Klare Forschungs­er­geb­nis­se für eine klare Hornhaut

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

 

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

schon wieder ist das Jahr fast halb vorbei, und viele Dinge gesche­hen um uns herum.

Für uns Ärzte war sicher die Wieder­wahl von Klaus Rein­hardt zum Ärzte­prä­si­dent in der vorletz­ten Woche ein span­nen­des Ereig­nis. Es bleibt damit ein Vertre­ter der rund 550.000  deut­schen Ärzte in der Leitung der Bundes­ärz­te­kam­mer im Amt,  der auf eine lange Zeit als prak­ti­zie­ren­der Arzt zurück­bli­cken kann. Somit bringt er sicher die notwen­di­ge Erfah­rung mit, um uns Ärzte in den schwie­ri­ger werden­den Zeiten opti­mal zu vertre­ten. Schon in Corona-Zeiten hat Rein­hardt gezeigt, dass er nicht immer mit der Poli­tik konform geht, sondern andere Meinun­gen offen vertritt. In seiner Abschluss­re­de, für die er Stan­ding Ovations bekam, ging er insbe­son­de­re hart mit unse­rem Gesund­heits­mi­nis­ter ins Gericht und sprach sich für einen Para­dig­men­wech­sel im Gesund­heits­sys­tem aus. Vor allem der Fach­kräf­te­man­gel werde von der Poli­tik voll­kom­men unter­schätzt. Diese Aussa­ge können wir als Ärzte wohl nur voll und ganz unter­schrei­ben. Rein­hardt beton­te, dass das Thema Gesund­heit ebenso zukunfts­wei­send disku­tiert werden solle wie das Thema Klima. In unse­rer Zeit eine mutige und rich­ti­ge Aussa­ge. Wir Medi­zi­ner müss­ten uns „stär­ker mit abge­stimm­ten Vorschlä­gen in die Gesund­po­li­tik einmi­schen“, damit die Poli­tik die Vorschlä­ge berück­sich­ti­gen muss. Dies gelte auch für den Büro­kra­tie­ab­bau – Ärzte wollen behan­deln, nicht verwal­ten. Hoffent­lich können wir in vier Jahren bei der nächs­ten Wahl auf eine erfolg­rei­che Präsi­den­ten­zeit von Rein­hardt und seiner Stell­ver­tre­te­rin Susan­ne Johna zurück­bli­cken. Johna vertritt als Vorsit­zen­de des Marbur­ger Bundes insbe­son­de­re die Inter­es­sen der zahl­rei­chen ange­stell­ten Ärzte in Deutschland.

Nach dem klei­nen, aber, wie ich finde, wich­ti­gen stan­des­po­li­ti­schen Exkurs, nun zu inter­es­san­ten neuen Erkennt­nis­sen auf unse­rem Fach­ge­biet. Nach­dem ich meinen Schwer­punkt im April-Edito­ri­al auf die Binde­haut gelegt hatte, möchte ich mich nun heute der Horn­haut zuwen­den. Natür­lich soll der Fokus nicht auf Infek­tio­nen liegen. Hierzu hat Profes­sor Pleyer im vergan­ge­nen Monat ein wirk­lich wunder­ba­res Edito­ri­al vorgelegt.

Im Bereich der refrak­ti­ven Horn­haut­chir­ur­gie stehen uns mit der PRK, der Lasik und der SMILE-Tech­nik sehr siche­re und effek­ti­ve Behand­lungs­mög­lich­kei­ten zur Verfü­gung, um die Mehr­heit der mensch­li­chen Refrak­ti­ons­feh­ler erfolg­reich zu behan­deln. Hier­bei bekommt man aber die guten post­ope­ra­ti­ven Resul­ta­te wie so oft im Leben nicht umsonst. Damit ist nicht der finan­zi­el­le Aspekt gemeint, sondern der für die Proze­dur notwen­di­ge Gewe­be­ab­trag im Bereich der Horn­haut. Bei siche­rer Indi­ka­ti­ons­stel­lung und bei Behand­lun­gen im Bereich der Anwen­dungs­be­rei­che sind die Behand­lun­gen trotz des Gewe­be­ver­lus­tes aber natür­lich als sicher und effi­zi­ent anzu­se­hen. Dennoch bleibt immer das mögli­che Rest­ri­si­ko für eine Schwä­chung der Stabi­li­tät und konse­ku­ti­ver Kera­tek­ta­sie. Eine Korrek­tur von Brechungs­feh­lern, die ohne Opfe­rung von Gewebe der intak­ten Horn­haut durch­führ­bar wäre, würde natür­lich einen großen Vorteil aufwei­sen. Stoko­losa et al. veröf­fent­lich­ten Anfang des Jahres hierzu eine span­nen­de Publikation.

Bekann­ter­ma­ßen sind die Kolla­gen­fi­bril­len der Horn­haut für die Stabi­li­tät und Form bzw. die Kurvatur und somit auch für die Brech­kraft mitver­ant­wort­lich. Die korea­ni­schen Forscher konn­ten demons­trie­ren, dass eine nach­wei­se­ba­re Verän­de­rung der Brech­kraft ohne Einfluss auf die Trans­pa­renz im Tier­ver­such möglich ist. Hierzu wurden Ex-vivo-Kanin­chen­au­gen mit dem soge­nann­ten Elek­tro­me­cha­ni­schen Resha­ping behan­delt. Bei dieser komple­xen Vorge­hens­wei­se kann ein kurzer elek­tro­che­mi­scher Impuls das ioni­sche Verbin­dungs-Netz­werk des Kolla­gen­ge­we­bes kurz­fris­tig so beein­flus­sen, dass eine mecha­ni­sche Form­ver­än­de­rung möglich ist. Für die Ände­rung der Kurvatur wurden spezi­el­le Kontakt­lin­sen genutzt. Nach Anpas­sung der physio­lo­gi­schen Zustän­de in der Matrix bleibt der Effekt der mecha­ni­schen Form­ver­än­de­rung bestehen. Das Gewebe begibt sich also nicht mehr in die vorher­be­stehen­de Kurvatur zurück. Der Effekt konnte im Tier­ver­such mittels OCT und konfo­ka­ler Mikro­sko­pie nach­ge­wie­sen werden. Die Forscher folgern aus ihren Ergeb­nis­sen, dass diese elek­tro­me­cha­ni­sche Thera­pie mögli­cher­wei­se eine kosten­güns­ti­ge und siche­re Alter­na­ti­ve zu den bestehen­den Verfah­ren zur Laser­kor­rek­tur darstel­len könnte. Bis zur klini­schen Anwen­dung bleibt es für diese span­nen­de Tech­no­lo­gie sicher noch ein langer Weg. Aufgrund der Gewe­be­scho­nung und der wegen der gerin­gen Inva­si­vi­tät auch sicher gerin­gen Kompli­ka­ti­ons­ra­te dieses Verfah­rens bleibt den Forschern zu wünschen, dass sie diesen Weg weiterverfolgen.

Die Tranz­pa­renz der Horn­haut ist durch viele unter­schied­li­che Krank­heits­bil­der gefähr­det, und eine Vermin­de­rung führt zu einer vermin­der­ten Sehqua­li­tät und schließ­lich auch zu einer Visus­min­de­rung. Bei diesen Prozes­sen spie­len bekann­ter­ma­ßen Gefäß­pro­li­fe­ra­tio­nen in der eigent­lich nicht perfun­dier­ten Horn­haut eine entschei­den­de Rolle. Weni­ger bekannt ist aber auch die Lymphan­gio­ge­ne­se. Hierzu erschien gerade ein umfang­rei­ches Review, welches dieses komple­xe Gesche­hen erhellt (Patnam M et al. Lymphan­gio­ge­ne­sis Guid­ance Mecha­nisms and Thera­peu­tic Impli­ca­ti­ons in Patho­lo­gi­cal States of the Cornea. Cells 2023;12(2):319.).

Die Lymphan­gio­ge­ne­se stellt eine Kompo­nen­te der Neovasku­la­ri­sa­ti­on der Horn­haut in verschie­de­nen entzünd­li­chen Prozes­sen und dem trocke­nen Auge dar. Ein entschei­den­der Regu­la­tor für die Lymphan­gio­ge­ne­se ist VEGF C sowie A und D. Bei Geburt wird das Privi­leg der Horn­haut der Avasku­la­ri­tät durch antian­gio­ti­sche Eigen­schaf­ten des Limbus und des Stromas deter­mi­niert und im Laufe des Lebens bei Fehlen von entzünd­li­chen Prozes­sen auch aufrecht­erhal­ten. Lympha­ti­sche Endo­thel­zel­len, welche durch unter­schied­li­che Signa­le zur Migra­ti­on ange­regt werden, spie­len bei diesen Prozes­sen eine entschei­den­de Rolle. Neben den sehr bekann­ten VEGF spie­len aber noch zahl­rei­che andere Boten­stof­fe wie Basic Fibro­blast Growth Factor, das Mole­kül Neuropilin‑2, Ephrin-Epin-Signal­pro­zes­se, der Wtn/Canetin Pfad, welcher für lympha­ti­sche Klap­pen mitver­ant­wor­tet, oder die Fami­lie der Netrin-Prote­ine – um nur einige zu nennen – eine wich­ti­ge Rolle. Die Lektü­re des Review zeigt deut­lich auf, wie komplex die patho­lo­gi­schen Vorgän­ge im mensch­li­chen Körper sind, wodurch auch die Thera­pie eine Viel­zahl von mögli­chen noch wenig erforsch­ten Ansatz­punk­ten nutzen kann.

Eine deut­lich mehr klinisch orien­tier­te Publi­ka­ti­on über die Diagnos­tik der Horn­haut aus dem April 2023 zur Anwen­dung eines „Convo­lu­tio­nal Neural Network“ stammt von Fass­bind et al. Zu Deutsch bedeu­tet dies „falten­des neuro­na­les Netz­werk“. Es handelt sich um ein künst­li­ches Netz­werk, welches von biolo­gi­schen Prozes­sen inspi­riert ist und Konzep­te des Maschi­nel­len Lernens nutzt. Es wird in zahl­rei­chen Prozes­sen der künst­li­chen Intel­li­genz vor allem zur Bear­bei­tung von Bild- und Audio­da­tei­en einge­setzt. Somit bildet die Augen­heil­kun­de mit ihren zahl­rei­chen Bild­da­tei­en wie z.B. der Topo­gra­phie oder des OCT natür­lich ein perfek­tes Anwen­dungs­ge­biet. In der Studie wurden 1940 konse­ku­ti­ve Scans, welche mit dem OCT-Vorder­ab­schnitts­ge­rät CASIA 2 durch­ge­führt wurden, analy­siert. Hier­bei zog man das ConvNeXt-Netz­werk zur Analy­se heran.

Die Autoren konn­ten zeigen, dass es dem Netz­werk möglich ist, mit einer Sensi­ti­vi­tät von 98,46% und einer Spezi­fi­tät von 91,96% eine gesun­de von einer patho­lo­gi­schen Horn­haut zu unter­schei­den und auch die Klas­si­fi­ka­ti­on von häufi­gen Erkran­kun­gen wie dem Kera­to­ko­nus vorzu­neh­men. Inter­es­san­ter­wei­se kann das Netz­werk auch Datei­en ande­rer Topo­gra­phie-Geräte auswer­ten und die Berei­che der Horn­haut kenn­zeich­nen, welche zur Diagno­se­fin­dung heran­ge­zo­gen werden. Obwohl all diese Tech­no­lo­gien noch am Anfang stehen, kann man sich schon jetzt fragen, inwie­weit der „norma­le“ Augen­arzt in der Lage ist, mit glei­cher Spezi­fi­tät und Sensi­ti­vi­tät zu arbei­ten. Daraus erge­ben sich auch inter­es­san­te neue ethi­sche und recht­li­che Frage­stel­lun­gen. Wann kommt der Zeit­punkt, an dem wir nicht mehr selber analy­sie­ren soll­ten und den Netz­wer­ken die Analy­se über­las­sen? Werden wir irgend­wann verpflich­tet, uns großen diagnos­ti­schen Netz­wer­ken zur Analy­se unse­rer Daten anzu­schlie­ßen? Die Zukunft wird in den nächs­ten Jahren sicher­lich hoch­span­nend, da die Entwick­lun­gen zurzeit mit unglaub­li­chem Tempo voranschreiten.

Zum Abschluss aber nun doch noch ein klei­ner Exkurs in den Bereich der entzünd­li­chen Erkran­kun­gen. Glück­li­cher­wei­se sind die aufrei­ben­den Corona-Zeiten vorbei und unsere tägli­che Arbeit wird nicht mehr von Masken, Schnell­tes­tests und Inzi­den­zen bestimmt. SARS-CoV‑2 bleibt aber dennoch im Inter­es­se der Wissenschaft.

Bayy­oud et al. unter­such­ten Horn­haut­ge­we­be von Pati­en­ten, die an einer Corona-Infek­ti­on verstor­ben waren. Die Forscher­grup­pe wollte heraus­fin­den, ob in stan­dar­di­sier­ten Kultur­be­din­gun­gen nach 4 Wochen repli­ka­ti­ons­fä­hi­ge Viren nach­ge­wie­sen werden könn­ten. Außer­dem wurden paral­lel Epithel­zel­len gesun­der Proban­den mit SARS-CoV‑2 und Cysto­me­ga­lie­vi­ren als Kontroll­grup­pe infi­ziert. Der Infek­ti­ons­sta­tus wurde über Western Blot  Repor­ter Gen Expres­si­on sowie mittels PCR-Test analy­siert. In den zehn unter­such­ten Horn­häu­ten konn­ten keine repli­ka­ti­ons­fä­hi­gen Viren isoliert werden. Auch in den ex vivo infi­zier­ten Epithel­zel­len gelang kein Erre­ger­nach­weis von SARS-CoV‑2, wohin­ge­gen CMV nach­weis­bar war. Die Daten lassen den Schluss zu, dass auch im norma­len Leben die Horn­haut und die limba­len Epithel­zel­len resis­tent gegen die Vermeh­rung von SARS-CoV‑2 sind. Dies ist im Hinblick auf die Sicher­heit von Horn­haut­spen­der­ge­we­be doch eine sehr erfreu­li­che Nachricht.

Mit diesem posi­ti­ven Abschluss möchte ich mich von Ihnen verab­schie­den und wünscht allen einen guten Start in einen schö­nen und fried­li­chen Sommer.

Ihr Detlef Holland

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