Kera­topa­thie, Kera­to­plas­tik und klini­sche Rele­vanz – Diabe­tes als unter­schätz­te Proble­ma­tik für die Kornea? 

 

 

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

 


Liebe Kolle­gin­nen und Kollegen,

Diabe­tes melli­tus verän­dert die Kornea und die okulä­re Ober­flä­che auf viel­schich­ti­ge Weise — von der sensi­blen Inner­va­ti­on bis zur endo­the­lia­len Homöo­sta­se. Die Diabe­ti­sche Kera­topa­thie ist keine Rand­er­schei­nung, sondern ein rele­van­tes Risiko für neuro­tro­phe Kera­topa­thie und Horn­hau­tul­zera. In einer großen, retro­spek­ti­ven Auswer­tung von Pati­en­ten­da­ten zeigte sich ein signi­fi­kant erhöh­tes Risiko für Ulzera und neuro­tro­phe Kera­topa­thie bei Diabe­tes; Alter und männ­li­ches Geschlecht wirk­ten als zusätz­li­che Risi­ko­fak­to­ren, und Ulzera selbst waren Prädik­to­ren für das Vorlie­gen eines Diabe­tes. Die Folge können infek­tiö­se, schlecht thera­pier­ba­re Kera­ti­tis und Notwen­dig­keit einer Kera­to­plas­tik als Ultima Ratio sein. Grund genug, aktu­el­le Veröf­fent­li­chun­gen mit diffe­ren­zier­ten Antwor­ten auf klinisch rele­van­te Fragen zu Diagnos­tik, Thera­pie und Trans­plan­ta­ti­ons­pla­nung vorzustellen. 

Anti­dia­be­ti­ka als neue Tränenfilmtherapie?

Die Ergeb­nis­se der von Otto­nel­li et al. vorlie­gen­den Studie werfen genau diese Frage auf. Trocke­ne Augen gehö­ren zu den häufigs­ten okulä­ren Kompli­ka­tio­nen bei Diabe­tes melli­tus Typ 2, bislang jedoch ohne klare thera­peu­ti­sche Anknüp­fung an die anti­dia­be­ti­sche Medi­ka­ti­on. Glucagon-like-Peptid‑1(GLP‑1)-Rezeptoragonisten (GLP‑1 RAs) haben sich in den vergan­ge­nen Jahren als multi­funk­tio­na­le Substan­zen (Stich­wort: „Schlank­ma­cher“) etabliert – mit anti­in­flamm­a­to­ri­schen und gefäß­pro­tek­ti­ven Effek­ten, die weit über die Blut­zu­cker­kon­trol­le hinaus­ge­hen. In einer Fall-Kontroll-Studie zeig­ten Pati­en­ten unter GLP-1-RA-Thera­pie signi­fi­kant besse­re Ergeb­nis­se in Schirm­er-Test und Tränen­film­auf­reiß­zeit als Pati­en­ten mit ande­ren blut­zu­cker­sen­ken­den Thera­pien. Beson­ders bemer­kens­wert: Auch die Subgrup­pen­ana­ly­se deutet auf diffe­ren­zi­el­le Effek­te zwischen GLP-1-RAs, SGLT2-Inhi­bi­to­ren und Kombi­na­ti­ons­the­ra­pien hin. Für die klini­sche Praxis eröff­net sich damit die inter­es­san­te Möglich­keit, anti­dia­be­ti­sche Thera­pie­ent­schei­dun­gen auch unter dem Aspekt okulä­rer Komor­bi­di­tä­ten zu betrach­ten (siehe auch: Septem­ber-Edito­ri­al KOMPAKT OPHTHALMOLOGIE). Doch zunächst wünsche ich mir prospek­ti­ve, multi­zen­tri­sche Studi­en, um diese Hypo­the­se zu bestä­ti­gen und die zugrun­de liegen­den Mecha­nis­men zu klären.

Eben­falls klein und explo­ra­tiv ist die Studie von Zhang et al., die Neuro­pep­ti­de als poten­zi­el­le (neue) Biomar­ker des Trocke­nen Auges heraus­stel­len. Die Patho­phy­sio­lo­gie der Dry Eye Dise­a­se (DED) wird zuneh­mend als komple­xes Zusam­men­spiel von Entzün­dung, Tränen­film­stö­rung und neuro­sen­so­ri­scher Dysfunk­ti­on verstan­den. Die vorlie­gen­de Studie liefert nun span­nen­de Evidenz dafür, dass auch Neuro­pep­ti­de im Tränen­film eine Schlüs­sel­rol­le spie­len könn­ten. Bei Pati­en­ten mit DED waren die Konzen­tra­tio­nen von Calci­to­nin Gene-Rela­ted Pepti­de (CGRP) und Substanz P (SP) signi­fi­kant ernied­rigt, während Neuro­pep­tid Y (NPY) unver­än­dert blieb. Bemer­kens­wert ist die klare Korre­la­ti­on: Nied­ri­ge­re CGRP- und SP-Werte gingen mit schlech­te­ren klini­schen Para­me­tern einher – höhe­ren OSDI-Scores, stär­ke­rer Horn­haut­fär­bung und redu­zier­ten Tränen­film­sta­bi­li­täts­wer­ten. Beson­ders hervor­zu­he­ben ist die Asso­zia­ti­on zwischen Schirm­er-Test und CGRP-Konzen­tra­ti­on, die auf eine direk­te Verbin­dung zwischen Tränen­pro­duk­ti­on und Neuro­pep­tid-asso­zi­ier­ter Regu­la­ti­on hindeu­tet. Diese Ergeb­nis­se legen nahe, dass Verän­de­run­gen der neuro­pep­ti­der­gen Signal­we­ge nicht nur Begleit­phä­no­me­ne, sondern mögli­cher­wei­se zentra­le Trei­ber der Sympto­ma­tik sind. Für die klini­sche Praxis eröff­net sich damit die Perspek­ti­ve, Neuro­pep­ti­de künf­tig als Biomar­ker für Krank­heits­ak­ti­vi­tät und Schwe­re­grad einzu­set­zen – und lang­fris­tig sogar als thera­peu­ti­sche Targets zu betrachten. (?)

Beide Studi­en verdeut­li­chen eindrucks­voll, wie sehr sich das Verständ­nis des Trocke­nen Auges von einer rein loka­len Erkran­kung hin zu einem syste­misch und neuro­sen­so­risch gepräg­ten Krank­heits­bild erwei­tert. Wir blei­ben beim Zusam­men­hang Diabetes–Kornea und widmen uns jetzt dem Endothel. 

Von der Ober­flä­che zum Endo­thel – Kera­to­plas­tik und Spen­der­dia­be­tes: neue Evidenz

Die Frage, ob Spen­der­dia­be­tes die Ergeb­nis­se der Horn­haut­trans­plan­ta­ti­on (hier: DMEK) beein­träch­tigt, wurde im Okto­ber­heft des „JAMA Ophthal­mo­lo­gy“ durch eine rando­mi­sier­te Studie von Price et al. mit hoher metho­di­scher Quali­tät adres­siert. In einer großen Kohor­te von mehr als 1400 Studi­en­au­gen zeig­ten die Autoren sehr hohe Ein‑Jahres‑Erfolgsraten nach DMEK, ohne nach­weis­ba­ren Unter­schied zwischen Gewebe von Spen­dern mit und ohne Diabe­tes. Die Studie doku­men­tiert einen Ein‑Jahres‑Graft‑Success‑Rate von 96,3 Prozent bei Empfän­gern von Gewebe ohne Diabe­tes und 97,1 Prozent bei Empfän­gern von Gewebe mit Diabe­tes. Die Diffe­renz war statis­tisch und klinisch nicht rele­vant. Beglei­tend fanden sich keine Unter­schie­de in der endo­the­lia­len Zell­zahl, dem prozen­tua­len Zell­tod oder morpho­me­tri­schen Para­me­tern wie Zell­grö­ßen­va­ria­ti­on und Hexa­go­na­li­tät ein Jahr nach Eingriff in einer sepa­ra­ten, groß ange­leg­ten Auswer­tung. Zusam­men­ge­nom­men spre­chen diese Befun­de dafür, dass Diabe­tes in der Anamne­se des Spen­ders, zumin­dest unter den in der Studie unter­such­ten Bedin­gun­gen und in Bezug auf Ein‑Jahres‑Endpunkte, kein zusätz­li­ches Risiko darstellt.

Zentra­le Erkennt­nis: Der diabe­ti­sche Status der Spen­de­rin­nen und Spen­der beein­träch­tig­te weder die Ein-Jahres-Trans­plan­tat­über­le­bens­ra­te noch die endo­the­lia­le Zell­ge­sund­heit. Dies wider­spricht älte­ren Beob­ach­tun­gen zu erhöh­ter Präpa­ra­ti­ons­an­fäl­lig­keit und poten­zi­ell erhöh­tem endo­the­lia­len Zell­ver­lust und liefert Level-1-Evidenz zur Sicher­heit der Verwen­dung diabe­ti­scher Spen­der­kor­neae im ersten Jahr. Trotz der Stärke des Studi­en­de­signs müssen wir die Gren­zen beach­ten. Die Analy­se konzen­trier­te sich auf Ein‑Jahres‑Endpunkte bei primär Nied­rig-Risiko-DMEK‑­Emp­fän­gern (vor allem Fuchs‑Dystrophie). Lang­zeit­da­ten, Komor­bi­di­tät, Subgrup­pen­ana­ly­se und Ergeb­nis­se in Hoch­ri­si­ko­fäl­len sind noch ausste­hend. Ebenso ist die Frage offen, ob bestimm­te medi­ka­men­tös schlecht einge­stell­te Diabe­tes­for­men, poly­neu­ro­pa­thi­sche Verän­de­run­gen oder vasku­lä­re Kompli­ka­tio­nen des Spen­ders subti­le, später eintre­ten­de Effek­te haben könn­ten. Länge­re Follow-up-Daten nach DMEK mit diabe­ti­schen Spenderinnen/Spendern, stan­dar­di­sier­te Präpa­ra­ti­ons­me­tho­den und prospek­ti­ve Ober­flä­chen­stu­di­en mit Sensi­bi­li­täts- und Nerven­bild­ge­bung (IVCM) wären meines Erach­tens inter­es­san­te Aspekte.

Einen Beitrag zum Thema Gewebe-„Qualität“ bieten Amir et al. aus Israel in der aktu­el­len Ausga­be von „BMJ Open Ophthal­mo­lo­gy“ – ein in mehr­fa­cher Hinsicht bemer­kens­wer­ter Arti­kel. Er liefert nicht nur eine solide Analy­se klini­scher und epide­mio­lo­gi­scher Fakto­ren, die die Endo­thel­zell­dich­te (ECD) von Spen­der­horn­häu­ten beein­flus­sen, sondern fokus­siert auch auf einen bislang eher am Rande betrach­te­ten Para­me­ter: die Zeit zwischen Tod und Gewe­be­ent­nah­me (death-to-retrie­val time [DRT]). Mit einer media­nen DRT von ledig­lich zwei Stun­den und 29 Minu­ten (!) präsen­tiert die israe­li­sche Kohor­te einen Wert, der im inter­na­tio­na­len Vergleich außer­ge­wöhn­lich kurz ist und damit die Hypo­the­se aufwirft: Könnte eine konse­quen­te Verkür­zung der DRT die Quali­tät von Spen­der­horn­häu­ten weiter mess­bar verbessern?

Während die multi­va­ria­ble Analy­se erwar­tungs­ge­mäß Alter und Linsen­sta­tus als stärks­te unab­hän­gi­ge Prädik­to­ren für eine ausrei­chen­de ECD iden­ti­fi­zier­te, zeigte sich für die DRT zumin­dest ein viel­ver­spre­chen­der Trend. Horn­häu­te, die inner­halb von vier Stun­den nach dem Tod entnom­men wurden, erreich­ten in 83 Prozent der Fälle die lokale Eignungs­schwel­le, vergli­chen mit 75 Prozent bei länge­rer DRT. Auch wenn dieser Unter­schied statis­tisch nicht signi­fi­kant war, ist er biolo­gisch plau­si­bel. Denn die Inte­gri­tät des Horn­hau­tendo­thels hängt unmit­tel­bar von der post­mor­ta­len Hypo­xie und dem meta­bo­li­schen Stress ab, denen das Gewebe bis zur Entnah­me ausge­setzt ist.

Vergleich­ba­re Studi­en aus Europa und Nord­ame­ri­ka zeich­nen bislang ein ande­res Bild. So zeigte eine große deut­sche Analy­se im Rahmen des DGFG-Netz­wer­kes, dass selbst bei DRTs von bis zu 48 Stun­den noch eine hohe Trans­plan­ta­ti­ons­taug­lich­keit erreicht werden konnte. Auch däni­sche Regis­ter­da­ten zu mehr als 3000 Horn­häu­ten fanden keinen signi­fi­kan­ten Einfluss von DRT oder „death-to-preser­va­ti­on time“ auf die Eignung für Kera­to­plas­ti­ken. Diese Ergeb­nis­se haben dazu geführt, dass die euro­päi­schen Richt­li­ni­en eine DRT von bis zu 72 Stun­den als akzep­ta­bel defi­nie­ren. Vor diesem Hinter­grund ist die israe­li­sche Studie beson­ders inter­es­sant: Sie deutet an, dass eine Verkür­zung der DRT zwar nicht zwin­gend notwen­dig ist, um trans­plan­tier­ba­res Gewebe zu gewin­nen, aber mögli­cher­wei­se einen zusätz­li­chen Quali­täts­vor­teil brin­gen könnte – insbe­son­de­re in Settings, in denen höchs­te Ansprü­che an die Endo­thel­zell­zahl gestellt werden.

Die Stärke der Arbeit liegt also nicht allein in der Bestä­ti­gung bekann­ter Risi­ko­fak­to­ren wie Alter und Katarakt­sta­tus, sondern in der Aufwer­tung eines orga­ni­sa­to­ri­schen Para­me­ters, der bislang wenig Beach­tung fand. Die extrem kurze DRT ist weni­ger ein biolo­gi­sches Faktum als viel­mehr das Resul­tat effi­zi­en­ter Struk­tu­ren: kurze Wege, schnel­le Alar­mie­rung und hohe Prio­ri­sie­rung der Horn­hau­t­ent­nah­me im klini­schen Ablauf. Damit verweist die Studie auf eine Dimen­si­on, die über die reine Biolo­gie hinaus­geht: die Logis­tik. In diesem konkre­ten Fall ist sie gege­ben­falls auch „begüns­tig“ durch die aktu­el­le (Konflikt-)Situation in Israel.

Kombi­nier­te Kera­to­plas­tik und Vitrek­to­mie bei infek­tiö­ser Kera­ti­tis mit Endo­ph­thal­mi­tis – ein Balan­ce­akt zwischen Augen­er­halt und Enukleation

Zum Abschluss noch eine retro­spek­ti­ve Analy­se, die sich dem Thema Kera­to­plas­tik im „Kata­stro­phen­sze­na­rio“ widmet. In dieser Studie einer deut­schen univer­si­tä­ren Einrich­tung wurden 129 Augen unter­sucht, die zwischen 2016 und 2024 mit einer kombi­nier­ten perfo­rie­ren­den Kera­to­plas­tik (PKP) und Vitrek­to­mie (VR) versorgt wurden. Bei der initia­len OP-Indi­ka­ti­on waren jeweils 50 Prozent der Fälle infek­ti­ös  (IKE) bzw. 50 Prozent nicht infek­ti­ös verur­sacht. Die posi­ti­ven Ergeb­nis­se zuerst: Ein verbes­ser­ter Visus von logMAR 2,3 auf 2,0 konnte für die Kohor­te erreicht werden. Die Rate schwe­rer Sehbe­hin­de­rung sank von 97 auf 86 Prozent. Auch im Vergleich zu voran­ge­gan­ge­nen Studi­en konnte mit einem Augen­er­halt von 93 Prozent (4% Phthi­sis bulbi) ein vergleichs­wei­se gutes Ergeb­nis erreicht werden. Inter­es­sant sind die Ergeb­nis­se beim Vergleich. Pati­en­ten mit Infek­ti­on vs. nicht infek­ti­ös: Die „Infekt‑Gruppe“ wies einer­seits eine höhere Enuklea­ti­ons­ra­te auf, ande­rer­seits aber auch eine höhere Wahr­schein­lich­keit signi­fi­kan­ter Visus­ver­bes­se­rung. Nicht uner­war­tet waren zusätz­li­che Eingrif­fe bei der IKE-Gruppe notwen­dig. Amni­onmem­bran-Trans­plan­ta­tio­nen und Glau­kom-Eingrif­fe wurden post­ope­ra­tiv signi­fi­kant häufi­ger durch­ge­führt. Diese ambi­va­len­te Bilanz verdeut­licht: PKP-VR kann bei Infek­ti­on als unver­zicht­ba­res Verfah­ren gelten, das einer­seits das Risiko des Augen­ver­lusts birgt, ande­rer­seits aber auch die einzi­ge Chance auf funk­tio­nel­le Reha­bi­li­ta­ti­on darstel­len kann. Die Autoren plädie­ren für eine frühe Indi­ka­ti­ons­stel­lung: Je früher die Entschei­dung zur kombi­nier­ten Opera­ti­on fällt, desto größer die Chance, Infek­ti­on und Entzün­dung zu kontrol­lie­ren. Als Progno­se­mar­ker sind vor allem Befun­de der Retina zu nennen: reti­na­le Infil­tra­te, Blutun­gen und Ischä­mi­en waren signi­fi­kant mit einem schlech­te­ren Outco­me asso­zi­iert. Diese Para­me­ter soll­ten in die präope­ra­ti­ve Aufklä­rung einflie­ßen. Schade, dass weite­re Komor­bi­di­tä­ten wie ein Diabe­tes oder auch Auto­im­mun­erkran­kun­gen hier nicht in der Analy­se einbe­zo­gen wurden.

Lassen Sie mich resü­mie­ren: Die Betei­li­gung der Kornea bei Diabe­tes ist oft subtil und wird vermut­lich oft über­se­hen – kann jedoch zu weit­rei­chen­den Proble­men führen. Für die Praxis gilt es daher, bei der zuneh­men­den Zahl von Diabe­ti­kern vigi­lant zu bleiben.

In diesem Sinne verblei­be ich 

Ihr Uwe Pleyer, zusam­men mit dem Team von KOMPAKT OPHTHALMOLOGIE

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