Expect the unexpected …

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Liebe Lese­rin­nen und Leser, iatro­ge­ne Kerato­my­ko­se nach DMEK? Horn­haut-Trans­plan­tat­ver­sa­gen durch Zyto­me­ga­lie­vi­rus Infek­ti­on? Diese und weite­re Themen haben in den letz­ten Mona­ten für Über­ra­schung auch bei Exper­ten gesorgt.

Will­kom­men bei einem neuen Edito­ri­al der „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“. Dies­mal fokus­sie­ren wir auf neue Entwick­lun­gen und Erkennt­nis­se rund um die Themen Kornea, infek­tiö­se Kera­ti­tis und Kera­to­plas­tik. Wir dürfen nicht verges­sen: Welt­weit betrach­tet sind Horn­hau­ter­kran­kun­gen die häufigs­te Ursa­che unila­te­ra­ler Erblin­dung. Ca. 4 Millio­nen Pati­en­ten sind betrof­fen. Bei vielen von ihnen bleibt als Behand­lungs­op­ti­on nur eine Horn­haut­trans­plan­ta­ti­on. Der infek­tiö­sen Kera­ti­tis als Ätio­lo­gie kommt dabei ein hoher Stel­len­wert zu. Während Horn­haut­t­rau­ma und vor allem Kontakt­lin­sen-asso­zi­ier­te Risi­ken im Vorder­grund stehen, sind die Risi­ken iatro­ge­ner Über­tra­gung durch Spen­der­ge­we­be zuletzt in den Fokus gerückt.

Die gute Nach­richt zuerst: Zyto­me­ga­lie­vi­ren, die zuletzt in Asien für Horn­haut-Dekom­pen­sa­tio­nen verant­wort­lich waren, konn­ten in Groß­bri­tan­ni­en nicht als Risi­ko­fak­tor für ein Trans­plan­tat­ver­sa­gen iden­ti­fi­ziert werden. Da Costa Paula et al., London, stel­len in „Eye“ ihre Ergeb­nis­se vor. Bei Horn­haut­ex­plan­ta­ten, die nach Endo­thel­de­kom­pen­sa­ti­on aufge­ar­bei­tet wurden, konnte kein Nach­weis von CMV-Virus­ge­nom mittels PCR belegt werden. Die Autoren vermu­ten, dass immu­no­lo­gi­sche Reak­tio­nen bei der Endo­thel­de­kom­pen­sa­ti­on dieser Pati­en­ten im Vorder­grund stan­den. Ande­rer­seits muss einge­räumt werden, dass die rela­tiv begrenz­te Zahl von 54 Explan­ta­ten in dieser Serie mögli­cher­wei­se nicht hoch genug war, um ausrei­chen­de Sicher­heit zu gewähr­leis­ten und Entwar­nung zu geben. Dies haben uns zumin­dest die Ergeb­nis­se post­ope­ra­tiv aufge­tre­te­ner Kerato­my­ko­sen nach DMEK gezeigt. Erst sehr hohe Zahlen aus umfas­sen­den (Multicenter)-Studien können bei der gerin­gen Präva­lenz von Infek­tio­nen weit­rei­chen­de­re Schlüs­se zulas­sen. Auf diese Proble­ma­tik weisen aktu­ell mehre­re Publi­ka­tio­nen hin.

Hajjar Sesé und Mitar­bei­ter aus Kopen­ha­gen berich­ten in „Grae­fes Arch Clin Exp Ophthal­mol“ über eine Serie von 3 Pati­en­ten, die nach DSAEK im Inter­face der Horn­haut eine Kerato­my­ko­se entwi­ckel­ten. Bei Recher­che nach der Genese stell­te sich heraus, dass sie ein Candida(-kultur)- posi­ti­ves Horn­haut­trans­plan­tat erhal­ten hatten. Bei allen Pati­en­ten erfolg­te die Explan­ta­ti­on mit über­wie­gend ungüns­ti­gem Visus­ver­lauf. Bemer­kens­wert: Alle Trans­plan­ta­te stamm­ten aus Horn­haut­ban­ken, die das Gewebe bei 4 °C in Organ­kul­tur lagern. Inzwi­schen mehren sich die Verdachts­mo­men­te, dass die unter­schied­li­chen Konser­vie­rungs­me­tho­den für Horn­haut­trans­plan­ta­te wesent­li­chen Einfluss auf die Präva­lenz post­ope­ra­ti­ver Infek­tio­nen haben.

Erhe­bun­gen von großen inter­na­tio­na­len Horn­haut­ban­ken bele­gen zwar, dass die Infek­ti­ons­ri­si­ken als gering einzu­schät­zen sind. Im direk­ten Vergleich von Spen­der­ge­we­be, das unter hypo­ther­men Bedin­gun­gen (4 °C) gegen­über organ­kul­ti­vier­ten Horn­häu­ten (28–35 °C) gela­gert wurde, sind die Risi­ken für eine Inter­face Kerato­my­ko­se signi­fi­kant höher bei 4 °C.  Eine Pilz­in­fek­ti­on wurde bei 3 von 14.476 (0,02%) in Organ­kul­tur gelie­fer­ten Horn­häu­ten berich­tet, vergli­chen mit 12 von 12.386 (0,50%) unter hypo­ther­mem Medium gelie­fer­ten Horn­häu­ten (p<0,0001).

Die Proble­ma­tik iatro­ge­ner Infek­tio­nen durch das Spen­der­ge­we­be sind nicht neu. Bei perfo­rie­ren­der Kera­to­plas­tik wird eine Präva­lenz von ca. 0,02% ange­nom­men. Welche Risi­ken sich für die heute eher domi­nie­ren­de lamel­lä­re Kera­to­plas­tik erge­ben, ist bislang nicht umfas­send unter­sucht worden. Einer­seits wird bei der DMEK deut­lich weni­ger Gewebe trans­plan­tiert, womit das Infek­ti­ons­ri­si­ko sinken sollte. Ande­rer­seits erfolgt die Implan­ta­ti­on in eine immun­pri­vi­le­gier­te Umge­bung, die einer Erre­ger­pro­li­fe­ra­ti­on Vorschub leis­ten kann. Da zudem post­ope­ra­tiv routi­ne­mä­ßig Stero­ide und Anti­bio­ti­ka einge­setzt werden, ergibt sich vor allem für Pilz­in­fek­tio­nen eine Behand­lungs­lü­cke. Fragen der Präven­ti­on und Quali­täts­kon­trol­le liegen auf der Hand.

Mit der Frage, welche Konse­quen­zen sich für die Präven­ti­on dieser Infek­ti­on erge­ben, beschäf­ti­gen sich weite­re Arbei­ten auf dem Online-Portal „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“. Beim Versuch von Tran D und Mitar­bei­ter aus Pitts­burgh, durch die Zugabe von 0,255 μg/ml Ampho­te­ri­cin B in das 4 Grad Kultur­me­di­um die Konta­mi­na­ti­on zu elimi­nie­ren, erwies sich dies nicht als ausrei­chend. Es konnte keine Elimi­na­ti­on der Candi­da-Erre­ger erreicht werden. Nach Ansicht der Autoren wäre dazu eine ca. zehn­mal höhere (toxi­sche?) Wirk­stoff­kon­zen­tra­ti­on notwen­dig gewesen.

Einen ande­ren, erfolg­rei­chen Ansatz wählte die Arbeits­grup­pe um Stul­ting, Atlan­ta, USA. Sie änder­ten eben­falls das Konser­vie­rungs­pro­to­koll und verdop­pel­ten für die Trans­plan­ta­te zunächst die Expo­si­ti­ons­zeit mit Povi­don-Jod.  Im Vergleich zum bishe­ri­gen Vorge­hen konnte damit eine signi­fi­kan­te Vermin­de­rung von Pilz- und Bakte­ri­en­kul­tu­ren ex vivo erreicht werden. Dies spie­gel­te sich auch in einer signi­fi­kan­ten Vermin­de­rung post­ope­ra­ti­ver Infek­tio­nen bei der anschlie­ßen­den Nach­be­ob­ach­tung wider. Befürch­te­te nega­ti­ve Auswir­kun­gen, zum Beispiel auf das Horn­hau­t­epi­thel, waren nicht zu beob­ach­ten. Es kann resü­miert werden, das nach aktu­el­ler Daten­la­ge die, in Europa vorherr­schen­de Kultur­tech­nik für Horn­haut­trans­plan­ta­te, gerin­ge­re Risi­ken für iatro­ge­ne Myko­sen aufweist. Gleich­zei­tig ist eine kriti­sche klini­sche Nach­be­ob­ach­tung insbe­son­de­re in den ersten 3 post­ope­ra­ti­ven Mona­ten anzuraten.

Die Kerato­my­ko­se findet gene­rell hier­zu­lan­de zuneh­men­de Beach­tung. Daher weisen wir noch auf 2 weite­re aktu­el­le Arbei­ten hin, die sich mit den Behand­lungs­mög­lich­kei­ten beschäf­ti­gen. Neben der klas­si­schen Thera­pie mit Anti­my­ko­ti­ka wird immer wieder auch das Cross­lin­king der Horn­haut als Behand­lungs­op­ti­on propa­giert. Wei et al. aus Shang­hai, China, stel­len dazu Ergeb­nis­se einer größe­ren Serie in „Grae­fes Arch Clin Exp Ophthal­mol“ vor. In dieser prospek­ti­ven Studie wurden Pati­en­ten rando­mi­siert einer topi­schen Anti­my­ko­ti­ka-Thera­pie zuge­führt oder in Kombi­na­ti­on zusätz­lich mit Cross­lin­king behan­delt. Die Kolle­gen berich­ten, dass die adju­vant mit Cross­lin­king behan­del­ten Pati­en­ten rascher abheil­ten, das Ausmaß der Horn­haut­ver­nar­bung gerin­ger war und die Zeit bis zur Besei­ti­gung der Pilz­hy­phen (unter­sucht durch konfo­ka­le Mikro­sko­pie) sich eben­falls verrin­ger­te. Mit diesen klini­schen Beob­ach­tun­gen werden frühe­re expe­ri­men­tel­le Arbei­ten bestä­tigt, die einen gerin­ge­ren Keratitis-„Score“ für Fusa­ri­en- und Candi­da-Kera­tit­i­den nach Cross­lin­king fest­ge­stellt hatten (hier nicht aufge­führt). Als vorsich­ti­ges Resü­mee kann gefol­gert werden, dass die adju­van­te! Behand­lung mit Cross­lin­king bei konser­va­tiv nicht beherrsch­ba­ren Infek­tio­nen hilf­reich sein kann. Dies könnte auch erwei­tert auf Pati­en­ten mit V.a. Malcom­pli­an­ce und/oder Anti­bio­ti­ka­re­sis­tenz zutref­fend sein.

Bekann­ter Nach­teil etablier­ter Anti­my­ko­ti­ka (zum Beispiel Ampho­te­ri­cin B) ist ihre begrenz­te Gewe­be­pe­ne­tra­ti­on. Daher hat sich für die topi­sche Anwen­dung Vorico­na­zol als klei­ne­res Mole­kül für die Behand­lung der Candi­da-Kerato­my­ko­se als Primärthe­ra­pie etabliert. Bisher eher frag­lich ist der Einsatz von Vorico­na­zol bei Fusa­ri­en-Infek­tio­nen. In der Septem­ber-Ausga­be von „Ophthal­mo­lo­gy“ stel­len Nara­ya­na S et al. die Ergeb­nis­se einer prospek­ti­ven Unter­su­chung zur Thera­pie bei Faden­pil­zen vor. Über 150 Pati­en­ten erhiel­ten eine topi­sche Nata­my­cin-Behand­lung und wurden anschlie­ßend rando­mi­siert zusätz­lich mit intrastroma­len Injek­tio­nen von Vorico­na­zol behan­delt. In der Auswer­tung nach 3–12 Wochen konnte kein posi­ti­ver Behand­lungs­ef­fekt durch die zusätz­li­che Vorico­na­zol-Injek­ti­on fest­ge­stellt werden. Damit erscheint es nicht sinn­voll, diese zusätz­li­che Behand­lung bei der Fusa­ri­en­ker­ato­my­ko­se einzuleiten.

Zu guter Letzt noch ein Blick auf eine weite­re Proble­m­in­fek­ti­on der Kornea. Im Okto­ber-Heft von „Cornea“ berich­ten Talbot et al. über die Wirkung von Vorico­na­zol auf diesen Para­si­ten. Fokus ihrer Unter­su­chung war die Frage, inwie­weit eine Syner­gie von Vorico­na­zol mit etablier­ten Wirk­stof­fen zur Akant­ha­mo­eben-Behand­lung einzu­schät­zen ist. Die Ex-vivo-Unter­su­chun­gen bele­gen, dass Chlor­he­xi­din und Propa­mi­din effek­tiv Zysten von Akan­tamö­ben zerstö­ren. Die Kombi­na­ti­on beider Wirk­stof­fe wies aller­dings keinen signi­fi­kan­ten syner­gis­ti­schen Effekt auf. Inter­es­san­ter­wei­se war auch die zusätz­li­che Gabe von Vorico­na­zol nicht hilf­reich. Ganz im Gegen­teil: Sowohl bei Chlor­he­xi­din als auch Propa­mi­din erwies sich die Kombi­na­ti­on mit der Substanz als „kontra­pro­duk­tiv“ und hat die Wirkung beider Wirk­stof­fe eher antago­ni­siert. Klini­sche Konse­quenz: Besteht der selte­ne V.a. eine Koin­fek­ti­on gleich­zei­tig mit Akan­tamö­ben und Pilzen muss bedacht werden, dass Vorico­na­zol das Behand­lungs­er­geb­nis bezüg­lich der Akan­tamö­ben sogar gefähr­den kann.

 Wir wollen unsere Voraus­schau aber mit einem posi­ti­ven Ausblick beschlie­ßen. Seit gerau­mer Zeit schon prüfen Kolle­gen der Univer­si­tät Inns­bruck die Wirkung von N‑Chlortaurin auf unter­schied­lichs­te Erre­ger. Es handelt sich bei der Substanz um einen Abkömm­ling der Amino­säu­re Taurin. Sie gehört zu den „Chlor­ami­nen“, die physio­lo­gi­scher­wei­se von Leuko­zy­ten zum Abtö­ten von Krank­heits­er­re­gern gebil­det werden. Im August­heft von „Cornea“ können Teuch­ner et al. in Ex-vivo-Unter­su­chun­gen bele­gen, dass die Substanz sowohl für Candi­da Spp. als auch für Akan­tamö­ben eine signi­fi­kan­te Reduk­ti­on der Erre­ger bewirkt. Dies sind erste, hoff­nungs­vol­le Ergeb­nis­se in Rich­tung einer topi­schen Anwen­dung der Substanz, zumal die Autoren gleich­zei­tig eine gute Pene­tra­ti­on in das Horn­haut­ge­we­be zeigen können.

Mit diesem kurzen Über­blick wünschen wir Ihnen allen eine ange­neh­me, lehr­rei­che Lektü­re und hoffen, Sie auch künf­tig gegen Über­ra­schun­gen zu wappnen.

Ihr Prof. Uwe Pleyer

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