Die Voraussetzungen sind gut! Unglücklicherweise …
Die Konjunktiva ist gut vaskularisiert, sie ist nahezu konstant der Außenwelt ausgesetzt und zudem mit allen immunologischen Mechanismen ausgestattet. Perfekte Voraussetzungen für Allergologische Reaktionen… Und, tja, wir sind bereits mittendrin in der „Saison“, die von vielen nicht nur als lästig, sondern oft auch als tiefgreifend beeinträchtigend empfunden wird.
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
Häufig ist das Auge das erste Organ, das bei Atopikern symptomatisch wird. Das Spektrum der Augenbeteiligungen reicht von der saisonalen allergischen Konjunktivitis (SAC) bis zur visusbedrohenden atopischen Keratokonjunktivitis (AKC). Damit kommt uns als Ophthalmologen eine wichtige Rolle zu. Was können wir raten? Reicht eine symptomatische Behandlung? Gibt es Risikofaktoren für einen schweren Verlauf? Soll eine weitere Abklärung erfolgen? Einige aktuelle Antworten auf diese Fragen haben wir in dieser Ausgabe von „Kompakt Ophthalmologie“ zusammengestellt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Behandlung, neue Risikosituationen und die Prognose unserer Patienten gelegt. Dazu ist oft ein Blick über den „Tellerrand“ nötig; entsprechend wurden Beiträge aus Nachbardisziplinen einbezogen.
Bisher war es eine eher unglückliche Konstellation: die allergische Konjunktivitis bei Kontaktlinsenträgern. Aktuell sorgt die FDA Zulassung einer speziellen Tageslinse für Aufmerksamkeit. In die Matrix der Linse ist das Antihistaminikum Ketotifen eingearbeitet; damit wird sie gleichzeitig zum Wirkstoffträger. Die FDA bezog sich dabei auf Daten, die bereits 2019 in „Cornea“ publiziert worden waren (Pall B et al. Management of Ocular Allergy Itch With an Antihistamine-Releasing Contact Lens. Cornea. 2ß19;38(6):713–717). Vor allem jüngere Patienten, die ohnehin häufiger von Myopie und Allergie betroffen sind, können eine wichtige Zielgruppe werden. Zwar sind unkonservierte antiallergische Augentropfen mit der Verwendung von Kontaktlinsen kompatibel, es wird jedoch empfohlen, die Linsen zuvor zu entfernen. Häufig besteht zudem durch Augenjucken mit Augenreiben das Risiko von Schäden sowohl an der Augenoberfläche als auch an den Linsen. Alltags- und Langzeiterfahrungen stehen noch aus. Es kann angenommen werden, dass dieses Produkt gut angenommen und eine EMA-Zulassung erfolgen wird.
Wir alle achten darauf: Bereits in der Anamnese kann eine atopische Hauterkrankung (Neurodermitis, atopisches Ekzem) als Indikator für einen schweren Verlauf des Auges gewertet werden. Dies trifft v.a. für unsere Patienten mit AKC und Keratokonjunktivitis vernalis zu, die durch eine Hornhautbeteiligung funktionell gefährdet sind.
Zunächst gibt es aber erst einmal gute Nachrichten für Patienten mit atopischer Dermatitis! In den letzten Jahren ist ein rasanter Fortschritt in der Behandlung schwerer Verläufe durch Biologika zu beobachten. Leitliniengerecht wird von den Hautärzten dabei Dupilumab, ein spezifischer Interleukin‑4 /Interleukin-13 Blocker, zunehmend häufiger verordnet. Diese Behandlung hat zu einer tiefgreifenden Besserung der Haut- und Lebensqualität geführt. Getrübt werden die positiven Erfahrungen durch unerwartet häufige „paradoxe“ (?) Wirkungen auf die Augen. Bemerkenswert auch deshalb, weil andere Typ-II-Immunreaktionen wie Asthma oder Rhinokonjunktivitis nicht häufiger beobachtet werden. Warum dies so ist, bleibt bislang unklar. Ein Team niederländischer Dermatologen/Ophthalmologen ist dieser Frage in einer prospektiven Risikoanalyse nachgegangen. Die Ergebnisse zeigen das bei sorgfältiger Untersuchung bei 90% der Atopiker (!) die konjunktivalen Becherzellen deutlich reduziert sind und weitere Biomarker (MUC5AC) schon vor Therapiebeginn auf eine gestörte okuläre Oberfläche hinweisen. Als wichtigsten „augenscheinlichen“ Risikofaktor für Nebenwirkungen der Dupilumabtherapie werten die Autoren ein vorbestehendes Lidekzem. Da die Patienten trotz dieser Störungen weitgehend asymptomatisch waren, empfehlen die Kollegen eine gute, frühzeitige Kooperation der Dermatologen mit den Augenärzten. Wie wichtig dies ist, geht aus dem Dupilumab-Register unserer niederländischen Kollegen hervor.
Unter den 469 Patienten wies jeder 3. okuläre Nebenwirkungen auf. Innerhalb der ersten 4 Monate wurde die Therapie bei 11 Patienten beendet; an einem Auge trat eine Hornhautperforation auf.
Eine klare Assoziation zu okulären Komplikationen ließ sich zum Schweregrad der atopischen Dermatitis und einem sehr raschen Ansprechen der Haut auf die Behandlung herstellen. Für den Augenarzt wichtig: Auch hier die Lidbeteiligung! Patienten mit Lidekzem wiesen häufiger mit Dupilumab assoziierte Komplikationen auf. Unglücklicherweise waren gerade Patienten mit gutem Ansprechen der Haut häufiger und schwerer von okulären Nebenwirkungen betroffen. Damit ergibt sich das Dilemma, den Behandlungserfolg gegen die Schwere der unerwünschten Wirkungen abzuwägen. Da oft eine Dosis-(Neben)Wirkungs-Korrelation besteht, empfehlen die Autoren, die Behandlungsintervalle ggf. von 2 auf 3–5 Wochen zu verlängern, um die unerwünschten Effekte abzumildern. Aktuell befinden sich eine Reihe weiterer Substanzen in klinischer Prüfung, die künftig eine Alternative bieten könnten. Tipp: Es liegt auch eine Handlungsempfehlung der deutschen dermatologischen Gesellschaft vor. (Wohlrab J et al. Interdisziplinäre Handlungsempfehlung bei Dupilumab-assoziierten entzündlichen Augenerkrankungen. (Hautarzt. 2019;70(1):64–67).
Bleiben wir bei den Lidern unserer SAC-Patienten. Ebenfalls auf Registerdaten (Südkorea) stützt sich eine interessante Beobachtung von Wang et al. (Allergic conjunctivitis increases the likelihood of undergoing eyelid incision surgery in pediatric and adolescent patients. Sci Rep 2022;12(1):5738). Die Analyse von mehr als 15.000 Kindern zeigt einen auffälligen Anstieg von Lidoperationen (Chalazion- oder Hordeolum-OP) bei SAC während der Allergie-„Saison“. Über alle Altersgruppen (6 –9 Jahre) hinweg wurde ein mehr als 4‑fach erhöhtes Aufkommen registriert. Zudem stellen sie ein 2‑fach erhöhtes OP-Risiko fest, sofern lokale Corticosteroide in der Behandlung verwendet wurden. Die Autoren vermuten, dass die chronische Entzündung und das damit verbundene „Augenreiben“ zu den Lidveränderungen führen. Der Gebrauch von Steroiden kann auf einen schweren Verlauf der Allergie hinweisen und die nochmals erhöhte OP-Rate erklären. Da bei Kindern die Eingriffe problematischer (eher in Narkose etc.) erfolgen und mit größerem Aufwand verbunden sind, sollte, so resümieren die Autoren, rechtzeitig eine adäquate antiallergische Behandlung erfolgen, um Operationen zu vermeiden.
Apropos „Lidreiben „… Es existiert eine schiere Flut an Publikationen, die sich dem Zusammenhang zwischen Keratokonus, Atopie und Lidreiben widmen. Seth et al. (The association between keratoconus and allergic eye diseases: A systematic review and meta-analysis. Clin Exp Ophthalmol 2022;50(3):280–293) haben sich die vorliegende Datenlage genauer angesehen und einer Metaanalyse unterzogen. Unter den mehr als 570 Artikeln musste der größte Teil aus verschiedenen Gründen (allein 161 wurden als „Dubletten“ erkannt…) ausgeschlossen werden. Unter den verbleibenden Artikeln wurde bei kritischer Beurteilung KEIN Zusammenhang des Keratokonus – weder mit „Augenreiben“, noch mit allergischer Erkrankung oder Atopie – belegt. Wir dürfen uns also noch auf langfristig angelegte, prospektive Studien freuen (und sollten dennoch unseren Patienten das Lidreiben durch adäquate Behandlung ersparen…).
Eine Frage, die sich für Allergiepatient und Behandler oft stellt, ist die prognostische Einschätzung. Es scheint naheliegend. Als Biomarker könnten sich Veränderungen im Tränenfilm eignen. Schon seit Längerem besteht Interesse an der Analyse von Tränen-IgE. Erste (semiquantitative) Test-Kits sind bereits verfügbar. Die Kollegen Bao et al. konnten klar herausstellen, dass erhöhte IgE-Werte im Tränenfilm nicht nur einen schwereren klinischen Verlauf belegen, sondern auch eine prognostische Bedeutung für langfristige Beschwerden haben. Einschränkend muss bemerkt werden, dass die vorliegenden Ergebnisse an einer relativ begrenzten Zahl von Patienten (Kinder und Erwachsene) mit SAC gewonnen wurden. Größere prospektive Studien sind zu erwarten. Das Thema wird uns weiter beschäftigen – wir bleiben gespannt und werden wieder berichten.
In diesem Sinne verbleiben wir und wünschen als Team von Kompakt Ophthalmologie, dass sie und ihre Patienten einen „hypoallergischen“ Frühling genießen können.
Ihr
Uwe Pleyer