Grundlagenforschung vor erfolgreicher Therapie
Sehr geehrte Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
ein turbulentes und sicher für die meisten auch sehr anstrengendes Jahr neigt sich für uns alle dem Ende entgegen. Umso wichtiger ist es, einen klaren Kopf zu bewahren und sich auf die relevanten Dinge im Leben zu fokussieren. Neben der Gesundheit, Familie und Freunden gehört sicher auch ein erfülltes Arbeitsleben dazu. Für uns Ärzte bedeutet dies immer auf dem neuesten Wissenstand von Diagnostik und Therapie relevanter Erkrankungen zu sein. Nur so können wir unsere Patienten zufriedenstellend betreuen und ihnen ein wichtiges Gefühl der Sicherheit bereiten.
In vielen Bereichen der Augenheilkunde können wir schon sehr erfolgreich unseren Patienten helfen. Leider weist die Therapie der nichtexsudativen Makuladegeneration (neAMD) uns immer noch erhebliche Grenzen auf. Daher möchte ich mich in diesem Editorial einmal diesem Thema annähern und so einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft aufzeigen.
Die Makuladegeneration zählt in der Welt immer noch zu den häufigsten Erblindungsursachen. 2020 waren ca. 200 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland steigt die Zahl auch durch die Alterung der Bevölkerung immer weiter an und beträgt ca. 7 Millionen. Etwa 24% der Menschen im Alter zwischen 64 und 75 Jahren zeigen in Deutschland bereits Zeichen einer AMD.
In einer kürzlich erschienenen Publikation zeigten Schultz et al. nach einer Literaturrecherche eine globale Prävalenz der neAMD von immerhin 0,44% der Bevölkerung auf. Die Autoren reviewten 37 von 4205 Arbeiten über neAMD, welche zwischen 1995 und 2000 publiziert wurden. Als wichtigste Risikofaktoren wurden neben dem Alter ein Nikotinabusus, Adipositas und ein hoher Cholesterinspiegel genannt. Bisher können wir daher neben der Empfehlung der Nikotinkarenz und der Einnahme von Nahrungsergänzungsstoffen, einer gesunden Ernährung sowie Bewegung zur Vermeidung einer Adipositas unseren Patienten praktisch keine Behandlung in der Behandlung der nichtexsudativen Form anbieten. Die Autoren schließen aus ihrer Untersuchung, dass eine erhebliche Lücke in der Literatur zur neAMD besteht, obwohl diese 85–90% der AMD Fälle ausmacht. Guidelines für die Behandlung fehlen. Wichtig sei auch, den Wissenstand über die subjektive Beeinträchtigung der Patienten im Alltag zu verbessern, da viele Fragebögen nur das zentrale Sehen, das Nachtsehen, Skotome und die Farbwahrnehmung erfassten.
In vielen Studien treten zurzeit eher Ergebnisse der Grundlagenforschung in den Vordergrund. Besonders in Hinblick auf Biomarker gibt es zahlreiche interessante Publikationen. Biomarker sind biologische Signalstoffe, welche im Blut oder in Gewebeproben gemessen und bewertet werden können. Sie können auf krankhafte Veränderungen, aber auch auf physiologische, gesunde Vorgänge hinweisen. Einfache Beispiele wie der Blutzucker- oder Cholesterinspiegel sind uns allgegenwärtig. Zurzeit kommen die meisten innovativen Biomarker in onkologischen Studien zum Einsatz. Der bekannteste ist hier sicherlich das karzinoembryonale Antigen (CEA). Dieser Biomarker wird vor allem bei Dickdarm- und Enddarmkrebs bestimmt und spielt eine wichtige Rolle bei der Prognose, Therapiekontrolle und Nachsorge. Eine interessante Studie läuft gerade u.a. auch in Deutschland. In der Telescope-Studie werden Speichelproben entnommen und auf bestimmte Gensequenzen als Biomarker untersucht, die mit einer geographischen Atrophie assoziiert sind. Falls die genetische Disposition entdeckt wird, kann der Patient einer neuartigen Gentherapie zugeführt werden. Biomarker können gerade in der Augenheilkunde aber auch funktionelle oder morphologische Befunde sein. Eben genau solche Marker, welche die Progression einer AMD oder den Therapieerfolg nachweisen können, sind für uns von besonderem Interesse für zukünftige Medikamente. Fang et al. berichteten kürzlich über eine Literaturrecherche (1996–2020) bezüglich Biomarkern. Als Biomarker wurden hier keine Laborparameter sondern u.a. Autofloureszenz, Mikroperimetrie und Dunkeladaptation herangezogen und dazu 94 Arbeiten mit insgesamt 61.842 Patienten gesichtet. Dabei stellte sich heraus, dass die Spectral-Domain-OCT in frühen Stadien die beste Untersuchungsmethode darstellte, da mit ihrer Hilfe frühe strukturelle Veränderungen im Makulabereich detektiert werden können. Für das Voranschreiten einer geographischen Atrophie ist laut den Autoren die Fundusautofluoreszenz am aussagekräftigsten. Verlängerungen in der Stäbchen-Dunkeladaptation können eine frühe AMD detektieren, und die retinale Sensitivität in der Mikroperimetrie war in der Erkennung einer intermediären AMD am relevantesten. Wie gerade bemerkt, liefert die OCT viele Informationen zu makulären Veränderungen im Verlauf der AMD. Der sogenannte Drusen Ooze konnte dabei als wichtiger Progressionsmarker erkannt werden. Es handelt sich dabei um hyperreflektive Punkte oberhalb von Drusen oder Pseudodrusen, bevor diese kollabieren, oder stellen sich als hyperreflektierendes Pigmentepithel bzw. als isoreflektierende Punkte auf Höhe der äußeren Körnerschicht dar. In einer retrospektiven Langzeitstudie über im Mittel 68 Monate konnten Jhingan et al. zeigen, dass ein Vorliegen von Drusen Ooze zusammen mit dem Visus ein wichtiger Parameter für die Entwicklung einer Pigmentblattatrophie darstellte. Lag bei Beginn der Studie Drusen Ooze vor, war das Risiko 20,3‑fach erhöht.
Hierzu passt auch die Studie von Demadji et al. ausgezeichnet, welche sich mit der Auswertung von Atrophiezonen der Netzhaut befasste. Die Forscher entwickelten vollautomatische Prozesse mittels eines Convolutional-Neural-Network und maschinellem Lernen, wodurch sehr einfach Atrophiezonen erkannt werden. Im Vergleich zur Bewertung durch Fachleute ergeben sich deutlich schneller und automatisiert ähnliche Resultate. Wenn solche Systeme in den Alltag etabliert werden, wird es uns möglich sein, Progression noch schneller und unkompliziert zu erkennen und den Patienten besser über seinen Verlauf aufzuklären.
Glücklicherweise sehen wir aber in den Publikationen auch neue Ansätze bezüglich der Therapie der neAMD. Im „Journal of Photomodulation, Photomedicine and Laser Surgery“ berichten Siqueira et al. über eine prospektive Studie zur Photobiomodulation. Diese Therapie soll die Regeneration der Netzhaut anregen. Es wird dabei mittels einer LED Licht der Wellenlänge 670 nm fraktioniert in 9 Sitzungen verabreicht. Der Visus, die Kontrastempfindlichkeit und die automatisierte Fundusperimetrie dienten als funktionelle Kontrollparameter. Dabei konnten im Controlling-Intervall von 16 Wochen geringe, aber signifikante Verbesserungen ermittelt werden. Nebenwirkungen wurden bei keinem der 10 eingeschlossenen Patienten gesehen, was für eine neue Therapie natürlich von größter Bedeutung ist. Die Autoren betonen selbstverständlich, dass höhere Fallzahlen und ein längerer Beobachtungszeitraum notwendig sind.
Im Bereich der so häufigen neAMD stehen wir in vielen Bereichen also noch in der Grundlagenforschung, um neuartige Therapien zu entwickeln und um Risiken, Progression und gegebenenfalls Behandlungserfolge besser evaluieren zu können. Bezogen auf die deutlich höhere Anzahl von Patienten mit trockener AMD und dem Risiko des Übergangs in eine exsudative Form wäre es wünschenswert, wenn noch stärkere Anstrengungen unternommen würden, um hier auch zeitnah wirksame Therapien für die klinische Anwendung zu entwickeln. Bei der alternden Bevölkerung wäre dies auch im Sinne sozioökonomischer Faktoren sicher sehr wünschenswert. Auch wenn Hilfsmittel wie die Orcam den Alltag von Patienten mit hochgradiger Sehminderung schon sehr erleichtern wäre eine Therapie, die bereits im Frühstadium erfolgreich eingesetzt werden kann, ein wirklicher Hoffnungsschimmer am Horizont.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine schöne Weihnachtszeit und ein gesundes und glückliches neues Jahr 2022, in dem hoffentlich Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Detlef Holland