Sind Sie wieder „aufge­taucht”?

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

…Sind sie wieder „aufge­taucht?“…

Die aktu­el­le Pande­mie wurde mit einem Tauch­gang vergli­chen … die Welt hält den Atem an – und kommt allmäh­lich wieder an die Ober­flä­che … was sehen wir?

Verehr­te Kolle­gin­nen und Kollegen,

will­kom­men zurück in einer verän­der­ten Norma­li­tät und zu einer neuen Ausga­be von Ophthal­mo­lo­gie Kompakt. Was ist anders? Wie wird es in Klinik und Praxis weiter­ge­hen? Keine Frage: Abstands­re­gel, erhöh­te Hygie­ne­stan­dards und persön­li­che Schutz­maß­nah­men blei­ben obli­gat. Die ambu­lan­te und statio­nä­re Versor­gung, die ohne­hin nie völlig zum Erlie­gen kam, wird wieder hoch­ge­fah­ren. Groß­ver­an­stal­tun­gen wurden bis August abge­sagt. Wo immer möglich, werden digi­ta­le und Online-Optio­nen einge­setzt, um poten­zi­el­len Risi­ken vorzubeugen.

Vielen Einschrän­kun­gen zum Trotz soll­ten wir auch die posi­ti­ven Aspek­te der Krise wahr­neh­men. Einen wahren Schub erlebt die neue digi­ta­le Wirk­lich­keit. Schon erstaun­lich, wie zuvor schier unüber­wind­ba­re daten­recht­li­che Beden­ken bei mancher Soft­ware plötz­lich den prag­ma­ti­schen Gege­ben­hei­ten zum Opfer fielen. Online- und Video­sprech­stun­den für Pati­en­ten werden auf Prak­ti­ka­bi­li­tät geprüft und zuneh­mend einge­rich­tet. Die studen­ti­sche Lehre in den Klini­ken erhält einen neuen Schub und zwingt ergrau­te Dozent/innen in E‑Lear­ning-Ange­bo­te.  Insti­tu­tio­nen, die bisher kaum bekannt geschwei­ge denn beach­tet wurden – vom Robert Koch Insti­tut bis zur Leopol­di­na – diktie­ren plötz­lich den Takt öffent­li­chen Lebens.  Kurzum, die Wissens­ge­sell­schaft bekommt uner­war­tet Auftrieb, und die Kehr­sei­te der Medail­le glänzt heller als zunächst erwar­tet … Mit Ophthal­mo­lo­gie Kompakt können wir uns hier unmit­tel­bar anschlie­ßen und einen Blick in aktu­el­le Arbei­ten werfen.

Zunächst: Wie steht es um die aktu­el­le Daten­la­ge zur SARS-CoV-2-Infek­ti­on und mögli­cher Augenbeteiligung?

Die gute Botschaft zuerst: Es liegen bisher keine Berich­te über schwe­re ophthal­mo­lo­gi­sche Betei­li­gun­gen vor, wie sie zuletzt bei den Infek­ti­ons­aus­brü­chen nach Zika- oder Ebola-Virus Infek­tio­nen berich­tet wurden. Hier waren gravie­ren­de Schä­den von früh­kind­li­chen Orbi­ta­ver­än­de­run­gen bis hin zu schwe­ren intraoku­la­ren Infek­tio­nen aufge­tre­ten. Dies erstaunt – sind doch am Gefä­ßen­do­thel eben­falls (ACE2)Rezeptoren vorhan­den, die u.a. eine Vaskulitis/Retinitis bei COVID-19-Infek­ti­on erwar­ten ließen. Die bishe­ri­gen klini­schen Beob­ach­tun­gen fokus­sie­ren dage­gen ausnahms­los auf den vorde­ren Augen­ab­schnitt. In der jüngs­ten Ausga­be von „Acta Ophthal­mo­lo­gi­ca“ berich­ten Hong et al. (Provinz Hubei) über 56

COVID-19-Pati­en­ten. Inter­es­sant ist das immer­hin jeder 4. Betrof­fe­ne eine Augen­be­tei­li­gung aufwies und etwa jeder 10. bereits vor Ausbruch der Erkran­kung über prodro­ma­le Augen­sym­pto­me berich­te­te. Die Autoren gehen aufgrund dieser Beob­ach­tun­gen noch einen Schritt weiter. Sie speku­lie­ren, dass über die okulä­re Ober­flä­che und Drai­na­ge in den Nasopha­rynx eine Trans­mis­si­on des Erre­gers in den Respi­ra­ti­ons­raum erfol­gen könne.  Abwe­gig erscheint dies nicht. Es ist bekannt, dass die meis­ten Atem­wegs­vi­ren einen Augen­tro­pis­mus besit­zen. Bei infi­zier­ten Perso­nen treten häufig Konjunk­ti­vi­tis und Kera­ti­tis auf und erst anschlie­ßend entwi­ckelt sich die Atem­wegs­in­fek­ti­on. Aktu­el­le Ergeb­nis­se aus einer hier nicht zitier­ten Publi­ka­ti­on („Nature Commu­ni­ca­ti­on“) zeigen, das ACE2-Rezep­to­ren u.a. im Kornea-Epithel über­ra­schend hoch expri­miert werden, deut­lich höher als in vielen Regio­nen des Respirationstraktes … 

Es bleibt die Frage, inwie­weit wir als Behand­ler gefähr­det sind. Dazu haben Seah und ein inter­na­tio­na­les Team aus Singa­pur in der aktu­el­len Ausga­be von „Ophthal­mo­lo­gy“, das Thema aufge­grif­fen und die Virus­last mit semi-quan­ti­ta­ti­ver PCR unter­sucht. Während Virus-RNA bei allen COVID-19-Pati­en­ten im Abstrich der Nasen­schleim­haut nach­ge­wie­sen wurde, gelang dies bei keinem der Betrof­fe­nen in der Binde­haut. Die Autoren folgern, dass das Risiko einer SARS-CoV-2-Über­tra­gung durch Tränen­se­kret sehr gering sei. Aller­dings basiert auch diese Unter­su­chung auf einer klei­nen Stich­pro­be (n=17). Zudem sind metho­di­sche Schwä­chen anzu­mer­ken, unter ande­rem wurden verschie­de­ne Labore und unter­schied­li­che Zeit­punk­te untersucht.

Dennoch kann für uns zum Thema COVID-19 resü­miert werden, dass die Infek­ti­on nach aktu­el­lem Stand am ehes­ten die Augen­ober­flä­che betrifft, aber even­tu­ell auch als eine Eintritts-Pforte in Betracht gezo­gen werden muss. Vorsichts­maß­nah­men sind weiter­hin auch bei allen asym­pto­ma­ti­schen Perso­nen wich­tig und soll­ten im eige­nen Inter­es­se strikt befolgt werden.

Blei­ben wir beim Problem okulä­rer Ober­flä­chen­stö­run­gen. In Zeiten moder­ner Heim­ar­beit können wir neben ortho­pä­di­schen Beschwer­den v.a. (Über-)Beanspruchungen im Rahmen des „Office Eye Syndroms“ erwar­ten. Daher kommt die Quer­schnitts­ana­ly­se von Dana et al. (Boston/USA) gerade zur rech­ten Zeit. In der aktu­el­len Ausga­be des „Ameri­can Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ wird die bisher umfas­sends­te Quer­schnitts­un­ter­su­chung mit mehr als 2000 Perso­nen mit/ohne trocke­nem Auge vorge­legt. Es wurden Beschwer­de­bild, Umge­bungs­ein­flüs­se und Konse­quen­zen befragt. Demnach liegen bei 3 von 4 Perso­nen mit trocke­nem Auge „Schmer­zen“ und z.T. erheb­li­che Beschwer­den vor. Die Ergeb­nis­se unter­strei­chen zudem, dass sich diese Belas­tun­gen deut­lich auf den persön­li­chen und beruf­li­chen Lebens­all­tag und Leis­tungs­fä­hig­keit auswirken.

Als ein wesent­li­cher patho­phy­sio­lo­gi­scher Faktor in der Genese des trocke­nen Auges wird ein hyper­os­mo­la­rer Tränen­film gese­hen. Zudem ist die Tränen­os­mo­la­ri­tät auch als eines der weni­gen objek­ti­ven Krite­ri­en zur Diagno­se des Trocke­nen Auges heraus­ge­stellt worden. Mit dem „Tear­Lab“ steht uns ein entspre­chen­des Mess­in­stru­ment zur Verfü­gung. Es gibt sie aller­dings immer wieder: Die Kritik an der Bewer­tung der Tränen­os­mo­la­ri­tät. Bei der klini­schen Umset­zung sind immer wieder Zwei­fel an der Vali­di­tät aufge­kom­men. Tash­bayev und Mitar­bei­ter aus Oslo, Norwe­gen kommen in der bisher umfang­reichs­ten (1514 Augen!) Studie in der aktu­el­len Ausga­be von „Scien­ti­fic Reports“ zu dem Schluss, dass in der Routi­ne der klini­sche Nutzen der Messung deut­lich limi­tiert ist. Bei Pati­en­ten mit gesi­cher­tem trocke­nem Auge konnte kein Unter­schied zu gesun­den Proban­den fest­ge­stellt werden. Selbst bei verän­der­tem Cut-off-Wert (>308 mOsm/l, >316 mOsm/l) und einer Diffe­renz zwischen den Augen (>8 mOsm/l) ließ sich keine Diffe­renz der beiden Grup­pen fest­stel­len.  Zwar räumen die Unter­su­cher einige syste­ma­ti­sche Fehler­mög­lich­kei­ten ein, verwei­sen aber auch auf ähnli­che Ergeb­nis­se voran­ge­gan­ge­ner Studien.

Wenden wir uns noch 2 aktu­el­len Arbei­ten zur Thera­pie schwe­rer Ober­flä­chen­stö­run­gen zu.

Zur Behand­lung des trocke­nen Auges steht uns heute eine Stufen­lei­ter thera­peu­ti­scher Optio­nen zur Verfü­gung. Tränen­er­satz­mit­tel und anti­ent­zünd­li­che Wirk­stof­fe stehen im Vorder­grund. Am oberen Ende der Behand­lungs­kas­ka­de kann unter Umstän­den auto­lo­ges Serum erwo­gen werden. Vom Nutzen dieser Thera­pie bei schwerst­be­trof­fe­nen Sicca-Pati­en­ten (Sjögren-Syndrom, GvHD) sind sicher­lich viele von uns über­zeugt! Daher schät­ze ich den Report von Shtein et al. in „Ophthal­mo­lo­gy“ als eine wich­ti­ge Unter­stüt­zung — z.B. bei der Antrag­stel­lung für die Kosten­trä­ger. In dieser Meta­ana­ly­se aus insge­samt 280 Abstracts zeig­ten alle rele­van­ten Studi­en eine deut­li­che Verbes­se­rung der Befun­de und wesent­li­che Verbes­se­rung der Lebens­qua­li­tät. Abschlie­ßend noch der Hinweis auf eine Arbeit aus Bern (Schweiz) in „Cornea“, in der die Autoren ihre Erfah­run­gen mit Amni­onmem­bran- Trans­plan­ta­ti­on bei Horn­hau­tul­zer­a­tio­nen zusam­men­fas­sen. In dieser umfas­sen­den Analy­se wurden die klini­schen Effek­te bei unter­schied­li­chen infek­tiö­sen- und nicht­in­fek­tiö­sen Indi­ka­tio­nen nach­be­ob­ach­tet. Die Autoren berich­ten einer­seits, dass bei mehr als 80% der Ulzera ein Epithel­schluss erreicht wird. Ande­rer­seits fielen Pati­en­ten mit rheu­ma­to­lo­gi­schen Grund­er­kran­kun­gen aus diesem posi­ti­ven Gesamt­bild heraus – warum? Lesen sie selbst….

Auch nach diesem „Tauch­gang” wird der Sauer­stoff­man­gel wohl noch anhal­ten. Nicht zuletzt der obli­ga­te Mund-Nasen­schutz wird dazu beitra­gen. Doch wie schon eingangs erwähnt: Wir soll­ten auch hier nicht nur die Einschrän­kun­gen für uns und unsere Pati­en­ten sehen. Viel­fäl­tig sind die ästhe­ti­schen Vortei­le. So manches – nur vom Besit­zer geschätz­te Attri­but, wie Nasen­ring oder Bril­lie im Schnei­de­zahn – bleibt uns bis auf Weite­res verborgen.

Sehen wir´s also posi­tiv! Blei­ben sie gesund … oder wünscht man schon: Werden sie immun?!

Herz­lichst 

Ihr Uwe Pleyer und das Team von „Ophthal­mo­lo­gie Kompakt“

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