Blick auf und unter die Augenoberfläche

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

der Früh­ling ist in vollem Gang und die Ober­flä­che der Welt verän­dert sich vor unse­ren Augen in schnel­lem Tempo. Die Natur erwacht, es wird grün und die Früh­lings­blu­men erfreu­en uns nach dem langen, grauen Winter. Wir merken wie wich­tig und posi­tiv diese Eindrü­cke für uns und unser Wohl­be­fin­den sind. Neue Kraft und Moti­va­ti­on erwacht. Genau­so wich­tig wie diese Verän­de­run­gen der Welt für uns ist die Ober­flä­che des Auges von entschei­den­der Bedeu­tung für die Funk­ti­on und die Empfin­dung. Daher möch­ten wir uns in diesem Edito­ri­al einmal neuen Publi­ka­tio­nen über die Konjunk­ti­va widmen, welche als ober­fläch­lichs­te anato­mi­sche Struk­tur des Auges doch häufig nicht mit der Aufmerk­sam­keit betrach­tet wird, die ihr eigent­lich zuste­hen sollte. Wir wollen die Ober­flä­che also mit mehr als der Ober­fläch­lich­keit betrach­ten, welche sich heute in so vielen Gebie­ten unse­res Alltags immer weiter ausbreitet.

Jeder Mensch, der täglich mit Sympto­men des trocke­nen Auges belas­tet ist, weiß wie sehr dies die Seh- und Lebens­qua­li­tät einschrän­ken kann. Singh et al. aus Erlan­gen beschäf­ti­gen sich in einer kürz­lich in „Ocular Surface“ erschie­nen Publi­ka­ti­on mit der Bedeu­tung des Harn­stof­fes im Tränen­film (Synthe­sis, secre­ti­on and its role in tear film home­o­sta­sis. Ocul Surf 2023;27:41–47). Harn­stoff – Urea –, welcher nicht mit Harn­säu­re verwech­selt werden sollte, ist das Diamid der Kohlen­säu­re. Als orga­ni­sche Verbin­dung spielt er eine wich­ti­ge Rolle in vielen biolo­gi­schen Prozes­sen, wie z.B. dem Stoff­wech­sel von Prote­inen. Bei Säuge­tie­ren wird er bekann­ter­ma­ßen über den Urin und auch in gerin­gem Umfang über den Schweiß ausge­schie­den. Harn­stoff wurde u.a. auch im Kammer­was­ser und im Glas­kör­per entdeckt. Hier­bei scheint es sich aber um ein Filtrat aus den Blut­ge­fä­ßen zu handeln. Auch in der Tränen­flüs­sig­keit wird Harn­stoff gefun­den und hat hier eine Bedeu­tung für die Homöosta­se. Der Nach­weis von Trans­por­tern und Harn­stoff synthe­ti­sie­ren­den Enzy­men in der Tränen­drü­se, den Meibom­drü­sen, der Binde­haut und der Horn­haut lassen auf eine direk­te Harn­stoff­pro­duk­ti­on für den Tränen­film schlie­ßen. Die Trans­por­ter sind UT‑A und UT‑B sowie das Enzym Argi­na­se I und II bzw. die Agma­ti­na­se, die auf der Ober­flä­che des Auges loka­li­siert sind. Der Harn­stoff­spie­gel im Tränen­film wird aber auch durch den Blut-Harn­stoff­spie­gel bestimmt, und es gibt eine direk­te Korre­la­ti­on zwischen ihren Spie­geln. Harn­stoff schützt die Augen­ober­flä­che vor osmo­ti­schem Stress und scheint zusätz­lich eine Rolle für die Stabi­li­tät des Tränen­films zu spie­len. Beim evopo­ra­ti­ven Sicca-Syndrom finden sich redu­zier­te Harn­stoff­wer­te im Tränen­film. Wir sehen hier am Beispiel des Harn­stof­fes, wie komplex das Zusam­men­spiel unter­schied­li­cher Syste­me auch im Bereich der Augen­ober­flä­che ist.

Auch auf dem Gebiet der Blut­zir­ku­la­ti­on der Binde­haut lassen sich inter­es­san­te Rück­schlüs­se auf die Durch­blu­tung unse­res Gesamt­or­ga­nis­mus ziehen. Asiedu et al. aus Sydney (Austra­li­en) befas­sen sich in einem inter­es­san­ten Review mit der Mikro­zir­ku­la­ti­on der Konjunk­ti­va und deren Korre­la­ti­on zu unter­schied­li­chen okulä­ren und syste­mi­schen Krank­heits­bil­dern (Clin Exp Optom 2023:1–9). Für die Unter­su­chung der Mikro­zir­ku­la­ti­on stehen heute unter­schied­li­che Syste­me zur Verfü­gung. Neben der Spalt­lam­pen-Biomi­kro­sko­pie exis­tie­ren mit der Laser-Dopp­ler-Flow­me­trie, der OCT-Angio­gra­phie, der pola­ri­sie­ren­den Spek­tral-Bild­ge­bung, der Compu­ter-assis­tier­ten Intra­vi­tral-Mikro­sko­pie und der konfo­ka­len Mikro­sko­pie unter­schied­li­che Möglich­kei­ten zur Analy­se. Zahl­rei­che Studi­en konn­ten Zusam­men­hän­ge zwischen der konjunk­ti­va­len Mikro­zir­ku­la­ti­on u.a. mit dem trocke­nen Auge, Alzhei­mer, Diabe­tes und Hyper­ten­si­on sowie Koro­na­rer Herz­krank­heit herstel­len. Die Ober­flä­che des Auges ermög­licht uns also Einbli­cke in die Beur­tei­lung unter­schied­li­cher, rele­van­ter Krankheitsbilder.

Bei der Recher­che bzgl. aktu­el­ler Publi­ka­ti­on zur Binde­haut findet sich auch eine Arbeit aus China, welche mit unse­rem Welt­bild nicht mehr einfach zu verein­ba­ren ist. Li ZZ et al. haben ein Tier­mo­dell für das trocke­ne Auge am Beagle entwi­ckelt. In unse­rem moder­nen, euro­päi­schen Main­stream-Bewusst­sein werden Tier­ver­su­che sicher­lich immer mehr ausge­klam­mert. In Deutsch­land wurden aber in 2021 mehr als 2,5 Mio. Tiere bei Versu­chen einge­setzt. Den meis­ten Menschen sind solche Zahlen wohl eher nicht vorstell­bar. Auch in diesem Kontext ist der Blick in die Tiefe unter die Ober­flä­che wich­tig, um sich ein umfas­sen­des Bild der Situa­ti­on der Forschung zu verschaffen.

Die Kolle­gen aus China haben ein Tier­mo­dell entwi­ckelt, welches ein stabi­les, länger­fris­ti­ges System etabliert, um das Sicca-Syndrom zu unter­su­chen. Dafür wurde an Hunden durch einsei­ti­ge Entfer­nung der Tränen­drü­se und des 3. Lids ein trocke­nes Auge erzeugt. Man führte Schir­mer-Test, Unter­su­chung der Tränen­film­auf­riss­zeit und Fluo­res­ce­in-Anfärb­bar­keit durch. Als Labor­pa­ra­me­ter wurden Inter­leu­kin und Tumor-Nekro­se-Faktor im Tränen­film und der Konjunk­ti­va ermit­telt. Nach 6 Mona­ten nahm man außer­dem histo­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen der Binde­haut und der Horn­haut vor. Die Zeichen des trocke­nen Auges im Bereich der ober­fläch­li­chen Unter­su­chun­gen sowie die rele­van­ten Labor­pa­ra­me­ter blie­ben in diesem Tier­mo­dell über 6 Monate stabil. Die histo­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen zeig­ten u.a. Neovasku­la­ri­sa­tio­nen der Horn­haut, ein verdick­tes Stroma und desor­ga­ni­sier­te Kolla­gen­fa­sern. Im Bereich der Binde­haut wurden desor­ga­ni­sier­te Becher­zel­len als Zeichen des trocke­nen Auges beob­ach­tet. Für das immer weiter zuneh­men­de Krank­heits­bild des Sicca-Syndroms kann ein solches Tier­mo­dell vorher­sag­ba­re Kondi­tio­nen für wegwei­sen­de Studi­en ermöglichen.

In unse­rem klini­schen Alltag spie­len Entzün­dun­gen der Binde­haut eine wich­ti­ge Rolle. Für eine opti­ma­le Thera­pie ist dabei die Erkennt­nis über poten­zi­el­le Erre­ger von entschei­den­der Bedeu­tung. In den meis­ten Fällen wird die Thera­pie jedoch ohne Erre­ger­nach­weis einge­lei­tet. Umso wich­ti­ger erscheint es, über die Viel­falt der mögli­chen Bakte­ri­en auf der Augen­ober­flä­che und die mögli­chen Ergeb­nis­se unter­schied­li­cher Unter­su­chungs­me­tho­den infor­miert zu sein. Chen et al. publi­zier­ten dazu kürz­lich eine Arbeit, bei der an 158 Pati­en­ten sowohl Test-Strei­fen als auch Tupfer-Abstri­che zur Analy­se der Erre­ger im Tränen­film benutzt wurden.

Die Gruppe wurde in Diabe­ti­ker und Nicht­dia­be­ti­ker unter­teilt. Inter­es­san­ter­wei­se zeigt sich in der diabe­ti­schen Gruppe zwischen den Ergeb­nis­sen des Test-Strei­fens und dem Tupfer­ab­strich keine signi­fi­kan­ten Unter­schie­de, wohin­ge­gen sich in der Gruppe ohne Diabe­tes signi­fi­kan­te Unter­schie­de erga­ben. Auch zeig­ten sich zwischen den beiden Grup­pen beim Einsatz von Test-Strei­fen signi­fi­kan­te Unter­schie­de im Ergeb­nis, jedoch nicht für die Resul­ta­te bei der Tupfer-Metho­de. Die Studie ergab in der Zusam­men­fas­sung, dass unter­schied­li­che Metho­den in den beiden Grup­pen zu signi­fi­kan­ten Unter­schie­den bezüg­lich der mikro­biel­len Ergeb­nis­se führen können. Somit zeigt sich, dass es im Zwei­fels­fall notwen­dig sein kann, unter­schied­li­che Metho­den für den Erre­ger­nach­weis anzuwenden.

In diesem klei­nen Ausflug in neuere Forschungs­er­geb­nis­se im Bereich der Binde­haut zeigt es sich wieder einmal mehr, wie die Forschung auf unse­rem Fach­ge­biet immer viel­schich­ti­ger wird. An uns ist es daher, uns immer weiter fort­zu­bil­den und nicht nur die Ober­flä­che unse­rer wunder­ba­ren Augen­heil­kun­de im Blick zu haben.

Ich wünsche Ihnen allen ein wunder­ba­res Oster­fest und einen sonni­gen Frühling.

Ihr Detlef Holland

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