Augen auf 2023… Herausforderungen bleiben – neue Lösungen in Sicht?
Prof. Dr. med. Uwe Pleyer
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir begrüßen Sie auf das Herzlichste im Jahr 2023 und lassen ein zweifellos ungewöhnliches Jahr hinter uns. Selten waren rasche und tiefgreifende Entscheidungen so wichtig wie im vergangenen Jahr. Und es bleibt wichtig, auch in unserem Arbeitsumfeld, ein „ABC“ positiver Entwicklungen im Blick zu behalten. Als Stichworte fallen mir ein: Alternative Wege suchen, Bessere Lösungen finden und Complementäre Ansätze erproben. In diesem Zusammenhang möchte ich eine relativ neue Applikationsform für intraokulare Wirkstoffe – die suprachoroidale Injektion – in den Fokus stellen.
Viele Herausforderungen werden auch im neuen Jahr bleiben und „ABC“-Maßnahmen erfordern. Wir können erwarten, dass die Pyramide behandlungsbedürftiger Patienten mit AMD, diabetischer Retinopathie u.a. weiter anwächst. Die Probleme bei diesen Krankheitsbildern sind bekannt. Unsere Behandlungsmöglichkeiten sind wirksam aber von wiederholten Injektionen abhängig. Die damit verbundenen Anforderungen an unsere Patienten und uns als Behandler sind im Alltag kaum zu bewältigen. Zwar erlauben die im vergangenen Jahr zugelassenen Wirkstoffe wie Brolucizumab und Faricimab deutlich verlängerte Injektionsintervalle. Aktuell sind wir jedoch von einer idealen Therapie noch weit entfernt. Welche Anforderungen stellen wir an eine ideale Therapie? Sie sollte möglichst zielgerichtet auf die Pathologie der Erkrankung ausgerichtet sein und möglichst keine unerwünschten Wirkungen verursachen. Sie sollte einfach durchzuführen sein und lange wirksam bleiben. Dabei sollte sich unser Blick nicht nur nach neuen Wirkstoffen, sondern auch nach neuen Behandlungskonzepten und alternativen Applikationswegen ausrichten.
Grundsätzlich können Therapeutika am hinteren Augensegment als topische, intravitreale und subretinale Injektionen appliziert werden. Jeder dieser Applikationswege hat eigene Vor- und Nachteile. Die topische (Tropf-)Verabreichung ist zwar am wenigsten invasiv, erreicht allerdings keine wirksamen Wirkstoffspiegel am hinteren Augensegment und hat aktuell keinerlei Bedeutung. Die intravitreale Injektion ist zwar einfach zu verabreichen, jedoch wenig zielgerichtet und erfordert zahlreiche Wiederholungen, die stets mit Risiken wie Endophthalmitis, Kataraktprogression und Drucksteigerung verbunden sind. Subretinale Injektionen kommen der idealen Applikation schon näher, sind sehr gezielt, erfordern jedoch zunächst eine Vitrektomie und sind dadurch wenig praktikabel.
Alternativ zur intravitrealen Injektion könnte sich die suprachoroidale Medikamenten- Eingabe als interessant erweisen. Der Suprachoroidalraum zwischen Sklera und Aderhaut ist ein Kompartiment, das sich für die Medikamenteneingabe anbietet und einige Vorteile gegenüber der intravitrealen Injektion hat. Bisherige experimentelle und klinische Untersuchungen zeigen, dass mit der suprachoroidalen Injektion im Vergleich zur intravitrealen Injektion nicht nur höhere Wirkstoffspiegel erreicht werden, sondern diese auch näher an die Zielstrukturen – Aderhaut, RPE und Netzhautgewebe – gelangen (Jung JH et al. Six-month sustained delivery of anti-VEGF from in-situ forming hydrogel in the suprachoroidal space. J Control Release 2022;352:472–484). Anfängliche Probleme bei der praktischen Durchführung der Injektion scheinen durch Mikro (Hohl-)Nadeln weitgehend überwunden zu sein.
Erste Ergebnisse aus Zulassungsstudien zur suprachoroidaler Triamcinolon-Injektion stimmen optimistisch und bieten gleichzeitig ein Déjà-vu. Wir erinnern uns: Triamcinolon war vor 20 Jahren auch der bevorzugte Wirkstoff zur intravitrealen Behandlung des Makulaödems gewesen. Unabhängig von der Genese des Ödems (Diabetes, Uveitis) konnten wir damit deutliche Therapieerfolge erreichen. Eine vergleichbare Wirkstoffmenge (4 mg) und ein identisches Volumen (100 ul) werden auch bei suprachoroidaler Injektion verwendet und zeigen ermutigende Ergebnisse. So stellen Yeh S und Mitarbeiter in „Ophthalmology and Therapy“ die Daten von zwei Phase-III-Studien beim uveitischen Makulaödem (PEACH TREE und AZALEA) vor. Durch eine einmalige suprachoroidale Injektion konnte bei jedem zweiten Patienten ein deutlicher Visusanstieg erzielt werden. Bereits nach 4 Wochen war eine signifikant verminderte Netzhautdicke messbar, ein Effekt der bei vielen Augen bis zu 24 Wochen anhielt.
Ähnlich positive Ergebnisse wurde durch suprachoroidale Triamcinolon-Injektion auch beim diabetischen Makulaödem erreicht. In einer prospektiven, interventionellen Studie wurde dies an 55 Augen gezeigt (Nawar AE et al.). Bei allen Patienten lag ein zuvor therapierefraktäres Makulaödem vor. Auch hier erreichten die Behandler durch einmalige suprachoroidale Injektion rasche morphologische Verbesserungen mit verringerter zentraler Netzhautdicke – ein signifikanter Effekt, der bis zu 12 Monate anhielt. Als unerwünschte Wirkungen bisheriger Studien wurden kurzzeitige intraokulare Drucksteigerung beobachtet – temporäre Effekte, wie wir sie auch von bisher etablierten intraokularen Steroidanwendungen kennen. Genau hier setzt auch meine Kritik an. Wir haben sie bereits verfügbar – die langfristig wirksamen Steroid-Implantate (Dexamethason/Fluocinolone)! Sie sind sowohl für die intraokulare Entzündung als auch für das diabetische Makulaödem EMA-zertifiziert. Somit stellt sich die Frage, ob hier eine echte „Therapielücke“ besteht? Persönlich betrachte ich die Behandlungserfolge nach suprachoroidaler Injektion eher als „Proof of Principle“. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die suprachoroidale Injektion für die Behandlung u.a. der AMD großes Potenzial bietet. So sind aktuell eine Reihe von experimentellen und klinischen Studien zur suprachoroidalen anti-VEGF Injektion unterwegs. Jung et al. berichten in der aktuellen Ausgabe des „Journal of Controlled Release“ über therapeutisch wirksame, hohe Anti-VEGF Wirkspiegel von bis zu 6 Monaten im Zielgewebe nach suprachoroidaler Injektion. Noch einen Schritt weiter geht eine aktuell angelaufene Phase-III-Studie mit einem gentherapeutischen Ansatz (NCT05407636). Konkret wird die Wirkung von gentherapeutisch induziertem Aflibercept gegenüber intravitrealer Injektion des bewährten Wirkstoffes geprüft. Die Idee, durch Gentransfer den Wirkstoff durch retinale Zellen unmittelbar am Ort des Geschehens selbst zu bilden, ist naheliegend. Aufgrund seiner Anatomie bietet das Auge für die Gentherapie eine Vielzahl von Vorteilen. Es ist sehr gut zugänglich, weist als vergleichsweise kleines Organ ein begrenztes Repertoire an Zielzellen auf und ist zudem „immunprivilegiert“. Bisherige Bemühungen, eine Transfektion retinaler Zellen durch intravitreale Injektion zu erreichen, blieben erfolglos. Dies wurde u.a. darauf zurückgeführt, dass die innere Glaskörpergrenzmembran als Barriere wirkt und die Penetration des Vektors einschränkt. Hier könnten die bereits genannten Vorteile der suprachoroidalen Injektion ansetzen. Ergebnisse des o.g. Vorhabens werden allerdings erst 2024 erwartet.
Neugierig geworden? Dann kann ich Ihnen die Lektüre einer aktuellen Übersichtsarbeit empfehlen. Kyle D Kovacs et al. bieten in „Expert Opinion on Biological Therapy“ eine Übersicht zu Fortschritten der Gentherapie bei Netzhauterkrankungen. Dabei wird sowohl der subretinale, wie auch intravitreale und suprachoroidale Gentransfer kritisch diskutiert und eine aktuelle Übersicht der Studienlage geboten.
Mit diesem positiven Ausblick auf neue Entwicklungen beginnen wir das neue Jahr. Wir als Team von Kompakt Ophthalmologie sehen es als unsere Aufgabe an, sie weiterhin mit aktuellen Informationen zu versorgen. Trefflich lässt sich frei nach Lichtenberg für 2023 festhalten: Wir können nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel können wir sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen positiven, hoffnungsvollen Jahresbeginn.
Ihr Uwe Pleyer und das Team von Ophthalmologie Kompakt