Neues Mate­ri­al – neue Optionen

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Sehr geehr­te Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

alles neu macht der Mai, heißt es ja eigent­lich – jetzt kam aber eine wirk­lich wich­ti­ge neue Veröf­fent­li­chung über ein neuar­ti­ges Kunst­lin­sen­ma­te­ri­al bereits im April. Und es war glück­li­cher­wei­se kein Aprilscherz.

Schick­hardt et al. aus Heidel­berg veröf­fent­lich­ten gerade im „Jour­nal of Mecha­ni­cal Beha­vi­or of Biome­di­cal Mate­ri­al“ eine wich­ti­ge Publi­ka­ti­on über eine neuar­ti­ges Linsen­ma­te­ri­al. Es handelt sich dabei um ein cross­lin­ked Poly­iso­bu­ty­len der chine­si­schen Firma Eyedeal. Hier­bei handelt es sich um ein hydro­pho­bes Mate­ri­al, aus dem eine mono­fo­ka­le Linse herge­stellt wurde. In der Augen­heil­kun­de wurde das Mate­ri­al schon im Glau­kom­be­reich genutzt, jedoch noch nicht für Kunst­lin­sen.  Mehre­re Jahr­zehn­te hat sich im Bereich der Mate­ri­al­for­schung für Kunst­lin­sen nicht viel getan. Neben PMMA, Sili­kon und Hydro­gel bestimm­ten hydro­phi­le und hydro­pho­be, elas­ti­sche Acry­la­te den Markt. Das erste Implan­tat, durch Ridley im Jahre 1949 einge­setzt, bestand aus einem star­ren Acry­lat. Dieses Mate­ri­al bestimm­te den Markt bis Ende des vergan­ge­nen Jahr­hun­derts. Die IOL-Mate­ria­li­en auf Acry­lat­ba­sis lösten dieses Mate­ri­al ab und domi­nie­ren derzeit den Markt, da sie gegen­über frühe­ren Mate­ria­li­en mehre­re Vortei­le bieten, wie z. B. die Flexi­bi­li­tät, welche Klein­schnitt­tech­ni­ken ermög­licht, sowie opti­ma­le opti­sche und chemi­sche Eigen­schaf­ten. Diese führen zu einer guten Biokom­pa­ti­bi­li­tät und zur lang­fris­ti­gen Stabi­li­tät im Auge. Glück­li­cher­wei­se sind daher z.B. Eintrü­bun­gen von Kunst­lin­sen, die eine Explan­ta­ti­on notwen­dig machen, eine Rari­tät geworden.

Die Forscher unter­such­ten in der umfang­rei­chen Veröf­fent­li­chung u.a. die Mate­ri­al­qua­li­tät mithil­fe eines beschleu­nig­ten Alte­rungs­pro­zes­ses, um ein mögli­ches Glis­tening nach­zu­wei­sen. Als Kontroll­lin­se diente dazu die Acry­sof Linse von Alcon. Hier­bei erwies sich das neue Mate­ri­al als deut­lich besser im Vergleich zum Acry­Sof-Mate­ri­al. Außer­dem wurde die Ober­flä­che mittels Raster­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pie unter­sucht, wobei sich eine sehr gute Beschaf­fen­heit zeigte. Die vorlie­gen­de Brech­kraft im Vergleich zum Labe­ling und die MTF-Funk­ti­on wurden eben­falls mittels OptiS­phe­ric IOL PRO2 analy­siert und erfüll­ten die ISO-Stan­dards mit guten Werten für photo­pi­sche und skoto­pi­sche Pupil­len­wei­ten. Auch hier­bei zeig­ten sich gute Ergeb­nis­se, welche mit der Vergleichs­lin­se kompa­ti­bel waren. Ein weite­rer inter­es­san­ter Para­me­ter in der Mate­ri­al­for­schung ist der soge­nann­te „conta­ct angle“. Dieser beschreibt physi­ko­che­mi­sche Eigen­schaf­ten wie z. B. die Hydro­pho­bi­zi­tät. Mit 97,2° liegt dieser Wert für die Eyedeal Linse sehr nah am Opti­mum von 100° und deut­lich über dem Wert der Acry­Sof von 73,3. Ein hoher Wert ist u. a. mit einem gerin­ge­ren Risiko für eine bakte­ri­el­le Besied­lung verbun­den, wodurch sich die Sicher­heit bei einer Kunst­lin­sen­im­plan­ta­ti­on mit diesem Mate­ri­al erhö­hen könnte.

Des Weite­ren bieten der hohe refrak­ti­ve Index, die hohe Abbe-Zahl und die gute Elas­ti­zi­tät des Mate­ri­als weite­re Vortei­le im Vergleich zu herkömm­li­chen Mate­ria­li­en. In Zukunft können damit mögli­cher­wei­se größe­re Opti­ken bei klei­ne­ren Inzi­si­ons­grö­ßen ermög­licht werden. Dies wieder­um könnte Nacht­fahr­pro­ble­me wie Halo und Glare etc. insbe­son­de­re bei weiten skoto­pi­schen Pupil­len­grö­ßen verrin­gern und auch den Einfluss des chir­ur­gi­schen Zugangs auf die Horn­haut und den Heilungs­ver­lauf posi­tiv beein­flus­sen. Da bei klei­ne­ren Inzi­sio­nen weni­ger Horn­haut­ner­ven durch­trennt werden, könnte mögli­cher­wei­se auch das post­ope­ra­ti­ve Sicca Syndrom weiter redu­ziert werden. Wir dürfen also sehr gespannt sein auf weite­re Entwick­lun­gen mit diesem neuar­ti­gen Material.

In den vergan­ge­nen Edito­ri­als berich­te­ten wir unter ande­rem über den posi­ti­ven Einfluss von Licht auf die körper­li­che Akti­vi­tät von Sehbe­hin­der­ten Menschen. Wir wissen aber auch, dass intra­ope­ra­tiv das Mikro­sko­plicht nega­ti­ve Einflüs­se haben kann und unter ande­rem ein post­ope­ra­ti­ves Maku­la­ö­dem fördert. Rosen­berg et al. aus New York (USA) vergli­chen daher in einer prospek­ti­ven Studie Kata­rakt­pa­ti­en­ten, die entwe­der mit einem herkömm­li­chen Mikro­skop oder mit einem moder­nen 3‑D-Digi­tal­sys­tem, welches an dassel­be Mikro­skop ange­schlos­sen war, operiert wurden. Die Pati­en­ten wurden dabei in eine der beiden Grup­pen rando­mi­siert und u. a. die verwen­de­te Licht­in­ten­si­tät, die Belich­tungs­zeit, die kumu­la­ti­ve Verlust­ener­gie (CDE) fest­ge­hal­ten. Zusätz­lich doku­men­tier­te man intra­ope­ra­ti­ve und/oder post­ope­ra­ti­ve Kompli­ka­tio­nen sowie präope­ra­ti­ve und post­ope­ra­ti­ve Sehschär­fe. Die Maku­la­di­cke und ein zysto­i­des Ödem wurden mittels opti­scher Kohä­renz­to­mo­gra­phie analy­siert. Die Opera­tio­nen führte ein einzel­ner erfah­re­ner Chir­urg mittels Femto­se­kun­den­la­ser durch. Die Studie umfass­te 118 Augen in der tradi­tio­nel­len Gruppe und 96 Augen in der digi­ta­len Gruppe. Inter­es­san­ter­wei­se waren die meis­ten Para­me­ter in den beiden Grup­pen vergleich­bar. In der 3‑D-Gruppe erwies sich jedoch die verwen­de­te Licht­in­ten­si­tät als signi­fi­kant gerin­ger (19,5%±0,5%) als in der tradi­tio­nel­len Gruppe (48,6%±0,6%; p<0,001). Darüber hinaus erreich­te die digi­ta­le Gruppe eine besse­re Sehschär­fe am ersten post­ope­ra­ti­ven Tag (0,60±0,03) mit nied­ri­ge­ren CME-Raten (2,1%) im Vergleich zu der tradi­tio­nel­len Gruppe (0,51±0,03; p=0,03; bzw. 9,2%; p=0,03). Die visu­el­le Erho­lung und die CME-Raten waren bei Pati­en­ten, die sich einer Kata­rak­t­ope­ra­ti­on mithil­fe der 3‑D-Digi­tal­vi­sua­li­sie­rungs­platt­form unter­zo­gen, also signi­fi­kant besser, ohne dass es zu erhöh­ten Kompli­ka­tio­nen oder einer länge­ren Opera­ti­ons­zeit kam.

Solche Daten erhö­hen mögli­cher­wei­se die Bereit­schaft zur Inves­ti­ti­on in neue, kosten­in­ten­si­ve Geräte, da die Ergeb­nis­se den klini­schen Nutzen der neuen Tech­no­lo­gien greif­bar machen und den wirk­li­chen Nutzen für unsere Pati­en­ten darle­gen. Jeder Pati­ent weni­ger ohne ein post­ope­ra­ti­ves Maku­la­ö­dem ist ein Erfolg und verbes­sert die Pati­en­ten­zu­frie­den­heit und auch die Repu­ta­ti­on des behan­deln­den Arztes. Beides sind Fakto­ren welche sicher­lich als äußerst posi­tiv zu bewer­ten sind.

Vom Gebiet der Linsen­chir­ur­gie, die ja zumeist ältere Menschen betrifft, wollen wir uns jetzt einer Publi­ka­ti­on von Zhu et al. zuwen­den. Diese beschäf­tigt sich mit einer verglei­chen­den Analy­se zur Thera­pie der Ambly­o­pie. Immer noch stellt diese Form der Sehschwä­che oftmals die Eltern und die behan­deln­den Ärzte vor eine große Heraus­for­de­rung. Mögli­che Thera­pie­er­fol­ge werden oftmals durch eine fehlen­de Compli­an­ce der jungen Pati­en­ten zunich­te gemacht und führen zu großer Frus­tra­ti­on. Daher sind gerade neue Thera­pie­an­sät­ze, welche die Mitar­beit der Kinder verbes­sern, von großer Bedeutung.

In der prospek­ti­ven Studie sollte die Wirk­sam­keit einer kombi­nier­ten Verwen­dung von stereo­sko­pi­schen 3‑D-Video­fil­men und Teil­zeit-Okklu­si­on bei der Behand­lung älte­rer ambly­o­pie Kinder mit einer reinen Okklu­si­ons­be­hand­lung vergli­chen werden.Eingeschlossen wurden Kinder mit schlech­tem Anspre­chen oder schlech­ter Compli­an­ce auf die herkömm­li­che Okklu­si­ons­be­hand­lung. Es wurden dafür 32 Kinder im Alter von 5–12 Jahren mit Ambly­o­pie in Verbin­dung mit Aniso­me­tro­pie, Stra­bis­mus oder beidem rekru­tiert. Die Teil­neh­mer wurden nach dem Zufalls­prin­zip der kombi­nier­ten Gruppe und der Okklu­si­ons-Gruppe zuge­wie­sen. Bei der kombi­nier­ten Behand­lung wurde ein binoku­la­rer Ansatz verfolgt. Zunächst wurde mittels Banger­ter-Filters eine Unschär­fe des nicht­am­blyopen Auges erzeugt und anschlie­ßend binoku­lar ein 3‑D-Nahauf­nah­me­film ange­se­hen. Das primä­re Ergeb­nis war eine Verbes­se­rung der best­kor­ri­gier­ten Sehschär­fe (BCVA) des amblyopen Auges nach 6 Wochen sowie unter ande­rem als sekun­dä­rer Endpunkt die Verbes­se­rung des Stereo­se­hens nach 3 Wochen.

Bei den 32 Teil­neh­mern betrug das Durch­schnitts­al­ter 6,6 Jahre. Nach 6 Wochen verbes­ser­te sich die mitt­le­re Sehschär­fe der ambly­ope Augen-VA um 0,17±0,08 logMAR und 0,05±0,04 logMAR in der kombi­nier­ten bzw. der reinen Okklu­si­ons-Gruppe. Der Unter­schied war statis­tisch signi­fi­kant. Am Studi­en­en­de wies nur die kombi­nier­te Behand­lung eine signi­fi­kant verbes­ser­te Stereo­schär­fe auf, wie z. B. den binoku­la­ren Funk­ti­onss­core, und der mitt­le­re Stereo­schär­fe­ge­winn betrug 0,47 log arcsec (±0,22). Die Forscher schluss­fol­ger­ten, dass unter Studi­en­be­din­gun­gen die binoku­la­re Behand­lungs­stra­te­gie zu einem hohen Maß an Compli­an­ce führte, was bei älte­ren, ambly­ope­ren Kindern, die schlecht auf herkömm­li­che Okklu­si­ons-Behand­lun­gen anspra­chen, bereits nach kurzer Behand­lungs­dau­er zu einer erheb­li­chen Verbes­se­rung der Sehfunk­ti­on führte und zu einer verbes­ser­ten Stereo­seh­schär­fe. Beide Opti­mie­run­gen werden natür­lich einen posi­ti­ven Einfluss auf die Seh- und Lebens­qua­li­tät der jungen Pati­en­ten haben. Es bleibt zu hoffen, dass solche Syste­me kosten­güns­tig im klini­schen Alltag auch in der häus­li­chen Umge­bung fernab von den Studi­en­be­din­gun­gen Anwen­dung finden werden.

Nach diesen 3 aufwen­di­gen Studi­en komme ich zum Abschluss des Edito­ri­als zu einer inter­es­san­ten Fall­zu­sam­men­stel­lung. Bei selte­nen Krank­heits­bil­dern sind große, prospek­ti­ve Studi­en oftmals schwer durch­führ­bar weshalb Kasu­is­ti­ken  nicht minder inter­es­sant sein können. Im Rahmen eines akuten Kera­to­ko­nus oder einer iatro­ge­nen Kera­tek­ta­sie kann es zu einem Einriss der Desce­met-Membran mit schwer­wie­gen­den Folgen kommen. Das oftmals schmerz­haf­te, akute Krank­heits­bild ist mit einem Horn­haut­ödem und Sehmin­de­rung verbun­den, und nicht selten bleibt das betrof­fe­ne Areal der Horn­haut lange ödema­tös. Das Ödem verschwin­det norma­ler­wei­se jedoch nach mehre­ren Mona­ten, wenn Endo­thel­zel­len einwan­dern, um das Stroma über der DM-Ablö­sung abzu­de­cken und eine Basal­mem­bran zu rege­ne­rie­ren. Ein anhal­ten­des Ödem kann visu­ell aber signi­fi­kan­te Folgen wie Narben­bil­dun­gen mit Neovasku­la­ri­sa­ti­on verursachen.

Anhand von 3 Fällen beschrei­ben Kanu et al. erst­ma­lig ihre neue Tech­nik zur Behand­lung dieses Krank­heits­bil­des. Dabei wird die Desce­met-Membran (DM) mit Schnit­ten entspannt und anschlie­ßend eine Luft­de­sce­met­o­pe­xie durch­ge­führt. Es wurden 3 Fälle vorge­stellt, welche bei einer konser­va­ti­ven Thera­pie und nach Luft­in­jek­ti­on in die Vorder­kamm­mer keinen Thera­pie­er­folg gezeigt hatten. Um die Wieder­la­ge­rung der DM zu erleich­tern, führte man eine intra­ope­ra­ti­ve OCT-gesteu­er­te Desce­meto­to­mie mit gebo­ge­nen chir­ur­gi­schen Sche­ren und einer gebo­ge­nen 30-Gauge-Nadel durch und inji­zier­te anschlie­ßend Luft. In allen 3 Fällen war die Anlage erfolg­reich und das Horn­haut­ödem besser­te sich post­ope­ra­tiv rela­tiv schnell. Die Autoren schluss­fol­ger­ten, dass dieses Verfah­ren bei allen thera­pie­re­frak­tä­ren Fällen nach einer allei­ni­gen Luft­in­jek­ti­on als viel­ver­spre­chend anzu­se­hen sei. Da der opera­ti­ve Aufwand gering ist, kann man mögli­cher­wei­se ja auch darüber nach­den­ken, dieses Verfah­ren direkt als First-line-Thera­pie einzusetzen.

Die Zukunft wird bei allen hier beschrie­be­nen neuar­ti­gen Entwick­lun­gen zeigen, ob sie sich im klini­schen Alltag bewäh­ren werden. Ich bin auf jeden Fall sehr opti­mis­tisch und wünsche Ihnen allen eine genuss­vol­le Lektü­re von Kompakt Ophthal­mo­lo­gie und einen schö­nen Sommer.

Ihr Detlef Holland

Aus rechtlichen Gründen (Heilmittelwerbegesetz) dürfen wir die Informationen nur an Fachkreise weitergeben.