Diabe­tes und Auge: Bewähr­tes. Neues. Überraschendes. 

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Aktu­ell sind mehr als 460 Mio. Menschen von Diabe­tes melli­tus betrof­fen – eine Zahl, die sich bis 2045 auf 700 Mio. nahezu verdop­peln wird. Gleich­zei­tig schätzt die Inter­na­tio­nal Diabe­tes Fede­ra­ti­on (IDF) das ca. 3% der Betrof­fe­nen erblin­den werden. Zwei Kompli­ka­tio­nen bedro­hen das Sehver­mö­gen: das diabe­ti­sche Maku­la­ö­dem und die proli­fe­ra­ti­ve diabe­ti­sche Reti­no­pa­thie. Für beide Proble­me ist die patho­ge­ne Rolle von VEGF gut etabliert. Die Bedeu­tung und der Nutzen der Behand­lung des diabe­ti­schem Maku­la­ö­dem mit VEGF-Hemmer ist längst unbe­strit­ten. Inzwi­schen zeich­net sich ab, das sie auch bei ande­ren Formen der diabe­ti­schen Reti­no­pa­thie ein wich­ti­ger Baustein indi­vi­dua­li­sier­ter Thera­pie werden können. Dies bele­gen aktu­el­le Daten der PANORA­MA-Studie. In der aktu­el­len Online-Mittei­lung von „JAMA Ophthal­mo­lo­gy“ werden die Daten von mehr als 400 Diabe­ti­kern vorge­stellt, die Afli­ber­cept erhiel­ten. Die Ergeb­nis­se nach 2 Jahren bele­gen signi­fi­kan­te, posi­ti­ve Effek­te mit Regres­si­on der morpho­lo­gi­schen Befun­de, die mit einem verbes­ser­ten funk­tio­nel­len Ergeb­nis einher­ge­hen. Gleich­zei­tig trat selte­ner als in der Kontroll­grup­pe ein Maku­la­ö­dem auf. Wie die Autoren beto­nen, war der Behand­lungs­er­folg von einer konse­quent fort­ge­führ­ten Injek­ti­ons­fre­quenz über das erste Jahr hinaus abhängig.

Dies setzt eine gute Adhä­renz der Pati­en­ten in der Lang­zeit­be­hand­lung voraus – eine Voraus­set­zung, an der lang­fris­ti­ge Erfol­ge, gerade bei Diabe­ti­kern, leider oft schei­tern. Dass die Augen­pro­ble­ma­tik im Bewusst­sein der Betrof­fe­nen oft nicht „ankommt“, geht aus dem aktu­el­len Beitrag von Nwan­y­an­wu und Mitar­bei­tern hervor. Kurz zusam­men­ge­fasst: Jedem 10. Pati­en­ten mit diabe­ti­scher Reti­no­pa­thie war die Erkran­kung nicht bekannt. Beson­ders nega­tiv fiel dabei die Gruppe der älte­ren Männer auf. Als Grund­la­ge für die Diagno­se und Gradu­ie­rung der Reti­no­pa­thie bei dieser Studie wurden vor allem Fundus­auf­nah­men herangezogen. 

Fundus­auf­nah­men haben sich bereits als gut geeig­ne­te Möglich­keit für ein auto­ma­ti­sier­tes, zeit­spa­ren­des Scree­ning heraus­ge­stellt. Wir hatten bereits darauf hinge­wie­sen (Kompakt Ophthal­mo­lo­gie, Januar 2020), dass die FDA einem Unter­neh­men für künst­li­che Intel­li­genz die Geneh­mi­gung für sein „Eyenuk“-System zu diesem Zweck erteilt hat. Lässt sich dies noch verbes­sern? Da die OCT-Unter­su­chung bei Diabe­ti­kern vieler­orts zum Stan­dard wurde und erheb­lich mehr und detail­lier­te­re Daten liefert, bietet sie sich zur Früh­dia­gnos­tik an. Neue Erkennt­nis­se dazu bietet die Arbeit von Papay JA et al., nach­zu­le­sen in „PLoS One“. Diese Studie an 33 Diabe­ti­kern belegt, dass spezi­fisch aufge­ar­bei­te­te OCT-Signa­le sehr früh­zei­tig morpho­lo­gi­sche Verän­de­run­gen erfas­sen können. Muster­ver­än­de­run­gen wurden v.a. in den äuße­ren Netz­haut­schich­ten nach­ge­wie­sen, die mit Anoma­li­en klei­ner Gefäße und Exsu­da­ti­on von Lipi­den und Flüs­sig­keit über­einstimmten. Die Autoren beto­nen, das andere patho­lo­gi­sche Prozes­se, die im Alter häufi­ger auftre­ten, weit­ge­hend aus der Analy­se ausge­schlos­sen werden konn­ten. Da es sich um eine Pilot­stu­die mit einer klei­nen umschrie­be­nen Kohor­te handelt, sind weite­re Unter­su­chun­gen und unab­hän­gi­ge Bestä­ti­gung der Ergeb­nis­se abzuwarten.

Uns ist allen klar, dass zwischen der Mikro­an­gio­pa­thie der Retina und patho­lo­gi­schen Befun­den an ande­ren Orga­nen enge Verbin­dun­gen bestehen. Aber: Wie steht es mit einer mögli­chen Korre­la­ti­on zur Chorio­idea? Fran­cis­co de Asis Bartol-Puyal und Kolle­gen aus Spani­en haben sich diese Frage gestellt und eine sorg­fäl­ti­ge inter­dis­zi­pli­när ange­leg­te Unter­su­chung vorge­legt. In der aktu­el­len Ausga­be des „Euro­pean Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ stel­len sie ihre Ergeb­nis­se vor.  Kurz zusam­men­ge­fasst: Erwar­tungs­ge­mäß bestä­tigt sich der Zusam­men­hang der Reti­no­pa­thie mit einer Mikro­an­gio­pa­thie als Nephro­pa­thie und korre­liert mit der peri­phe­ren Poly­neu­ro­pa­thie. Aller­dings ließ sich keine Bezie­hung zu einer extrao­ku­la­ren (syste­mi­schen) Makro­an­gio­pa­thie herstellen.

Die Mikro­an­gio­pa­thie an Niere und Myokard bei Diabe­ti­kern ist gut bekannt – weni­ger beach­tet werden Verän­de­run­gen im zentra­len Nerven­sys­tem. Ein erhöh­tes Risiko für Schlag­an­fäl­le bei Pati­en­ten mit proli­fe­ra­ti­ver diabe­ti­scher Reti­no­pa­thie ist belegt. Aktu­el­le Ergeb­nis­se aus Helsin­ki (Finn­land) zeigen, dass zere­bra­le Verän­de­run­gen schon sehr viel früher als Mikro­blu­tun­gen auftre­ten. Bereits bei mode­ra­ter diabe­ti­scher Reti­no­pa­thie (EDTRS <35) konn­ten diese nach­ge­wie­sen werden. Auch nach Ausschluss weite­rer Risi­ko­fak­to­ren, z.B. arte­ri­el­ler Hyper­ten­si­on, erwies sich die Reti­no­pa­thie als unab­hän­gi­ger Risi­ko­fak­tor (8- bis 38-fach erhöht).

Zu guter Letzt noch eine Mittei­lung, die mich doch über­rascht hat … Eine aktu­el­le Koope­ra­ti­on chine­si­scher und däni­scher Kolle­gen zeigt, dass ein mütter­li­cher Diabe­tes melli­tus während der Schwan­ger­schaft mit einem verstärk­ten Risiko für hohe Refrak­ti­ons­feh­ler bei den Nach­kom­men asso­zi­iert ist. Dazu wurden die Daten von nicht weni­ger als 2,5 Mio. Perso­nen heran­ge­zo­gen. Bemer­kens­wert ist auch, das diese über 25 Jahre nach­ver­folgt wurden. Zusam­men­fas­send wird berich­tet, dass mütter­li­cher Diabe­tes mit einem 39-fach stär­ke­ren Risiko für hohe Brechungs­feh­ler bei den Kindern verbun­den ist: Ein Effekt, der noch stär­ker bei Müttern mit diabe­ti­schen Kompli­ka­tio­nen während der Schwan­ger­schaft ausge­präg­t war. Über die Genese dieser Beob­ach­tung können die Autoren nur speku­lie­ren. In erster Linie führen sie meta­bo­li­sche Verän­de­run­gen des Fetus an. Als Konse­quenz empfeh­len die Kolle­gen ein früh­zei­ti­ges ophthal­mo­lo­gi­sches Scree­ning bei Kindern von Müttern, bei denen vor oder während der Schwan­ger­schaft ein Diabe­tes diagnos­ti­ziert wurde.

Fazit aus all diesen Beob­ach­tun­gen: Aktu­el­le Progno­sen lassen erwar­ten, dass der Diabe­tes ein zuneh­men­des Problem für die Welt­be­völ­ke­rung wird. Chro­ni­sche Kompli­ka­tio­nen der Erkran­kung werden für Pati­en­ten, Ärzte und die Gesell­schaft als Ganzes von großer Bedeu­tung sein, auch in Hinblick auf eine wirt­schaft­li­che und globa­le Gesund­heits­per­spek­ti­ve. Die diabe­ti­sche Reti­no­pa­thie als eine der häufigs­ten und schwer­wie­gends­ten Kompli­ka­tio­nen wird sich nur durch effek­ti­ve Früh­erken­nung und adäqua­tes Handeln eingren­zen lassen. Die Voraus­set­zun­gen dazu waren noch nie so günstig.

Wir werden das Thema im Auge behal­ten und bei ande­rer Gele­gen­heit in Kompakt Ophthal­mo­lo­gie wieder berichten.

Herz­lichst,

Ihr Uwe Pleyer und das gesam­te Team von „Kompakt Ophthalmologie“

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