Persis­tenz und Resi­li­enz: Fakto­ren, die nicht nur in der aktu­el­len Krisen­si­tua­ti­on gefor­dert sind

Prof. Dr. med. Uwe Pleyer

Ange­sichts der (noch) fort­be­stehen­den Krise klingt es nahezu zynisch, einen „langen Atem“ zu fordern. Aber er ist in unse­rer Profes­si­on oft notwen­dig. Sei es, um zur korrek­ten Diagno­se zu gelan­gen – oder um mit einer lang­fris­ti­gen Behand­lung erfolg­reich zu sein.

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Zwei­fel­los haben wir als Ophthal­mo­lo­gen oft den Vorteil „Blick­dia­gno­sen“ stel­len zu können. Aber es gibt sie, die Situa­tio­nen, in denen Persis­tenz bei der diffe­ren­zi­al- diagnos­ti­schen Abklä­rung notwen­dig ist. Von beson­de­rer Bedeu­tung wird dies bei Erkran­kun­gen, die im Zusam­men­hang mit einer Allge­mein­erkran­kung stehen und gege­be­nen­falls auch lebens­be­droh­lich sind. Dies geht auch aus der aktu­el­len Unter­su­chung von Rotho­va und Mitar­bei­tern (Rotter­dam, Nieder­lan­de) hervor. In „Retina“ stel­len sie die diagnos­ti­sche Abklä­rung von nahezu 2000 Pati­en­ten vor. Alle waren mit der Verdachts­dia­gno­se einer intrao­ku­la­ren Entzün­dung vorge­stellt worden. Bei jedem 20. Pati­en­ten verbarg sich aller­dings am Ende ein „Maske­ra­de Syndrom“ dahin­ter. Nach oft lang­wie­ri­ger diagnos­ti­scher Abklä­rung stell­te sich eine „Pseu­do­ent­zün­dung“ heraus. Bei etwa einem Drit­tel der Betrof­fe­nen waren neoplas­ti­sche Erkran­kun­gen zu beob­ach­ten; hier domi­nier­ten die vital sehr bedroh­li­chen ZNS-Lymphome. Begüns­ti­gend dürfte sich hier ausge­wirkt haben, das heute bereits der Nach­weis von erhöh­tem Inter­leu­kin-10 im Kammer­was­ser als diagnos­ti­scher Marker für ein intrao­ku­la­res B‑Zell-Lymphom heran­ge­zo­gen werden kann. Da sich gleich­zei­tig die Thera­pie­mög­lich­kei­ten für diese bedroh­ten Pati­en­ten verbes­sert haben, könnte dies mittel­fris­tig zu höhe­rem Lang­zeit­über­le­ben führen. Inter­es­sant, und für mich persön­lich eher über­ra­schend war, dass in dieser nieder­län­di­schen Unter­su­chung bereits an 2. Stelle eine medi­ka­men­ten­in­du­zier­te „Uvei­tis“ vorlag. Auch hier oft im Zusam­men­hang mit mali­gnen Erkran­kun­gen! Zu den auslö­sen­den Substan­zen gehör­ten inno­va­ti­ve, onko­lo­gi­sche Thera­pien wie z.B. MEK-Inhi­bi­to­ren, die zu sekun­dä­ren entzünd­li­chen Verän­de­rung und Maku­la­ö­de­men führ­ten. Ein Beleg dafür, dass diese Behand­lun­gen immer brei­te­re Anwen­dun­gen finden und wir eine sorg­fäl­ti­ge Medi­ka­men­ten­ana­mne­se erhe­ben müssen!

Entzünd­li­che Biomar­ker stehen auch im Mittel­punkt einer Arbeit zur alters­ab­hän­gi­gen Maku­la­de­ge­ne­ra­ti­on (AMD). Das Team um Wagner et al.  (Colo­ra­do, USA) unter­such­te einen Cock­tail proin­flamma­to­ri­scher Media­to­ren und konnte bei inter­me­diä­rer AMD (iAMD ) eine Korre­la­ti­on zur Progres­si­on der Maku­la­er­kran­kung finden. Die Ergeb­nis­se dieser Studie (erschie­nen in „Ophthal­mic Epide­mio­lo­gy“) legen eine Rolle für syste­mi­sche, entzünd­li­che Fakto­ren bei der iAMD nahe. Sie veran­schau­li­chen, dass vor allem proin­flamma­to­ri­sche Media­to­ren mit einer Progres­si­on der iAMD asso­zi­iert sein können. Schade, dass die Pati­en­ten­stich­pro­be auf weni­ger als 100 Pati­en­ten begrenzt war. In der Multi­va­ri­anz­ana­ly­se ergab sich kein isolier­ter Faktor für die Progre­di­enz. Viel­mehr rück­ten Kombi­na­tio­nen von sero­lo­gi­schen Entzün­dungs­mar­kern in den Fokus. Konse­quen­zen? Es liegt auf der Hand: Ein besse­res Verständ­nis der Rolle dieser Marker bei iAMD könnte enorme klini­sche Auswir­kun­gen haben. Damit könn­ten beson­ders gefähr­de­te Subpo­pu­la­ti­on geziel­ter einer frühen thera­peu­ti­schen Inter­ven­ti­on zuge­führt werden. Ande­rer­seits stellt sich auch die Frage, inwie­fern Pati­en­ten, die bereits eine anti-inflamma­to­ri­sche Thera­pie erhal­ten (aufgrund einer ande­ren Erkran­kun­gen) mögli­cher­wei­se einen protek­ti­ven Effekt erfah­ren…? Es blei­ben also viele offene Fragen, die sich wieder­um nur durch Persis­tenz und lang­fris­tig ange­leg­te Unter­su­chun­gen bele­gen lassen.

Unsere Kolle­gen aus der Neuro­lo­gie sind eben­falls sehr an Früh­in­di­ka­to­ren inter­es­siert. Dies gilt vor allem für stetig stei­gen­de Zahl progres­siv verlau­fen­der neuro­de­ge­ne­ra­ti­ver Erkran­kun­gen. Es ist mehr als 100 Jahre her, seit Alois Alzhei­mer die Alzhei­mer-Krank­heit iden­ti­fi­ziert hat, und fast 40 Jahre, seit die Rolle von Amylo­id und Tau-Prote­inen als mole­ku­la­re Schlüs­sel­fak­to­ren in der Patho­phy­sio­lo­gie bekannt wurde. Heute wird die Alzhei­mer-Krank­heit als ein viel­schich­ti­ger Prozess erkannt, der entlang eines Konti­nu­ums fort­schrei­tet. Aktu­ell wird von den Neuro­lo­gen zur Früh­dia­gnos­tik die Akku­mu­la­ti­on des Amylo­id-Biomar­kers in der Posi­tro­nen­emis­si­ons­to­mo­gra­phie (PET) oder in der Zere­bro­spi­nal­flüs­sig­keit betrie­ben. Damit können frühe Verän­de­run­gen, noch vor den kogni­ti­ven Verän­de­run­gen, nach­ge­wie­sen werden. Mögli­cher­wei­se ließe sich dieser Aufwand deut­lich redu­zie­ren und eine Früh­dia­gnos­tik an ophthal­mo­lo­gi­schen Para­me­tern fest­ma­chen. Zwei Jahre haben Kolle­gen aus Seoul (Südko­rea) die Unter­su­chungs­er­geb­nis­se aus PET, Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie (MRT), Elek­tro­re­ti­no­gra­phie (ERG) und Opti­scher Kohä­renz­to­mo­gra­phie (OCT) bei Pati­en­ten mit vor allem Alzhei­mer-Krank­heit zusam­men­ge­tra­gen. Byun et al. stel­len in der aktu­el­len Ausga­be von „JAMA“ die Ergeb­nis­se ihrer Studie vor. Kurz zusam­men­ge­fasst konn­ten sie eine Korre­la­ti­on der PET-CT Verän­de­run­gen zu einer Ausdün­nung der Gangli­en­zell­schicht nur in den oberen und supe­ro­na­sa­len Teil­fel­dern des Papil­len- OCT bele­gen. Dies Verän­de­run­gen unter­schie­den sich eindeu­tig von der Nerven­fa­ser­aus­dün­nung, die wir als Früh­in­di­ka­tor für ein Glau­kom in den unte­ren und infero­tem­po­ra­len Teil­fel­dern finden. Daraus folgern die Autoren, das bei Alzhei­mer-Erkran­kung ein bisher ande­rer, unbe­kann­ter Mecha­nis­mus zugrun­de liegt. Da sich klini­sche Studi­en einer frühe­ren Inter­ven­ti­on bei Alzhei­mer-Erkran­kung nähern, könnte die OCT/ERG Diagnos­tik für die Früh­dia­gnos­tik dieser Demen­z­er­kran­kung bedeut­sam werden. 

Nicht nur bei der Diagnos­tik, auch bei der Thera­pie ist steti­ge und konse­quen­te Aufmerk­sam­keit gefor­dert, um gute Ergeb­nis­se zu errei­chen. Dies trifft z.B. für Pati­en­ten mit okklu­si­ver Vasku­li­tis zu. Zuletzt hatten akute Gefäß­ver­schlüs­se im Rahmen von intra­vit­rea­ler Medi­ka­men­ten­ein­ga­be für Aufse­hen gesorgt. Sehr viel typi­scher treten diese hoch­pro­ble­ma­ti­schen Verän­de­run­gen dage­gen im Rahmen von System­er­kran­kun­gen auf. Die Behand­lung ist natur­ge­mäß schwie­rig und lang­wie­rig. Stero­ide gelten im akuten Stadi­um der Erkran­kung weiter­hin als Thera­pie der Wahl; eignen sich jedoch nicht für eine Dauer­the­ra­pie. US-ameri­ka­ni­sche Kolle­gen (Lin et al., Arbeits­grup­pe von Stephen Foster, Boston) haben in der aktu­el­len Ausga­be des „Cana­di­an Jour­nal of Ophthal­mo­lo­gy“ gezeigt, dass eine inten­si­ve immun­mo­du­la­to­ri­sche Thera­pie bei nicht infek­tiö­ser, okklu­si­ver Vasku­li­tis zu einer Corti­cos­te­roid­frei­en, dauer­haf­ten Remis­si­on führen kann. Im Spek­trum der System­er­kran­kun­gen finden sich: der Morbus Behçet, die nekro­ti­sie­ren­de Vasku­li­tis, die Sarko­ido­se, die Multi­ple Skle­ro­se, sowie der Lupus erythe­ma­to­des. Der größte Teil der Pati­en­ten konnte erfolg­reich mit unter­schied­li­chen Immun­sup­pres­si­va unter Einschluss von Biolo­gi­ka behan­delt werden. Aller­dings fanden sich unter den Pati­en­ten auch Thera­pie­ver­sa­ger. Im Rahmen ihrer Ergeb­nis­se weisen die Kolle­gen auf prognos­tisch ungüns­ti­ge Fakto­ren hin. Als proble­ma­tisch erwies es sich, wenn bereits bei Erst­vor­stel­lung eine Opti­ku­satro­phie vorlag, eine Makula-Ischä­mie bestand oder ein schlech­ter Ausgangs-Visus vorlag. Einmal mehr werden mit dieser Publi­ka­ti­on die Verdiens­te der Arbeits­grup­pe um S. Foster bezüg­lich länger­fris­ti­ger Thera­pie­maß­nah­men sicht­bar. Sie sind Ergeb­nis einer über Jahr­zehn­te andau­ern­den Bemü­hung zur opti­ma­len Lang­zeit­be­hand­lung von Pati­en­ten mit entzünd­li­chen Augen­er­kran­kun­gen. Persis­tenz, die sich für viele Pati­en­ten als erfolg­reich erwie­sen hat.

Fazit: Persis­tenz und Resi­li­enz sind im tägli­chen Handeln wich­ti­ge Stüt­zen, beson­ders in kriti­schen Situa­tio­nen und in Krisenzeiten.

In diesem Sinne herz­lichst Ihr

Uwe Pleyer und das gesam­te Team von Kompakt Ophthalmologie

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