Augen­heil­kun­de in Kriegs­ge­bie­ten: Okulä­re Trau­ma­ta und wegbre­chen­de Versorgungsstrukturen

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Sehr geehr­te Lese­rin­nen und Leser des Kompakt Ophthalmologie,

vor zwei Jahren gab es um diese Zeit nur ein Thema: Die Pande­mie. Niemand hätte damals gedacht, dass Corona im Jahr 2022 immer noch unser Leben beein­flusst und Poli­tik und Medien in Deutsch­land anders als in ande­ren Nach­bar­län­dern noch einen großen Fokus auf dieses Thema legen.

Zu unser aller Sorge ist nun aber noch ein weite­res Problem entstan­den, welches unser Leben mögli­cher­wei­se noch viel weit­rei­chen­der verän­dern wird. Der Ukrai­ne-Konflikt beschäf­tigt zurzeit die ganze Welt und führt bereits nach einem Monat zu weit­rei­chen­den Verän­de­run­gen unse­res Alltags. Denken wir nur an die stei­gen­den Benzin­prei­se und die ersten Flücht­lin­ge, die in Deutsch­land eintref­fen. Unser Frie­den, unsere Frei­heit und Sicher­heit sowie unser Wohl­stand bekom­men auf einmal eine ganz andere Dimen­si­on. Gleich­zei­tig merken wir aber auch, wie wich­tig es ist, auf neue Situa­tio­nen rich­tig vorbe­rei­tet zu sein. Die ersten schwer­ver­letz­ten Pati­en­ten aus der Ukrai­ne werden bereits in deut­schen Klini­ken behan­delt und mögli­cher­wei­se könnte der Konflikt sich auch weiter auf Europa ausbrei­ten, was die Zahl von Verlet­zen erhö­hen könnte. Ich habe daher kürz­lich in PubMed recher­chiert und Arbei­ten zu Verlet­zun­gen der Augen in krie­ge­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen gesucht. So finden sich zwischen 1946 und 2022 insge­samt 146 Arbei­ten auf die Such­an­fra­ge „Ocular Trauma“ und „War“. 102 Publi­ka­tio­nen fallen dabei allei­ne auf die Zeit ab 2004 nach den Golf-Krie­gen, dem Irak- und Syrien-Konflikt sowie der krie­ge­ri­schen Ausein­an­der­set­zung in Afghanistan. 

Durch moder­ne Muni­ti­on, welche immer klei­ne­re Parti­kel versprengt, steigt die Anzahl von Augen­ver­let­zun­gen in den neue­ren Konflik­ten drama­tisch. Obwohl das Auge nur 0,27% der Körper­ober­flä­che ausmacht, ist es an 13% der Verlet­zun­gen in krie­ge­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen betei­ligt. Wich­tig ist es daher als Arzt und auch als Mensch, im Kriegs­ge­biet auf die Notfall­ver­sor­gung mit Augen­ver­let­zun­gen vorbe­rei­tet zu sein. Eine kurze Zusam­men­fas­sung findet sich aktu­ell auf der Home­page der Ameri­can Acade­my of Ophthal­mo­lo­gy (AAO). Dort sind auch gute Links zu Opera­ti­ons­kur­sen bzgl. pene­trie­ren­der Verlet­zun­gen und die Versor­gung von Fremd­kör­pern zu finden. Im Fall einer akuten Verlet­zung sollte kein Druck auf das Auge ausge­übt werden, auch nicht durch einen Verband. Die Abde­ckung sollte dementspre­chend druck­frei an den Orbi­tak­no­chen befes­tigt werden. Fremd­kör­per sollen nicht außer­halb des Opera­ti­ons­saals entfernt werden. Auch ist es wich­tig, keine durch­blu­tungs­för­dern­den Schmerz­mit­tel wie Aspi­rin oder auch NSAID einzu­neh­men, da diese die Einblu­tun­gen in das Auge verstär­ken können.

In den Publi­ka­tio­nen wird vorwie­gend über perfo­rie­ren­de Verlet­zun­gen berich­tet. Die neurooph­thal­mo­lo­gi­schen Folgen von Explo­si­ons­trau­ma­ta sind aber auch ein Thema, welches in unse­rem Fach­ge­biet von Bedeu­tung ist. Bei einer Explo­si­on entsteht durch eine chemi­sche, nuklea­re oder mecha­ni­sche Reak­ti­on ein plötz­li­che Frei­set­zung von Ener­gie (Cernak I. Blast Inju­ries and Blast-Indu­ced Neuro­t­rau­ma: Over­view of Patho­phy­sio­lo­gy and Expe­ri­men­tal Know­ledge Models and Findings. In: Kobeis­sy FH, editor. Brain Neuro­t­rau­ma: Mole­cu­lar, Neuro­psy­cho­lo­gi­cal, and Reha­bi­li­ta­ti­on Aspects. Boca Raton (FL): CRC Press/Taylor & Fran­cis; 2015. Chap­ter 45. PMID: 26269895). Dadurch wird wieder­um zeit­gleich ein deut­li­cher Luft­druck­an­stieg über den atmo­sphä­ri­schen Druck erzeugt. Es entsteht eine Druck­wel­le, die die umge­ben­de Luft kompri­miert und sich radial ausbrei­tet. Anschlie­ßend kommt es zu einem Unter­druck und einer folgen­den Norma­li­sie­rung des Luft­dru­ckes. Entschei­dend für die auftre­ten­den Verlet­zungs­fol­gen sind unter ande­rem der Abstand zur Explo­si­on, aber auch die Umge­bung, in welcher die Explo­si­on statt­fin­det. So können z.B. Druck­wel­len an Wänden reflek­tiert werden, und so die Wirkung der Druck­wel­le auf den Körper verstär­ken. Neben der direk­ten Druck­wir­kung wirken weite­re unter­schied­li­che Fakto­ren auf den mensch­li­chen Körper ein. Dies sind herum­flie­gen­de Teile, welche den Körper pene­trie­ren, die plötz­li­che Beschleu­ni­gung und folgen­de Abbrem­sung des Menschen, explo­si­ons­be­ding­te Hitze­s­chä­di­gun­gen sowie Folge­schä­di­gun­gen durch explo­si­ons­be­ding­te Verun­rei­ni­gun­gen mit z.B. Bakte­ri­en oder Metall. Da der mensch­li­che Körper aus unter­schied­li­chen Gewe­ben wie z.B. musku­lä­ren Weich­tei­len, Knochen oder der luft­ge­füll­ten Lunge besteht, hat eine Explo­si­on folg­lich auch unter­schied­li­che Auswir­kun­gen auf diese Körper­tei­le. Beim Hirn­trau­ma spielt so z.B. zum einen die direk­te Beschleu­ni­gung des Kopfes und Torsi­on sowie ein mögli­cher Aufschlag eine Rolle, zum ande­ren führt aber die Kompres­si­on von Abdo­men und Thorax zu einer Über­tra­gung der Schock­wel­le über das kompri­mier­te Blut zum Gehirn.

Mit dem direk­ten Augen­trau­ma und hier vorwie­gend mit der perfo­rie­ren­den Verlet­zung beschäf­ti­gen sich zahl­rei­che Veröf­fent­li­chun­gen. In einer kürz­lich erschie­ne­nen Publi­ka­ti­on aus Indien wurden 559 Augen mit Kriegs­ver­let­zun­gen retro­spek­tiv analy­siert. 93% von ihnen wurden durch herum­flie­gen­de Muni­ti­ons­split­ter verur­sacht. Die Mehr­zahl (66,36%) waren offene Bulbus­ver­let­zun­gen, gefolgt von Kontu­sio­nen (31,19%) und Verlet­zun­gen der okulä­ren Adnexe (8,45%). Bei den offe­nen Verlet­zun­gen waren die perfo­rie­ren­den Verlet­zung in der Mehr­zahl, bei den geschlos­se­nen der Horn­haut­fremd­kör­per. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass insbe­son­de­re durch das konse­quen­te Tragen von spezi­el­len Schutz­bril­len dem Erhalt der Augen­ge­sund­heit gedient wäre.

Eine ältere Arbeit, welche die perfo­rie­ren­den Verlet­zun­gen von ameri­ka­ni­schen Solda­ten während der Opera­ti­on „Iraqi Free­dom“ analy­sier­te, kam zu dem glei­chen Schluss und machte eben­falls auf das konse­quen­te Tragen von Schutz­bril­len während Kampf­hand­lun­gen aufmerk­sam. Die Autoren zeig­ten auf, dass die Mehr­zahl der Augen mit einer massiv redu­zier­ten Sehschär­fe enden und zahl­rei­che Augen auch enukle­iert werden müssen. Beson­ders der Eintritt von Fremd­kör­pern in der hinte­ren Bulbus­hälf­te war mit einem schlech­ten Ausgang verbun­den. Erstaun­li­cher­wei­se wurde in der Studie, welche 65 Augen einschloss, kein Fall einer Endo­ph­thal­mi­tis beob­ach­tet. Auch eine sympa­thi­sche Ophthal­mie wurde in der Kohor­te nicht gesehen.

Die augen­ärzt­li­che Normal­ver­sor­gung in der Ukrai­ne ist durch die kämp­fe­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen bereits nahezu zusam­men­ge­bro­chen. In einem Bericht der AAO, der online einseh­bar ist, berich­ten drei Augen­ärz­te aus der Ukrai­ne über ihre Erfah­run­gen nach vier Wochen im Krieg. Beson­ders in Kiew, Char­kiw und Mariu­pol ist die Augen­heil­kun­de voll­kom­men zum Erlie­gen gekom­men. 50% der Versor­gung erfolgt in der Ukrai­ne norma­ler­wei­se in priva­ten Augen­kli­ni­ken, welche ihren Dienst alle einge­stellt haben. Nicht nur die Arbeit in den Klini­ken, auch die Anrei­se zur Behand­lung ist aufgrund der Angrif­fe zu gefähr­lich gewor­den. Die Kolle­gen versu­chen teil­wei­se die Versor­gungs­lü­cken mit Tele­me­di­zin zu schlie­ßen, was natür­lich nur einen klei­nen Anteil der Versor­gung auffan­gen kann. Oftmals führen aber auch geschlos­se­ne Apothe­ken und fehlen­de Medi­ka­men­te auch trotz der durch­ge­führ­ten Konsul­ta­tio­nen zu Versor­gungs­lü­cken. Daher ist die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne mit Medi­ka­men­ten auch von großer Bedeu­tung. Die Kolle­gen berich­ten über eine hohe Zahl von Augen­ver­let­zun­gen, welche jedoch nicht versorgt werden können, da die Kran­ken­häu­ser über­las­tet sind, Perso­nal fehlt und es auch keine eigent­li­chen Mili­tär­kran­ken­häu­ser mit augen­ärzt­li­chen Abtei­lun­gen gibt. Dr. Huzii hat auch ein ande­res wich­ti­ges Problem aufge­zeigt. Zurzeit ist eine regu­lä­re Arbeit für unsere augen­ärzt­li­chen Kolle­gen weder in ihrem Mutter­land noch in Europa nach einer Flucht möglich, da die Diplo­me für Nicht-EU-Bürgern keine Aner­ken­nung finden und zusätz­lich bei den meis­ten noch eine Sprach­bar­rie­re besteht. Dies bestä­tig­te sich mir persön­lich auch in einem kürz­lich geführ­ten Gespräch mit einer Kolle­gin, die zurzeit versucht, aus der Ukrai­ne in ein siche­res Nach­bar­land auszu­rei­sen. Es wird in der nächs­ten Zeit also sehr wich­tig sein, die Kolle­gen vor Ort zu unter­stüt­zen und auch gege­be­nen­falls geflüch­te­ten Ärzten hier vor Ort Unter­stüt­zung bei der Einglie­de­rung in das Berufs­le­ben zu geben. Ich möchte daher auch an dieser Stelle auf den Spen­den­auf­ruf der DOG hinwei­sen. Hier finden Sie Infor­ma­tio­nen über drin­gend benö­tig­te Sach­spen­den und auch über Spendenkonten.

Nach diesen drama­ti­schen Gedan­ken zur aktu­el­len Lage in der Ukrai­ne und augen­ärzt­li­chen Verlet­zun­gen in krie­ge­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen möchte ich Sie aber noch kurz auf einige span­nen­de Arti­kel aus Kompakt Ophthal­mo­lo­gie hinwei­sen. Eine Gruppe um Sharon aus Israel konn­ten an einer Kohor­te von 207 Pati­en­ten mit Vorbe­hand­lung durch Alpha-Antago­nis­ten zeigen, dass eine präope­ra­ti­ve Vorbe­hand­lung mit Atro­pin oder NSAID das Auftre­ten des Floppy-Iris-Syndroms deut­lich verhin­dern konnte.

Forschen­de aus Ankara weisen in einer Studie, die im „Jour­nal of Glau­koma“ veröf­fent­licht wurde, erneut darauf hin, dass es sich beim Pseu­do­ex­fo­li­ta­ti­ons­glau­kom um eine Erkran­kung mit gene­ra­li­sier­ten Neben­wir­kun­gen handelt. Die Forscher konn­ten in einer prospek­ti­ven Studie zeigen, dass Geruchs­sinn von Pati­en­ten mit Pseu­do­ex­fo­li­a­ti­ons­glau­kom im Vergleich zu norma­len Proban­den und Pati­en­ten mit Pseu­do­ex­fo­li­a­ti­on vermin­dert war. Dabei wurde die Empfind­lich­keit mithil­fe eines Snif­fin-Stick-Geruchs­test, die Geruchs­schwel­len­wer­te sowie die Geruchs­iden­ti­fi­ka­ti­on und ‑diffe­ren­zie­rung ermittelt.

Abschlie­ßen möchte ich das Edito­ri­al mit einem Verweis auf eine Arbeit zum Thema COVID-19 und Uvei­tis. Kolle­gen aus Chen­nai berich­te­ten kürz­lich im „Indian Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ über Pati­en­ten mit Uvei­tis nach einer Corona Infek­ti­on. Es wurden 21 Augen von 13 Pati­en­ten einge­schlos­sen. Die Mehr­zahl wies eine ante­rio­re Uvei­tis auf, welche bei 8 Pati­en­ten bila­te­ral war. Drei Pati­en­ten zeig­ten eine inter­me­diä­re und ein Pati­ent eine poste­rio­re Uvei­tis auf. Bei zwei Pati­en­ten lag eine Panu­vei­tis vor. Erfreu­li­cher­wei­se zeigte die Mehr­heit der Pati­en­ten eine gute Abhei­lung bei schnell einge­lei­te­ter anti­in­flamma­to­ri­scher Thera­pie. Ledig­lich ein Pati­ent musste aufgrund einer sekun­dä­ren Amotio behan­delt werden. Andere Autoren berich­ten auch, dass nach einer COVID-19 Impfung eben­falls eine Uvei­tis auftre­ten kann. Es zeigt sich hier einmal mehr, wie wich­tig gege­be­nen­falls inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit und ein ausge­präg­tes Wissen über neuar­ti­ge Erkran­kun­gen von großer Bedeu­tung für eine wirkungs­vol­le Thera­pie unse­rer Pati­en­ten ist.

Wir blei­ben also trotz der schwie­ri­gen Zeiten opti­mis­tisch und versu­chen, mit einem immer aktua­li­sier­ten Wissens­stand in allen Situa­tio­nen bestens zur Seite zu stehen.

Blei­ben Sie gesund.

Ihr Detlef Holland

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