Robo­ter in der Augen­heil­kun­de — noch nicht die Zukunft der Ophthalmologie?

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

sicher genie­ßen alle in diesen Tagen den herr­li­chen Sommer, verfol­gen die Olym­pi­schen Spiele und erho­len sich vom Alltag.

In diesem Edito­ri­al möchte ich einmal den Fokus auf einen Teil der Medi­zin­tech­nik legen, der in der Chir­ur­gie der Augen­heil­kun­de aller­dings noch keines­wegs zum Alltag gehört: die Roboter!

Im allge­mei­nen Sprach­ge­brauch wird unter „Robo­ter“ meist eine Maschi­ne verstan­den, die dem Ausse­hen des Menschen nach­ge­bil­det ist bzw. Funk­tio­nen über­neh­men kann, die sonst von Menschen ausge­führt werden. Bei einem menschen­ähn­li­chen Ausse­hen des Robo­ters spricht man auch von Androiden.

In der Ferti­gungs­tech­nik kennen wir schon seit langem den Einsatz von Robo­tern, z.B. in der Auto­mo­bil­in­dus­trie. Dort sind in den Produk­ti­ons­stra­ßen Robo­ter bei der Monta­ge von PKW nicht mehr wegzu­den­ken und erset­zen seit vielen Jahren den Menschen insbe­son­de­re bei körper­lich schwe­ren Tätig­kei­ten, aber auch bei Aufga­ben, welche ein hohes Maß an Präzi­si­on erfordern.

In den 1980er-Jahren kamen die ersten medi­zi­ni­schen Robo­ter auf den Markt, die mithil­fe von Robo­ter­arm­tech­nik den Chir­ur­gen bei der Opera­ti­on als Assis­tenz zur Seite stan­den. Heute werden Robo­ter aber nicht nur im Opera­ti­ons­saal einge­setzt, sondern auch in klini­schen Umge­bun­gen, um das Gesund­heits­per­so­nal zu unter­stüt­zen und die Pati­en­ten­ver­sor­gung zu verbes­sern. Im Zuge der COVID-19-Pande­mie began­nen Kran­ken­häu­ser und Klini­ken mit der Verwen­dung von Robo­tern für eine wesent­lich brei­te­res Aufga­ben­spek­trum, um z.B. die Belas­tung des Perso­nals mit Patho­ge­nen zu redu­zie­ren. Sie ermög­li­chen es auch den medi­zi­ni­schen Fach­kräf­ten, sich auf die Betreu­ung und Pflege der Pati­en­ten zu konzen­trie­ren, da z.B. Reini­gungs- und Über­wa­chungs­auf­ga­ben durch Robo­ter über­nom­men werden können. Schau­en wir also einmal, welche unter­schied­li­chen Einsatz­ge­bie­te heute bereits existieren.

Am bekann­tes­ten sind sicher die klas­si­schen Opera­ti­ons­ro­bo­ter. Diese ermög­li­chen entwe­der die Durch­füh­rung chir­ur­gi­scher Eingrif­fe mit größe­rer Präzi­si­on als ein mensch­li­cher Chir­urg es manu­ell könnte, oder sie ermög­li­chen Opera­tio­nen aus der Ferne, bei denen ein mensch­li­cher Chir­urg nicht physisch beim Pati­en­ten anwe­send sein muss. Hier ist insbe­son­de­re das Da Vinci System hervor­zu­he­ben, welches v.a. in der Ortho­pä­die und allge­mei­nen Chir­ur­gie seit vielen Jahren einge­setzt wird.

In der Reha­bi­li­ta­ti­on von kran­ken Menschen z.B. nach Unfäl­len werden mitt­ler­wei­le soge­nann­te Reha­bi­li­ta­ti­ons-Robo­ter einge­setzt. Dabei unter­stüt­zen die Maschi­nen den Menschen insbe­son­de­re beim Trai­ning von Bewe­gungs-und Funk­ti­ons­stö­run­gen von Körper­tei­len. Bei Pare­sen können bspw. Funk­ti­ons­stö­run­gen von Armen oder Beinen durch Robo­ter­tech­no­lo­gie ausge­gli­chen werden. Hier spielt die soge­nann­te Robo­ter­pro­the­tik eine wich­ti­ge Rolle

Tele­prä­senz­ro­bo­ter werden u.a in der Pflege einge­setzt. Sie erleich­tern es dem medi­zi­ni­schen Fach­per­so­nal u.a., große Statio­nen von einem zentra­len Punkt aus zu über­wa­chen und mit den Pati­en­ten zu kommu­ni­zie­ren. Kran­ken­haus­ro­bo­ter mit einem vorpro­gram­mier­ten Layout ihrer Umge­bung und inte­grier­ten Senso­ren liefern heute schon Medi­ka­men­te und Mahl­zei­ten an Pati­en­ten aus oder trans­por­tie­ren Proben zwischen verschie­de­nen Abtei­lun­gen hin und her. Gerade in Zeiten des immer größer werden­den Pfle­ge­not­stan­des können mithil­fe dieser Robo­ter in Zukunft sicher Versor­gungs­lü­cken geschlos­sen werden. Auto­no­me medi­zi­ni­sche Robo­ter helfen außer­dem bei schwe­ren Aufga­ben wie dem Bewe­gen von Betten oder Heben von Pati­en­ten, wodurch körper­li­che Belas­tun­gen des Gesund­heits­per­so­nals verrin­gert werden. Ob die Pflege dadurch insge­samt verbes­sert wird, muss die Zukunft zeigen. Da Robo­ter die Arbeits­last verrin­gern, können Kran­ken­pfle­ger mögli­cher­wei­se Pati­en­ten mehr Zeit und mensch­li­che Zuwen­dung zukom­men lassen, was das lang­fris­ti­ge Wohl­be­fin­den und Zufrie­den­heit fördert. In diesem Zusam­men­hang sind auch die so genann­ten Begleit­ro­bo­ter zu nennen. Diese sind in der Lage, den Nutzern Gesell­schaft zu leis­ten und auch über Konver­sa­ti­on und z.B. über Mimik emotio­nal mit ihnen in Kontakt zu treten. Sie über­neh­men auch Über­wa­chungs­funk­tio­nen und können gesund­heit­li­che Proble­me oder Fehl­ver­hal­ten detek­tie­ren und ggf. ärzt­li­chem Perso­nal oder Ange­hö­ri­gen Bescheid geben. Moder­ne Desin­fek­ti­ons­ro­bo­ter können einen ganzen Raum in nur weni­gen Minu­ten desin­fi­zie­ren. Dazu wird im Allge­mei­nen mit gepuls­tem ultra­vio­let­tem Licht gear­bei­tet. Sie werden u.a. zur Bekämp­fung des Ebola-Virus einge­setzt und schüt­zen den Menschen vor Infek­tio­nen mit diesem hoch­kon­ta­giö­sen Virus. Sie sorgen auch im norma­len klini­schen Alltag dafür, dass Kran­ken­haus­zim­mer schnell keim­frei gemacht und für neue Pati­en­ten vorbe­rei­tet werden können, sodass sich das Perso­nal auf wesent­li­che Tätig­kei­ten konzen­trie­ren kann. Robo­ter werden auch in moder­nen Kran­ken­haus­apo­the­ken einge­setzt. Dabei wird auch die Künst­li­che Intel­li­genz (KI) genutzt, um Medi­ka­men­te zu iden­ti­fi­zie­ren, Pati­en­ten zu zuord­nen und an Pati­en­ten zu vertei­len. Auch in der Produk­ti­on von steri­len iv-Medi­ka­tio­nen wie z.B. von Chemo­the­ra­peu­ti­ka werden Robo­ter heute einge­setzt, wodurch Menschen weni­ger den Gefahr­stof­fen ausge­setzt werden und die Produk­ti­on opti­miert wird. In Labo­ren vorkom­men­de Robo­ter­ty­pen sind beson­ders darauf ausge­legt, Prozes­se zu auto­ma­ti­sie­ren und Labor­tech­ni­ker bei der Erle­di­gung sich wieder­ho­len­der Aufga­ben zu unter­stüt­zen. Dies geschieht sowohl in Routi­ne- als auch in Forschungslaboren.

Mit fort­schrei­ten­der Entwick­lung der Tech­nik werden Robo­ter zuneh­mend auto­no­mer agie­ren und bestimm­te Aufga­ben schließ­lich voll­stän­dig selbst ausfüh­ren. So können Ärzte, Kran­ken­pfle­ger und ande­res medi­zi­ni­sches Fach­per­so­nal mehr Zeit für die direk­te Pati­en­ten­ver­sor­gung aufwenden.

Wenden wir uns nun nach diesem Über­blick noch einmal den chir­ur­gi­schen Assis­tenz-Robo­tern zu. Diese Robo­ter unter­stüt­zen Chir­ur­gen mit KI-gestütz­ter Tech­nik und maschi­nel­lem Sehen, damit diese komple­xe Opera­tio­nen noch schnel­ler und mit höhe­rer Präzi­si­on durch­füh­ren können. Einige chir­ur­gi­sche Robo­ter können Aufga­ben sogar auto­nom erle­di­gen, wobei Chir­ur­gen die Eingrif­fe nur noch über eine Konso­le über­wa­chen. Die beiden Haupt­ein­satz­ge­bie­te bisher sind u.a. die Weich­teil­chir­ur­gie im Rahmen von robo­ter­ge­stütz­ter Hyste­rek­to­mie, Prosta­tek­to­mie oder der Adipo­si­tas-Chir­ur­gie. Dabei werden immer mini­mal­in­va­si­ve Knopf­loch­tech­no­lo­gien ange­wen­det und zumeist über eine Fern­steue­rung durch den Chir­ur­gen durch­ge­führt. Die Robo­ter sollen helfen die Präzi­si­on zu erhö­hen, Kompli­ka­tio­nen und OP-Zeiten zu redu­zie­ren. In der Ortho­pä­die können gängi­ge Opera­tio­nen wie Knie- oder Hüft­pro­the­sen bereits vorpro­gram­miert werden. Durch Kombi­na­ti­on von intel­li­gen­ten Robo­ter­ar­men, 3‑D-Bild­ge­bung und Daten­ana­ly­sen ermög­li­chen diesen Robo­ter eine hohe Präzi­si­on und vorher­sag­ba­re Ergebnisse.

Dank der Möglich­keit, über Video Über­tra­gun­gen aus dem Opera­ti­ons­saal mit ande­ren Stand­or­ten zu teilen, können sich Chir­ur­gen mit ande­ren Fach­spe­zia­lis­ten austau­schen. So profi­tie­ren Pati­en­ten insbe­son­de­re bei selte­nen, komple­xen Opera­tio­nen davon, dass an den Eingrif­fen die besten Chir­ur­gen betei­ligt sein können. Das Gebiet der chir­ur­gi­schen Robo­tik entwi­ckelt sich weiter und nutzt zuneh­mend auch KI-basier­te Bild­ver­ar­bei­tung. Diese ermög­licht es den Robo­tern z.B., im Opera­ti­ons­feld zwischen verschie­de­nen Arten von Gewebe zu unter­schei­den. Dadurch kann den Chir­ur­gen gehol­fen werden, bei Eingrif­fen bspw. Nerven von Muskeln zu unter­schei­den und so Kompli­ka­tio­nen zu mini­mie­ren. Zuneh­mend werden Robo­ter auch Aufga­ben wie z. B. das Vernä­hen oder andere defi­nier­te Aufga­ben durch­füh­ren, wobei der Chir­urg oder chir­ur­gi­sches Hilfs­per­so­nal nur noch über­wa­chend an der Seiten­li­nie stehen. Die Robo­tik spielt auch hinsicht­lich der Schu­lung von Chir­ur­gen eine wich­ti­ge Rolle. Simu­la­ti­ons­platt­for­men nutzen KI und virtu­el­le Reali­tät, um an den Robo­ter­sys­te­men zu trai­nie­ren, Eingrif­fe zu üben und ihre Fähig­kei­ten zu verfeinern.

In der Augen­heil­kun­de spielt die Robo­ter­tech­no­lo­gie zurzeit noch eine unter­ge­ord­ne­te Rolle. Kürz­lich erschien hierzu eine inter­es­san­te Über­sichts­ar­beit von Thir­unayu­ka­ra­su et al., welche frei einseh­bar ist. Die Lektü­re ist sehr empfehlenswert.

Die Beson­der­heit der Augen­heil­kun­de ist ja im Vergleich zur allge­mei­nen Chir­ur­gie unser klei­nes Opera­ti­ons­ge­biet, wobei die Präzi­si­on dabei durch die Gren­zen der mensch­li­chen Fein­mo­to­rik limi­tiert ist. Die Autoren führ­ten daher eine Recher­che der Lite­ra­tur durch, um den Stand der Robo­ter­tech­no­lo­gie zu ermit­teln, welche in der Lage sein könnte, die mensch­li­chen Gren­zen zu über­schrei­ten und so weite­ren Fort­schritt zu ermög­li­chen. Es konn­ten ledig­lich zwölf Studi­en ermit­telt werden, welche vorwie­gend über das Preceyes System der Firma Zeiss und über das Da Vinci System berich­ten. Die Anwen­dun­gen betref­fen fast das gesam­te anato­mi­sche Gebiet der Augen­heil­kun­de. So wurde das Da Vinci System u.a. für die orbi­ta­le Dekom­pres­si­on bei Endo­kri­ner Orbi­topa­thie, aber auch bei der Ptery­gi­um-Chir­ur­gie oder dem Aufnä­hen von Amni­onmem­bran einge­setzt. Auch Einzel­be­schrei­bun­gen von Behand­lun­gen des Basal­zell­kar­zi­noms liegen mit dem Da Vinci System vor. Das Preceyes System findet ausschließ­lich im hinte­ren Augen­ab­schnitt Anwen­dung. Dabei wurden mithil­fe des Robo­ters insbe­son­de­re Vitrek­to­mien mit Peeling durch­ge­führt bzw. intra­vit­rea­le Injek­tio­nen von u.a. Ocri­plas­min oder Plas­mi­no­gen-Akti­va­to­ren einge­setzt. Bei allen gefun­de­nen Studi­en liegen die Fall­zah­len unter 15 Augen. womit die Aussa­ge­kraft natür­lich limi­tiert ist. Die Autoren fanden in den Studi­en, dass die Robo­ter­sys­te­me arbei­ten und keine system­be­zo­ge­nen Schä­di­gun­gen auftra­ten. Bzgl. der Wirk­sam­keit und Prak­ti­ka­bi­li­tät zeig­ten sich aber keiner­lei Vortei­le im Vergleich zu herkömm­li­chen manu­el­len Opera­tio­nen. Hier­bei ist natür­lich auch an die Lern­kur­ve mit den Robo­ter­sys­te­men zu denken.Einzelne Studi­en erga­ben jedoch ein mögli­ches Poten­zi­al der Robo­ter­un­ter­stüt­zung zur Verbes­se­rung der Stan­dar­di­sie­rung der subre­ti­na­len Medi­ka­men­ten­in­fu­si­on und der Präzi­si­on in der Mikro­chir­ur­gie in der vitreo­re­ti­na­len Chir­ur­gie. Mögli­cher­wei­se wird dadurch das Tor geöff­net zu Eingrif­fen, welche unter Einsatz der mensch­li­chen Hand nicht möglich wären. In diesem Bereich gilt es daher, die Forschung voran­zu­trei­ben, auch wenn zurzeit keine signi­fi­kan­ten Vortei­le gegen­über der herkömm­li­chen chir­ur­gi­schen Praxis gezeigt werden konnten.

Birch et al. beschäf­ti­gen sich in einer der weni­gen in diesem Jahr zu der Robo­ter­an­wen­dung erschie­nen Arbei­ten mit der Loka­li­sa­ti­ons­er­ken­nung des Trokar­sys­tems in der vitreo­re­ti­na­len Chir­ur­gie. Um diese sicher durch­zu­füh­ren, ist die Kennt­nis des außer­halb des Bulbus liegen­den Bewe­gungs­zen­trums des chir­ur­gi­schen Instru­men­tes und der Posi­ti­on des Einführ­punk­tes des Trokars in das Auge erfor­der­lich. Bei exak­ter Kennt­nis über diese beiden Land­mar­ken kann der Robo­ter beide Posi­tio­nen ausrich­ten, um das Instru­ment  opti­mal um den Trokar zu schwen­ken, und so die Ausübung schäd­li­cher seit­li­cher Kräfte verhin­dern. Die Trokar­lo­ka­li­sie­rung erfolg­te in der Studie mit einer Mikro­ka­me­ra, welche auf eine vitreo­re­ti­na­le Zange montiert wurde. Mit ihrer Hilfe wurden 2 Marker, die auf beiden Seiten des Trokars ange­bracht wurden, verfolgt.

Die Ergeb­nis­se zeig­ten eine hohe Konsis­tenz der Messun­gen sowie eine Präzi­si­on, welche im Bereich von 1,4 mm lag, was dem Durch­mes­ser des Trokars entspricht. Die Mark­erlo­ka­li­sie­rung, so fass­ten die Autoren zusam­men, müsse jedoch noch weiter verfei­nert werden, um die Konsis­tenz der Loka­li­sie­rung inner­halb der Fehler­gren­ze sicher­zu­stel­len. Wir sehen also, dass die Robo­ter­tech­no­lo­gie im Bereich der Augen­heil­kun­de noch keine weit­rei­chen­de Anwen­dung gefun­den hat. Auch im Bereich der Forschung scheint die Akti­vi­tät noch rela­tiv gering. Mögli­cher­wei­se ist die Indus­trie zum jetzi­gen Zeit­punkt noch nicht davon über­zeugt, dass die Robo­ter im großen Stil in der Augen­heil­kun­de Anwen­dung finden werden, denn sonst wäre die Forschungs­ak­ti­vi­tät sicher deut­lich verstärkt. Außer­halb der Augen­heil­kun­de werden wir aber sicher im Rahmen des Klinik­all­tags und der Pflege schon bald vermehrt Robo­ter im Einsatz sehen.

​In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen sonni­gen Sommer und viel Freude bei der Lektü­re von Kompakt Ophthalmologie!

Ihr Detlef Holland

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