Schneller – höher – weiter…?
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
schön, dass Sie auch im Jahr 2022 wieder Interesse an diesem informativen Format der Online-Fortbildung haben. Und glücklicherweise fällt es nicht schwer, Sie aufgrund der rasanten Entwicklung immer wieder mit interessanten Updates zu versorgen.
Betrachten wir unsere moderne Welt und den Zeitgeist, so geht es häufig immer mehr um das Erreichen von neuen Rekorden im Sinne von „schneller, höher, weiter“. Egal ob in der Wirtschaft, dem Sport oder im sozialen Leben. Oftmals ist hier aber mehr Schein als Sein angesagt, insbesondere in der Social-Media-Welt, die ja einen immer größeren Stellenwert in unserer Zeit einnimmt. Auch wir Ärzte kommen aus Marketing-Gründen, egal wie kritisch wir diese Entwicklung auch immer sehen mögen, nicht mehr an dieser Welt vorbei. Heute gehören eine Webseite, der Facebook- und Instagram-Account oder Jameda einfach zu einer modernen Praxis dazu. Auch für unsere berufliche Vernetzung und die Suche von Mitarbeitern sind Plattformen wie LinkedIn nicht mehr wegzudenken.
Betrachten wir aber unser Fachgebiet und eine gute evidenzbasierte Medizin, so geht es hier um wissenschaftlich belegte Therapien, bei denen es zum Glück immer mehr um „kleiner, weniger und effektiver“ geht. Von dieser Entwicklung profitiert insbesondere die Glaukomchirurgie immer mehr. Viele Kollegen können sich noch an die Zeit erinnern, in der die fistulierende Sickerkissenoperation mit Mitomycin C praktisch der Goldstandard in der operativen Behandlung des Glaukoms war. Innerhalb einer Generation hat sich aber eine Vielzahl neuer Optionen entwickelt. Neben den Drainage-Implantaten nach Baerfeld und Ahmed oder den Lasereingriffen wie der CPC und der SLT sind natürlich die verschiedenen Möglichkeiten der mikroinvasiven Glaukomchirurgie besonders hervorzuheben. Diese Therapien zielen auf eine Verbesserung des trabekulären Abflusses, verbessern den suprachoroidalen Ausfluss, erzeugen subkonjunktivale Filterkissen oder reduzieren die Kammerwasserproduktion. Viele dieser neuartigen Prozeduren beinhalten die Einbringung eines Implantates wie z.B. der ISTent, Hydrus, Ex-PRESS, Xen oder das PRESERFLO. Andere Verfahren wie die Operation mit dem Kahook Dual Blade, die ab interno Kanaloplastik, die transluminale Trabekulotomie oder das OMNI-Verfahren kommen ohne ein Implantat aus. Insbesondere bei engem Kammerwinkel und positivem Mydriasistest wird auch die Kataraktoperation heute als sinnvoller Pfeil im Köcher der operativen Glaukomverfahren angesehen. Noch nie gab es so viele unterschiedliche Verfahren und langsam fällt es schwer den Überblick zu behalten. Zu diesen Themen empfehlen wir daher die Lektüre zweier gerade bzw. kürzlich erschienener Reviews: Den von Lim R. in „Clinical & Experimental Ophthalmology” (Januar 2022) und den von Pereira ICF et al. in „Eye” aus dem Juni 2021.
Natürlich zeichnen sich die zahlreichen neuen Verfahren durch unterschiedliche Effizienz und unterschiedliche Risikoprofilen aus, und längerfristige Erfahrungen sowie weitere Studien werden ihren endgültigen Stellenwert zeigen. Zur Sicherheit des Preserflo konnten Ahmed et al. aus Japan in einer neu erschienen Langzeitstudie neue Ergebnisse berichten. Auch wenn die Fallzahl mit 8 Augen gering war, so war der Nachbeobachtungszeitraum mit im Mittel 68 Monaten sehr lang, und es konnte eine gute Drucksenkung bei geringem Nebenwirkungsprofil gezeigt werden.
In einer anderen kürzlich veröffentlichen Fallstudie im „American Journal of Ophthalmology” zeigten Chamard et al. aber, dass auch beim Preserflo bzgl. des Endothel ein Risiko bestehen kann. Die Sicherheit kann auch bei diesem Mikroshunt, wie es sich auch bei anderen Implantaten in der Vorderkammer gezeigt hat, problematisch sein. In 2 Fällen demonstrieren die Autoren, dass durch Berührung des Endothels oder Entzündung ein Endothelverlust auftreten kann, welcher eine Explantation notwendig macht. Es scheint daher wichtig zu sein, dass gerade bzgl. der Endothelberührung die Operationen durch erfahrene Chirurgen durchgeführt werden und das Follow up gewissenhaft erfolgt. Sonst kann durch falsche Anwendung möglicherweise eine sehr gute Technik schnell durch inkorrekte Anwendung in ein falsches Licht gerückt werden und zur Rücknahme vom Markt führen, wie es beim CyPass der Fall war.
Mit einer etwas aufwendigeren Operationsmethode beschäftigten sich Toneatto et al. Sie untersuchten die Ergebnisse nach ab interno Mikrokatheterisierung und 360° Viscodillatation des Schlemmschen Kanals bei Offenwinkelglaukom mit dem OMNI-System.
80 Augen von 73 Patienten wurden 12 Monate lang nachverfolgt, wobei bei 30 Augen gleichzeitig eine Linsenoperation erfolgte. Es zeigte sich eine deutlich bessere Drucksenkung in der Gruppe mit dem kombinierten Eingriff, mit 67,9% der Augen <18 mmHg im Vergleich zu 40,0%. Die Medikation konnte zum Erreichen des Therapieziels jedoch bei beiden Gruppen nur von 3 auf 2 Augentropfen gesenkt werden. Die Ergebnisse sind für den operativen Aufwand eher ernüchternd. Aber gerade solche Studien helfen uns ja weiter in der Einordnung von neuen Therapien, um für unsere Patienten in Zukunft optimale Wege zu gehen.
Mit einer deutlich aufwendigeren, aber langfristig effektiven Technik haben sich Riesen et al. beschäftigt. In einer Langzeituntersuchung konnten 161 Augen über 8 Jahre nach eine kombinierten Phako-Excimer-Laser-Trabekulotomie nachverfolgt werden. Durch die Anwendung des Lasers gehört diese Technik natürlich zu den kostenintensiveren Therapieformen. Mit 75% wies die Mehrzahl der Augen eine stabile Drucksenkung von 25% über den Verlauf von acht Jahren bei deutlich verminderter Medikation auf. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden erfreulicherweise im gesamten Studienverlauf nicht beobachtet. Auf der anderen Seite war bei 25% der Augen eine zusätzliche chirurgische Intervention notwendig, was aufgrund des langen Nachbeobachtungsintervalls sicher nicht ganz verwunderlich erscheint.
Wichtig ist bekanntermaßen auch bei operativen Glaukomverfahren die postoperative Nachsorge und die Compliance der Patienten. McGlumphy et al. konnten mit ihrer Studie exakt die Wichtigkeit einer intensiven lokalen antientzündlichen Therapie nachweisen. Dabei wurden 90 Patienten nach Trabekulektomie oder Tube-Shunt-Implantation eingeschlossen und die Compliance der postoperativen Corticosteroidtherapie mittels des Kali Drop®-Monitoring-Systems analysiert. Die Patienten waren dabei darüber informiert, dass ihr Tropfverhalten in den ersten 5 postoperativen Wochen analysiert wird. Der Zieldruck und das Filterkissen wurden bis zu 1 Jahr postoperativ nachuntersucht. Es zeigte sich erwartungsgemäß eine gute Compliance von 90%. Es war signifikant, dass eine höhere Tropfengabe mit einem Augeninnendruck im Zielbereich nach 6 Monaten verbunden war. Zusätzlich zeigten sich bei jüngeren Patienten eine bessere Compliance und bessere 6‑Monats Ergebnisse. Wir sehen also durch diese Studie eindeutig bestätigt, wie wichtig die postoperative Nachsorge und das Mitwirken des Patienten im Rahmen der Glaukomchirurgie ist.
Weitere spannende Entwicklungen hin zu optimierten Therapien im Bereich des Glaukom werden folgen. Studien zeigen dabei aber auch immer wieder Grenzen auf und helfen uns, auf die besseren Therapieformen zu fokussieren. Blicken wir positiv in die Zukunft.
Beste Grüße aus dem Norden.
Ihr Detlef Holland