Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
ich freue mich sehr, Sie in diesem schönen Frühling erneut online begrüßen zu dürfen. Zahlreiche spannende neue Publikationen und technische Entwicklungen warten darauf, entdeckt zu werden. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, was z.B. Neues auf dem Gebiet des Trockenen Auges, der Künstlichen Intelligenz (KI), der Keratitis sowie im Bereich der diabetischen Makulopathie oder auch an der Schnittstelle zwischen Geriatrie und Augenheilkunde publiziert wurde.
Besonders gefreut habe ich mich, als ich die Publikation der Arbeitsgruppe um meinen Studienfreund Prof. Paulsen aus Erlangen entdeckt habe. In der Arbeit untersuchten die Autoren in einer komplexen, vergleichenden Analyse, inwieweit sich die Meibomdrüsen (MG) von anderen freien Talgdrüsen (SG) und haarassoziierten Talgdrüsen unterscheiden.
Die Meibomdrüsen-Dysfunktion ist eine der Hauptursachen für das Trockene Auge und steht immer mehr im Fokus der Diagnostik und Therapie. Um ihre Funktionen besser zu verstehen, wurden in der vorliegenden Studie MGs mit freien Talgdrüsen (SG) und haarassoziierten Drüsen unter Verwendung morphologischer, immunhistochemischer Techniken und mittels Flüssigkeits-Chromatographie sowie Massenspektrometrie verglichen. Darüber hinaus untersuchte man MG sowie Präparate von Nasenlöchern, Lippen und äußerem Gehörgäng mit freien SG sowie Schnitte der Kopfhaut mit haarassoziierten SG mittels unterschiedlicher Färbungen und Kryoschnitten. Sekrete von MG sowie von SG aus den vorgenannten Lokalisationen von gesunden Freiwilligen analysierten die Forschenden und verarbeiteten die Daten mithilfe verschiedener multivariater statistischer Analyseansätze. Serienschnitte der unterschiedlichen Drüsen wurden 3‑D-rekonstruiert und verglichen, wobei sich deutliche morphologische Unterschiede zeigten und die MG bei weitem die größte Drüsenart darstellt. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass beim Menschen die MG in ihrer Morphologie und sekretorischen Zusammensetzung große Unterschiede zu freien und haarassoziierten SG aufwiesen. Die Zusammensetzung des Sekrets unterscheidet sich deutlich von dem Talg freier SGs und haarassoziierter SGs. Daher kann die MG als eine hochspezialisierte Art holokriner Drüsen betrachtet werden, die alle histologischen Merkmale der SGs aufweist, sich jedoch hinsichtlich Morphologie und Lipidzusammensetzung deutlich von diesen unterscheidet. Diese Studie zeigt sehr eindrücklich, wie komplex Forschung heute ist und welche unterschiedlichen Ansätze möglich sind, um auf einem anatomisch kleinen Gebiet zu neuen, wichtigen Erkenntnissen zu gelangen.
Mit dem neuen Medium ChatGPT beschäftigte sich eine aktuelle kanadische Studie von der Universität Toronto. Gerade in der Augenheilkunde ist die korrekte Interpretation von Bildern für die Diagnosestellung und regelrechte Behandlung von großer Bedeutung. Die Datenmenge, mit der sich die Augenärzte täglich konfrontiert sehen, nimmt hierbei unglaublich zu. Denken wir dabei doch nur an die wachsende Menge on OCT-Befunden im Rahmen der IVOM-Behandlung. Angesichts der rasanten Entwicklung der KI weltweit auch im Rahmen der Bildverarbeitung ist die Genauigkeit von Technologien wie Chatbots daher auch im medizinischen Bereich in Zukunft von entscheidender Bedeutung.In einer Querschnittsanalyse wurde die Leistung der Plattform bei der Verarbeitung von Bilddateien untersucht. Dafür zogen die Forschenden öffentlich zugängliche Bilder von augenärztlichen Fällen, OCT-Untersuchungen sowie Daten aus einer Ausbildungsplattform der Universität Toronto heran. Für alle 136 analysierten Fälle standen Multiple-Choice-Fragen zur Verfügung, wobei u.a. Fragen zur Kinderheilkunde, Onkologie, Uveitis und Glaukom gestellt wurden. Im Durchschnitt beantwortete Chat GPT 70% der Fragen richtig. Es zeigte sich, dass der Chatbot bei der Beantwortung nicht bildbasierter Fragen im Vergleich zu bildbasierten Fragen besser abschnitt (82% vs. 65%). Die neue Version des Chatbots birgt laut der Schlussfolgerung der Autoren großes Potenzial für die Verbesserung der Effizienz der ophthalmologischen Bildinterpretation. Dadurch kann möglicherweise die Arbeitsbelastung der Ärzte verringert und die Variabilität bei Interpretationen sowie Fehler minimiert werden. Natürlich sei es für die Zukunft notwendig, die Präzision der KI weiter zu verbessern und auch Fragen des Datenschutzes sowie der Medizin-Ethik nicht außer Acht zu lassen. Der Siegeszug der KI, welche als Technologie ja erst an ihrem Anfang steht, wird auch in unserem Fachgebiet nicht mehr zu stoppen sein und sicherlich unseren Alltag erleichtern.
Bei der nächsten Publikation bleiben wir daher auch gleich bei bildgebenden Technologien in der Augenheilkunde. Dai et al. berichteten in einer kürzlich erschienenen Publikation im „American Journal of Ophthalmology“ über neue Ansätze zur Früherkennung der diabetischen Makulopathie. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Dicke der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL) und der inneren plexiformen Ganglienzell-Schicht (GC-IPL) Indikatoren für die Früherkennung einer diabetischen Netzhauterkrankung bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus (Typ 2 DM) sind, bevor die Erkrankung klinisch sichtbar wird. Es wurden daher in dieser Studie 49 Patienten mit Typ 2 DM ohne Retinopathie mit 51 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Dazu untersuchte man alle Augen mittels SS-OCT-Angiographie. Die Bilder wurden auf neurale und mikrovaskuläre Veränderungen der Makula hin analysiert. Die Daten zeigten, dass die Diabetiker eine signifikante Verringerung der GC-IPL und der RNFL aufwiesen. Darüber hinaus berichteten die Autoren, dass die gesamte Netzhautdicke der Makula bei diabetischen Augen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen signifikant geringer war. Auch zeigten sich bei Patienten mit Typ 2 DM geringfügige Veränderungen in der Dichte des Makula-Gefäßskeletts im gesamten Kapillarplexus. Die SS-OCt Untersuchung kann somit schon vor den mikrovaskulären Veränderungen durch Analyse der neuroretinalen Degeneration zur Früherkennung eines erhöhten Risikos für die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie dienen. Dies könnte besonders hilfreich werden, wenn in Zukunft auch neuroprotektive Therapien zur Verfügung stehen. Wichtig wäre es, so die Autoren, durch weitere Studien die zeitlichen Zusammenhänge zwischen strukturellen und vaskulären Veränderungen bei der Entwicklung der diabetischen Veränderungen aufzuklären.
Chen et al. aus Peking untersuchten in einer neuen Studie die Bedeutung der Ferroptose im Rahmen der bakteriellen Keratitis. Die Ferroptose ist eine Form des Zelltodes, welche auf der Anwesenheit von Eisen beruht. Es kommt dabei zur Anreicherung von FE2+, FE3+ sowie von Lipidperoxidasen, welches zur Bildung reaktiver Sauerstoffradikale führt, die eine Entzündungsreaktion und den Zelltod auslösen. Durch Hemmung der Ferroptose wäre es folglich möglich. den Verlauf von Hornhautinfektionen sowie die Narbenbildung positiv zu beeinflussen.In ihrer Studie untersuchte das Forschungsteam die Ferroptose-bedingte Genexpression in menschlichen Hornhäuten im Rahmen einer Pseudomonas-Keratitis sowie in normalen Spenderhornhäuten. Außerdem wurde im Mausmodell mit Pseudomonas-Keratitis und an Hornhautstroma-Stammzellen Untersuchungen durchgeführt. Es zeigte sich in menschlichen Hornhäuten mit Keratitis eine signifikante Veränderung in Ferroptose-bezogenen Genen. Im Tiermodell wurde nachgewiesen, dass die Augen, welche mit einem Antibiotikum sowie mit Ferrostatin zur Hemmung der Ferroptose behandelt wurden, im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Ferrostatin einer Verringerung von Zytokinen und eine verringerte Narbenbildung zeigten. Die Autoren schlussfolgerten aus ihren Ergebnissen, dass die Hemmung der Ferroptose ein weiterer Baustein mit enormem Potenzial in der zukünftigen Therapie der bakteriellen Keratitis darstellen könnte.
Wenden wir uns zum Abschluss dieses Editorials einem anderen interessanten Thema zu. Dass Licht einen positiven Einfluss auf die Psyche des Menschen haben kann, ist schon lange bekannt. Die Lichttherapie gilt als wirksame Methode zur Unterstützung der medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung bei saisonal bedingten Depressionen. Den Patienten wird dabei empfohlen, sich täglich für 30–40 Minuten einer starken Lichtquelle auszusetzen. Bereits nach einer Woche erleben 60% der Patienten mit jahreszeitlich bedingter Depression durch diese einfache und nebenwirkungsarme Therapie eine Verbesserung ihres Befindens. Auf der anderen Seite neigen ältere Menschen, insbesondere solche mit Sehbehinderungen dazu, die meiste Zeit zu Hause zu verbringen. Banerjee et al. aus Baltimore (USA) führten eine Querschnittsstudie mit klinischen Patienten im Alter von 60 Jahren und älter durch, bei denen Glaukomverdacht bestand, sowie solchen, bei denen ein primäres Glaukom diagnostiziert worden war und die Gesichtsfeldschäden unterschiedlichen Ausmaßes aufwiesen. Ziel war es, den Einfluss von Beleuchtung auf die körperliche Aktivität zu evaluieren. Untersucht wurden die täglich zurückgelegten Schritte und die Zeit, welche mit körperlicher Aktivität und nicht sitzender Tätigkeit verbracht wurde. In Bezug auf die primären Studienergebnisse zeigte sich, dass die Teilnehmer mit jeder Steigerung der Beleuchtung (0,1‑Log-Einheitsschritte der durchschnittlich gemessenen Heimbeleuchtung) 5% mehr tägliche Schritte unternahmen und auch eine erhöhte Schrittfrequenz aufwiesen. Auch die Anzahl der Minuten mit nicht sitzender Aktivität und die durchschnittliche Aktivitätsdauer zeigten sich positiv durch die Steigerung der Beleuchtung beeinflusst. Wir sollten daher aus diesen Ergebnissen folgern, dass wir unseren Glaukom- und sehbehinderten Patienten nicht nur zu einer guten Compliance in Hinblick auf die Therapie raten, sondern auch darauf hinweisen sollten, dass eine optimale Beleuchtungssituation in der häuslichen Umgebung einen positiven Einfluss auf ihre körperliche Aktivität und damit auf ihr Wohlbefinden haben kann.
In diesem Sinne können wir uns alle auf die helle Jahreszeit mit zahlreichen positiven Aktivitäten freuen. Gehen wir also raus und genießen die „Lichttherapie“ des Frühlings.
Ihr Detlef Holland