危机: Ein chinesisches Wort mit zwei Inhalten
Das chinesische Wort 危机 für „Krise“ besteht aus 2 Zeichen, von denen eines „Gefahr“ und das andere „Chance“ bedeutet. Was könnte aktuell treffender sein …? Chancen und Möglichkeiten müssen immer wieder neu evaluiert werden. Einen konkreten Beitrag dazu könnte sie leisten, die seit Jahren von vielen Seiten gefordert und inzwischen auch durch nationale Gesundheitsprogramme gefördert wird: Die Rede ist von der Telemedizin! Hochgepriesen v.a. in diesen Zeiten! Aber: Was ist machbar? Was ist umsetzbar? Welche Erfahrungen wurden bisher gesammelt und welche Entwicklungen lassen sich absehen?
Kurze Standortbestimmung: Wo steht die Augenheilkunde? Dazu sei vorweg auf eine Studie hingewiesen, die eine eher ernüchternde Bilanz zieht. Aguwa et al. von der renommierten amerikanischen John-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) verglichen 7 verschiedene chirurgische Fachbereiche und die Nutzung der Telemedizin. Die Umsetzung telemedizinischer Angebote gelang vor allem in der Gynäkologie und Neurochirurgie. Deutlich abgeschlagen bildet die Ophthalmologie das Schlusslicht. Interessiert an weiteren Details? Eine Kurzzusammenfassung können Sie bei uns nachlesen.
Ein deutlich positives Fazit ziehen dagegen 2 Arbeitsgruppen, die ihre Erfahrungen mit der Telemedizin aus der ersten Phase der Pandemie zusammenfassen. Beide stammen aus Ländern in Europa, die besonders stark getroffen waren. Bourdon et al. aus Paris (Frankreich) berichten in ihrer prospektiv angelegten Studie über 500 konsekutive „Notfall-Telekonsultationen“. Bei 3 von 4 Patienten konnten akute Kontakte vermieden und in eine geplante Visite überführt werden. Häufigste Gründe für die verbliebenen Akutpatienten waren Hornhautfremdkörper und neuro-ophthalmologische Notfälle. Mit einer Sensitivität von 96% und einer Spezifität von 95% wurde die Notfallsituation korrekt erkannt. Bei 1,0% lag eine Fehldiagnose vor, die zu einer verzögerten Versorgung führte.
Ähnliche Erfahrungen erreichen uns aus dem Moorfields Hospital in London (Großbritannien). Kilduff et al. resümieren, dass Videokonsultationen während des „Lockdowns“ einen unerwartet hohen Nutzen zeigten. Die Zahl der direkten Patientenkontakte konnte erheblich verringert werden. Auch hier verblieb lediglich 1/4 der Patienten als ophthalmologisch dringlich behandlungsbedürftig. Typisch für das britische Gesundheitswesen – viele Patienten wurden auch an andere Kollegen, z.B. Allgemeinmediziner abgegeben. Interessante Details: Die durchschnittliche telemedizinische Konsultationsdauer betrug 12 Minuten (5–31 Minuten), die Wartezeit 6 Minuten (Bereich 0–37 Minuten). Es wird eine hohe Patientenzufriedenheit berichtet.
Zu den unaufschiebbaren Notfällen, die ggf. auch einer chirurgischen Intervention bedürfen, zählt das Glaukom. Die Frage, inwiefern postoperative Kontrollen telemedizinisch verfolgt werden können, stellten sich Kalra et al. In einer Pilotstudie beurteilten sie die Befunde des Filterkissens nach Trabekulektomie. Da der Verlauf überwiegend durch das Smartphone dokumentiert wird, stellte sich zunächst die Frage wie gut dies gelingt. Dazu wurden 2 weitverbreitete Smartphone Modelle herangezogen. Die Autoren folgern, dass sowohl die integrierte Kamera-App der aktuellen Generation als auch das ältere iPhone 6- über Kameraoptiken verfügt, die zu qualitativ sehr hochwertigen Bildern der Augenoberfläche führen. Diese erlauben die Bewertung auch kritischer klinischer Kriterien wie Vaskularisation und Mikrozysten des Sickerkissens. Betont wird von den Autoren die Beleuchtungssituation bei der Aufnahme.
Ebenfalls gut geeignet für eine telemedizinische Verlaufskontrolle sind Patienten nach okuloplastischen Eingriffen. Zu diesem Ergebnis kommen Sink et al. in einer prospektivv angelegten Studie. Beim Vergleich klinischer „In Office“-Untersuchung und durch Smartphone erhobener Befunde ergibt sich eine sehr hohe Übereinstimmung in Bewertung und Diagnose. Als eine wichtige Voraussetzungen wird von den Autoren ein vorab erfolgtes Training des Patienten, oder besser noch einer Begleitperson für eine standardisierte Foto- Dokumentation herausgestellt.
Wie weit verbreitet die Telemedizin unter okuloplastisch tätigen Kollegen ist, belegt eine international durchgeführte Umfrage. Assayag et al. führten eine internationale Erhebung (ohne deutsche Beteiligung) unter 70 okuloplastisch tätigen Kollegen durch. Ergebnis: 67% der befragten Kollegen setzen inzwischen telemedizinische Konsultationen in ihrem Patientenmanagement ein. Welchen Einfluss die Pandemie dabei ausübte, zeigt sich daran, dass entsprechende Angebote nur bei 13% zuvor bestanden. Erwähnenswert erscheint zudem, dass nicht nur die Infektionsproblematik als Grund angeführt wird, um telemedizinische Sprechstunden einzurichten. Auch veränderte Regularien zum Beispiel der Kostenerstattung haben sich in vielen Ländern während der Krise geändert.
Fazit:
Zugegeben, die vorgestellten aktuellen Arbeiten bieten einen nur verkürzten Einblick in die Möglichkeiten der Telemedizin. Sie sind im Wesentlichen auf die aktuelle Situation bezogen.
Wichtige Aspekte z.B. des Tele-Monitorings bei chronischen Augenerkrankungen wie Diabetischer Retinopathie, Glaukom u.a. wurden ausgespart. Sie sind neugierig geworden? Bereits 2018 hat die AAO ein sehr lesenswertes Statement zur Telemedizin in der Ophthalmologie verfasst.
Viele Voraussetzungen bezüglich validierter Befunderhebungen, Datensicherheit, haftungsrechtliche Aspekte, Kostenerstattung stellen heute noch Bedenken und Hindernisse dar. Aber kommen wir auf 机 zurück. Es kann erwartet werden, dass sich die Corona-Krise als Katalysator für die Telemedizin und E‑Health-Branche erweist. Wir werden es im Auge behalten und ggf. bei anderer Gelegenheit in Kompakt Ophthalmologie wieder berichten.
Herzlichst
Ihr Uwe Pleyer und das gesamte Team von „Ophthalmologie Kompakt“