Neue Norma­li­tät“?

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Der umstrit­te­ne Begriff wurde zwar schon lange vor der aktu­el­len Pande­mie geprägt, bleibt aber zunächst synonym für unsere aktu­el­le Situation.

Will­kom­men zu einer neuen Ausga­be von Ophthal­mo­lo­gie kompakt!

Neue Norma­li­tät“ und aktu­el­le Versor­gungs­si­tua­ti­on in COVID Zeiten? In diesem Zusam­men­hang ist eine Beob­ach­tung aus dem welt­weit größ­ten Augen­zen­trum inter­es­sant. Die Versor­gungs­da­ten des Moor­fiel­ds Hospi­tals in London (Groß­bri­tan­ni­en)  zeigen im Vergleich zum „Regel­be­trieb“ eine Halbie­rung des Pati­en­ten­auf­kom­mens in der Notfall­ver­sor­gung. Inter­es­sant auch die Beob­ach­tung, dass sich die Gründe und Krank­heits­bil­der für eine notfall­mä­ßi­ge Konsul­ta­ti­on in diesen Klini­ken verscho­ben haben. Verän­de­run­gen des hinte­ren Augen­ab­schnit­tes, die eher mit funk­tio­nel­len Störun­gen einher­ge­hen (z.B. akute Glas­kör­per­ab­he­bung, Abla­tio reti­nae) waren vor dem „Lock­down“ die häufigs­ten Diagno­sen für akute Vorstel­lun­gen. In den Folge­mo­na­ten über­wo­gen dage­gen Diagno­sen, die zwar sympto­ma­tisch, z.B. durch Schmerz­emp­fin­dung geprägt waren. Neben der ante­rio­ren Uvei­tis waren dies vorwie­gend Erkran­kun­gen des vorde­ren Augen­ab­schnit­tes wie Horn­hau­t­ero­sio­nen, Blepha­ri­tis und Chala­zi­en. Ob diese Situa­ti­on 1:1 auf die hiesi­gen Verhält­nis­se über­tra­gen werden kann, ist schwer zu beur­tei­len. Die Proble­ma­tik verschlepp­ter Arzt­kon­tak­te, die zu fort­ge­schrit­te­nen Befun­den neigt, ist aller­dings allen Ortes zu beob­ach­ten. Blei­ben wir also bei schwer­wie­gen­den Verän­de­run­gen des vorde­ren Augen­ab­schnit­tes und wenden uns eini­gen aktu­el­len Publi­ka­tio­nen zu.

Die akute ante­rio­re Uvei­tis war die häufigs­te Notfall­in­di­ka­ti­on im Moor­fiel­ds Hospi­tal während des „Lock­downs“. Bei diesem Krank­heits­bild gilt es ein weites Spek­trum infek­tiö­ser und nicht infek­tiö­ser Diffe­ren­zi­al­dia­gno­sen zu berück­sich­ti­gen. Hier darf ich auf eine deutsch­spra­chi­ge CME-Über­sicht in den „Klini­schen Monats­blät­tern für Augen­heil­kun­de” hinwei­sen. Hier wird darge­legt, wie unter Berück­sich­ti­gung morpho­lo­gisch-klini­scher Krite­ri­en die wich­ti­ge Unter­schei­dung zwischen infek­tiö­ser und nicht infek­tiö­ser Genese deut­lich einge­grenzt werden kann. Dies hat Konse­quen­zen für die Behand­lung unse­rer Pati­en­ten, da z.B. Pati­en­ten mit viral-asso­zi­ier­ter, ante­rio­rer Uvei­tis oft eine länger­fris­ti­ge (syste­mi­sche) anti­vi­ra­le Thera­pie benötigen.

Noch deut­lich proble­ma­ti­scher ist die Situa­ti­on bei intrao­ku­la­ren bakte­ri­el­len Infek­tio­nen! In der Septem­ber­aus­ga­be von „Cornea“ lenken Chris­toph al. (Ann Arbor, USA) den Blick auf Risi­ko­fak­to­ren, die von einer fort­ge­schrit­te­nen Kera­ti­tis in eine Endo­ph­thal­mi­tis über­gin­gen. Ihre Analy­se von mehr als 80 unter­such­ten Kera­ti­tis-Augen zeigt, dass ein initi­al stark redu­zier­ter Visus (<0,05), eine Kata­rakt­ex­trak­ti­on in der Vorge­schich­te und – wenig über­ra­schend – die Horn­haut­per­fo­ra­ti­on Befun­de sind, die auf eine intrao­ku­la­re Ausbrei­tung der Infek­ti­on hinwei­sen. Weite­re signi­fi­kan­te Indi­zi­en für diese Notfall­si­tua­ti­on erga­ben sich bei der Ultra­schall­un­ter­su­chung. Ader­haut­ver­di­ckung und Netz­haut­ab­lö­sung wurden als weite­re wich­ti­ge Indi­ka­to­ren für eine Endo­ph­thal­mi­tis benannt. Die Autoren resü­mie­ren, dass bei Vorlie­gen einer oder mehre­rer dieser Befun­de eine hohe Wahr­schein­lich­keit für eine Endo­ph­thal­mi­tis vorliegt. Es sind Notfall­maß­nah­men ange­zeigt und die funk­tio­nel­le Progno­se muss als sehr ungüns­tig einge­schätzt werden.

Ausgangs­punkt einer mikro­biel­len Kera­ti­tis sind oft persis­tie­ren­de Horn­hau­t­epi­thel­de­fek­te. Daher möchte ich sie auf eine inter­es­san­te Arbeit von Sinha und Mitar­bei­tern aus der Arbeits­grup­pe um Reza Dana (Boston, USA) hinwei­sen. Sie berich­ten im „Ameri­can Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ über Häufig­keit und Begleit­fak­to­ren, die zu Horn­haut­schä­di­gun­gen bei Pati­en­ten nach Knochen­mark­trans­plan­ta­ti­on (KMT) führen. Sie zählen zur Hoch­ri­si­ko­grup­pe für persis­tie­ren­de Epithel­de­fek­te, v.a. wenn sie eine chro­ni­sche GvHD entwi­ckeln. Die Indi­ka­ti­on zur KMT hat inzwi­schen eine deut­li­che Auswei­tung für unter­schied­lichs­te mali­gne und nicht mali­gne Erkran­kun­gen erfah­ren. In Deutsch­land werden pro Jahr ca. 3000 dieser Eingrif­fe durch­ge­führt. Bei 40–60% der Pati­en­ten tritt eine Reak­ti­on der Spen­derimmun­zel­len gegen den Empfän­ger als GvHD auf. Durch lympho­zy­tä­re Infil­tra­ti­on der Tränen­drü­se und Schä­di­gung von Becher­zel­len, Horn­haut- und Binde­hau­t­epi­the­li­en kommt es zu einem ausge­präg­ten trocke­nen Auge, das letzt­end­lich auch zu Epithel­de­fek­ten führen kann. Bei nahezu jedem 10. Pati­en­ten mit GvHD traten Epithel­de­fek­te auf, die länger als 2 Wochen persis­tier­ten und nur sehr zöger­lich (Median 4,5 Wochen) abheil­ten. Sie wurden typi­scher­wei­se erst im späten Verlauf, ca. 2 Jahren nach KMT beob­ach­tet. Als weite­re prädis­po­nie­ren­de Fakto­ren wurden an erster Stelle ein Diabe­tes melli­tus — hier verdop­pelt sich das Risiko — sowie fili­for­me Kera­ti­tis zu nennen. Inter­es­sant ist auch die Beob­ach­tung, dass viele Pati­en­ten lokale Stero­ide erhiel­ten, die aller­dings keinen (nega­ti­ven) Einfluss für das Auftre­ten bzw. den Verlauf des Epithel­de­fek­tes nahmen. Da am Ende der Behand­lung eine deut­li­che Visus­min­de­rung (2 Zeilen) verblieb, ist der zuneh­men­den Zahl von Pati­en­ten mit GvHD beson­de­re Aufmerk­sam­keit zu widmen.

Blei­ben wir beim Thema „Diabe­tes und Horn­haut“. Kolle­gen aus Dres­den (Ramm et al.) fokus­sie­ren seit eini­ger Zeit auf klini­sche Zusam­men­hän­ge. Sie berich­ten in der August-Ausga­be von „Cornea“ über Verän­de­run­gen der opti­schen Kornea­dich­te bei Diabe­ti­kern. Im Vergleich zur gesun­den Kontroll­grup­pe waren bei Diabe­ti­kern die Dich­te­mes­sun­gen in allen Schich­ten signi­fi­kant redu­ziert. Gleich­zei­tig bestand eine nega­ti­ve Korre­la­ti­on mit Hb1C-Werten und beglei­ten­den reti­na­len Verän­de­run­gen. Zwar sind aktu­ell keine direk­ten Konse­quen­zen erkenn­bar, gleich­zei­tig werden aber die meta­bo­li­schen Störun­gen auch im Bereich der Horn­haut erkennbar.

Gerade bei Diabe­ti­kern treten oft auch Wund­hei­lungs­stö­run­gen der Horn­haut auf. Für die Behand­lung von lange persis­tie­ren­den Epithel­de­fek­ten hat sich die Amni­onmem­bran­trans­plan­ta­ti­on bewährt. Kolle­gen aus Müns­ter legen eben­falls in der August-Ausga­be von „Cornea“ ihre Erfah­run­gen bei nicht infek­tiö­sen Horn­hau­tul­ze­ra vor. Als tech­ni­schen Aspekt heben sie dabei die fort­lau­fen­de Naht mit resor­bier­ba­rem Mate­ri­al hervor, die für die ohne­hin gestör­te Augen­ober­flä­che weni­ger trau­ma­tisch ist. Die Arbeit ist zwar auf 23 Pati­en­ten begrenzt, aber gut doku­men­tiert. Sie zeigt, dass sich bei OCT-Messun­gen die zentra­le Horn­haut­di­cke hoch­si­gni­fi­kant redu­ziert und bei den meis­ten Pati­en­ten weite­re Maßnah­men, z.B. eine Kera­to­plas­tik vermie­den werden konnte.

Der Stel­len­wert der Amni­onmem­bran bei Horn­hau­tul­zera­tio­nen ist unbe­strit­ten. Kontro­ver­ser wird die Behand­lung von mittels Cross­lin­king bewer­tet. Das Verfah­ren hat sich als Behand­lungs­stan­dard für den Kera­to­ko­nus und Horn­hau­tek­ta­si­en etabliert. Seit eini­ger Zeit wird die Anwen­dung auch für die infek­tiö­se Kera­ti­tis disku­tiert. In einem Coch­ra­ne Report haben Davis et al. (Cheyenne, USA) die bisher vorlie­gen­den rando­mi­sier­ten kontrol­lier­ten Studi­en bei bakte­ri­el­ler Kera­ti­tis kritisch analy­siert. Als Endpunk­te wähl­ten die Autoren eine komplet­te Abhei­lung des Defek­tes inner­halb von 4–8 Wochen. Als weite­re sekun­dä­re Endpunk­te wurden Visus, klini­scher Befund und Kompli­ka­tio­nen der Behand­lung einbe­zo­gen. In ihrer sehr kriti­schen Bewer­tung kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die bisher vorlie­gen­den Studi­en nur eine unzu­rei­chen­de Evidenz für einen Behand­lungs­ef­fekt aufwei­sen. Weiter führen sie aus, dass ein „Bias“ in den bishe­ri­gen Studi­en nahezu unver­meid­bar gewe­sen sei; auch die funk­tio­nel­len Resul­ta­te wurden als eher enttäu­schend (Visus<0,1) ange­se­hen. Hoff­nung sehen die Autoren in den bisher noch offe­nen prospek­ti­ven Studi­en deren Ergeb­nis­se noch abzu­war­ten seien.

Fazit aus all diesen aktu­el­len Arbei­ten: Gerade in Zeiten „neuer Norma­li­tät“ ist es wich­tig für akute Situa­tio­nen gewapp­net zu sein. Wir werden sie auch weiter­hin mit aktu­el­len Infor­ma­tio­nen und Hinwei­sen beglei­ten.  Wir wünschen Ihnen eine lehr­rei­che Lektüre.

Herz­lichst

Ihr Uwe Pleyer und das gesam­te Team von „Ophthal­mo­lo­gie Kompakt“

Aus rechtlichen Gründen (Heilmittelwerbegesetz) dürfen wir die Informationen nur an Fachkreise weitergeben.