
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
die Einleitung des Editorials im Februar stand noch ganz im Zeichen der bevorstehenden Bundestagswahl. Nun ist die Wahl vorbei und wir sehen, dass die Politik nicht mehr berechenbar ist. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ ist das salonfähige Motto geworden.
Wenn wir unsere Patienten so über bevorstehende Behandlungen aufklären würden, wären wir wohl mit einer Flut von Klagen konfrontiert. Zum Glück arbeiten wir anders und klären weitreichend und genau über Behandlungen auf. Ärztliche Behandlungen sind keine Wundertüte von der Art, wie sich die Politik in Deutschland gerade präsentiert. Gerade im Bereich der Linsenchirurgie können wir unsere Patienten sehr gut nach exakter Aufklärung über die bevorstehende Operation und das zu erwartende Ergebnis aufklären. Medizin ist und bleibt eine Vertrauenssache und wir werden alle in Zukunft auch weiter darauf achten, dass dies so bleibt. Unsere Patienten können sich dabei auf uns verlassen. Die Politik scheint hier zunehmend andere Wege zu bestreiten. Es wird spannend werden. Interessant ist auch die Frage, wer das Gesundheitsministerium besetzen wird. Karl Lauterbach scheint aus dem Rennen. Wohl auch aufgrund seiner kurzsichtigen Kommentare im Netz. Ich finde, wir hätten alle einen Minister verdient, der weniger mit Auftritten in Talkshows und auf den Social-Media-Plattformen glänzt als vielmehr mit wirklicher Fachkompetenz. Diese braucht es ganz sicher, um das Gesundheitssystem durch die bevorstehenden Stürme zu lenken. Dem steigenden Kostendruck werden mit großer Wahrscheinlichkeit sinkende Zuflüsse gegenüberstehen. Weitblick ist gefragt!
In diesem Sinne kehre ich nun zur Augenheilkunde zurück und möchte mit ihnen einige spannende Artikel aus dem Bereich der Chirurgie besprechen.
Sayegh et al. beschäftigen sich im „Journal of Pain“ mit einem spannenden Thema, das leider zum Alltag unseres täglichen Arbeitens gehört und möglicherweise mehr Beachtung finden sollte. Häufig wird nach einer perfekten Kataraktoperation ein optimales visuelles Ergebnis durch postoperative Schmerzen belastet. Die Arbeitsgruppe untersuchte daher die Prävalenz und Risikofaktoren für chronische postoperative Schmerzen (CPOP) nach einer Linsenoperation. Dazu wurden in einer Post-hoc-Analyse Daten der Age-Related Eye Disease Study (AREDS) ausgewertet. In dieser multizentrischen, kontrollierten, randomisierten Studie zu antioxidativen Vitaminen und Mineralstoffen zur Behandlung der AMD wurden u.a. auch Augenschmerzen anhand von Frage 4 des Visual Function Questionnaire (NEI-VFQ-25) des National Eye Institute ermittelt. Multivariable Regressionsmodelle untersuchten Zusammenhänge zwischen potenziellen Risikofaktoren (Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index, Rauchen, Diabetes, Bildungsniveau, Einnahme von entzündungshemmenden Mitteln, Einnahme von Antazida, allgemeiner Gesundheitszustand, AREDS-Behandlungsgruppe) und CPOP. Von den 325 eingeschlossenen Teilnehmern (Durchschnittsalter 69,7±4,4 Jahre, 59,4% weiblich) entwickelten 42 (13%) CPOP. Die multivariable Analyse ergab keine statistisch signifikanten Zusammenhänge für die Wahrscheinlichkeit, nach einer Kataraktoperation CPOP zu entwickeln. Die Studie konnte zeigen, dass unsere Patienten ein hohes Risiko dafür haben, postoperativ chronische Schmerzen zu entwickeln. Die genaue Ursache erscheint weiter nicht eindeutig geklärt zu sein. Aufgrund der hohen Prävalenz erscheint es sehr sinnvoll, hier weiter zum Nutzen und zur Zufriedenheit unserer Patienten zu forschen.
Über den medizinischen Standard wissen wir aus unserem klinischen Alltag sehr viel. Interessant sind aber die Randgruppen. So sind z.B. Daten zu morphologischen Merkmalen und Ergebnissen extrem kurzer Augen nach Kataraktoperationen spärlich. Hammer et al. untersuchten daher Augen, bei denen eine Intraokularlinse mit einer Brechkraft von mehr als 30 dpt implantiert wurde. In ihrer retrospektiven Kohortenstudie (Br J Ophthalmol 27.02.2025; doi: 10.1136/bjo-2024–326998) wurden 300 Augen von 191 Patienten untersucht. Die Augen wurden in die Morphologien Nanophthalmus (N), relativer anteriorer Mikrophthalmus (RAM) und hohe bzw. niedrige/moderate Hyperopie (HH und MH) eingeteilt. Komorbiditäten, intra- und postoperative Komplikationen, prä- und postoperative Refraktion sowie visuelle Ergebnisse wurden untersucht. Das mittlere präoperative sphärische Äquivalent (SE) betrug +6±2,85 dpt und die mittlere Achsenlänge 20,68±0,92 mm. Einen Nanopthalmus wiesen 19% und einen anterioren Mikrophthalmus 45% der Patienten. Als Komorbiditäten zeigten sich die Amblyopie (14,7%), vorangegangene Strabismusoperationen (7,3%), Glaukom (12,7%) und vorangegangene Iridotomie (9,4%) als besonders häufig. Der präoperativ korrigierte Fernvisus (CDVA) und der postoperative unkorrigierte Fernvisus (UDVA) unterschieden sich nicht signifikant (0,34±0,39 logMAR vs. 0,47±0,38 logMAR). Der postoperative CDVA verbesserte sich leicht (0,28±0,31 logMAR; p=0,02). Die Kapselrupturrate war interessanterweise nicht signifikant erhöht. Die Autoren folgern, dass Linsenoperationen bei extrem kurzen Augen sicher und effizient sind. Die Vorderkammertiefe wird erwartungsgemäß verbessert und die Gefahr eines akuten Glaukomanfalls reduziert. Von allen Subtypen zeigten nanophthalmische Augen die ungenauesten postoperativen Ergebnisse. Die Operation ermöglicht insgesamt jedoch auch mit Standardlinsen eine deutliche Verbesserung der Brillenunabhängigkeit und führt zu einer sehr hohen Patientenzufriedenheit. Die Arbeit bestätigt somit unsere klinische Erfahrung, dass unsere hyperopen Patienten am einfachsten zufriedenzustellen sind.
Um Sicherheit und Vorhersagbarkeit geht es auch in einer kürzlich erschienen Arbeit von Xu et al. Die Gruppe untersuchte in einer Metaanalyse den Einfluss von Kapselspannringen auf das postoperative Ergebnis. Exakte Daten zu diesem wichtigen Thema liegen bisher aus großen prospektiven Studien nicht vor. Für die Analyse wurden die fünf folgenden Datenbanken durchsucht: PubMed, Cochrane Library, Web of Science, Medline und China National Knowledge Infrastructure. Endpunkte waren der mittlere und absolute refraktive Vorhersagefehler und die Anzahl der Augen, die innerhalb eines bestimmten refraktiven Vorhersagebereiches lagen. Insgesamt konnten 407 Augen in acht unabhängigen Studien eingeschlossen werden. Bedenkt man die Anzahl der klinischen Studien zur Kataraktchirurgie, so handelt es sich um eine relativ kleine Anzahl. Die Metaanalyse deutete auf signifikante Unterschiede sowohl bei der kurzfristigen (≤1 Monat) Co-Implantation als auch bei der langfristigen (≥3 Monate) Co-Implantation zwischen der Gruppe mit Kapselspannring und der Kontrollgruppe hin. In der Untergruppe mit hoher Myopie wurde jedoch kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Kapselspannring-Implantation beobachtet. Im Vergleich zur einfachen intraokularen Linsenimplantation ist die Co-Implantation eines Kapselspannungsrings anfälliger für die Entwicklung hyperopischer Verschiebungen bei nichtmyopischen Kataraktpatienten. Ursächlich scheint hierfür die resultierende Vorderkammertiefe zu sein. Die präoperative Bestimmung der Zieldioptrien erfordert daher sorgfältige Abwägung. Die Autoren schlussfolgerten jedoch, dass weitere prospektive Studien notwendig sind, um die Evidenz der Analyse weiter zu vertiefen. Interessant wären auch Studien, die ein sehr langes Follow-up aufweisen, um den Nutzen von Kapselspannringen insbesondere bei einer späteren Dislokation des Kapselapparates belegen zu können. Leider sind hierzu sicherlich viel zu große Fallzahlen notwendig, welche solche Studien schwer durchführbar erscheinen lassen.
Das refraktive Ergebnis nach Kunstlinsenimplantation ist auch bei Linsen mit Zusatzfunktion von besonderer Bedeutung. Nagyova et al. publizierten kürzlich eine erste Arbeit zu einem besonderen Ansatz zur Monovision. Dabei wird eine asphärische monofokale Intraokularlinse für die Fernsicht in das dominante Auge und eine bifokale IOL mit erweiterter Tiefenschärfe (EDOF) in das nichtdominante Auge implantiert. Dabei wurde im dominanten Auge eine asphärische monofokale IOL (Hoya Vivinex XC1-SP) sowie im nichtdominanten Auge eine rotationsasymmetrische refraktive bifokale EDOF-IOL mit einer zusätzlichen Brechkraft von +1,5 dpt (Lentis Comfort-LS-313 MF15) mit einer Zielrefraktion von ‑1.25 implantiert. Die unkorrigierte Fern‑, Intermediär- und Nahsehschärfe sowie die binokularen Defokuskurven wurden bestimmt. Außerdem untersuchte man den Kontrastvisus, das Stereosehen und das skotopische Sehen. Die Patientenzufriedenheit wurde zusätzlich mithilfe der Fragebögen PRSIQ und NEI-RQL-42 bewertet. Insgesamt schloss man 26 Augen von 13 Patienten in die Studie ein. Die mittleren postoperativen binokularen UDVA, UIVA und UNVA lagen bei 0,05, ‑0,08 bzw. 0,06 logMAR. Dies zeigte eine sehr gute Performance über den gesamten Sehschärfebereich. Die Defokuskurve erreichte ihren Höhepunkt bei 0,0 dpt (6 m) mit einer mittleren Sehschärfe von 0,04±0,09 logMAR. Das funktionelle Sehvermögen oberhalb des Grenzwertes von 0,3 logMAR erstreckte sich über die Defokussierung von +1,0 bis ‑3,5 dpt. Diese Daten belegen sehr gute funktionelle Ergebnisse dieses bisher wenig untersuchten Ansatzes. Die Gesamtzufriedenheitsrate von 83,1±13,2 war in der Kohorte sehr hoch. Die Autoren folgerten aus diesen Ergebnissen, dass der Ansatz sehr gute funktionelle Ergebnisse zeigt und als gute Alternative zu einer bilateralen Implantation von Multifokallinsen angesehen werden kann. Wir sehen bei dieser Publikation einmal mehr, dass es heute viele unterschiedliche Ansätze zur Behandlung unserer Patienten im Bereich der Linsenchirurgie gibt. Für mich ergeben sich aus diesen Ergebnissen auch positive Erkenntnisse für die Versorgung von bereit einseitig operierten Patienten. Die Arbeit ermöglicht es uns, dieser Patientengruppe eine neuartige Alternative anzubieten, welche eine sehr hohe Brillenunabhängigheit ermöglicht.
Die zukünftige Versorgung unserer Patienten sieht also durch neuartige Erkenntnisse sehr positiv aus. Hoffentlich erwartet unser Gesundheitssystem ebenso mit der neuen Regierung eine positive Zukunft. Es bleibt spannend …
Mit besten Grüßen,
Ihr
Detlef Holland