Falls Sie sich gerade die Augen reiben …
muss es nicht (nur) an den aktuellen politischen Umständen liegen.
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie.
laut Daten des RKI sind in Deutschland mehr als 23 Millionen Menschen von Allergien betroffen. Dabei weisen ältere Personen sowie Kinder und Jugendliche den stärksten Zuwachs auf (Dtsch Arztebl, 07.09.2022). Das Spektrum allergischer Augenerkrankungen ist bekanntlich breit und reicht von der saisonalen allergischen Konjunktivitis (SAC) mit Symptomen, die oft lediglich einige Wochen bestehen, bis hin zur funktionell durchaus bedrohlichen Keratokonjunktivitis vernalis (VKC) und atopischen Keratokonjunktivitis (AKC). Patienten mit VKC und AKC sind oft auch von atopischer Dermatitis (AD) oder allergischem Asthma betroffen und stellen durchaus eine (interdisziplinäre) Herausforderung dar.
Allergologen können uns hilfreiche Befunde u.a. durch Pricktest oder Immunglobulin-E-Tests liefern, um auslösende Allergene zu bestimmen. Dies kann helfen, einen personalisierten Behandlungsplan zu erstellen und Betroffene z. B. einer Allergen-Immuntherapie zuzuführen. Erfolgversprechend ist dies bei eingeatmeten Allergenen oder Insektengift, vorausgesetzt es besteht kein schweres Asthma und die Patienten sind älter als 5 Jahre.
Gerade Kinder sind allerdings oft bereits sehr schwer von allergischen Augenbeteiligungen betroffen. Dies belegen aktuelle Daten in „Ophthalmology“. Im Fokus stand die Frage, welche entzündlichen Oberflächenerkrankungen bei Kindern am häufigsten auftreten. In diese Analyse gingen die Daten von mehr als 2000 Kindern ein, die bezüglich Blepharokonjunktivitis (BKC), Herpes-simplex-Keratokonjunktivitis (HSV) und VKC differenziert wurden. Eher unerwartet dominierten Patienten mit VKC deutlich vor BKC und HSV. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in Europa ab. Schließlich können auch bei uns die vermuteten prädisponierenden Umstände wie städtischer Lebensraum, Klima (-wandel) und veränderte Ernährungsgewohnheiten beobachtet werden. In einem weiteren Beitrag in der Februar-Ausgabe von „Ophthalmology“ wird eine differenzierte Beurteilung der VKC vorgenommen. „First Line“-Behandlungen, die oft von Pädiatern und Hausärzten mit Antihistaminika bzw. Mastzellstabilisatoren eingeleitet wurden, waren bei diesen Kindern fast ausnahmslos unzureichend. Mehr als die Hälfte der Betroffenen erhielten anschließend topische Corticosteroide. Ca. 30% wurden zusätzlich mit systemischen Steroiden behandelt. Interessant ist die Beobachtung, dass in den USA topische Immunmodulatoren – wie Ciclosporin A (CsA) – nur in 3% der Fälle eingesetzt wurden. Es überrascht daher auch kaum, dass sekundäre Komplikationen mit okulärer Hypertension oder beginnende Linsentrübungen auftraten. Bemerkenswert ist zudem, dass trotz dieser relativ aggressiven Therapie immer noch 2–6% der VKC-Kinder Keratitis, Hornhautnarben und „Schild-Ulzera“ aufwiesen. So resümieren die Autoren, dass die Versorgung dieser Kinder aktuell oft völlig unzureichend ist. Wichtigen Anteil an diesem Dilemma haben auch die Überweisungswege. Dies geht klar aus der Studie von Heath Rose und Leonard Bielory in der Februar-Ausgabe des „Journal of Pediatric Ophthalmology & Strabismus“. Demnach waren Pädiater und Hausärzte überwiegend die erste Anlaufstelle. Bei 88% der Kinder wurde fälschlicherweise eine SAC oder infektiöse Konjunktivitis angenommen und entsprechend fehlbehandelt. Bis zur Vorstellung beim Ophthalmologen und einer angemessenen Therapie vergingen bis zu 3 Monate.
Für die Langzeitbehandlung der VKC steht seit einigen Jahren topisches CsA zur Verfügung. Alternativ hat sich mit Tacrolimus ein weiterer Wirkstoff – ebenfalls ein Calcineurin-Inhibitor – als interessant erwiesen. Tacrolimus ist gegenüber CsA ca. 100-mal stärker wirksam (bezogen auf T‑Zell-Proliferation) und bietet hier große Hoffnung. Dazu sind kürzlich zwei prospektiv angelegte Studien aus Indien und Pakistan erschienen. In „Cornea“ stellen Bardoloi et al. ihre positiven Erfahrungen mit Tacrolimus 0,1%-Hautsalbe vor. Interessant: die Therapie wurde lediglich 2‑mal/ Tag im Oberlidbereich aufgetragen. Die Ergebnisse belegen eine hochsignifikante Symptom- und Befundbesserung. Sehr ähnliche Erfahrungen legen Warda Ali et al. ebenfalls mit äußerlicher Tacrolimus-Anwendung vor. Hier lag die Wirkstoffkonzentration der Tacrolimus-Hautsalbe bei 0,03%. Die Salbe wurde ebenfalls 2‑mal täglich auf die Oberlider appliziert. Sie erinnern sich: Die aktuelle Empfehlung zur VKC-Behandlung in Europa mit CsA‑0,1%-Augentropfen sieht eine viermalige Gabe/Tag vor. Die deutlich reduzierte Anwendung bei der Behandlung dieser Kinder mit VKC kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, da Kita- und Schulalltag eine häufige Tropfanwendung oft nicht zulassen! Offen bleiben in beiden Studien Fragen nach Dauer der Behandlung und Prognose der Kinder.
Auf prognostisch relevante Unterschiede bei den VKC-Betroffenen gehen Fujita H und Mitarbeiter in „Clinical Ophthalmology“ ein und schlagen vor, drei Phänotypen von VKC zu unterscheiden. Als Kriterien wurden Beginn der Erkrankung, Komorbidität und Laborparametern herangezogen. Als prognostisch günstig wird ein Beginn der VKC im frühen Schulalter, weitgehend unauffällige Laborparameter (Eosinophile, IgE im Serum) und das Fehlen einer atopischen Dermatitis (AD) angeführt. Ein schwerer Verlauf muss dagegen bei späterem Beginn (Pubertätsalter) und begleitender AD befürchtet werden.
Die AD per se ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die bekannt dafür ist, mit zahlreichen viralen und bakteriellen Infektionen assoziiert zu sein. Ob dies auch für das Risiko einer infektiösen Keratitis zutrifft, haben Omatsu et al. an mehr als 470 Patienten mit AD untersucht. Wichtiges Ergebnis: Die Inzidenz der HSV-Keratitis war mit einer Odds Ratio von >10 hochsignifikant erhöht! Zudem stieg das Risiko für Rezidive einer epithelialen HSV-Keratitis signifikant und ging gleichzeitig mit einer erhöhten Zahl an Viruskopien (Realtime-PCR) einher. Kein erhöhtes Risiko besteht dagegen für bakterielle, mykotische oder parasitäre Infektionen (Akanthamöben). Die Autoren gehen davon aus, dass die Homöostase der okularen Oberfläche durch die AD tiefgreifend gestört ist und damit für schwere Verläufe der HSV-Keratitis prädisponiert.
Komplex wird die Situation zusätzlich dadurch, dass durch die aktuell favorisierte Behandlung der AD mit Dupilumab unerwartete(?), ausgeprägte Entzündungsreaktionen an der Konjunktiva auftreten. Durch die Blockade von Interleukin(IL)-4 und IL-13 hat sich Dupilumab als hocheffektive Standardtherapie für die AD etabliert. Bis zu ca. 60% der Patienten entwickeln allerdings zum Teil ausgeprägte (vernarbende) Bindehautveränderungen. Bislang waren die pathophysiologischen Grundlagen unklar. Diese Lücke versuchen Thormann et al. zu schließen. In „Allergy“ stellen sie im Februar-Heft eine prospektive, kontrollierte Studie vor. Die Tränenfilmanalyse ergibt ein signifikant verändertes Muster an Inflammationsmarkern mit erhöhtem Interleukin-12‑B, das nur bei Patienten mit AD und gleichzeitiger Dupilumabtherapie zu finden ist. Konsequenzen sind eine veränderte Barrierefunktion der Epithelzellen, Apoptose von Becherzellen sowie eine chronische Entzündung mit aktivierten TH2/TH17-„Pathways“, was auch Fibrosemechanismen in Gang setzen kann. Bei schwerem Verlauf sollte eine Umstellung der Systemtherapie von Dupilumab erfolgen. Weniger ausgeprägte Veränderungen können mit topischen Therapeutika oft ausreichend kontrolliert werden. Hinweise zur Behandlung dieser Patienten können aus einer interdisziplinären Empfehlung entnommen werden.
Es bleibt zu hoffen das es bald wieder weniger Gründe dafür gibt, sich die Augen zu reiben. In diesem Sinne verbleiben ich und das Team von Kompakt Ophthalmologie
Ihr
Uwe Pleyer