Aktuelles zur Katarakt-Operation: Vom erfreulichem Zusatznutzen, unerwarteten Komplikationen und neuen Behandlungsoptionen …
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
Stürze sind eine der häufigsten Todes- und Verletzungsursachen bei älteren Menschen, und der lange Weg zur Genesung kann zu sozialer Isolation und Depression führen. Daher ist es mehr als erfreulich, dass die Kataraktentfernung nicht nur einen Gewinn für die Lebensqualität bringt, sondern auch das Sturzrisiko um mehr als 30% verringern kann. Bislang wurde dies bereits nach der Operation des ersten Auges bekannt – offen blieb, ob es einen weiteren Nutzen nach Kataraktextraktion am zweiten Auge gibt. Aktuelle Daten aus Australien zeigen nun, dass dies der Fall ist und bezogen auf das Unfallrisiko ein zusätzlicher, signifikanter „Benefit“ erreicht wird. Wird das berücksichtigt, so folgern die Autoren der Studie, verstärkt sich damit auch der „Termindruck“ für den Eingriff am zweiten Auge. Beim Blick auf ihre eigene Warteliste sind die Untersucher unzufrieden. In ihrer Kohorte lag das Intervall zwischen erster und zweiter Kataraktoperation bei durchschnittlich 265 Tagen (119–493 Tagen) und war damit deutlich länger als in Deutschland. Auch auf einen weiteren Aspekt weisen die Kollegen aus „Down Under“ hin: Personen, die einen Sturz erlitten hatten, sollten neben allgemeinen medizinischen Risiken, z.B. orthostatischen Problemen, auch bezüglich ihrer Sehfunktion ärztlich geprüft werden.
Auf einen weiteren unschätzbaren Zusatznutzen der Kataraktoperation hatte unser Kollege Holland an dieser Stelle bereits hingewiesen. Durch die verbesserte visuelle Vigilanz wird auch der Demenz entgegengewirkt. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht liefert weitere überzeugende Argumente dafür, dass die Kataraktentfernung das Risiko der Demenz- und Alzheimer Erkrankung deutlich verringert. Diese Studie begleitete 24 Jahre lang mehr als 3000 ältere Erwachsene, bei denen Glaukom oder Katarakt diagnostiziert wurden. Bei denjenigen, die sich einer Kataraktoperation unterzogen (nicht aber nach Glaukom-Eingriffen), war die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, um fast 30% geringer als in der Kontrollpopulation, auch unter Berücksichtigung des Bildungsniveaus, der ethnischen Zugehörigkeit, der Krankengeschichte und des Zugangs zur Gesundheitsversorgung. Das Resümee der Autoren: Offensichtlich ermöglicht die verbesserte Sehfunktion den älteren Menschen, ihren visuellen Sinn bewusster einzusetzen und sich stärker auf ihre Umgebung einzulassen.
Dass die Kataraktoperation allerdings auch weiterhin eine Herausforderung für bestimmte Patientengruppen darstellt, zeigt eine kürzlich im „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology” vorgestellte Untersuchung. Im Fokus standen Patienten mit Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD). Die GvHD tritt als immunologische Reaktion bei etwa jedem zweiten bis dritten Patienten nach Knochenmark-Transplantation auf und führt bekanntermaßen zu schweren Schäden der Augenoberfläche. Gleichzeitig entwickelt sich bereits im jüngeren Lebensalter eine Katarakt. In einer multizentrischen Studie aus Berlin, Köln und weiteren deutschen Kliniken wurden mehr als 1000 Patienten augenärztlich erfasst, darunter der postoperative Verlauf von 104 Kataraktaugen. Es konnte erwartet werden, dass die oft ausgeprägte Sicca-Problematik den postoperativen Verlauf negativ beeinflusst. Allerdings war die Intensität der postoperativen Problematik auch für die Experten überraschend. 40% der Patienten entwickelten eine deutliche Zunahme der Keratokonjunktivitis (Kriterium: Oxford-Staining). Auch fünf Monate nach dem Eingriff war gegenüber dem Ausgangsbefund noch eine deutliche Oberflächenschädigung erkennbar. Wie schwerwiegend diese waren, zeigt sich daran das bei fünf Augen eine Hornhautperforation (!) eintrat. Dies ist insofern noch bemerkenswerter, da alle Patienten in spezialisierten Zentren behandelt und intensiv perioperativ begleitet wurden. Aus diesen Ergebnissen resümieren die Autoren, dass die GvHD ein erhebliches Risiko für die Kataraktextraktion bedeutet und wohl oft unterschätzt wird. Da die Lebensqualität dieser Personen ohnehin durch weitere Organbeteiligungen der GvHD beeinträchtigt ist, sollte umsichtig agiert werden. Daher wird empfohlen bereits präoperativ eine antiinflammatorische Lokaltherapie zu beginnen, die neben Steroiden und Cyclosporin im Einzelfall auch durch autologe Serum AT erweitert werden kann.
Für die postoperative Nachsorge und Behandlung der Kataraktpatienten gelten topische Steroide ohnehin als „Goldstandard“. Allerdings wird die Therapieadhärenz durch die häufige Tropfapplikation und die bekannten unerwünschten Steroidwirkungen oft eingeschränkt. Daher können Bemühungen begrüßt werden, neue anwendungsfreundliche Formulierungen zu prüfen. Dazu stellen Valvecchia et al. aus Argentinien eine „head-to-head“-Studie vor. Postoperativ erhielten Kataraktpatienten entweder 2‑mal/d Difluprednat 0,05% (eine Steroid-Nanoemulsion), oder 4‑mal/d Prednisolon Acetat 1%. In der randomisiert kontrollierten Studie wurden nach 28 Tagen die primären Endpunkte Hornhautdicke, antiinflammatorischer Effekt und zentrale Makuladicke in beiden Behandlungsgruppen als gleichwertig befunden. Bereits in früheren Untersuchungen hatte sich die hier vorgestellte Nanoemulsion als sehr gut verträglich erwiesen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass das Risiko der intraokularen Drucksteigerung bei beiden Prüfsubstanzen bleibt. Eine Sekundärkomplikation, die für einen weiteren bewährten Wirkstoff, nicht zutrifft. Cyclosporin hat sich für die längerfristige antientzündliche Behandlung der Augenoberfläche (u.a. bei GvHD) seit Jahren bewährt. Problematisch kann im Einzelfall die Verträglichkeit der unterschiedlichen Präparationen sein. Unter anderem unter diesem Aspekt haben Peng et al. aus Guangzhou (China) eine Hydrogel Formulierung von Cyclosporin (0,05 %) untersucht. Aufgrund sehr guter okulärer Bioverfügbarkeit konnte das Präparat (ebenso wie kationisches CsA 0,1%) auf eine Adhärenz freundliche, 1‑malige Gabe reduziert werden. Der Studienendpunkt, eine signifikant verminderte Oberflächen-Anfärbbarkeit (Oxford-Staining) nach 28 Tagen, wurde erreicht. Gleichzeitig konnte bereits nach 14 Tagen ein signifikant verbesserter Schirmer-Test belegt werden. Als unerwünschte Wirkung wurden von ca. 7% der Behandelten okuläre Irritation und Schmerzen berichtet – ein Ergebnis das mit Erfahrungen bisheriger Cyclosporin Produkte übereinstimmt. Bisher ist nicht bekannt, ob/wann diese Präparation verfügbar sein wird. Es sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, warum nicht auch andere anti-entzündliche Wirkstoffe mehr Beachtung finden…?
Als besonders problematisch und visusrelevant wird das postoperative Makulaödem nach Kataraktchirurgie (Irvin-Gass-Syndrom) gesehen. In der Literatur wird eine Inzidenz von 0,1–2,35 % nach Phakoemulsifikation angegeben. Aktuell gibt es keinen einheitlichen Therapiestandard. Es existieren jedoch diverse Behandlungsoptionen, die auch intravitreale Steroideingaben einschließen. Interessant dazu die aktuelle Mitteilung von Chronopoulos et al. In einer retrospektiven Studie werden die Langzeitergebnisse mit dem 0, 19 mg Fluocinolonacetonid-Implantat vorgestellt. Damit gelang es – bei zuvor therapierefraktärem Verlauf – eine deutliche Visusbesserung durch eine signifikant verminderte mittlere CRT (von >520 auf <320 µm) zu erreichen. Das Gros der Patienten konnte zwar bisher nur über einen Zeitraum von 12 Monaten nachbeobachtet werden. Da ein kleinerer Teil der Augen bereits über 24 Monate beobachtet wurde und konstante Ergebnisse aufwies, sind die Autoren jedoch optimistisch, dass der Erfolg auch für die übrigen Patienten anhält.
Wir können erfreulicherweise resümieren, dass die Kataraktextraktion als weltweit häufigster Eingriff in der Humanmedizin nicht nur mehrfache positive Zusatzeffekte bietet. Die sorgfältige Einschätzung von Risikofaktoren und daran angepasste perioperative Maßnahmen werden die Ergebnisse auch für „Problempatienten“ künftig noch weiter verbessern. Bleiben wir also positiv eingestellt.
In diesem Sinne wünsche ich und das Team von Ophthalmologie Kompakt Ihnen ein erbauliches Lesevergnügen.
Ihr Uwe Pleyer