Sie sind zwar selten — aber oft tödlich!
Die Rede ist von intraokularen Tumoren.
Liebe Leserinnen, liebe Leser von Kompakt Ophthalmologie,
Tumorerkrankungen nehmen zu. Die Zahl der Krebserkrankungen steigt nach Angaben der International Agency for Research on Cancer (IARC/WHO) weltweit. 2022 wurden 20 Millionen neue Krebsdiagnosen gestellt. Diese Zahl wird laut den Prognosen der IARC bis 2050 um 77 Prozent auf 35 Millionen pro Jahr zunehmen. Einer von neun Männern und eine von zwölf Frauen sterbe an einer Krebserkrankung, so die aktuelle Einschätzung der WHO. Auch primäre Tumoren des Auges tragen dazu bei. Grund genug, sich diesem Thema und der aktuellen Literatur dazu zu widmen.
Das Aderhautmelanom (AM) als häufigste primäre intraokuläre Malignität bei Erwachsenen hat von seinem Schrecken nur wenig verloren. Trotz guter lokaler Therapie und Kontrolle des Tumors bleibt die Mortalitätsrate für AM hoch. Die krankheitsbedingten 5- bzw. 15-Jahres-Mortalitätsraten bei AM-Patienten liegen weiterhin bei ca. 30% bzw. 40%! Darüber hinaus entwickelt etwa die Hälfte der Patienten Metastasen, die entscheidend für die Überlebensrate sind. Daher richten sich große Hoffnungen auf die Identifizierung spezifischer Biomarker und daraus abgeleiteter neuer therapeutischer Strategien.
Als Risikofaktoren für die Entwicklung des AMs werden helle Haut, kaukasische Abstammung, blaue Irisfarbe, okuläre Melanozytose und mehrere Genmutationen – darunter für das BAP1-Gen (Brustkrebs assoziiertes Protein1) aufgeführt. Die Frage, ob blaue Augen auch eine ungünstige Prognose für die krankheitsbedingte Mortalität haben, wurde von der international renommierten Arbeitsgruppe von Shields und Mitarbeitern in Philadelphia (USA) aufgegriffen. berichten in der aktuellen Ausgabe des „Asia-Pacific Journal of Ophthalmology“ über die bisher größte Kohorte (>7200) von AM-Patienten zu dieser Frage. Blaue Augen wiesen gegenüber dunklen Irides zwar häufiger eine zentrale Lage in Nähe zu Makula und Papille auf, das 5‑Jahres Überleben war allerdings davon nicht betroffen, die Rate an Metastasen lag nicht höher. Allerdings ist die Langzeit-(20-Jahres) Überlebenszeit bei hellen Augen in dieser sehr großen Kohorte gegenüber Patienten mit grünen Irides signifikant vermindert. Als eine mögliche Erklärung wird angeführt, dass die Irisfarbe genetisch auf dem Chromosom 15 determiniert ist. Hier wird das Verhältnis von Pheomelanin und Eumelanin bestimmt, dass für die photoprotektive beziehungsweise phototoxische Schädigung durch UV-Licht verantwortlich ist.
Als ein weiterer Risikofaktor für die Transformation in ein malignes AM wird immer wieder die UV-Licht-Exposition angeführt: Ein Faktor, der sich auch in Zeiten des Klimawandels mit erhöhter UV-Exposition als kritisch erweisen könnte. Diese Einschätzung ist allerdings nicht unumstritten und muss differenziert vorgenommen werden. Dies belegen aktuelle Daten der kürzlich publizierten Studie von Arockiaraj et al. in „Eye“. Sie haben die Daten aus 21 Tumorregistern herangezogen und können unter >18.000 Patienten mit AM keinen Zusammenhang darstellen. Eine Subgruppenanalyse zeigt allerdings, dass wiederum dem Ziliarkörper-AM eine Sonderrolle zukommt und die Inzidenz für diese Patienten bei höherer UV-Exposition um ca. 1,6‑fach erhöht ist. Dies betrifft insbesondere kaukasische, weiße Individuen.
Eindeutig gesichert ist der negative Einfluss von UV-Strahlung auf das kutane Melanom. Dies betrifft v.a. die ständig exponierten Hautpartien wie das Gesicht, und schließt die periorbitale Region ein. Nicht zuletzt deshalb sind extraokulare und periorbitale maligne Veränderungen sehr viel häufiger als AM. Treten Tumoren in der Periorbitalregion auf, stellen sie oft eine besondere Herausforderung dar. Die Standardbehandlung der lokalisierten Erkrankung ist primär die vollständige chirurgische Exzision. Dies ist jedoch häufig nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Auges und des Gesichts möglich. Große Hoffnung wird daher auf alternative oder zumindest adjuvante Behandlungsmethoden wie Immuntherapien gesetzt. Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) haben sich zu einer der vielversprechendsten Modalitäten zur Bekämpfung des kutanen Melanoms entwickelt. Inhibitoren des programmierten Todes‑1 (PD‑1)/des programmierten Apoptoseliganden‑1 (PD-L1) haben die Prognose der Betroffenen deutlich verbessert. Einen guten Überblick über die Chancen durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren auch periokulare Tumoren zu behandeln, geben Trotier et . in „Frontiers Oncology“. Die Autoren kommen zur Schlussfolgerung, dass die optimale Behandlung z.B. des periokularen Melanoms von der Art und Größe des Tumors sowie der Beteiligung von Orbita- und Adnex-Strukturen abhängt. Eine neoadjuvante Behandlung mit Chemotherapie, zielgerichteten Therapien wie Immun-Checkpoint-Inhibitoren kann je nach Tumortyp und molekularem Tumorprofil die Prognose deutlich beeinflussen. Aktuell widmen sich mehrere Studien der zusätzlichen Behandlung mit ICI, z.B. beim Bindehautmelanom. Melanome der Bindehaut sind metastasierende Tumoren mit einer Mortalität von bis zu 60%. Auch hier könnten sich molekulare Biomarker als wichtige Faktoren erweisen, um die Prognose und das Vorgehen der Behandlung zu bestimmen. Neben morphologischen Befunden wie Tumordicke, ‑ulzeration und Mitoseaktivität wurden molekulare Biomarker bereits als prognostisch relevant erkannt. Unklar ist, inwieweit spezifische Mutationen von Pro-Onkogenen, wie BRAF und NRAS Einfluss auf die Metastasierungsrate und Mortalität nehmen. Zhu und Mitarbeiter berichten in „Acta über 90 Patienten mit Bindehautmelanom, deren Tumoren exzidiert und molekularbiologisch aufgearbeitet wurden. Neben den bereits erwähnten morphologischen Kriterien konnte eine signifikante Korrelation zur BRAF-Expression und Metastasierung hergestellt werden. Mit der Expression von BRAF war auch eine verstärkte Neovaskularisation der Tumoren mit den damit möglichen Konsequenzen für die Metastasierung verbunden. Daraus leiten die Autoren ab, das BRAF-Inhibitoren (wie Checkpoint-Inhibitoren) eine zusätzliche Therapieoption darstellen könnten und die Risiken der Metastasierung senken könnten.
Bislang sind solche Behandlungsansätze sowohl für intraokulare Malignome als auch für Filiae ohne Wirkung. Unabhängig von der Behandlung des AM spricht es kaum auf eine Chemotherapie oder ICI an. Das mediane Überleben bei metastasiertem AM hat sich in den vergangenen Jahren kaum verbessert und beträgt etwa 1 Jahr. Wesentlichen Anteil am schlechten Ansprechen auf ICIs wird dem „Immun-Privileg“ des Auges zugemessen. Gong et . konnten Hinweise dafür finden, dass dabei Interleukin‑6 eine Rolle spielen könnte. Frühe Studien wiesen bei AM bereits auf erhöhte Konzentrationen intraokularer Entzündungsmediatoren, einschließlich IL‑6, IL‑8, IP-10, MCP‑1 und RANTES hin. Diese führen dazu, dass die lokale Mikroumgebung des Malignoms verändert wird und unter anderem PD-L1 an der Oberfläche von AM-Zellen reguliert werden. Dies erschwert oder verhindert eine zellulär vermittelte Tumorelimination und könnte die fehlende Wirkung von Checkpoint-Inhibitoren beim AM erklären. Auch während der Metastasierung können sich zirkulierende Tumorzellen der Immunüberwachung entziehen, indem sie zirkulierende T- und NK-Zellen durch Aktivierung der genannten inhibitorischen Immun-Checkpoints PD-L1 und HLA‑E wirkungslos machen.
Kinder und junge Erwachsene sind sehr selten (1–2%) von einem AM betroffen. Entsprechend lückenhaft sind Daten zur Prognose und Mortalität in dieser Altersgruppe. Die Europäische Ophthalmic Oncology Group hat sich in einer multizentrischen Studie diesem Thema gewidmet, Patienten bis zum 25. Lebensjahr untersucht und die Ergebnisse in der April-Ausgabe von „IOVS“ veröffentlicht. Das mittlere Alter bei ED lag bei 17 Jahren (5–25 Jahre), 50 Augen (60%!) wurden enukleiert. Bei den 84 Patienten aus 12 Zentren lag im Unterschied zu Erwachsenen häufiger eine Ziliarkörperbeteiligung vor (41%). Zudem waren bei den jungen Patienten deutlich häufiger Mädchen und Frauen betroffen. Die Risikofaktoren für Überleben und Metastasierung unterschieden sich dagegen nicht von AM-Patienten über 60 Jahre. Acht von 12 Patienten, die Metastasen entwickelten, verstarben, die mittlere Überlebenszeit betrug ca. 9 Jahre. Molekularbiologische Untersuchungen ergaben keine neuen prädisponierenden Faktoren. Wie bei AM-Patienten, die über 60 Jahre alt waren, sind v.a. genetische Faktoren wie Monosomie 3 und das Vorliegen des BAP1-Gens wichtige negative Prädiktoren.
Auch beim Retinoblastom stehen genetische Faktoren im Mittelpunkt der Tumorgenese. Dennoch sind oft weitere Umstände für das Überleben von Kindern mit Retinoblastom entscheidend. Dies unterstreicht eine aktuelle Auswertung (prospektive Kohortenstudie) im „ von nahezu 500 behandlungsnaiven Retinoblastom-Kindern. In dieser Untersuchung wurden große Unterschiede zwischen 23 Ländern in Nord- und Südamerika ersichtlich. Die größte Diskrepanz im Überleben wurde zwischen Kindern aus „Low Income Countries/LIC“ (60% überlebten 3 Jahre) und „High Income Countries“ HICs (99% am Leben nach 3 Jahren) beobachtet. Mit anderen Worten: Kinder aus LICs hatten ein 3,4‑mal höheres Sterberisiko als Kinder aus HICs. Nicht unerwartet war die Mortalität stark mit dem Primärtumorstadium zum Zeitpunkt der Diagnose verbunden. Auch dies korrelierte mit dem Einkommensniveau des Heimatlandes der Kinder. In Nord- und Südamerika wiesen 67% der Patienten aus LICs und 24% der Patienten aus LMICs bei der Diagnose eine fortgeschrittene (extraokulare cT4)-Erkrankung auf, während dies bei nur <1% der HIC-Patienten der Fall war. Traurig, aber wahr, so das Resümee der Autoren – der unterschiedliche Zugang zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und medizinischer Versorgung entscheidet bei Retinoblastom-Kindern nicht selten über Leben oder Tod.
Mit diesem eher nachdenklichen Resümee grüßen Sie
Uwe Pleyer und das Team von Kompakt Ophthalmologie.