Ein Unglück kommt selten allein ….

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Verehr­te Kolle­gin­nen und Kolle­gen, es brennt auf den Nägeln und, ja – es kann auch ins „Auge gehen“… COVID-19

Aktu­ell kommen wir um eine Stel­lung­nah­me zur Coro­na­vi­rus-Epide­mie nicht herum und leiten damit die aktu­el­le Ausga­be von „Kompakt“ ein. Wir erin­nern uns: Erste Warnun­gen gingen bereits im Dezem­ber letz­ten Jahres von einem Augen­arzt aus. Unser Kolle­ge Li Wenlian/Wuhan – der das Virus von einem (asym­pto­ma­ti­schen) Glau­kom­pa­ti­en­ten über­tra­gen bekam, wurde dabei tragi­scher­wei­se gleich zwei­mal vom Unheil verfolgt. Erst wurden seine Warnun­gen nicht nur igno­riert und abge­tan, sondern er wurde verwarnt und dafür öffent­lich diskre­di­tiert. Später fiel er dann selbst der eska­lie­ren­den Infek­ti­on zum Opfer und verstarb. Als Kolle­gen können wir seinem Enga­ge­ment nur mit größ­tem Respekt begegnen.

Gleich­zei­tig führt uns dies über­deut­lich vor Augen, in welcher Risi­ko­si­tua­ti­on wir uns gerade als Augen­ärz­te befin­den. Die Erre­ger verbrei­ten sich über­wie­gend als Mikro­ae­ro­sol in einem Umkreis von bis zu 1–1,5 m. Eine hohe Pati­en­ten­dich­te und ein sehr enger Pati­en­ten­kon­takt an der Spalt­lam­pe erhö­hen das Risiko. Natür­lich werden wir künf­tig nicht auf Ophthal­mo­sko­pie und Spalt­lam­pen­un­ter­su­chung verzich­ten – aber die Frage stellt sich schon: Wie vorbe­rei­ten? Wie können wir uns schüt­zen? Daher sei schon jetzt auf den Beitrag von Lai TH und Mitar­bei­tern aus Hong Kong hinge­wie­sen, die in einer aktu­el­len Ausga­be des Graefe Arch Ophthal­mol berich­ten (in press) werden. In einem Drei-Punkte-Plan fassen sie Empfeh­lun­gen zusam­men, die sie aus ihren Erfah­run­gen in einem unmit­tel­bar betrof­fe­nen Ende­mie­ge­biet weiter­ge­ben können. Diese gehen doch noch über die Maßnah­men hinaus, die wir im Zusam­men­hang mit Adeno­vi­rus-Ausbrei­tun­gen bereits kennen. Da dieses Manu­skript sich noch „in press“ befin­det, vorab bereits einige Auszü­ge in Kürze:

Erstens: Das Expo­si­ti­ons­ri­si­ko möglichst gering halten! Konkret: Perso­nen aus Ende­mie­ge­bie­ten mit unkla­rem Fieber und Atem­wegs­pro­ble­men soll­ten bereits im Vorfeld bei der Anmel­dung iden­ti­fi­ziert werden. Ophthal­mo­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen soll­ten dann möglichst um 14 Tage verscho­ben werden.

Zwei­tens: Um die Trans­mis­si­on via Aero­sol zu vermin­dern soll­ten Spalt­lam­pen mit Schutz- schil­den verse­hen werden; zwischen jedem Pati­en­ten sollte eine Wisch­des­in­fek­ti­on von Kinn- und Stirn­kon­takt­flä­chen sowie eine häufi­ge Desin­fek­ti­on von Gebrauchs­ma­te­ria­li­en, Türklin­ken, Aufzug­knöp­fen etc. erfol­gen. Schließ­lich haben Unter­su­chun­gen gezeigt, dass

Coro­na­vi­ren an Metall- und Kunst­stoff Ober­flä­chen ca. 7–9 Tage persis­tie­ren aber z.B. mittels 1%iger jodhal­ti­ger Lösun­gen in 2 Minu­ten eradi­ziert sind.

Drit­tens: Strik­te, häufi­ge Hand­hy­gie­ne sowie gege­be­nen­falls Mund­schutz sowie Schu­lung und Infor­ma­ti­on des Mitarbeiterpersonals.

Bislang ist zwar noch unge­si­chert ob auch die neue Virus­va­ri­an­te im Tränen­film nach­weis­bar ist. Der Vergleich mit dem 2003 isolier­ten SARS-Coro­na­vi­rus, bei dem der Nach­weis gelang, liegt aber nahe. Zudem wurden Konjunk­ti­vit­i­den als Erst­be­fund vor Ausbruch der gene­ra­li­sier­ten Infek­ti­on in Einzel­fäl­len beschrie­ben. Daher werden Maßnah­men wie bei Adeno­vi­ren z.B. bezüg­lich der (Kontakt-)Tonometrie empfoh­len. Entge­gen einer weit­ver­brei­te­ten Annah­me bietet aller­dings gerade die Non-Kontakt-Tono­me­trie keine siche­re Alter­na­ti­ve, sondern ist durch den Luft­stoß gut geeig­net der aero­ge­nen Virus­aus­brei­tung eher Vorschub zu leis­ten. Daher wird von den Autoren eher eine I‑care-Tono­me­trie oder Gold­mann-Applana­ti­on mit Einmal-Köpf­chen empfoh­len. Zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt ist das volle Maßnah­men­pa­ket nicht notwen­dig und sicher­lich auch nicht einfach umsetz­bar. Wenden wir uns noch einem weite­ren Thema zu, das für die Betrof­fe­nen eben­falls eine doppel­te Belas­tung darstellt. Es betrifft die zuneh­men­de Zahl onko­lo­gi­scher Pati­en­ten. Tumor­neu­erkran­kun­gen betref­fen ca. 500.000 Patienten/Jahr und führen bei ca. 200 000 Menschen in Deutsch­land jähr­lich zum Tod. Wir hatten eine erhöh­te Vigi­lanz der Augen­ärz­te für das Thema bereits ange­spro­chen. Nahezu spek­ta­ku­lä­re Erfol­ge konn­ten in den letz­ten Jahren in der Onko­lo­gie nicht nur mit Check­point-Inhi­bi­to­ren (erkenn­bar durch die Endsil­be „-mab“ im Namen), sondern auch mit selek­ti­ven MAP-Kinase-Inhi­bi­to­ren (MEKi; erkenn­bar durch Endsil­be „-nib“) erreicht werden. Selbst bei bisher als unbe­han­del­bar gelten­den Mali­gno­men kann damit eine deut­lich besse­re Progno­se erreicht werden. Es kann z.T. von „Heilung“ gespro­chen werden.

Mit der zuneh­mend häufi­ge­ren Anwen­dung dieser hoch­po­ten­ten Wirk­stof­fe rücken auch die uner­wünsch­ten Wirkun­gen deut­li­cher in den Vorder­grund. Dabei sind viele Neben­wir­kun­gen von den glei­chen immu­no­lo­gi­schen Mecha­nis­men getrie­ben, die für die Wirkung der Substan­zen verant­wort­lich sind. Entspre­chend ihres Wirk­an­sat­zes indu­zie­ren Immun­check­point-Inhi­bi­to­ren v.a. auto­im­mu­ne Neben­wir­kun­gen, die jedes Organ­sys­tem einbe­zie­hen können. Häufig betrof­fe­ne Organe sind Haut- und Schleim­haut (Koli­tis, Konjunk­ti­vi­tis), endo­kri­ne Organe (Thyreo­idea oder Hypo­phy­se), sowie neuro­lo­gi­sche Neben­wir­kun­gen, die v.a. auch das Auge einbe­zie­hen. Damit unter­schei­den sich die

Neben­wir­kun­gen grund­le­gend von den bisher bekann­ten zyto­to­xi­schen Effek­ten konven­tio­nel­ler Chemo­the­ra­pien oder strah­len­the­ra­peu­ti­scher Komplikationen.

Der Beitrag von Fang T et al. im „Jour­nal of Current Ophthal­mo­lo­gy” fasst die bishe­ri­gen Beob­ach­tun­gen zu Check­point-Inhi­bi­to­ren aus dem Melde­re­gis­ter der FDA zusam­men. Die Präva­lenz okulä­rer Neben­wir­kun­gen liegt zwar im einstel­li­gen Prozent­be­reich. Die Autoren gehen jedoch von einer hohen Dunkel­zif­fer aus, da wenig ausge­präg­te Neben­wir­kun­gen selten geäu­ßert werden. Zudem besteht auch die Sorge, die lebens­ver­län­gern­de Thera­pie könne aufgrund uner­wünsch­ter Wirkun­gen vorzei­tig been­det werden. Am häufigs­ten war Ipili­mum­ab auffäl­lig. Als CTLA-4-Hemmer beein­träch­tigt es v.a. die Funk­ti­on von T‑regulatorischen Zellen, und führt zu entspre­chen­den (auto)immunologischen Verän­de­run­gen, v.a. entzünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen und unter­schied­li­chen Formen der Uveitis.

Da konkre­te Hand­lungs­an­wei­sun­gen in dieser Arbeit nicht gege­ben werden, weisen wir ergän­zend auf den Über­sichts­bei­trag von Liu X et al. (Peking) hin. Er ist zwar in einer nicht ophthal­mo­lo­gi­schen Zeit­schrift („Thor­a­cic Cancer”) zu finden, aber im Open Access univer­sell verfüg­bar. Hier werden in knap­per, fokus­sier­ter Darstel­lung nicht nur das deut­lich weite­re Spek­trum ophthal­mo­lo­gi­scher Kompli­ka­tio­nen (kurz) ange­spro­chen, sondern auch die bishe­ri­gen berich­te­ten Behand­lungs­an­sät­ze prägnant zusammengefasst.

Eben­falls deut­lich lebens­ver­län­gernd wirken soge­nann­te selek­ti­ve MEK-Inhi­bi­to­ren, die v.a. beim mali­gnen Mela­nom verwen­det werden. Uner­wünsch­te Wirkun­gen werden in klini­schen Studi­en bei bis zu 90 % (!) der Pati­en­ten beob­ach­tet. Méndez-Martí­nez S et al. stel­len in „Retina” eine syste­ma­ti­sche Analy­se der wesent­li­chen Kompli­ka­tio­nen zusam­men. Maku­la­ö­dem, Abhe­bung des reti­na­len Pigmen­t­epi­thels (RPE), reti­na­ler Venen­ver­schluss und RCS-ähnli­che Verän­de­run­gen stehen im Fokus des Neben­wir­kungs­spek­trums. Dabei treten einige inter­es­san­te patho­phy­sio­lo­gi­sche Aspek­te zu Tage. Abwei­chend von den Verän­de­run­gen der oben genann­ten Check­point-Inhi­bi­to­ren kann bei MEK-Inhi­bi­to­ren ein „Klas­sen­ef­fekt“ mit charak­te­ris­ti­scher Netz­haut­to­xi­zi­tät beob­ach­tet werden. Dazu wurde der Begriff „MEK-asso­zi­ier­te Reti­no­pa­thie“ (MEKAR) geprägt, der dosis- und zeit­ab­hän­gi­ge Netz­haut­ne­ben­wir­kung zeigt. Verkürzt darge­stellt treten klini­sche Verän­de­run­gen wie bei der RCS auf. Visus­min­de­rung, Meta­mor­ph­op­sien und Farb­sinn-Störun­gen sind die häufigs­ten Sympto­me. Als Unter­schie­de stel­len die Autoren heraus, dass medi­ka­men­ten­in­du­zier­te Verän­de­run­gen sehr viel häufi­ger bila­te­ral (90 % vs. max 40 % bei RCS), multi­fo­kal (bei 77% !) und zudem oft extra-foveal zu finden sind. Auch die OCT-Darstel­lung unter­schei­det sich. In allen MEKAR-Fällen fanden sich Flüs­sig­keits­an­samm­lun­gen zwischen dem RPE und der Inter­di­gi­ta­li­sie­rungs­zo­ne, einem Bereich, der die apika­len Prozes­se des RPE und der äuße­ren Zapfen­seg­men­te umfasst.

Alle diese Befun­de spre­chen dafür, dass bei der MEK-Hemmung eine verän­der­te Flüs­sig­keits­ver­tei­lung erfolgt und vermut­lich die Tight-Junc­tions zwischen RPE-Zellen verän­dert werden.

Als Resü­mee der Behand­lung mit diesen neuen immun-onko­lo­gi­schen Wirk­stoff­klas­sen lässt sich folgern, das idea­ler­wei­se eine ophthal­mo­lo­gi­sche Unter­su­chung bereits vor Thera­pie­be­ginn erfolgt. Damit können gege­be­nen­falls vorbe­stehen­de Verän­de­run­gen von dem brei­ten Spek­trum uner­wünsch­ten Wirkun­gen unter­schie­den werden. Unsere exzel­len­ten Möglich­kei­ten v.a. reti­no­to­xi­sche Effek­te z.B. per OCT aufzu­spü­ren, soll­ten häufi­ger ange­wen­det werden. Bishe­ri­ge Behand­lungs­mög­lich­kei­ten sind zwar unspe­zi­fisch (Stero­ide…), aber durch­aus effek­tiv und soll­ten die Lebens­qua­li­tät der ohne­hin schwer betrof­fe­nen Pati­en­ten nicht noch durch Visus-gefähr­den­de Kompli­ka­tio­nen einschränken.

Blei­ben sie gesund und aufmerksam!

Herz­lichst Ihr Uwe Pleyer und das Team von „Ophthal­mo­lo­gie Kompakt”

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