COVID-19: Mit Wissenschaft und Fakten gegen Fake News
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
obwohl Prof. Pleyer im März schon in seinem hervorragenden Editorial das Thema Corona thematisiert hat, sehe ich aufgrund der aktuellen Situation noch einmal den Anlass gegeben, die Pandemie anzusprechen.
Warum liegt mir das Thema besonders am Herzen und warum finde ich, dass es gerade hier noch einmal erwähnt werden sollte? Die vergangenen Monate haben einmal mehr denn je gezeigt, wie wichtig Wissenschaft und Aufklärung in unserer multimedialen und globalisierten Welt sind. Leider verbreiten sich nicht nur Fakten auf der Welt in einer nie da gewesenen Geschwindigkeit, sondern auch Halbwissen und Fake News. Diese Entwicklung ist sehr kritisch zu betrachten, und uns Ärzten und Wissenschaftlern fällt eine immer wichtigere Funktion zu, bei der Informationsflut die „Spreu vom Weizen zu trennen“ und gegebenenfalls auch die relevanten Dinge an unser Umfeld und auch gegebenenfalls an unsere verunsicherten Patienten weiterzutragen. In vielen Bereichen hat sich die Medienlandschaft im Umgang mit dem Thema als überfordert erwiesen und durch verkaufsträchtige Schlagzeilen von den objektiven Fakten abgelenkt. Daraus resultieren häufig vollkommen verängstigte Patienten, die sicher jeder Leser des Kompakt Ophthalmologie in seiner eigenen Sprechstunde erlebt hat.
Spannend ist aber in dieser Zeit nicht nur der Blick auf die aktuelle Wissenschaft, sondern auch der Blick in die Vergangenheit. Unsere westliche Gesellschaft war unter anderem so unvorbereitet, da bei den meisten Menschen aufgrund des Wohlstandes und der guten medizinischen Versorgung das Wissen über die möglichen Gefahren durch Pandemien in Vergessenheit geraten ist. Nur die Älteren kennen noch die Gefahren durch zum Beispiel Masern oder Polio. Aber auch die Spanische Grippe, die China- oder Hong-Kong-Grippe waren aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Dass unsere Gesellschaft in dieser ausgeprägten Weise verletzlich ist, muss erst wieder neu erlernt werden. Auch wir Augenärzte haben Dinge vergessen, die früher normal waren. Denken wir nur an die durchsichtigen Schutzschilde an den Spaltlampen, welche früher häufig vormontiert waren, heute jedoch aus einem falschen Gefühl der Sicherheit heraus nicht mehr Standard sind. In Zukunft wird sicher jeder Hersteller diesen simplen Schutz für uns Augenärzte, die ja so stark infektiösen Aerosolen ausgesetzt sind, routinemäßig an den Untersuchungseinheiten installieren. Mit Albrecht von Gräfe verstarb auch einer unserer berühmtesten Vorväter an einer Infektionskrankheit, welche er sich mit großer Wahrscheinlichkeit beim engen Kontakt mit seinen Patienten zugezogen hatte. Schon im Alter von 42 Jahren erlag er einer Lungentuberkulose. Auch diese Erkrankung ist in Europa wieder auf dem Vormarsch, und Aufmerksamkeit ist geboten.
Diesem Missstand können wir nur durch Wissen und Aufklärung entgegenwirken, womit ich auch den Bogen zurück zu diesem Editorial schlagen möchte.
Eine kürzlich veröffentlichte Fallserie von COVID-19-Patienten aus einem Krankenhaus in der chinesischen Provinz Hubei hat verschiedene augenärztliche Symptome im Zusammenhang mit der Infektion aufgezeigt. Circa ein Drittel der Patienten zeigten Entzündungsreaktionen im Bereich der Augen. Auch konnte das Virus im Tränenfilm mit geringer Prävalenz nachgewiesen werden, wodurch eine Übertragung auf diesem Weg möglich sei. Bei 38 klinisch bestätigten COVID-19-Patienten (73,7% mit positivem RT-PCR Test aus dem Rachenabstrich) wurden bei 31 Prozent Augensymptome festgestellt. Diese zeigten sich als Konjunktivitis mit Hyperämie, Chemosis und Epiphora. Die Augensymptome korrelierten auch mit einer höheren Inzidenz von Entzündungsmarkern, wie höhere Werte für Leukocyten oder C‑reaktivem Protein. Außerdem war bei Patienten mit Augensymptomen der Nasen-Rachen-Abstrich in 92 Prozent der Fälle positiv. Augenärzte können mit diesem Wissen also auch zur Diagnoseklärung beitragen. Daraus folgend sollten Patienten mit Grippesymptomen und bilateraler Konjunktivitis in Zukunft sicher eine erhöhte Alarmbereitschaft in unseren Praxen auslösen. Trennung von anderen Patienten und Personal, Temperaturmessung und Untersuchung mit Mundschutz und Schutzbrille werden wohl ein neuer Standard in unserem Alltag werden.
Zum Glück gibt es aber noch mehr als Corona in unserer Welt, und bei den positiven Entwicklungen nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt sollten wir auch wieder einen Blick auf andere wissenschaftliche Themen der vergangenen Zeit richten, die wir im Kompakt Ophthalmologie vorgestellt haben.
Eine interessante Studie aus Bern um Kaya et al. berichtete im „Graefes Archive“ in einer Studie mit 324 behandlungsnaiven Patienten, dass eine VEGF-Therapie bei exsudativer AMD, welche mit Treat-and-Extend über 24 Monate behandelt wurde, vergleichbare funktionelle Ergebnisse erzielt – egal, ob die Patienten in einem Krankenhaus oder in einer Praxis behandelt wurden. Lediglich die Anzahl der Konsultationen war im Bereich der Praxen leicht erhöht. Diese Ergebnisse demonstrieren den hohen Standard der Versorgung in allen Bereichen der augenärztlichen Versorgung.
Im Bereich der vitreoretinalen Chirurgie kann die Bewertung von postoperativen Erfolgskriterien manchmal komplex sein. Eine Publikation aus Kyoto von Mieno et al. gibt hier für die Therapie der idiopathischen epiretinalen Membran interessante Hinweise. 42 Augen wurden in die Studie prospektiv eingeschlossen und der Verlauf nach chirurgischer Entfernung untersucht. Die Mehrzahl der Patienten zeigte eine deutliche Verbesserung des funktionellen Ergebnisses. Bei den Patienten ohne signifikanten Anstieg der bestkorrigierten Sehschärfe konnte aber eine Verbesserung des Lesevisus und der kritischen Printgröße festgestellt werden. Daraus sollte für den Alltag folgen, dass auch ein Augenmerk auf diese Dinge gelegt wird, um postoperative Erfolge besser herauszuarbeiten.
Im Bereich der Hornhaut möchte ich heute zwei Arbeiten hervorheben. Eine Arbeitsgruppe aus Manchester um Saliman et al. konnte erstmals eine lange bestehende Vermutung belegen, dass weiche Tagesslinsen tatsächlich Entzündungsreaktionen im Bereich der Augenoberfläche hervorrufen.
An 20 Probanden konnten erhöhte Cytokine im Tränenfilm sowie in der Impressions-Cytologie und konfokalen Mikroskopie Entzündungszeichen nachgewiesen werden.
Auf chirurgischem Gebiet zeigt eine Arbeit um Fernández-Vega-Cueto et al., dass die Femto-Lasik ein sicheres und präzise Verfahren zur Behandlung von Refraktionsfehlern nach DMEK darstellt. Es wurden sieben Patienten 18 bis 36 Monate nach DMEK erfolgreich behandelt womit sich zeigt, dass auch in diesem Bereich der Transplantatchirurgie Lasik erfolgreich in Kombination zum Nutzen von Patienten eingesetzt werden kann.
Abschließen möchte ich mit einem Beitrag über Deep Learning, da dieser Bereich in Zukunft die Medizin wie kein zweiter beeinflussen wird. Mitani et al, Software Entwickler von Google Health, konnten ein automatisiertes Anämie-Screening anhand von Fundusfotos entwickeln. Anhand von mehr als 11000 Studienteilnehmern konnte nachgewiesen werden, dass ein Programm in der Lage ist, nicht nur eine Anämie zu erkennen, sondern auch Rückschlüsse auf den Hämglobinwert an sich zu liefern. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, wie künstliche Intelligenz unseren Alltag in Zukunft positiv beeinflussen wird.
Es ist zu hoffen, dass Künstliche Intelligenz auch im Bereich der Epidemiologie und Virologie positive Entwicklungen mit sich bringen wird.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiter viel Freude bei der Lektüre von Kompakt Ophtalmologie.
Bleiben Sie gesund.
Ihr Detlef Holland