COVID-19: Die Pandemie bringt nicht nur Negatives mit sich
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Anders als erhofft sehen wir uns in Deutschland noch immer im Zeichen der Corona-Pandemie. Auch wenn die Zunahme der Kondensstreifen am Himmel ein Anzeichen der Lockerung des weltweiten Lockdowns ist, so ist die Welt noch lange nicht in den alten Zustand zurückgekehrt. Die Frage ist natürlich auch, ob sie überhaupt jemals wieder so sein wird wie früher. Welche Unterschiede werden sich entwickeln?
Ganz augenscheinlich werden die Reisebeschränkungen sicherlich einen Einfluss auf die internationale Kongress-Szene haben. Die WOC, die ASCRS und die ESCRS, um nur einige bekannte Beispiele zu nennen, sind alle abgesagt. Es wird im Internet online alternative Versionen dieser Kongresse geben. Die ASCRS hat schon erfolgreich vorgemacht, wie schnell ein hochklassiger Kongress online umgesetzt werden kann. Auch haben in den Zeiten des Lockdown viele unterschiedliche nationale und internationale Webinare erfolgreich stattgefunden. Am gerade zurückliegenden Pfingstwochenende fand zum Beispiel das World Webinar on Cataract and Refractive Surgery statt. Am ersten Tag waren bereits mehr als 8000 Teilnehmer bei dieser vollkommen neuartigen Veranstaltung angemeldet. Hier zeigt sich, wie flexibel der Mensch in Krisenzeiten reagiert und die Chancen für neue und erfolgreiche Angebote nutzt. Sicherlich wird sich diese Art der Live-Fortbildungen im Internet immer weiter ausbreiten und die technischen Voraussetzungen in naher Zukunft die Organisation und Durchführung noch weiter erleichtern. Hochkarätige Vorträge werden auf der ganzen Welt verfügbar werden und die anschließenden Live-Diskussionen mit Fragen von Kollegen aus allen Ländern bereichert werden. Die entstehenden Kosten sind dabei natürlich viel geringer als für einen realen Kongress – sowohl für die Veranstalter als auch für die Teilnehmer. Der ökologische Fußabdruck wird natürlich auch deutlich positiver ausfallen. Tausende Teilnehmer müssen nicht abertausende von Flugmeilen mit hohem CO2-Ausstoß auf sich nehmen, um an den Veranstaltungsort zu gelangen. Diese beiden Vorteile werden sicherlich eine grundlegende Veränderung der Kongresslandschaft nach der Pandemie mit sich bringen.
Aber wollen wir in Zukunft ganz auf virtuelle Kongresse umstellen? Sicher nicht! Der Mensch ist ein soziales Wesen und ein internationaler Kongress, bei dem man augenärztliche Freunde aus der ganzen Welt trifft und neue kennenlernt, ist einfach etwas ganz Besonderes. Die direkte Fachdiskussion von Angesicht zu Angesicht ist einfach nicht ersetzbar. Auch der direkte Kontakt zur Industrie ist auf einem virtuellen Kongress nicht möglich. Ich erinnere mich noch gut an eine ASCRS in Detroit als ich das erste Mal auf einem Messestand einen FEMTO-Laser zur Katarakt-Chirurgie gesehen habe. Die anschließenden Gespräche dort mit unterschiedlichen Kollegen haben mein Interesse an dieser Technologie schon früh geweckt und eine frühzeitige Einführung zur Folge gehabt. Jeder wird vergleichbare Erinnerungen an Kongresse und gut den Motivationsschub im Gedächtnis haben, mit dem man in seinen eigenen klinischen Alltag zurückkehrt.
Telemedizin ist ein anderer großer Bereich, welcher sich auch in den Zeiten von für Patienten geschlossenen Kliniken auch in der Augenheilkunde verbreitet hat. Zahlreiche Applikationen stehen hierzu für Smartphones bereit und ermöglichen verschiedene funktionelle Test. So ermöglicht z.B. Smart Optomotry 15 verschiedenen Untersuchungen von Sehschärfe über Farbsehen oder Kontrastvisus bis hin zu Schober- und Amsler-Test. 9Gaze ermöglicht eine Online-Motilitätsanalyse, um noch eine andere spannende Anwendung zu nennen. Gerade in pädiatrischen Fällen kann hier die Telemedizin helfen, um eine Amblyopietherapie auch in Krisenzeiten durchzuführen. Als Interface zwischen Patient und Arzt wurden im Ausland in dieser Krisenzeit einfach FaceTime oder WhatsApp benutzt. In Deutschland wären hier sicherlich Datenschutzfragen zu beachten, was in einer akuten Krise ja aber, wie gesehen, eher in den Hintergrund tritt. Sicherlich werden wir den größten Teil unser Konsultationen auch in Zukunft wieder als normale Untersuchungen in unseren Praxen durchführen. Falls einmal eine neue Pandemie auf uns zu kommt, werden solche telemedizinischen Hilfen aber sicher schnell in einem Notfallplan zu aktivieren sein, um so die Versorgung der Patienten, aber auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit unserer Praxen zu erhalten.
Hygienestandards in unseren Praxen werden in Zukunft sicherlich einen noch höheren Level haben, als sie sie ohnehin schon aufweisen. Althergebrachte Gewohnheiten sind zu überdenken. So werde ich in Zukunft auf den Handschlag bei jedem Patienten verzichten. Eine herzliche Kontaktaufnahme wird in Zukunft auf einen normalen Gruß ohne Berührung reduziert werden, um mögliche Infektionsquellen zu reduzieren. Auch sollte in allen Praxen die Möglichkeit einer berührungsfreien Temperaturmessung vorhanden sein, um im Zweifelsfall erkrankte Patienten schneller zu detektieren. Dies schafft Sicherheit für unsere Patienten und unser Personal. Im Falle von Corona werden möglicherweise auch schon bald Schnelltests wie z.B. der Breathalyzer-Test aus Israel bereitstehen. Dieser Test ermöglicht es, Viren in Echtzeit in der Atemluft zu erkennen. Solche Tests werden das Vorgehen in erneuten Pandemiezeiten sicher maßgeblich beeinflussen.
Das Stichwort Test soll uns zum Abschluss noch zu einer interessanten Arbeit aus dem Bereich Glaukom in der aktuellen Ausgabe von Kompakt Ophthalmologie und damit zur bereits gelebten Online-Fortbildung bringen. Im „American Journal of Ophthalmology“ berichten Jammal et al. über unterschiedliche Progressionsvorhersagen in einer großen Kohorte von Glaukompatienten, die mittels Standard-Perimetrie und SD-OCT im Verlauf untersucht wurden. 6183 Augen wurden in die Analyse einbezogen. Die meisten Augen, die durch SD-OCT als rasch fortschreitend eingestuft wurden, wurden durch Perimetrie als langsam fortschreitend eingestuft und umgekehrt. Daraus folgern die Autoren, dass sowohl strukturelle als auch funktionelle Untersuchungen nach wie vor parallel ihre Bedeutung in der Glaukomdiagnostik haben und zur Sicherheit der Patienten durchgeführt werden sollten.
Schauen Sie für weitere spannende neue Forschungsergebnisse auf Kompakt Ophthalmologie vorbei.
Und bleiben Sie positiv gestimmt. Wie wir gesehen haben, bringt die Corona-Krise nicht nur Negatives mit sich.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Detlef Holland