Genthe­ra­pie in der Augen­heil­kun­de – Grund­la­gen­for­schung für die Zukunft

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

 

wieder neigt sich ein verrück­tes Jahr dem Ende entge­gen. Der Krieg in der Ukrai­ne, welchen wir auch schon hier thema­ti­siert haben, beherrscht immer noch unse­ren Alltag und die Zukunft unse­res Landes. Auch die in Deutsch­land nicht enden wollen­de Pande­mie hat immer noch Einfluss auf unse­ren Alltag und unser Arbeits­le­ben. Dennoch erweist sich unser Leben doch auch als robust gegen diese nega­ti­ven Einflüs­se, und es zeigt sich doch in vielen Berei­chen, dass der Alltag zurück­kehrt. Der Opti­mis­mus sollte niemals unter­ge­hen und unsere Lebens­phi­lo­so­phie stärken.

Mit den posi­ti­ven Entwick­lun­gen, welche sich auch manch­mal nur in klei­nen, sehr umschrie­be­nen Berei­chen der Medi­zin zeigen, möchte ich auch nun den Einstieg in den medi­zi­ni­schen Teil dieses Edito­ri­als machen.

In der Genthe­ra­pie zeig­ten sich aktu­ell auf unse­rem Fach­ge­biet hoff­nungs­vol­le Ansät­ze zur Behand­lung gene­ti­scher Defek­te. Genthe­ra­pie ist eine komple­xe Form der Behand­lung, hinter welcher sich unter­schied­li­che Ansät­ze verber­gen, wobei das Ziel die Korrek­tur krank­heits­ver­ur­sa­chen­der Gene durch Anwen­dung rekom­bi­nan­ter DNA-Tech­ni­ken ist. Somit sollen gene­tisch verur­sach­te Erkran­kun­gen behan­delt oder einem Auftre­ten vorge­beugt werden. Durch den Einsatz rekom­bi­nan­ter Nukle­in­säu­ren wie DNA oder RNA wird die Nukle­in­säu­re­se­quenz beim Menschen entwe­der regu­liert, repa­riert, ersetzt, hinzu­ge­fügt oder sogar entfernt. Die dabei z.B. in mensch­li­che Zellen einge­brach­ten Gene werden dabei als Genthe­ra­peu­ti­ka bezeich­net. Dabei kann die Thera­pie zum einen nur in den Zellen des behan­del­ten Pati­en­ten wirken, aber auch im Rahmen der Keim­bahn­the­ra­pie über die Anwen­dung an embryo­na­len Zellen vererbt werden. Diese Form der Genthe­ra­pie ist in Deutsch­land jedoch aufgrund des Embryo­nen­schutz­ge­setz­tes verbo­ten. Mit dem soge­nann­ten Genome Editing, welches sich in den vergan­ge­nen Jahren in der Forschung immer weiter verbrei­tet, versucht man, hoch­prä­zi­se defek­te Gense­quen­zen zu repa­rie­ren. Zur Durch­füh­rung von Genthe­ra­pie sind unzäh­li­ge Studi­en und natür­lich auch Grund­la­gen­for­schung über die gene­ti­schen Ursa­chen von Erkran­kun­gen und deren genaue gene­ti­sche Loka­li­sa­ti­on notwen­dig. Insge­samt sind daher auch noch nicht viele Genthe­ra­pien in der weiten klini­schen Anwen­dung. Hier­bei ist zu beden­ken, dass diese Forschung natür­lich auch unglaub­lich teurer und folg­lich auch die klini­sche Anwen­dung mit erheb­li­chen Kosten für das Gesund­heits­sys­tem verbun­den ist.

Ich möchte in der Folge auf einige aktu­el­le Anwen­dun­gen in der Augen­heil­kun­de eingehen.

Kürz­lich wurde in der Zeit­schrift „Brain“ in einer Studie über zwei Fälle berich­tet, in denen eine subre­ti­na­le Genthe­ra­pie bei der ange­bo­re­nen Achro­mat­op­sie, also der voll­stän­di­gen Farben­blind­heit, Ergeb­nis­se zeigte, die hoffen lassen. Eines von 30.000 Kindern wird mit Defek­ten in den Genen CNGA3 oder CNGB3 gebo­ren. Diese kodie­ren Teile eines Membran­ka­nals („cyclic nucleo­ti­de-gated cation chan­nel“), welcher in den Zapfen benö­tigt wird und bei einem Defekt zum voll­stän­di­gen Ausfall führt. Die Klinik wird durch Farben­blind­heit, einen schlech­ten Visus, erhöh­te Blend­emp­find­lich­keit und Nystag­mus gekenn­zeich­net. Bishe­ri­ge Tests an Erwach­se­nen zeig­ten noch keine durch­schla­gen­den Ergeb­nis­se, wohin­ge­gen erste Ergeb­nis­se von zwei in London am Insti­tu­te of Ophth­tal­mo­lo­gy laufen­den Studi­en an vier Proban­den viel­ver­spre­chen­de Resul­ta­te zeigen. Dabei wurde durch komple­xe Tests die Akti­vie­rung von Zapfen in den Proban­den nach­ge­wie­sen. Im ersten Test zeigte eine funk­tio­nel­le Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie eine Akti­vie­rung von Hirn­area­len in der Sehrin­de über die Verän­de­rung der Blut­o­xy­ge­nie­rung nach Stimu­lie­rung durch farbi­ge Licht­si­gna­le bei zwei Pati­en­ten sechs bis vier­zehn Monate nach der subre­ti­na­len Genthe­ra­pie. In einem zwei­ten Test wurde geprüft, inwie­weit Farb­kon­tras­te wahr­ge­nom­men werden konn­ten, was bei den glei­chen zwei Pati­en­ten im Gegen­satz zur Kontroll­grup­pe eben­falls der Fall war. Objek­ti­ve und subjek­ti­ve Tests konn­ten also posi­ti­ve Effek­te nach­wei­sen. Welche klini­sche Rele­vanz diese ersten Ergeb­nis­se haben werden, bleibt aller­dings noch offen, da bei den Pati­en­ten kein rele­van­ter Visus­an­stieg gemes­sen werden konnte.

In der Zeit­schrift „Stem Cell Reports“ wurde aktu­ell über erste expe­ri­men­tel­le Studi­en­ergeb­nis­se zur Behand­lung von Gende­fek­ten im Zusam­men­hang mit der Leber´schen konge­ni­talen Amau­ro­se (LCA) berich­tet. Die Fort­schrit­te in der Gene­tik verän­dern zuneh­mend auch die Noso­lo­gie. So liegen der ange­bo­re­nen Amau­ro­se, die der Augen­arzt Theo­dor Leber 1869 beschrieb, Muta­tio­nen in mindes­tens 25 Genen zugrun­de, die über die Chro­mo­so­men verteilt sind. Alle führen zu einer Dyspla­sie der Retina, wenn auch über unter­schied­li­che Pathome­cha­nis­men, und teil­wei­se sind die Auswir­kun­gen nicht nur auf die Netz­haut beschränkt. Eine Muta­ti­on des IQ Calmo­du­lin-binding Motif contai­ning (IQCB1)/NPHP5 B1-Gens, welches das zilia­re Prote­in Nephro­cys­tin 5 kodiert, führt zu einer frühen Erblin­dung in Kombi­na­ti­on mit eine Nieren­dys­funk­ti­on beim soge­nann­ten Senior-Løken-Syndrom. In einem In-vitro-Expe­ri­ment wurden von erkrank­ten Pati­en­ten mit NPHP5-LCA derma­le Fibro­blas­ten gewon­nen und in pluri­po­ten­te Stamm­zel­len repro­gram­miert. Im Anschluss erfolg­te eine Diffe­ren­zie­rung in Pigment­epi­thel­zel­len und reti­na­le Orga­no­ide. Orga­no­ide sind im Labor erzeug­te kleine Gewe­be­stü­cke, welche ursprüng­li­chen Gewe­ben wie z.B. Leber­zel­len oder eben hier der Retina ähneln. In der rege­ne­ra­ti­ven Medi­zin und Stamm­zell­for­schung finden diese eine weit­rei­chen­de Anwen­dung. Die produ­zier­ten Fibro­blas­ten und RPE-Zellen und Orga­no­ide zeig­ten patho­lo­gisch verän­der­te Ziliar-Struk­tu­ren. Durch eine hoch­spe­zi­fi­sche Thera­pie mittels einer Adeno-asso­zi­ier­ten Virus (AAV) IQCB1/N­PH­P5-Gen-Thera­pie konnte im Labor gezeigt werden, dass in den erkrank­ten Orga­no­iden Zilia­re geret­tet wurden und nicht infol­ge des Gende­fek­tes zugrun­de gingen. Die Autoren folger­ten daraus, dass mithil­fe dieses Modells mögli­che Thera­pien für den Menschen vorbe­rei­tet werden könnten.

Diese beiden erst­ge­nann­ten Studi­en beschäf­ti­gen sich mit Krank­hei­ten, welche nur sehr wenige Menschen betref­fen. Trotz­dem können diese Studi­en und die damit verbun­de­ne Grund­la­gen­for­schung dazu dienen, auch Thera­pien von Erkran­kun­gen mit einer höhe­ren Präva­lenz vorzu­be­rei­ten. Mit einer globa­len Präva­lenz von 8% ist die Alters­ab­hän­gi­ge Maku­la­de­ge­ne­ra­ti­on (AMD) sehr häufig. Eine kürz­lich im „Inter­na­tio­nal Jour­nal of Mole­cu­lar Sience“ erschie­ne­ne Über­sichts­ar­beit (Stra­diot­to E et al. Gene­tic Aspects of Age-Rela­ted Macu­lar Dege­ne­ra­ti­on and Their Thera­peu­tic Poten­ti­al. Int J Mol Sci 2022;23(21):13280) gibt einen guten Über­blick über den Wissen­stand zu gene­ti­schen Aspek­ten und deren mögli­chen Einfluss auf genthe­ra­peu­ti­sche Ansät­ze auf diesem Gebiet.

Die AMD ist eine komple­xe Erkran­kung mit multi­fak­to­ri­el­len Ursa­chen. Sowohl exter­ne Fakto­ren wie z.B. Rauchen, aber auch gene­ti­sche Fakto­ren bestim­men die Entste­hung der Dege­ne­ra­ti­on. Immer mehr Hinwei­se auf gene­ti­sche Aspek­te bestim­men die Forschung in Bezug auf die AMD, und somit rich­tet sich der Blick immer stär­ker in Rich­tung der Gentherapie.

In diesem Zusam­men­hang wurden gene­ti­sche Tests und poly­ge­ne­ti­sche Scores entwi­ckelt, um das Risiko einer Entste­hung und ein mögli­ches Anspre­chen auf eine Genthe­ra­pie zu evalu­ie­ren. Eine wach­sen­de Anzahl von Gen-Muta­tio­nen wurde in den vergan­ge­nen Jahren aufgrund soge­nann­ter Genome-wide Assosia­ti­on Studies  (GWASs) gefun­den. In diesem Zusam­men­hang gibt es zahl­rei­che Mole­kü­le, die sich als poten­zi­el­le Anwär­ter für mögli­che Genthe­ra­pien in der Pipe­line befin­den. Bisher gibt es jedoch noch keinen gesi­cher­ten genthe­ra­peu­ti­schen Ansatz, welcher mit einem verbes­ser­ten Visus­aus­gang verbun­den wäre. Wir stehen also immer noch am Anfang der Entwick­lung. Ein Fokus liegt hier insbe­son­de­re auf dem Komple­ment­sys­tem inner­halb des Immun­sys­tems, dessen Über­ak­ti­vi­tät ein wich­ti­ger Faktor in der Patho­ge­ne­se der AMD ist. Verwer­fun­gen in der Home­o­sta­se in diesem System sind häufig ein letz­ter Schritt in der patho­lo­gi­schen Kaska­de der Dege­ne­ra­ti­on. Hier­bei sind oxida­tiv­er Stress und Entzün­dung ein wich­ti­ger Faktor. Daher ist die Modu­la­ti­on von Prote­inen des Komple­ment­sys­tems ein viel­ver­spre­chen­der Ansatz in der Thera­pie. Die Autoren beschäf­ti­gen sich auch mit dem Genthe­ra­peu­ti­kum Luxtur­na für die früh­kind­li­che Nach­dys­tro­phie, welche zu dem Formen­kreis der bereits erwähn­ten LCA gehört. Hier­bei spielt das defek­te Gen RPE65 die ursäch­li­che Rolle. Das Gen ist vor allem im reti­na­len Pigment­epi­thel für die Funk­ti­on des Rhod­op­sin verant­wort­lich. 2018 in den USA zuge­las­sen, zeig­ten Studi­en mit diesem Wirk­stoff signi­fi­kan­te thera­peu­ti­sche Erfolge.

Schau­en wir doch auf die extrem hohen Thera­pie­kos­ten von ca. 600.000 Euro bei einem Auftre­ten von 1 auf 33.000–50.000 Kindern, so sehen wir das Dilem­ma, in welchem die Genthe­ra­pie im Bereich der Augen­heil­kun­de wie auch in ande­ren Berei­chen zurzeit noch immer steckt. Zum einen sind wir noch im Bereich der kosten­in­ten­si­ven Grund­la­gen­for­schung, zum ande­ren können wir erst erfolg­reich selte­nen Erkran­kun­gen mit sehr kosten­in­ten­si­ven Genthe­ra­peu­ti­ka behandeln.

Die bisher bestehen­den Erkennt­nis­se soll­ten dennoch posi­tiv bewer­tet werden. Sicher­lich wird gerade der Grund­stein für die Zukunft der Genthe­ra­pie gelegt. Bei immer mehr Krank­heits­bil­dern zeigen sich gene­ti­sche Effek­te, die es zunächst zu analy­sie­ren und später nach genthe­ra­peu­ti­schen Thera­pien zu erfor­schen gilt.

Es besteht berech­tig­ter Anlass zum Opti­mis­mus. Es ist sicher­lich nur eine Frage der Zeit.

Mit einer aktu­el­len Arbeit aus dem refrak­ti­ven Bereich, die mir persön­lich beson­ders erwäh­nens­wert erscheint, möchte ich zum Abschluss dieses Edito­ri­als das Gebiet der Genthe­ra­pie verlas­sen. Knecht et al. unter­such­ten in einer klini­schen Studie die Ergeb­nis­se nach mono­la­te­ra­ler Implan­ta­ti­on einer Add On MIOL mit +3.0 Addi­ti­on. Es wurde dabei 3 Monate nach bila­te­ra­ler Mono­fo­kal­lin­sen­im­plan­ta­ti­on die Add On MIOL implan­tiert. Als Kontroll­grup­pe diente ein Kollek­tiv, in dem beid­seits eine Mono­fo­kal­lin­se implan­tiert und eine mini­ma­le Mono­vi­si­on von bis zu ‑0.5 dpt ange­strebt wurde. Drei Monate nach der Opera­ti­on wurden neben dem Fern‑, Nah- und Inter­me­di­är­vi­sus auch eine Befra­gung mittels Quali­ty of Vision Ques­tion­aire und Visual Func­tion Ques­tion­aire durch­ge­führt. Neben dem besse­ren unkor­ri­gier­ten Nah- und Inter­me­di­är­vi­sus zeigte sich nach der unila­te­ra­len multi­fo­ka­len Add-On-Implan­ta­ti­on ein guter Fern­vi­sus ohne Verschlech­te­rung der Sehqua­li­tät und eine hohe Bril­len­un­ab­hän­gig­keit im Vergleich zur mono­fo­ka­len Kontroll­grup­pe. Die Studie verdeut­licht, dass in der Medi­zin häufig mit wenig Aufwand viel erreicht werden kann. Bereits eine einsei­ti­ge Multi­fo­kal­lin­sen­im­plan­ta­ti­on erzielt sehr gute funk­tio­nel­le Ergeb­nis­se und eine hohe Pati­en­ten­zu­frie­den­heit. Viel­leicht wäre es ein guter Vorsatz für das neue Jahr, einmal vermehrt an diese unkom­pli­zier­te Thera­pie­op­ti­on zum Wohle der Pati­en­ten zu denken.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein geseg­ne­tes Weih­nachts­fest und alles Gute für das neue Jahr.

 

Mit freund­li­chen Grüßen

Ihr Detlef Holland

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