Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
sicher genießen alle in diesen Tagen den herrlichen Sommer, verfolgen die Olympischen Spiele und erholen sich vom Alltag.
In diesem Editorial möchte ich einmal den Fokus auf einen Teil der Medizintechnik legen, der in der Chirurgie der Augenheilkunde allerdings noch keineswegs zum Alltag gehört: die Roboter!
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter „Roboter“ meist eine Maschine verstanden, die dem Aussehen des Menschen nachgebildet ist bzw. Funktionen übernehmen kann, die sonst von Menschen ausgeführt werden. Bei einem menschenähnlichen Aussehen des Roboters spricht man auch von Androiden.
In der Fertigungstechnik kennen wir schon seit langem den Einsatz von Robotern, z.B. in der Automobilindustrie. Dort sind in den Produktionsstraßen Roboter bei der Montage von PKW nicht mehr wegzudenken und ersetzen seit vielen Jahren den Menschen insbesondere bei körperlich schweren Tätigkeiten, aber auch bei Aufgaben, welche ein hohes Maß an Präzision erfordern.
In den 1980er-Jahren kamen die ersten medizinischen Roboter auf den Markt, die mithilfe von Roboterarmtechnik den Chirurgen bei der Operation als Assistenz zur Seite standen. Heute werden Roboter aber nicht nur im Operationssaal eingesetzt, sondern auch in klinischen Umgebungen, um das Gesundheitspersonal zu unterstützen und die Patientenversorgung zu verbessern. Im Zuge der COVID-19-Pandemie begannen Krankenhäuser und Kliniken mit der Verwendung von Robotern für eine wesentlich breiteres Aufgabenspektrum, um z.B. die Belastung des Personals mit Pathogenen zu reduzieren. Sie ermöglichen es auch den medizinischen Fachkräften, sich auf die Betreuung und Pflege der Patienten zu konzentrieren, da z.B. Reinigungs- und Überwachungsaufgaben durch Roboter übernommen werden können. Schauen wir also einmal, welche unterschiedlichen Einsatzgebiete heute bereits existieren.
Am bekanntesten sind sicher die klassischen Operationsroboter. Diese ermöglichen entweder die Durchführung chirurgischer Eingriffe mit größerer Präzision als ein menschlicher Chirurg es manuell könnte, oder sie ermöglichen Operationen aus der Ferne, bei denen ein menschlicher Chirurg nicht physisch beim Patienten anwesend sein muss. Hier ist insbesondere das Da Vinci System hervorzuheben, welches v.a. in der Orthopädie und allgemeinen Chirurgie seit vielen Jahren eingesetzt wird.
In der Rehabilitation von kranken Menschen z.B. nach Unfällen werden mittlerweile sogenannte Rehabilitations-Roboter eingesetzt. Dabei unterstützen die Maschinen den Menschen insbesondere beim Training von Bewegungs-und Funktionsstörungen von Körperteilen. Bei Paresen können bspw. Funktionsstörungen von Armen oder Beinen durch Robotertechnologie ausgeglichen werden. Hier spielt die sogenannte Roboterprothetik eine wichtige Rolle
Telepräsenzroboter werden u.a in der Pflege eingesetzt. Sie erleichtern es dem medizinischen Fachpersonal u.a., große Stationen von einem zentralen Punkt aus zu überwachen und mit den Patienten zu kommunizieren. Krankenhausroboter mit einem vorprogrammierten Layout ihrer Umgebung und integrierten Sensoren liefern heute schon Medikamente und Mahlzeiten an Patienten aus oder transportieren Proben zwischen verschiedenen Abteilungen hin und her. Gerade in Zeiten des immer größer werdenden Pflegenotstandes können mithilfe dieser Roboter in Zukunft sicher Versorgungslücken geschlossen werden. Autonome medizinische Roboter helfen außerdem bei schweren Aufgaben wie dem Bewegen von Betten oder Heben von Patienten, wodurch körperliche Belastungen des Gesundheitspersonals verringert werden. Ob die Pflege dadurch insgesamt verbessert wird, muss die Zukunft zeigen. Da Roboter die Arbeitslast verringern, können Krankenpfleger möglicherweise Patienten mehr Zeit und menschliche Zuwendung zukommen lassen, was das langfristige Wohlbefinden und Zufriedenheit fördert. In diesem Zusammenhang sind auch die so genannten Begleitroboter zu nennen. Diese sind in der Lage, den Nutzern Gesellschaft zu leisten und auch über Konversation und z.B. über Mimik emotional mit ihnen in Kontakt zu treten. Sie übernehmen auch Überwachungsfunktionen und können gesundheitliche Probleme oder Fehlverhalten detektieren und ggf. ärztlichem Personal oder Angehörigen Bescheid geben. Moderne Desinfektionsroboter können einen ganzen Raum in nur wenigen Minuten desinfizieren. Dazu wird im Allgemeinen mit gepulstem ultraviolettem Licht gearbeitet. Sie werden u.a. zur Bekämpfung des Ebola-Virus eingesetzt und schützen den Menschen vor Infektionen mit diesem hochkontagiösen Virus. Sie sorgen auch im normalen klinischen Alltag dafür, dass Krankenhauszimmer schnell keimfrei gemacht und für neue Patienten vorbereitet werden können, sodass sich das Personal auf wesentliche Tätigkeiten konzentrieren kann. Roboter werden auch in modernen Krankenhausapotheken eingesetzt. Dabei wird auch die Künstliche Intelligenz (KI) genutzt, um Medikamente zu identifizieren, Patienten zu zuordnen und an Patienten zu verteilen. Auch in der Produktion von sterilen iv-Medikationen wie z.B. von Chemotherapeutika werden Roboter heute eingesetzt, wodurch Menschen weniger den Gefahrstoffen ausgesetzt werden und die Produktion optimiert wird. In Laboren vorkommende Robotertypen sind besonders darauf ausgelegt, Prozesse zu automatisieren und Labortechniker bei der Erledigung sich wiederholender Aufgaben zu unterstützen. Dies geschieht sowohl in Routine- als auch in Forschungslaboren.
Mit fortschreitender Entwicklung der Technik werden Roboter zunehmend autonomer agieren und bestimmte Aufgaben schließlich vollständig selbst ausführen. So können Ärzte, Krankenpfleger und anderes medizinisches Fachpersonal mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung aufwenden.
Wenden wir uns nun nach diesem Überblick noch einmal den chirurgischen Assistenz-Robotern zu. Diese Roboter unterstützen Chirurgen mit KI-gestützter Technik und maschinellem Sehen, damit diese komplexe Operationen noch schneller und mit höherer Präzision durchführen können. Einige chirurgische Roboter können Aufgaben sogar autonom erledigen, wobei Chirurgen die Eingriffe nur noch über eine Konsole überwachen. Die beiden Haupteinsatzgebiete bisher sind u.a. die Weichteilchirurgie im Rahmen von robotergestützter Hysterektomie, Prostatektomie oder der Adipositas-Chirurgie. Dabei werden immer minimalinvasive Knopflochtechnologien angewendet und zumeist über eine Fernsteuerung durch den Chirurgen durchgeführt. Die Roboter sollen helfen die Präzision zu erhöhen, Komplikationen und OP-Zeiten zu reduzieren. In der Orthopädie können gängige Operationen wie Knie- oder Hüftprothesen bereits vorprogrammiert werden. Durch Kombination von intelligenten Roboterarmen, 3‑D-Bildgebung und Datenanalysen ermöglichen diesen Roboter eine hohe Präzision und vorhersagbare Ergebnisse.
Dank der Möglichkeit, über Video Übertragungen aus dem Operationssaal mit anderen Standorten zu teilen, können sich Chirurgen mit anderen Fachspezialisten austauschen. So profitieren Patienten insbesondere bei seltenen, komplexen Operationen davon, dass an den Eingriffen die besten Chirurgen beteiligt sein können. Das Gebiet der chirurgischen Robotik entwickelt sich weiter und nutzt zunehmend auch KI-basierte Bildverarbeitung. Diese ermöglicht es den Robotern z.B., im Operationsfeld zwischen verschiedenen Arten von Gewebe zu unterscheiden. Dadurch kann den Chirurgen geholfen werden, bei Eingriffen bspw. Nerven von Muskeln zu unterscheiden und so Komplikationen zu minimieren. Zunehmend werden Roboter auch Aufgaben wie z. B. das Vernähen oder andere definierte Aufgaben durchführen, wobei der Chirurg oder chirurgisches Hilfspersonal nur noch überwachend an der Seitenlinie stehen. Die Robotik spielt auch hinsichtlich der Schulung von Chirurgen eine wichtige Rolle. Simulationsplattformen nutzen KI und virtuelle Realität, um an den Robotersystemen zu trainieren, Eingriffe zu üben und ihre Fähigkeiten zu verfeinern.
In der Augenheilkunde spielt die Robotertechnologie zurzeit noch eine untergeordnete Rolle. Kürzlich erschien hierzu eine interessante Übersichtsarbeit von Thirunayukarasu et al., welche frei einsehbar ist. Die Lektüre ist sehr empfehlenswert.
Die Besonderheit der Augenheilkunde ist ja im Vergleich zur allgemeinen Chirurgie unser kleines Operationsgebiet, wobei die Präzision dabei durch die Grenzen der menschlichen Feinmotorik limitiert ist. Die Autoren führten daher eine Recherche der Literatur durch, um den Stand der Robotertechnologie zu ermitteln, welche in der Lage sein könnte, die menschlichen Grenzen zu überschreiten und so weiteren Fortschritt zu ermöglichen. Es konnten lediglich zwölf Studien ermittelt werden, welche vorwiegend über das Preceyes System der Firma Zeiss und über das Da Vinci System berichten. Die Anwendungen betreffen fast das gesamte anatomische Gebiet der Augenheilkunde. So wurde das Da Vinci System u.a. für die orbitale Dekompression bei Endokriner Orbitopathie, aber auch bei der Pterygium-Chirurgie oder dem Aufnähen von Amnionmembran eingesetzt. Auch Einzelbeschreibungen von Behandlungen des Basalzellkarzinoms liegen mit dem Da Vinci System vor. Das Preceyes System findet ausschließlich im hinteren Augenabschnitt Anwendung. Dabei wurden mithilfe des Roboters insbesondere Vitrektomien mit Peeling durchgeführt bzw. intravitreale Injektionen von u.a. Ocriplasmin oder Plasminogen-Aktivatoren eingesetzt. Bei allen gefundenen Studien liegen die Fallzahlen unter 15 Augen. womit die Aussagekraft natürlich limitiert ist. Die Autoren fanden in den Studien, dass die Robotersysteme arbeiten und keine systembezogenen Schädigungen auftraten. Bzgl. der Wirksamkeit und Praktikabilität zeigten sich aber keinerlei Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen manuellen Operationen. Hierbei ist natürlich auch an die Lernkurve mit den Robotersystemen zu denken.Einzelne Studien ergaben jedoch ein mögliches Potenzial der Roboterunterstützung zur Verbesserung der Standardisierung der subretinalen Medikamenteninfusion und der Präzision in der Mikrochirurgie in der vitreoretinalen Chirurgie. Möglicherweise wird dadurch das Tor geöffnet zu Eingriffen, welche unter Einsatz der menschlichen Hand nicht möglich wären. In diesem Bereich gilt es daher, die Forschung voranzutreiben, auch wenn zurzeit keine signifikanten Vorteile gegenüber der herkömmlichen chirurgischen Praxis gezeigt werden konnten.
Birch et al. beschäftigen sich in einer der wenigen in diesem Jahr zu der Roboteranwendung erschienen Arbeiten mit der Lokalisationserkennung des Trokarsystems in der vitreoretinalen Chirurgie. Um diese sicher durchzuführen, ist die Kenntnis des außerhalb des Bulbus liegenden Bewegungszentrums des chirurgischen Instrumentes und der Position des Einführpunktes des Trokars in das Auge erforderlich. Bei exakter Kenntnis über diese beiden Landmarken kann der Roboter beide Positionen ausrichten, um das Instrument optimal um den Trokar zu schwenken, und so die Ausübung schädlicher seitlicher Kräfte verhindern. Die Trokarlokalisierung erfolgte in der Studie mit einer Mikrokamera, welche auf eine vitreoretinale Zange montiert wurde. Mit ihrer Hilfe wurden 2 Marker, die auf beiden Seiten des Trokars angebracht wurden, verfolgt.
Die Ergebnisse zeigten eine hohe Konsistenz der Messungen sowie eine Präzision, welche im Bereich von 1,4 mm lag, was dem Durchmesser des Trokars entspricht. Die Markerlokalisierung, so fassten die Autoren zusammen, müsse jedoch noch weiter verfeinert werden, um die Konsistenz der Lokalisierung innerhalb der Fehlergrenze sicherzustellen. Wir sehen also, dass die Robotertechnologie im Bereich der Augenheilkunde noch keine weitreichende Anwendung gefunden hat. Auch im Bereich der Forschung scheint die Aktivität noch relativ gering. Möglicherweise ist die Industrie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht davon überzeugt, dass die Roboter im großen Stil in der Augenheilkunde Anwendung finden werden, denn sonst wäre die Forschungsaktivität sicher deutlich verstärkt. Außerhalb der Augenheilkunde werden wir aber sicher im Rahmen des Klinikalltags und der Pflege schon bald vermehrt Roboter im Einsatz sehen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen sonnigen Sommer und viel Freude bei der Lektüre von Kompakt Ophthalmologie!
Ihr Detlef Holland