Humane Medi­zin im Einklang mit moder­nen Technologien

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © Nord­blick GmbH

Gerade aus Moskau vom Kongress der Fjodo­row Klinik zurück­ge­kehrt, sitze ich am Rech­ner und begin­ne mit der Arbeit am Edito­ri­al. Im Kopf sind noch viele Eindrü­cke von dieser geschichts­träch­ti­gen Stadt, welche eine unglaub­lich schnel­le inno­va­ti­ve Entwick­lung durch­macht. Auch sind die Gedan­ken bei der Vergan­gen­heit der Fjodo­row Klinik, welche schon früh Vorrei­ter auf vielen Gebie­ten der Augen­heil­kun­de war. Alle Augen­ärz­te haben dabei natür­lich auch die runden Op-Tische vor Augen, an welchen jeder Opera­teur immer nur einen Teil­schritt der Opera­ti­on gemacht hat. Dies war damals ein neuer inno­va­ti­ver Ansatz, welcher sich bekann­ter­ma­ßen nicht durch­ge­setzt hat. Heute stehen wir aber am Anfang einer neuen Entwick­lungs­stu­fe der Mensch­heit, welche sicher auch einen weit­rei­chen­den Einfluss auf die Medi­zin haben wird und nicht aufzu­hal­ten ist. Das Zeit­al­ter der künst­li­chen Intel­li­genz. Dazu aber später mehr.

Bei der Lektü­re der Arti­kel aus „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“ fielen mir insbe­son­de­re die diagnos­ti­schen Paper auf. Die Augen­heil­kun­de hat sich wie kaum ein ande­res Fach rasant in Hinblick auf die Möglich­kei­ten der Bild­ge­ben­den Verfah­ren entwi­ckelt. Hier­bei ist auch die schnel­le Analy­se der gesam­mel­ten Infor­ma­tio­nen immer komple­xer und besser geworden.

Patel et al. aus Ann Arbor konn­ten in einer im „Graefe’s Archi­ve“ veröf­fent­li­chen Arbeit zeigen, dass ein einfa­ches Smart­phone-basier­tes Scree­ning der komple­xen Früh­ge­bo­re­nen­re­ti­no­pa­thie heute berüh­rungs­frei möglich ist. Dabei kam das Reti­naScope zum Einsatz, womit digi­ta­le Netz­haut­fo­tos von Früh­ge­bo­re­nen in guter Bild­qua­li­tät zur Einstu­fung einer Plus-Sympto­ma­tik aufge­nom­men werden, so das Ergeb­nis ihrer Unter­su­chung. Die Bilder wurden anschlie­ßend von geschul­ten Ärzten beur­teilt und die Stadi­en­ein­tei­lung vorgenommen.

Shang et al. veröf­fent­lich­ten in „Eye“ ihre Unter­su­chun­gen mittels OCT über die peri­pa­pil­lä­re Beta- und Gamma-Zone. Diese Zonen können bei physio­lo­gi­schen und glau­koma­tö­sen Verän­de­run­gen um den Sehner­ven­kopf eine unter­schied­li­che Rolle spie­len, so das Ergeb­nis der chine­si­schen Unter­su­chung. Bei vorwie­gend nicht kurz­sich­ti­gen Proban­den mit oder ohne chro­ni­schem primä­ren Winkel­block­glau­kom korre­lier­te eine größe­re peri­pa­pil­lä­re Beta-Zone mit dem Alter und dem Vorhan­den­sein eines Glau­koms. Eine größe­re peri­pa­pil­lä­re Gamma-Zone hinge­gen korre­lier­te mit einer Ovali­tät der Sehnerv­pa­pil­le, jedoch nicht mit einem Glaukom.

Li et al. aus Shang­hai publi­zier­ten im „EPMA Jour­nal“ über das das primä­re Winkel­block­glau­kom. Dabei wurden mehre­re Augen­fak­to­ren iden­ti­fi­ziert wie zum Beispiel eine kleine Horn­haut, ein erhöh­ter Augen­in­nen­druck, eine flache Vorder­kam­mer und eine kurze Achsen­län­ge. Der Schwe­re­grad eines PWBG korre­lier­te in der Art, dass die AL posi­tiv und signi­fi­kant mit dem Schwe­re­grad der PWBG bei weib­li­chen, nicht jedoch bei männ­li­chen Proban­den asso­zi­iert war. Dieser Befund bezieht sich auf die PWBG-Patho­ge­ne­se und legt die Verwen­dung der AL-Bewer­tung bei der Über­wa­chung, Diagno­se und Progres­si­on von Glau­ko­men nahe, woraus sich neue Stra­te­gien für ein präven­ti­ves Vorge­hen erge­ben könn­ten. Auch bei dieser Unter­su­chung spielt die einfa­che und schnel­le Diagnos­tik in der Augen­heil­kun­de wie zum Beispiel die Ermitt­lung der Achsen­län­ge durch die Biome­trie eine entschei­den­de Rolle.

Eine Arbeits­grup­pe aus Bydgo­s­cz um Zabel et al. unter­such­te mittels OCT-Angio­gra­phie Alzhei­mer-Pati­en­ten und eine Gruppe mit primä­rem Offen­win­kel­glau­kom, da beide Erkran­kun­gen neuro­de­ge­nera­tiv sind und mit einer Apopto­se von Nerven­zel­len und einer Beein­träch­ti­gung der Mikro­vas­ku­la­tur verbun­den sind. Dabei wurden die reti­na­len Mikro­ge­fä­ße inner­halb der Makula und des Sehner­ven­kop­fes bei Pati­en­ten mit den beiden Erkran­kun­gen mit einer gesun­den Kontroll­grup­pe vergli­chen. Obwohl bei beiden Erkran­kun­gen Abnor­ma­li­tä­ten des gesam­ten reti­na­len Gefäß­sys­tems vorlie­gen, betrifft die signi­fi­kan­te Beein­träch­ti­gung der Mikro­zir­ku­la­ti­on bei POWG-Pati­en­ten ober­fläch­li­che Gefäße, während sie bei Alzhei­mer-Pati­en­ten Gefäße betrifft, die sich in den tiefe­ren Netz­haut­schich­ten befin­den, so das Ergeb­nis der Untersuchung.

Was haben diese inter­es­san­ten und wegwei­sen­den Unter­su­chun­gen gemein­sam? Alle vier Studi­en analy­sier­ten Ergeb­nis­se, welche mit dele­gier­ba­rer, moder­ner augen­ärzt­li­cher Diagnos­tik ermit­telt wurden.

Hier schla­gen wir nun wieder den Bogen zurück zur künst­li­chen Intel­li­genz. Ich glaube, dass die Zukunft der Augen­heil­kun­de in weiten Berei­chen dele­gier­bar werden wird. Stel­len wir uns vor: Ein Pati­ent betritt die Praxis und wird von einem Ange­stell­ten ohne Arzt­kon­takt vor einige Geräte gesetzt und alle rele­van­ten Daten werden erho­ben. In kurzer Zeit kann schon heute eine große Menge von Infor­ma­tio­nen über Visus, Refrak­ti­on, Tono­me­trie, Pachy­me­trie, Topo­gra­phie aber auch über die Netz­haut mittels Fundus­fo­to­gra­phie und OCT bezie­hungs­wei­se OCT-Angio­gra­phie gewon­nen werden. Auch das Ausmaß der Kata­rakt wird zum Beispiel leicht über Scheim­pflug­ana­ly­se ermit­telt und kann gemein­sam mit allen Daten an Rechen­zen­tren über­mit­telt werden.

Diese Zentren könn­ten schon bald in der Lage sein, durch Analy­se der gesam­mel­ten Daten in Zusam­men­hang mit künst­li­cher Intel­li­genz weit­rei­chen­de Infor­ma­tio­nen über den Gesund­heits­zu­stand des Auges, aber auch im Hinblick auf Erkran­kun­gen wie zum Beispiel Alzhei­mer erge­ben. Die Daten könn­ten direkt mit Studi­en­ergeb­nis­sen vergli­chen und rele­van­te indi­vi­dua­li­sier­te Schlüs­se für den Pati­en­ten gezo­gen werden. Der Pati­ent würde im Anschluss mögli­cher­wei­se direkt seine sämt­li­chen Diagno­sen mitsamt eines Thera­pie­plans bezie­hungs­wei­se mit Empfeh­lun­gen für einen Präven­ti­ons­plan nach Hause gehen.

Natür­lich können wir dem entge­gen­hal­ten, dass der erfah­re­ne Arzt mit geschul­tem Auge heute auch in der Lage ist, die genann­ten Infor­ma­tio­nen zu analy­sie­ren und daraus die rich­ti­gen Schlüs­se zu ziehen. Wenn wir aber ehrlich mit uns sind, so werden wir zu dem Schluss kommen, dass wir eben nicht diese Viel­falt von Infor­ma­tio­nen in so kurzer Zeit verar­bei­ten können. Wie sollen wir zum Beispiel die unter­schied­li­chen Zonen Beta und Gamma in Sekun­den analy­sie­ren, die unter­schied­li­chen Gefäß­ple­xus der Netz­haut verglei­chen oder die Achsen­län­ge und das Geschlecht direkt mit dem Engwin­kel­glau­kom­ri­si­ko korrelieren.

Der Arzt wird in der Zukunft durch seine Ausbil­dung und Erfah­rung wohl eher die letzte Instanz sein, welche die Ergeb­nis­se, die sich aus der Daten­flut erge­ben, für den Pati­en­ten kontrol­liert und dann gemein­sam mit diesem bespricht. Es bleibt dabei zu wünschen, dass die mensch­li­che Kompo­nen­te nie verlo­ren geht! Wir Ärzte werden die tech­ni­sche Entwick­lung und auch den Einfluss der künst­li­chen Intel­li­genz nicht aufhal­ten können. In unse­rer Hand liegt es aber, im Einklang mit diesen moder­nen Tech­no­lo­gien eine humane Medi­zin zu bewahren.

Dabei wird auch immer unser eige­ner Wissen­stand von größ­ter Bedeu­tung sein. Denn nur mit höchs­tem Ausbil­dungs­stand werden wir uns als Ärzte im Rahmen der beschrie­be­nen Entwick­lung behaup­ten können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiter viel Freude bei der Lektü­re von „Kompakt Ophthalmologie“.

Ihr Dr. Detlef Holland

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