Robo­ter als Termi­na­tor des Augen­chir­ur­gen – Ein Blick in die Zukunft

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © Nord­blick GmbH

Sehr geehr­te Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

gerade liegen die Bundes­tags­wah­len hinter uns und wir konn­ten beob­ach­ten, wie lange bestehen­de Zustän­de, welche als sicher galten, plötz­lich ins Wanken kommen. Große Partei­en kommen ins Trudeln und erst­ma­lig wird wohl eine Dreier-Koali­ti­on die Regie­rung bilden.

Mit einer entspre­chen­den, offe­nen Frage für unser Fach­ge­biet möchte ich mich nun aber der Augen­heil­kun­de zuwen­den. Wird der Zustand, dass ein Chir­urg für Augen­ope­ra­tio­nen in der Zukunft noch gebraucht wird, in der heuti­gen Form noch Bestand haben? Oder werden Robo­ter unse­ren Platz einneh­men können?

Lassen Sie uns gemein­sam einen Blick auf die aktu­el­le Entwick­lung werfen.

Zurzeit hinkt der Einsatz von Robo­tern in der Augen­heil­kun­de noch ande­ren Fach­rich­tun­gen hinter­her. Das bekann­te Da-Vinci-Robo­ter-System wird heute z.B. in der Urolo­gie, Gynä­ko­lo­gie oder der Thorax- und Abdo­mi­nal­chir­ur­gie, aber auch z.B. in der Schild­drü­sen­be­hand­lung welt­weit einge­setzt. Vergleich­ba­re Erfol­ge in der robo­ter­ge­stütz­ten Chir­ur­gie fehlen aber in der Opthal­mo­chir­ur­gie bisher. Sucht man in Pubmed nach „Da Vinci“, finden sich bisher 2621 Publi­ka­tio­nen zu diesem Thema.

Warum zeigen sich aber bisher in der intrao­ku­la­ren Chir­ur­gie noch keine größe­ren Fort­schrit­te? Am ehes­ten liegt dies an der spezi­el­len Anato­mie des Auges mit seiner guten opti­schen Zugäng­lich­keit, der Entwick­lung von perfek­ten Opera­ti­ons­mi­kro­sko­pen, den opti­mier­ten Phako­ma­schi­nen und der Etablie­rung des Femto­la­sers. Letz­te­re führt ja schon in der Horn­haut und Linsen­chir­ur­gie zu auto­ma­ti­sie­ren, robo­ter­ar­ti­gen Verein­fa­chun­gen der Opera­tio­nen. Gerade in der Intrao­ku­lar­lin­sen­chir­ur­gie haben wir insge­samt schon sehr weit stan­dar­di­sier­te Vorgän­ge mit einem sehr hohen Niveau – aber eben nicht automatisiert.

Warum könnte aus einer weite­ren Entwick­lung der robo­ter­ge­stütz­ten Chir­ur­gie dennoch ein Erfolg werden? Die Präzi­si­on der Mikro­chir­ur­gie ist immer durch den Tremor des Opera­teurs limi­tiert. Auch beim geüb­tes­ten Opera­teur liegt die Ampli­tu­de des Tremors im Bereich von 180 mm. Gerade im Bereich der Netz­haut­ge­fä­ße, des subre­ti­na­len Raumes und des Schlemm­schen Kanals ist die Präzi­si­on daher durch diese Größe einge­schränkt. Außer­dem könnte durch robo­ter­ge­stütz­te intra­ope­ra­ti­ve Bild­ge­bung und Kraft­mes­sung z.B. die vitre­o­re­ti­na­le Chir­ur­gie weiter verfei­nert werden. Auch in der Kata­rakt­chir­ur­gie könnte eine Poli­tur der Hinter­kap­sel, welche mit Bewe­gun­gen im Mikro­me­ter­be­reich erfolgt, mögli­cher­wei­se die Perfek­ti­on erhöhen.

Ein ande­rer Faktor, welcher zur Verbrei­tung von Robo­ter­tech­no­lo­gie in der Augen­heil­kun­de führen könnte, ist die Alte­rung der Welt­be­völ­ke­rung und die damit verbun­de­ne Zunah­me von Augen­er­kran­kun­gen bei gleich­zei­tig nicht mit wach­sen­der Anzahl von Nach­wuchs in der Augen­chir­ur­gie. Robo­ter könn­ten in der Zukunft helfen, dieses Miss­ver­hält­nis zu regu­lie­ren und auch in Gebie­ten mit gerin­ger Dichte an medi­zi­ni­scher Versor­gung den Bedarf zu decken.

Seit den 1990er-Jahren wurden unter­schied­li­che Proto­ty­pen von Robo­ter­sys­te­men vorge­stellt. Gerade im Bereich der vitre­o­re­ti­na­len Chir­ur­gie lassen sich vier unter­schied­li­che Robo­ter­ty­pen unter­schei­den: 1. Instru­men­te wie Mikro­pin­zet­ten mit zusätz­li­cher Robo­ter­funk­ti­on wie einge­bau­te Kraft­sen­so­ren oder OCT, 2. Robo­ter, die mithil­fe ihres Armes die Bewe­gung des Opera­teurs opti­mie­ren (Hand-on-Hand), 3. Tele­me­di­zi­ni­sche Robo­ter, die fern­ge­steu­ert sind und 4. soge­nann­te Magnet­feld-geführ­te Robo­ter. Letz­te­re werden u.a. für den Einsatz von Mikro­kap­seln für die lokale Medi­ka­men­ten­ga­be im Glas­kör­per einge­setzt und haben den Vorteil, dass das äußere Auge prak­tisch nicht berührt wird. Gerade für den Einsatz von Robo­tern im der vitre­o­re­ti­na­len Chir­ur­gie gibt ein Über­sichts­ar­ti­kel von Ahro­no­vich einen sehr guten Einblick und ist dem Leser als Open Access Arti­kel sehr zu empfehlen.

Schon früh wurde z.B. durch eine Gruppe der Vander­bilt Univer­si­tät ein OCT-Scan an Mikro­pin­zet­ten für das Peeling inte­griert. Es konnte dabei im Tier­ver­such gezeigt werden, dass der Abstand des Instru­men­tes zur Membran in Echt­zeit darge­stellt werden kann. Dies stellt natür­lich eine deut­li­che Verbes­se­rung dar, welche sicher­lich die Kompli­ka­ti­ons­ra­ten verrin­gern könnte (Yu H et al. Evalua­ti­on of micro­sur­gi­cal tasks with OCT-guided and/or robot-assis­ted ophthal­mic forceps.Biomed Opt Express 2015;6(2):457–472)

Eine Arbeits­grup­pe um Carne­gie Mellon von der Johns Hopkins Univer­si­tät stell­ten ein hand­ge­hal­te­nes System – das Micron – vor, welches den Tremor redu­ziert und z.B. die Punk­ti­on von reti­na­len Venen im Model ermög­lich­te. Eine Münche­ner Arbeits­grup­pe konnte einen Robo­ter entwi­ckeln, der mit seinen Gelenk­ar­men klein genug war, um am Kopf des Pati­en­ten montiert zu werden (Roizen­blatt M et al. Robot-assis­ted vitre­o­re­ti­nal surge­ry: current perspec­ti­ves. Robo­tic Surge­ry: Rese­arch and Reviews 2018;5:1–11).

2013 wurde mit dem IRISS System (Intrao­cu­lar Robo­tic Inter­ven­tio­nal and Surgi­cal System) der erste Robo­ter spezi­ell für die Kata­rakt­chir­ur­gie vorge­stellt. Im Tier­mo­dell konnte eine siche­re Extrak­ti­on der Linse u.a. mithil­fe von prä- und intra­ope­ra­ti­ver OCT-Bild­ge­bung durch­ge­führt werden (Rahimy E et al. Robot-assis­ted intrao­cu­lar surge­ry: deve­lo­p­ment of the IRISS and feasi­bi­li­ty studies in an animal model. Eye (Lond) 2013;27(8):972–978).

Aktu­ell berich­te­te eine Arbeits­grup­pe um Matthew J. Gerber im „Inter­na­tio­nal Jour­nal of Medi­cal Robo­tics“, dass im Tier­ver­such am Schwei­ne­au­ge bei der Linsen­kap­sel am Ende der Kata­rakt-OP mithil­fe eines intra­ope­ra­ti­ve OCT und einer sich bewe­gen­den IA-Spitze bei nied­ri­gem Vakuum eine kompli­ka­ti­ons­lo­se voll­stän­di­ge Poli­tur durch­ge­führt werden konnte.

Das einzi­ge Robo­ter­sys­tem, welches es heute zur Markt­ein­füh­rung gebracht hat, ist das PRECEYES-System. Der Chir­urg steu­ert einen Mani­pu­la­tor, an dem ein Instru­ment befes­tigt ist, über einen Joystick. Es wurde bisher beim Peeling und der subre­ti­na­len Chir­ur­gie einge­setzt (Edwards TL et al. First-in-human study of the safety and viabi­li­ty of intrao­cu­lar robo­tic surge­ry. Nat Biomed Eng 2018;2:649–656). 

Kürz­lich wurden aber auch erste Opera­tio­nen im Bereich des Kammer­win­kels mit dem PRECEYES durch­ge­führt, womit sich der Einsatz­be­reich deut­lich erhöht hat. Für den Opera­teur ist der Einsatz des Robo­ters mitsamt seiner Steue­rung durch den Joystick eine voll­kom­men neue Erfah­rung, da er nicht mehr direkt am Auge operiert. Es verhält sich somit bei der Opera­ti­on mehr wie bei einer Spiel­kon­so­len­si­tua­ti­on, auf die sich der Chir­urg einlas­sen muss.

Mit dem AcuSur­gi­cal-Cock­pit geht ein weite­rer Robo­ter in die klini­sche Erpro­bung. Dem Opera­teur stehen zwei Arme zur Verfü­gung, an die die übli­chen Instru­men­te adap­tiert werden können. Über die Konso­le wird dem Anwen­der dabei auch ein hapti­sches Feed­back gege­ben wodurch er die Opera­ti­on prak­tisch „fühlen“ und gleich­zei­tig über 3‑D-Visua­li­sie­rung sehen kann. Ramin Tadyo­ni, Leiter der Augen­kli­nik an der Univer­si­té de Paris (Frank­reich) sieht mit der Kombi­na­ti­on von hoch­auf­lö­sen­der Bild­ge­bung und der Bewe­gungs­ge­nau­ig­keit der Robo­ter die Möglich­keit, Gen- und Zell­the­ra­pie gerade in der Netz­haut voranzutreiben.

An der Univer­si­tät Leuven in Belgi­en konnte erst­ma­lig eine robo­ter­as­sis­tier­te Punk­ti­on einer reti­na­len Vene mit dem Mynu­tia-System erfolg­reich durch­ge­führt werden. Es wurden dabei in einer Phase-I-Studie bei 4 Pati­en­ten ein Anti­ko­agu­lanz über 10 Minu­ten in eine Vene verab­reicht (Gijbels A et al. In-human robot-assis­ted reti­nal vein cannu­la­ti­on, a world first. Ann Biomed Eng 2018;46(10):1676–1685). 

Der Robo­ter hat also das Poten­zi­al, in der Zukunft die Präzi­si­on bei z.B. Maku­la­chir­ur­gie oder der MIGS erhö­hen und Kolla­te­ral­schä­den verrin­gern. Die Bewe­gungs­ge­nau­ig­keit im Mikro­me­ter­be­reich der Robo­ter kann zusätz­lich neue opera­ti­ve Möglich­kei­ten z.B. im Bereich der reti­na­len Gefäße oder auch in der subre­ti­na­len Chir­ur­gie ermöglichen.

Diese Entwick­lun­gen machen den Mensch als Opera­teur aber immer noch nicht über­flüs­sig. Gerade im Bereich der Netz­haut­chiru­gie werden durch den Einsatz nur Präzi­si­on und Sicher­heit erhöht sowie neue Opera­ti­ons­mög­lich­kei­ten eröff­net, wobei der Opera­teur jedoch immer noch aktiv betei­ligt ist.

Im Bereich der Kata­rakt­chir­ur­gie bleibt der voll­au­to­ma­ti­sche Einsatz von Robo­tern sicher­lich aus den anfangs beschrie­be­nen anato­mi­schen Beson­der­hei­ten des Auges und der bereits weit voran­ge­trie­be­nen Auto­ma­ti­sie­rung durch den Femto­la­ser auch noch Zukunfts­mu­sik. Gerade im Rahmen der Absau­gung der Linsen­be­stand­tei­le ist eine perfek­te Echt­zeit-Bild­ge­bung in Kombi­na­ti­on mit Arti­fi­zi­el­ler Intel­li­genz notwen­dig. Der Weg dahin ist sicher­lich noch lang, wird aber von der Forschung und Indus­trie gegan­gen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Robo­ter können aber auch im Bereich der Diagnos­tik die Augen­heil­kun­de revo­lu­tio­nie­ren. Wir berich­ten dazu in „Kompakt Ophthal­mo­lo­gie“ über eine aktu­el­le Publi­ka­ti­on von Drae­los et. al. Die Gruppe konnte zeigen, dass ein voll­au­to­ma­ti­sier­tes OCT, das sich ohne Anwen­der auto­ma­tisch zentriert, die Makula und die Cornea erkennt und Aufnah­men erstellt, vergleich­ba­re Ergeb­nis­se erzielt wie ein OCT, das von einem Menschen bedient wird. In Zukunft soll das Gerät auch einen voll­stän­di­gen Scan der Retina ermög­li­chen. Es könnte damit möglich sein, auch in abge­le­ge­nen Regio­nen ohne medi­zi­ni­sches Perso­nal opti­mal Diagnos­tik zu betreiben.

Die Zukunft bleibt also span­nend. Im Bereich der Augen­heil­kun­de – und auch im Bereich der Politik.

In diesem Sinne ist ein offe­ner Blick auf aktu­el­le Entwick­lun­gen ange­bracht. Die Augen­heil­kun­de wird sich in den nächs­ten Jahren mögli­cher­wei­se noch schnel­ler verän­dern, als wir es uns es zurzeit vorstel­len können.

Mit besten Grüßen,

Detlef Holland

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