„Einmal Herpes – immer Herpes“, und was können Klimawandel, Resistenzentwicklung und SARS-CoV-2-Impfungen damit zu tun haben?
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
Welchen Einfluss der Klimawandel auf Augenerkrankungen nimmt, ist in all seinen Konsequenzen noch nicht absehbar. Fakt ist, dass durch eine deutlich veränderte Ozonschicht mehr UV-Licht die Erdoberfläche erreicht. Dies belegen Messungen der NASA, die seit den 1970er-Jahren eine Zunahme des schädigenden Anteils der UV-B-Strahlung (280–315 nm) belegen. Das Auge ist eines von zwei Organen, die von dieser Sonneneinstrahlung unmittelbar betroffen ist. Es kann erwartet werden, dass vor allem photo-oxidative Schädigungen auftreten werden. Entsprechend können vermehrt Neoplasien an Lid- und Bindehaut unter anderem als Keratoakanthom, Pterygium, Bindehautmalignome erwartet werden, aber auch Hornhauterkrankungen könnten die Folge sein. So ist die Bedeutung des kurzwelligen UV-B-Lichts für die Induktion der Herpes-simplex-Virus(HSV)-Keratitis experimentell gut belegt. „Einmal Herpes – immer Herpes“, so die eingängige Prämisse. Bislang ließ sich die Reaktivierung der Herpesinfektionen am Auge durch eine systemische Sekundärprophylaxe mit Aciclovir meist verhindern. Immer häufiger versagt dieser Ansatz allerdings, und es keimt der Verdacht, dass ein Wirkverlust eingetreten ist. Französische Kollegen berichten davon im „American Journal of Ophthalmology“ und können dies durch molekularbiologische Untersuchungen belegen. Beim Gros der Patienten dieser Multicenter-Studie lagen mehr als 10 HSV-Keratitis-Rezidive vor. Konkret konnte die Resistenzentwicklung auf eine Mutation der HSV-1-Thymidinkinase, dem wesentlichen Wirkansatz von Aciclovir, zurückgeführt werden. Als Resümee der Arbeit lässt sich ableiten, dass bei Patienten, die trotz adäquater Therapie Rezidive der HSV-Keratitis erleiden, der Verdacht auf eine Resistenz geäußert werden sollte. (Anmerkung: Aus eigener Erfahrung ist dann die Umstellung auf Ganciclovir die praktische Konsequenz).
Als Risikofaktoren für die Resistenzbildung nehmen die Kollegen neben einem geschwächten Immunsystem auch die Langzeitanwendung von Aciclovir an. Da bei Patienten mit schweren, rezidivierenden Herpesverläufen der Nutzen der Sekundärprophylaxe mit Aciclovir gut belegt ist, steuern wir damit auf ein Dilemma zu. Dies wird sich vermutlich besonders für immungeschwächte Patienten ergeben.
Immunsuppression ist auch das entscheidende Stichwort für Patienten, die eine bilaterale HSV-Keratitis erleiden. Zugegeben, diese Konstellation ist so ungewöhnlich, dass die Diagnose erst einmal angezweifelt und damit auch verzögert wird. Sie kann jedoch bereits neonatal bei Säuglingen mit (zellulärem) Immundefekt und erworbener Herpes-Infektion im Geburtskanal auftreten und zu schwersten Hornhautschäden führen. Um den Blick auf weitere Risikogruppen zu schärfen, sei an dieser Stelle auf die Lektüre des Übersichtsartikels von Chaloulis SK et al. in „Tropical Medicine and Infectious Disease“ verwiesen. Hier werden unter anderem als weitere vulnerable Gruppe Patienten mit Graft-Versus-Host Disease (GvHD) und Patienten unter Behandlung mit Rituximab genannt.
Wir bleiben bei der schwer verlaufenden HSV-Keratitis.
Die neurotrophe Wirkung der Herpes-Viren ist gut etabliert. Gleichzeitig disponiert die Hyposensibilität zur neurotrophen Keratopathie (NK). Bisher liegen statt verlässlicher Angaben nur vage Vermutungen zur Inzidenz und Prävalenz dieser problematischen Erkrankung vor. Um diese Lücke zu schließen, haben M. Roth und Mitarbeiter aus Düsseldorf eine retrospektive Analyse im eigenen Krankengut vorgenommen. HSV-Infektionen der Hornhaut standen als Ätiologie der NK klar im Vordergrund. Dies konnte erwartet werden – überraschend war allerdings eine eher geringe Inzidenz der NK mit 30–50/100.000/ Jahr. Neben der HSV-Infektion wurden als weitere Ursachen vor allem neuroparalytische Krankheitsbilder und eine diabetische Stoffwechsellage herausgestellt. Die Autoren räumen ein, dass exakte Angaben zur Epidemiologie der NK weiterhin schwierig zu erheben sind. Dies führen sie darauf zurück, dass die Diagnose nur selten gestellt wird und die klinische Präsentation erheblich variieren kann. Frühe Stadien der NK werden oft mit einem „Trockenen Auge“ verwechselt. Als wichtiger Hinweis, so die Autoren, kann berücksichtigt werden, dass 95% der NK-Patienten unilateral betroffen sind. Ein hochsignifikanter Unterschied gegenüber der Sicca-Problematik. Die Behandlungsmöglichkeiten der NK haben sich erfreulicherweise deutlich erweitert. Neben Serum-Augentropfen und Amnion-Membran-Transplantation ist topisch applizierter „Nerve Growth Factor“ (NGF, Cenegermin) ein rationaler Therapieansatz (und über die Auslandsapotheke weiterhin verfügbar). In der aktuellen Ausgabe von „Ophthalmology“ konnten Saricay et al. aus der Arbeitsgruppe um den Kölner Hamrah (jetzt Boston) diese gute Wirkung eindrücklich zeigen. Interessant, dass bereits im 1. Stadium der NK durch NGF auch ein signifikanter Visusanstieg erreicht werden konnte.
Und natürlich werden in der fortbestehenden Pandemie und bei den aktuellen Impf-Anstrengungen auch Herpes-Infektionen besonders kritisch verfolgt. Shai Cohen und Kollegen aus Tel Aviv berichten über Reaktivierungen von Varizella-Zoster- und Herpes-simplex-Virus-Infektionen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Impfungen. Es konnte keine Assoziation zu einem bestimmten Impfstoff hergestellt werden. Interessanterweise traten die Reaktionen zwar überwiegend bereits bei der Erstimpfung auf – es konnten aber auch bei nachfolgenden „Boosterungen“ Augenbeteiligungen beobachtet werden. Erfreulicherweise waren alle Reaktivierungen gut beherrschbar und wurden als prognostisch günstig eingestuft.
Mit diesem positiven Ausblick wünsche ich allen eine interessante Lektüre.
Ihr Uwe Pleyer und das gesamte Team von „Kompakt Ophthalmologie“