dies entspricht hiesigen Erfahrungen. Bemerkenswert ist dagegen das weiterhin sehr gute Ansprechen auf Fluorchinolone (ca. 97% der Bakterien wurden als sensitiv getestet) in Australien. Ebenfalls interessant ist die frühzeitige Verwendung topischer Steroide. Die Autoren hatten keine Bedenken, auch bei einem fortbestehenden Epitheldefekt Steroide einzusetzen, um die sekundäre Fibrose mit Narbenbildung zu reduzieren. Der längerfristige Behandlungserfolg gibt dieser Auffassung recht. Dazu sind allerdings engmaschige Befundkontrollen notwendig. Dies lässt sich oft nur unter stationären Bedingungen erreichen. Entsprechend wurden ca. 60% der Betroffenen hospitalisiert über einen mittleren Zeitraum von 7 Tagen betreut. Die Länge des stationären Aufenthaltes war im Wesentlichen von der Reepithelisierung der Hornhaut abhängig und korreliert dagegen nicht mit klinischen Befunden wie starker Hornhautausdünnung oder Vorliegen eines Hypopions. Nicht unerwartet schlägt der stationäre Aufenthalt bezüglich der Behandlungskosten stark zu Buche und wird von den australischen Kollegen kritisch diskutiert. Dies wird allerdings dadurch relativiert, dass in einer Vergleichsgruppe ambulant betreuter Keratitis-Patienten die Dauer der Erwerbsunfähigkeit länger als für stationär behandelte Fälle war.
Kommen wir am Ende unseres Überblicks kurz auf die Meldung der CDC und die fatalen Folgen durch kontaminierte Tränenersatzmittel zurück. Inzwischen hat die Food and Drug Administration (FDA) die Produktionsanlagen in Indien inspiziert und gravierende Mängel bei der Qualitätskontrolle aufgedeckt. Der Hersteller ist inzwischen vom Markt verschwunden. Dies zeigt immerhin, dass Regularien greifen und auch zügig umgesetzt werden.
Mit dieser kritisch-positiven Einschätzung grüßen Sie
Uwe Pleyer und das Team von Kompakt Ophthalmologie