Lösungsmöglichkeiten für Patienten mit chronischen Augenleiden — auch in der Pandemie
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
… teilen Sie meine Sorge, dass unsere Patienten mit chronischen Augenleiden während der Pandemie womöglich unterversorgt und nicht ausreichend kontrolliert sein könnten?
Einerseits scheuen sich weiterhin viele Menschen vor einem Besuch in „ihrer“ Augenarztpraxis. Andererseits ist auch die Terminvergabe in diesen Zeiten deutlich schwieriger geworden. In diesem Zusammenhang kommen mir vor allem unsere Patienten mit Diabetischer Retinopathie, Glaukom, aber auch mit chronisch-entzündlichen Augenerkrankungen in den Sinn. Daher haben wir in dieser Ausgabe von Kompakt einige aktuelle Arbeiten herausgegriffen, die in diesem Kontext relevant erscheinen.
Die Deutsche Diabetesgesellschaft schlug bereits zu Beginn der Pandemie kritische Töne in einer Pressemitteilung an, da sie die Versorgungssituation kritisch einschätzte und akute und chronische Komplikationen befürchtete. Es kann erwartet werden, dass dies auch für die Diabetische Retinopathie zutrifft. Bei 20–25% der Betroffenen muss mit einem diabetischen Makulaödem gerechnet werden. Versagt unser Behandlungsstandard mit intravitrealer anti-VEGF-Therapie, kommt schnell die Frage auf, wann der Wechsel („Switching“) auf einen anderen Wirkstoff erfolgen sollte. Bei der Frage, welche objektiven Kriterien zur Umstellung z.B. auf Steroide herangezogen werden können, fiel mir die Untersuchung von Luís ME et al. auf. Die Autoren kommen in „Current Eye Research“ zu der Schlussfolgerung, dass sich dafür „DRIL“ (Disorganization of the Retinal Inner Layers) im OCT als prognostische Biomarker bewähren. Gleichzeitig berichten die Kollegen über ihre positiven Erfahrungen mit Anwendung des Dexamethason-Inserts bei Umstellung ihrer Patienten.
Für die längerfristige Prognose des diabetischen DME wird heute neurodegenerativen Veränderungen eine zunehmende Rolle beigemessen. Diesem Thema hat sich die Arbeitsgruppe um Yozgat Z und Mitarbeiter angenommen. Dazu erhielt eine umschriebene Kohorte von Patienten mit diabetischem Makulaödem im Monatsintervall 5 intravitreale Aflibercept-Injektionen. Zur Verlaufsbeurteilung wurden zusätzlich zu funktionellen und morphologischen Untersuchungen auch elektrophysiologische Parameter abgeleitet. Unter dieser optimierten Behandlung konnte eine signifikante Korrelation zwischen Visusgewinn, OCT-Befunden und ERG-Ergebnissen beobachtet werden. Interessante Beobachtungen, die sicherlich durch längerfristige Untersuchungen weiterverfolgt werden sollten.
Wie kritisch und relevant die Injektionsfrequenz bei Anti-VEGF-Therapie ist, geht bereits aus vorangegangenen Beobachtungen hervor. Wiederholt wurde gerade auch auf die Unterversorgung in Deutschland hingewiesen, die – nicht nur zu Pandemiezeiten – eine Herausforderung darstellt. Dies geht auch aus den Ergebnissen einer großangelegten, aktuellen, prospektiven Studie einer Münsteraner Arbeitsgruppe hervor. In „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Opthamology“ stellen Frau Eter und Mitarbeiter ihre PERSEUS-Studie vor. Als Resümee lässt sich ableiten, dass sich signifikante Verbesserungen in den funktionellen Langzeitergebnissen erreichen lassen, diese aber von einer konsequenten Führung der Patienten mit entsprechenden Injektionsintervallen abhängt. Weiterhin bleibt bedenklich, dass nur ca. jeder 3. Patient optimal versorgt werden konnte …
Auf die zu wenig beachtete Komorbidität zwischen AMD und Glaukom hatten wir in der letzten Ausgabe von Kompakt bereits hingewiesen. Burak Mergen und David Rams haben dazu ca. 4000 Krankenunterlagen von AMD-Patienten ausgewertet. Sie bildeten anschließend 2 große Kohorten mit exsudativer und trockener AMD. Beim Vergleich beider Gruppen stellte sich heraus, dass die Rate diagnostizierter Offenwinkelglaukome bei Patienten mit exsudativer AMD signifikant geringer gegenüber der Vergleichsgruppe war. Werden die typischen klinisch-morphologischen Glaukomkriterien herangezogen stellt sich zusammenfassend heraus, dass Patienten mit exsudativer AMD bezüglich einer Glaukomproblematik vermutlich unterdiagnostiziert sind und konsequenterweise auch unterbehandelt bleiben. Ein Aspekt der sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient.
Welche Konsequenzen sich aus funktionellen Seheinschränkungen im Alltag der Patienten ergeben können, berichten Bhorade AM et al. im „American Journal of Ophthalmology“. Sie befragten ihre Glaukompatienten nach Stürzen im häuslichen Umfeld und mussten bei mehr als jedem 3. Patient innerhalb eines Jahres entsprechende Vorkommnisse feststellen. Sie analysierten weiterhin die Beziehung zum Stadium des Glaukoms und konnten dabei eine Korrelation zwischen Sturzrisiko und Seheinschränkung herstellen.
Kommen wir abschließend noch auf eine andere chronisch betroffene Patientenpopulation zurück. Sie gelten per se oft als „schwierig“: Patienten mit „trockenem Auge“. Problematisch ist einerseits ihre schiere Zahl – andererseits auch die oft zu beobachtende Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und klinischem Befund. Zudem scheinen sich die Beschwerden unter den aktuellen Bedingungen mit „Homeoffice“, Gesichtsmaske u.a. zu verstärken.
Bei sehr ausgeprägten Befunden haben sich Serum-Augentropfen bereits klinisch gut bewährt. Bislang erfolgte dies in ausgewählten Fällen durch autolog hergestellte Augentropfen. Der schwierige Zugang zu dieser Behandlungsmöglichkeit könnte durch allogenes Spenderblut (Fremdspender) deutlich verbessert werden. Pieter F. van der Meer und Kollegen aus Amsterdam (Niederlande) verglichen autolog und allogenen hergestellte SAT und konnten in einer doppelt verblindeten Pilotuntersuchung keinen Unterschied entdecken.
Beide Präparationen wiesen eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit auf. Vermutlich wären die Ergebnisse noch deutlich besser ausgefallen wären in der Studie auch Patienten mit schwerwiegenden Oberflächenproblemen wie GvHD, Stevens-Johnson-Syndrom oder okulärem Pemphigoid eingeschlossen worden. Problematisch bleibt allerdings weiterhin, dass der Zugang zu dieser Therapie durch Probleme bei Kostenerstattung und gesetzlichen Regelungen überlagert wird. Inzwischen bieten bereits auch in Deutschland größere Blutbanken allogen gewonnene SAT an.
Es gibt sie also, die hilfreichen Hinweise auf objektive Kriterien, „Biomarker“ u.a., die einen Anhalt für die Betreuung unserer chronischen betroffenen Patienten bieten. Meine eingangs geäußerte Sorge bleibt zwar bestehen, aber aktuelle und künftige Lösungsmöglichkeiten sind erkennbar. Bleiben sie gut informiert!
Ihr Team von Ophthalmologie Kompakt.
Uwe Pleyer