Roboter als Terminator des Augenchirurgen – Ein Blick in die Zukunft
Sehr geehrte Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
gerade liegen die Bundestagswahlen hinter uns und wir konnten beobachten, wie lange bestehende Zustände, welche als sicher galten, plötzlich ins Wanken kommen. Große Parteien kommen ins Trudeln und erstmalig wird wohl eine Dreier-Koalition die Regierung bilden.
Mit einer entsprechenden, offenen Frage für unser Fachgebiet möchte ich mich nun aber der Augenheilkunde zuwenden. Wird der Zustand, dass ein Chirurg für Augenoperationen in der Zukunft noch gebraucht wird, in der heutigen Form noch Bestand haben? Oder werden Roboter unseren Platz einnehmen können?
Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die aktuelle Entwicklung werfen.
Zurzeit hinkt der Einsatz von Robotern in der Augenheilkunde noch anderen Fachrichtungen hinterher. Das bekannte Da-Vinci-Roboter-System wird heute z.B. in der Urologie, Gynäkologie oder der Thorax- und Abdominalchirurgie, aber auch z.B. in der Schilddrüsenbehandlung weltweit eingesetzt. Vergleichbare Erfolge in der robotergestützten Chirurgie fehlen aber in der Opthalmochirurgie bisher. Sucht man in Pubmed nach „Da Vinci“, finden sich bisher 2621 Publikationen zu diesem Thema.
Warum zeigen sich aber bisher in der intraokularen Chirurgie noch keine größeren Fortschritte? Am ehesten liegt dies an der speziellen Anatomie des Auges mit seiner guten optischen Zugänglichkeit, der Entwicklung von perfekten Operationsmikroskopen, den optimierten Phakomaschinen und der Etablierung des Femtolasers. Letztere führt ja schon in der Hornhaut und Linsenchirurgie zu automatisieren, roboterartigen Vereinfachungen der Operationen. Gerade in der Intraokularlinsenchirurgie haben wir insgesamt schon sehr weit standardisierte Vorgänge mit einem sehr hohen Niveau – aber eben nicht automatisiert.
Warum könnte aus einer weiteren Entwicklung der robotergestützten Chirurgie dennoch ein Erfolg werden? Die Präzision der Mikrochirurgie ist immer durch den Tremor des Operateurs limitiert. Auch beim geübtesten Operateur liegt die Amplitude des Tremors im Bereich von 180 mm. Gerade im Bereich der Netzhautgefäße, des subretinalen Raumes und des Schlemmschen Kanals ist die Präzision daher durch diese Größe eingeschränkt. Außerdem könnte durch robotergestützte intraoperative Bildgebung und Kraftmessung z.B. die vitreoretinale Chirurgie weiter verfeinert werden. Auch in der Kataraktchirurgie könnte eine Politur der Hinterkapsel, welche mit Bewegungen im Mikrometerbereich erfolgt, möglicherweise die Perfektion erhöhen.
Ein anderer Faktor, welcher zur Verbreitung von Robotertechnologie in der Augenheilkunde führen könnte, ist die Alterung der Weltbevölkerung und die damit verbundene Zunahme von Augenerkrankungen bei gleichzeitig nicht mit wachsender Anzahl von Nachwuchs in der Augenchirurgie. Roboter könnten in der Zukunft helfen, dieses Missverhältnis zu regulieren und auch in Gebieten mit geringer Dichte an medizinischer Versorgung den Bedarf zu decken.
Seit den 1990er-Jahren wurden unterschiedliche Prototypen von Robotersystemen vorgestellt. Gerade im Bereich der vitreoretinalen Chirurgie lassen sich vier unterschiedliche Robotertypen unterscheiden: 1. Instrumente wie Mikropinzetten mit zusätzlicher Roboterfunktion wie eingebaute Kraftsensoren oder OCT, 2. Roboter, die mithilfe ihres Armes die Bewegung des Operateurs optimieren (Hand-on-Hand), 3. Telemedizinische Roboter, die ferngesteuert sind und 4. sogenannte Magnetfeld-geführte Roboter. Letztere werden u.a. für den Einsatz von Mikrokapseln für die lokale Medikamentengabe im Glaskörper eingesetzt und haben den Vorteil, dass das äußere Auge praktisch nicht berührt wird. Gerade für den Einsatz von Robotern im der vitreoretinalen Chirurgie gibt ein Übersichtsartikel von Ahronovich einen sehr guten Einblick und ist dem Leser als Open Access Artikel sehr zu empfehlen.
Schon früh wurde z.B. durch eine Gruppe der Vanderbilt Universität ein OCT-Scan an Mikropinzetten für das Peeling integriert. Es konnte dabei im Tierversuch gezeigt werden, dass der Abstand des Instrumentes zur Membran in Echtzeit dargestellt werden kann. Dies stellt natürlich eine deutliche Verbesserung dar, welche sicherlich die Komplikationsraten verringern könnte (Yu H et al. Evaluation of microsurgical tasks with OCT-guided and/or robot-assisted ophthalmic forceps.Biomed Opt Express 2015;6(2):457–472).
Eine Arbeitsgruppe um Carnegie Mellon von der Johns Hopkins Universität stellten ein handgehaltenes System – das Micron – vor, welches den Tremor reduziert und z.B. die Punktion von retinalen Venen im Model ermöglichte. Eine Münchener Arbeitsgruppe konnte einen Roboter entwickeln, der mit seinen Gelenkarmen klein genug war, um am Kopf des Patienten montiert zu werden (Roizenblatt M et al. Robot-assisted vitreoretinal surgery: current perspectives. Robotic Surgery: Research and Reviews 2018;5:1–11).
2013 wurde mit dem IRISS System (Intraocular Robotic Interventional and Surgical System) der erste Roboter speziell für die Kataraktchirurgie vorgestellt. Im Tiermodell konnte eine sichere Extraktion der Linse u.a. mithilfe von prä- und intraoperativer OCT-Bildgebung durchgeführt werden (Rahimy E et al. Robot-assisted intraocular surgery: development of the IRISS and feasibility studies in an animal model. Eye (Lond) 2013;27(8):972–978).
Aktuell berichtete eine Arbeitsgruppe um Matthew J. Gerber im „International Journal of Medical Robotics“, dass im Tierversuch am Schweineauge bei der Linsenkapsel am Ende der Katarakt-OP mithilfe eines intraoperative OCT und einer sich bewegenden IA-Spitze bei niedrigem Vakuum eine komplikationslose vollständige Politur durchgeführt werden konnte.
Das einzige Robotersystem, welches es heute zur Markteinführung gebracht hat, ist das PRECEYES-System. Der Chirurg steuert einen Manipulator, an dem ein Instrument befestigt ist, über einen Joystick. Es wurde bisher beim Peeling und der subretinalen Chirurgie eingesetzt (Edwards TL et al. First-in-human study of the safety and viability of intraocular robotic surgery. Nat Biomed Eng 2018;2:649–656).
Kürzlich wurden aber auch erste Operationen im Bereich des Kammerwinkels mit dem PRECEYES durchgeführt, womit sich der Einsatzbereich deutlich erhöht hat. Für den Operateur ist der Einsatz des Roboters mitsamt seiner Steuerung durch den Joystick eine vollkommen neue Erfahrung, da er nicht mehr direkt am Auge operiert. Es verhält sich somit bei der Operation mehr wie bei einer Spielkonsolensituation, auf die sich der Chirurg einlassen muss.
Mit dem AcuSurgical-Cockpit geht ein weiterer Roboter in die klinische Erprobung. Dem Operateur stehen zwei Arme zur Verfügung, an die die üblichen Instrumente adaptiert werden können. Über die Konsole wird dem Anwender dabei auch ein haptisches Feedback gegeben wodurch er die Operation praktisch „fühlen“ und gleichzeitig über 3‑D-Visualisierung sehen kann. Ramin Tadyoni, Leiter der Augenklinik an der Université de Paris (Frankreich) sieht mit der Kombination von hochauflösender Bildgebung und der Bewegungsgenauigkeit der Roboter die Möglichkeit, Gen- und Zelltherapie gerade in der Netzhaut voranzutreiben.
An der Universität Leuven in Belgien konnte erstmalig eine roboterassistierte Punktion einer retinalen Vene mit dem Mynutia-System erfolgreich durchgeführt werden. Es wurden dabei in einer Phase-I-Studie bei 4 Patienten ein Antikoagulanz über 10 Minuten in eine Vene verabreicht (Gijbels A et al. In-human robot-assisted retinal vein cannulation, a world first. Ann Biomed Eng 2018;46(10):1676–1685).
Der Roboter hat also das Potenzial, in der Zukunft die Präzision bei z.B. Makulachirurgie oder der MIGS erhöhen und Kollateralschäden verringern. Die Bewegungsgenauigkeit im Mikrometerbereich der Roboter kann zusätzlich neue operative Möglichkeiten z.B. im Bereich der retinalen Gefäße oder auch in der subretinalen Chirurgie ermöglichen.
Diese Entwicklungen machen den Mensch als Operateur aber immer noch nicht überflüssig. Gerade im Bereich der Netzhautchirugie werden durch den Einsatz nur Präzision und Sicherheit erhöht sowie neue Operationsmöglichkeiten eröffnet, wobei der Operateur jedoch immer noch aktiv beteiligt ist.
Im Bereich der Kataraktchirurgie bleibt der vollautomatische Einsatz von Robotern sicherlich aus den anfangs beschriebenen anatomischen Besonderheiten des Auges und der bereits weit vorangetriebenen Automatisierung durch den Femtolaser auch noch Zukunftsmusik. Gerade im Rahmen der Absaugung der Linsenbestandteile ist eine perfekte Echtzeit-Bildgebung in Kombination mit Artifizieller Intelligenz notwendig. Der Weg dahin ist sicherlich noch lang, wird aber von der Forschung und Industrie gegangen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Roboter können aber auch im Bereich der Diagnostik die Augenheilkunde revolutionieren. Wir berichten dazu in „Kompakt Ophthalmologie“ über eine aktuelle Publikation von Draelos et. al. Die Gruppe konnte zeigen, dass ein vollautomatisiertes OCT, das sich ohne Anwender automatisch zentriert, die Makula und die Cornea erkennt und Aufnahmen erstellt, vergleichbare Ergebnisse erzielt wie ein OCT, das von einem Menschen bedient wird. In Zukunft soll das Gerät auch einen vollständigen Scan der Retina ermöglichen. Es könnte damit möglich sein, auch in abgelegenen Regionen ohne medizinisches Personal optimal Diagnostik zu betreiben.
Die Zukunft bleibt also spannend. Im Bereich der Augenheilkunde – und auch im Bereich der Politik.
In diesem Sinne ist ein offener Blick auf aktuelle Entwicklungen angebracht. Die Augenheilkunde wird sich in den nächsten Jahren möglicherweise noch schneller verändern, als wir es uns es zurzeit vorstellen können.
Mit besten Grüßen,
Detlef Holland