„Ein Leben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat“…

 

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Zuge­ge­ben: So ganz zeit­ge­mäß klingt dieser Einstieg zu Beginn des neuen Jahres nicht … Sie kennen es vermut­lich: Dieses Zitat war Thema des Abitur­auf­sat­zes von Rudolf Virchow. Vor weni­gen Mona­ten hatten wir dessen 200. Geburts­tag began­gen. Es lässt sich treff­lich speku­lie­ren, wie er als gesund­heits­po­li­tisch akti­ver Patho­lo­ge auf die aktu­ell andau­ern­de Infek­ti­ons­la­ge reagiert hätte. Sicher­lich mehr Begeis­te­rung hätte der Begrün­der der Zellu­lar­pa­tho­lo­ge aber vermut­lich ange­sichts der aktu­el­len nicht­in­va­si­ven Bild­ge­bung gezeigt, können wir doch heute mit der Opti­schen Kohä­renz­to­mo­gra­phie (OCT) nahezu histo­lo­gi­sche Befun­de am Auge darstellen.

Sehr geehr­te, liebe Kolle­gin­nen und Kollegen,

wir begrü­ßen sie ganz herz­lich zur ersten Ausga­be von Kompakt Ophthal­mo­lo­gie 2022!  Wir stei­gen gleich im Sinne Virchows ein und blei­ben zunächst auch bei der OCT. In dieser Ausga­be von Kompakt haben wir aktu­el­le OCT-basier­te Studi­en „heraus­ge­pickt“ und fokus­sie­ren unser Inter­es­se auf die Makula. Das zysto­ide Maku­la­ö­dem (CME) bleibt als Kompli­ka­ti­on unter­schied­lichs­ter reti­na­ler Erkran­kun­gen gefürch­tet und ist oft mit schwe­ren Sehstö­run­gen verbun­den. Häufigs­te Ursa­chen sind diabe­ti­sche Reti­no­pa­thie oder reti­na­ler Gefäßverschluss.

Inzwi­schen wurde die OCT-Tech­no­lo­gie weiter­ent­wi­ckelt und erlaubt auch eine nicht­in­va­si­ve Angio­gra­phie (OCT‑A) mit diffe­ren­zier­ter Darstel­lung der mikro­vasku­lä­ren Struk­tu­ren von Makula und Sehner­ven­kopf. Da die Farb­stoff­in­jek­ti­on entfällt, ist der orga­ni­sa­to­ri­sche Aufwand gering, und damit wird die OCT‑A mehr und mehr zum Stan­dard auch in der augen­ärzt­li­chen Praxis. Zusätz­lich inter­es­sant dabei: Der ober­fläch­li­che und der tiefe Kapil­lar­ple­xus können getrennt beur­teilt werden.

Spricht die leit­li­ni­en­kon­for­me Behand­lung des diabe­ti­schen Maku­la­ö­dems mit anti-VEGF-Injek­tio­nen nicht an, kommen Stero­id­im­plan­ta­te infra­ge. Welchen Einfluss intra­vit­rea­le Stero­ide bei diabe­ti­schem Maku­la­ö­dem besit­zen, haben Kolle­gen aus Istan­bul unter­sucht. Ozcalıs­kan und Mitar­bei­ter konn­ten mittels OCT‑A fest­stel­len, das sich die Perfu­si­on verbes­sert und die Ausdeh­nung der fovea­len, avasku­lä­ren Zone nach Dexa­me­tha­son­ein­ga­be (Ozurdex) verrin­gert. Bereits nach 1 Monat und im weite­ren Verlauf nach 2 und 4 Mona­ten konnte eine signi­fi­kan­te Verrin­ge­rung der avasku­lä­ren Zone sowohl im ober­fläch­li­chen wie auch im tiefe­ren choro­ida­len Plexus fest­ge­stellt werden. Gleich­zei­tig stel­len die Unter­su­cher heraus, dass unter dieser Thera­pie keine nega­ti­ven Effek­te auf die Perfu­si­on des Sehner­ven beob­ach­tet wurden.

Mit einer ähnli­chen Ziel­set­zung und Metho­dik haben Kader­li und Mitar­bei­ter Pati­en­ten mit CME nach Venen­ast­ver­schluss unter­sucht. Hier stand der Effekt einer Dexa­me­tha­son-Injek­ti­on auf die mikro­vasku­lä­ren Para­me­ter der Papil­le im Fokus. Da uner­wünsch­te Wirkun­gen durch Dexa­me­tha­son durch intrao­ku­la­re Druck­stei­ge­rung auf die Perfu­si­on zu befürch­ten sind, wurde hier die peri­pa­pil­lä­re Perfu­si­on unter­sucht. Die OCT‑A wies aller­dings 2 und 4 Monate nach Injek­ti­on keine Abnah­me der mikro­vasku­lä­ren Gesamt- und peri­pa­pil­lä­ren Durch­blu­tung bei Pati­en­ten mit venö­sem Verschluss im Vergleich zu gesun­den Proban­den auf. Ebenso wie bei der voran­ge­gan­ge­nen Publi­ka­ti­on wurden keine signi­fi­kan­ten Verän­de­run­gen der mikro­vasku­lä­ren Para­me­ter am Sehner­ven­kopf beob­ach­tet. Einschrän­kend muss darauf hinge­wie­sen werden, dass hier­bei nur Pati­en­ten ohne intrao­ku­la­re Druck­stei­ge­rung einge­schlos­sen wurden. ‎ Beide Studi­en konsta­tie­ren ein gerin­ges Risiko für uner­wünsch­ter Perfu­si­ons­ef­fek­te im Bereich des Sehner­ven nach Dexamethason-Injektion.‎

Die OCT‑A eignet sich offen­sicht­lich auch für die Früh­erken­nung und Risi­ko­ein­schät­zung einer choro­ida­len Neovasku­la­ri­sa­ti­ons­mem­bran (CNV) bei hoch­myopen Pati­en­ten. Eine japa­ni­sche Arbeits­grup­pe (Uematsu S et al.) konnte zeigen, dass sich damit Größe und Ausdeh­nung der Perfu­si­ons­stö­rung fest­stel­len und ein Chorio­ka­pil­la­ris-Fluss­de­fi­zit ermit­teln lassen. Über einen mitt­le­ren Zeit­ver­lauf von 2 Jahren konn­ten die japa­ni­schen Kolle­gen Indi­ka­to­ren für die Akti­vi­tät der CNV defi­nie­ren und frühe Progres­si­ons­mar­ker fest­le­gen. Ihren Unter­su­chun­gen zufol­ge korre­liert die Größe des Fluss-Signals in der Membran hoch­si­gni­fi­kant mit der Akti­vi­tät der CNV. Auch wenn die Zahl der Pati­en­ten in dieser Studie über­schau­bar war, gehen die Autoren davon aus, dass durch die OCT‑A eine aktive CNV zuver­läs­sig diagnos­ti­ziert und durch die Perfu­si­ons­pa­ra­me­ter ggf. eine früh­zei­ti­ge Behand­lungs­in­di­ka­ti­on abge­lei­tet werden kann.

Ergän­zend und passend zu diesen Arbei­ten sind die Ergeb­nis­se aus Südko­rea von Kim und Kolle­gen. Ein wich­ti­ges, wenn auch nicht ganz über­ra­schen­des Ergeb­nis stel­len sie in „Retina“ vor. Die Forschen­den bele­gen mittels OCT‑A, das bei diabe­ti­scher Reti­no­pa­thie Störun­gen der „ellip­so­iden Zone“ von der Größe der fovea­len avasku­lä­ren Zone abhän­gig sind. Dies betrifft vor allem den tiefen choro­ida­len Plexus, der bei allen unter­such­ten Augen hoch­si­gni­fi­kant mit Verän­de­run­gen der inne­ren äuße­ren Segmen­te der Photo­re­zep­to­ren korre­liert war.

Die OCT‑A lässt sich auch für Perfu­si­ons­un­ter­su­chun­gen im vorde­ren Augen­seg­men­tes, z. B. an der Iris heran­zie­hen. Hier sei auf eine inter­es­san­te Beob­ach­tung chine­si­scher Kolle­gen hinge­wie­sen. Bei unter­schied­li­chen ischä­mi­schen Netz­haut­er­kran­kun­gen wurde die Mikro­zir­ku­la­ti­on in den Iris­ge­fä­ße unter­sucht. Dabei stellt sich heraus, dass Iris­ge­fä­ße offen­sicht­lich sensi­ti­ver auf die Ischä­mie reagie­ren als reti­na­le Gefäße. Dies könnte sich nach Meinung der Autoren v. a. bei venö­sen Gefäß­ver­schlüs­sen als klinisch wert­vol­ler Prädik­tor erwei­sen. Sie schla­gen daher eine engma­schi­ge Kontrol­le der Iris­ge­fä­ße vor, um das Moni­to­ring der Pati­en­ten entspre­chend zu planen und ggf. eine früh­zei­ti­ge Laser­ko­agu­la­ti­on zu veran­las­sen. Als Grund für die sensi­ble­re Reak­ti­on führen die Autoren die anato­mi­sche Gefäß­an­bin­dung der Iris an. Während die Iris nur von den langen poste­rio­ren Ziliar-Arte­ri­en versorgt wird, besteht für die Retina eine besse­re Kompen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten, da die Perfu­si­on durch die Zentral­arte­rie und zusätz­li­che Zili­ar­ge­fä­ße erfolgt.

Eine frühe Risi­ko­ab­wä­gung ist zwei­fel­los auch für Pati­en­ten mit diabe­ti­schem Maku­la­ö­dem von klini­scher Bedeu­tung. In Hinblick auf eine indi­vi­du­el­le, perso­na­li­sier­te Medi­zin sind dazu immer wieder lokale und syste­mi­sche Para­me­ter bei Diabe­ti­kern heran­ge­zo­gen worden. Da Entzün­dungs­me­dia­to­ren eine wich­ti­ge Rolle für das Auftre­ten und die Progres­si­on eines diabe­ti­schen Maku­la­ö­dems zuge­spro­chen werden, sind bereits eine Reihe sero­lo­gi­scher Biomar­ker (Serum CRP und Tumor Nekro­se Faktor-alpha Spie­gel) heran­ge­zo­gen worden. In einer prospek­ti­ven Unter­su­chung stel­len Elbey­li et al. einen Immun-Inflamma­ti­ons-Index vor, der sich in einer prospek­ti­ven Studie offen­sicht­lich als geeig­ne­ter Prädik­tor erwies. Dieser Index errech­net sich aus der Throm­bo­zy­ten­zahl multi­pli­ziert mit dem Verhält­nis von Neutro­phi­len zu Lympho­zy­ten. Die Autoren gehen davon aus, dass das Risiko für ein DMÖ kalku­liert werden kann und damit das Moni­to­ring der betrof­fe­nen Pati­en­ten verbes­sert wird. Die Forschen­den speku­lie­ren weiter, dass dieser Biomar­ker auch als prognos­ti­sche Marker dienen könnte sowie als Entschei­dungs­hil­fe z. B. für die Thera­pie mit intra­vit­rea­len Stero­iden. Ob sich dieser komple­xe Labor­be­fund jedoch durch­set­zen wird, bleibt abzu­war­ten, hängt dies doch davon ab, inwie­weit eine gute konse­quen­te, labor­tech­ni­sche Unter­su­chung bei den Diabe­ti­kern erfolgt.

Abschlie­ßend möchte ich noch auf eine Publi­ka­ti­on zur Thera­pie des Maku­la­ö­dems bei Uvei­tis hinwei­sen. Die Behand­lung ist häufig schwie­rig, da über­wie­gend jünge­re Pati­en­ten betrof­fen sind und zudem meist beid­sei­ti­ge, chro­ni­sche Verläu­fe vorlie­gen. Intrao­ku­la­re Stero­id­in­jek­tio­nen werden eher als Zweit­li­ni­en­the­ra­pie ange­se­hen und syste­mi­sche Immun­sup­pres­si­va bevor­zugt. Hier kommt inzwi­schen primär Adali­mum­ab in Betracht. In einer breit ange­leg­ten Unter­su­chung haben fran­zö­si­sche Kolle­gen bei mehr als 200 Pati­en­ten retro­spek­tiv das Anspre­chen des Maku­la­ö­dems auf einen TNF-Blocker (Infli­xi­mab oder Adali­mum­ab) oder den Interleukin‑6 Blocker Toci­li­zumab über 6 Monate verglei­chend unter­sucht. In der Dezem­ber­aus­ga­be von „Ophthal­mo­lo­gy“ 2021 werden Ergeb­nis­se vorge­stellt, die frühe­re Einzel­be­ob­ach­tun­gen bestä­ti­gen. Sie zeigen, dass Toci­li­zumab für den komplet­ten Rück­gang des Maku­la­ö­dems effek­ti­ver wirkt. Dies spie­gelt sich auch in den funk­tio­nel­len Ergeb­nis­sen wider. Gleich­zei­tig müssen die Autoren aller­dings einräu­men, dass auch unter Toci­li­zumab eine erheb­li­che Zahl von Pati­en­ten weiter­hin reti­na­le Rest­flüs­sig­keit aufwies. Auch eine deut­li­che Rate an uner­wünsch­ten Effek­ten wurde beob­ach­tet. Dies lässt erwar­ten, dass eine Umstel­lung auf diese (off-label) Behand­lung eine Einzel­fall­ent­schei­dung blei­ben wird.

Sie haben es bereits erkannt – und ganz im Sinne von Virchows Aufsatz­the­mas: Ein gewis­ses Maß an Arbeit und Mühe wird uns auch 2022 beglei­ten. Neue Tech­ni­ken und Thera­pien geben uns Augen­ärz­ten aller­dings immer besse­re Möglich­kei­ten zuguns­ten unse­rer Pati­en­ten zu handeln – wenn das keine Wohl­tat ist …?

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen posi­ti­ven, hoff­nungs­vol­len Jahresbeginn.

Ihr

Uwe Pleyer und das Team von „Kompakt Ophthalmologie“

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