
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor genau 120 Jahren setzte Eduard Zirm mit der ersten erfolgreichen perforierenden Keratoplastik einen historischen Meilenstein in der Humanmedizin. Vor 20 Jahren folgte Gerrit Melles mit der Einführung der DMEK und erweiterte das Spektrum der lamellären Transplantationsverfahren entscheidend. Und erst vor einem Jahrzehnt öffnete Shigeru Kinoshita mit der Injektion isolierter Endothelzellen die Tür zu einer neuen Ära – hin zur regenerativen Hornhauttherapie. Diese eindrucksvolle Entwicklungslinie ist Anlass genug für eine aktuelle Standortbestimmung.
Herzlich willkommen zu einer weiteren Ausgabe von „Kompakt Ophthalmologie“.
Eine kürzlich in „Cornea” publizierte Studie von Oke et al. widmet sich dem Transplantat-Versagen nach penetrierender Keratoplastik im Kindesalter. Bisherige Untersuchungen bei sehr jungen Patienten litten häufig unter begrenzten Fallzahlen und eher kurzer Nachbeobachtungszeit, sodass immunologische Mechanismen und Langzeitergebnisse nur unzureichend charakterisiert werden konnten. Im Gegensatz dazu nutzt die aktuelle Arbeit einen umfangreichen Datensatz aus dem IRIS Registry, um Risikofaktoren in einer großen Patientenkohorte zu identifizieren. In dieser retrospektiven Studie wurden mehr als 500 Kinder (mittleres Alter: 15 Jahre) analysiert. Nicht unerwartet war die Langzeitprognose der Transplantate ungünstig: Innerhalb von fünf Jahren lag das Transplantatversagen bei circa 50 Prozent. Als wesentliche Risikofaktoren wurden Glaukom, Oberflächenprobleme und Neovaskularisation identifiziert. Interessanterweise ergab die Analyse von Subgruppen (ob konnatal, traumatisch oder nicht traumatisch bedingte Genese der Hornhauttrübung) keinen signifikanten Unterschied. Neben den bekannten Herausforderungen – wie der überschießenden Immunreaktion bei sehr jungen Patienten – wurde auch die erschwerte postoperative Nachsorge als kritisch herausgestellt. Eine verbesserte, intensive immunmodulatorische Therapie, gute Aufklärung und Compliance der Eltern werden als essenzielle Voraussetzung betont.
Auch die periphere ulzerative Keratitis (PUK) fällt per se in die Rubrik „Hochrisiko-Situation“, sofern eine Keratoplastik erforderlich ist. Sie ist seit Langem als seltenes und schwer zu behandelndes Krankheitsbild bekannt, das in der Literatur oft nur unzureichend thematisiert wurde. Die Arbeit von Mallem et al. füllt diese Lücke, indem sie nicht nur die klinischen Outcome-Daten systematisch erfasst, sondern auch die frühzeitige und gezielte Immunsuppression in den Fokus rückt. In die aktuelle retrospektive Analyse zwischen 2003 und 2022 ging eine Kohorte von 57 Patienten mit PUK ein. Bei circa 50 Prozent bestand eine systemische Grunderkrankung, die im Zusammenhang mit der Keratomalazie stand. Als wesentliche Botschaft resümieren die Autoren, das für den langfristen Erhalt des Transplantats über viele Jahre hinweg eine systemische immunsuppressive Therapie notwendig ist. Mit diesem Vorgehen war bei keinem der untersuchten Patienten die gefürchtete Hornhautperforation eingetreten. Systemische Kortikosteroide wurden hauptsächlich angewendet. Dies mag daran liegen, das neuere Wirkstoffe wie Biologika erst in den letzten Jahren verwendet werden. Dies erklärt, dass eine Bewertung der unterschiedlichen Immunsuppressiva nicht vorgenommen wurde. Resümee: Ein langfristiges begleitendes (systemisches) Therapiekonzept nimmt entscheidenden Einfluss auf den Langzeiterfolg bei PUK.
Die Ergebnisse der beiden vorangegangen Arbeiten zeigen den Bedarf an weiteren immunmodulativen Wirkstoffen. In diesem Zusammenhang wird zunehmend häufiger Tacrolimus erwähnt. Im Management der Hochrisiko-Keratoplastik standen lange Zeit topische Steroide und Cyclosporin AT im Fokus, obwohl deren Wirksamkeit und Verträglichkeit kontrovers diskutiert wird. Die systematische Auswertung und Metaanalyse von Al Khathami et al. ging daher der Frage nach, welchen Stellenwert topischem Tacrolimus zukommt. Nach Ansicht der Autoren bieten die bisher (8) vorliegenden Studien robuste Evidenz, dass der Wirkstoff immunvermittelte Abstoßungsreaktionen signifikant reduziert, bei gleichzeitig günstigem Nebenwirkungsprofil. Problematisch bleibt, dass sehr unterschiedliche Konzentrationen und pharmakologische Zubereitungen verwendet wurden und damit eine vergleichende Beurteilung erschwert wird. Aktuell ist kein handelsübliches Präparat verfügbar. Da in einigen Studien topisches Tacrolimus vergleichbare Effekte zur systemischen Therapie aufwies (z.B. mit MMF), sehen die Autoren großes Potenzial.
Während sich klinische Studien zur Hornhauttransplantation nahezu ausschließlich auf anatomische und funktionelle Parameter konzentrierten, rückt die Arbeit von Elsman et al. in der aktuellen Ausgabe von „Acta Ophthalmologica“ die postoperative Lebensqualität und die soziale Teilhabe der Patienten in den Mittelpunkt. Bisher wurde die Lebensqualität lediglich als sekundärer Endpunkt erfasst, während diese prospektive multizentrische Kohortenstudie systematisch die Lebenszufriedenheit und Reintegration mit funktionellen Daten verknüpft. Mehr als 80 Prozent der Befragten erhielten eine lamelläre Keratoplastik (DMEK, Hauptindikation: Fuchs Dystrophie). Die Ergebnisse zeigen, dass neben dem funktionellen Ergebnis psychosoziale Faktoren ebenso entscheidend die Lebensqualität beeinflussen. Dazu zählen familiäre Unterstützung, die berufliche Situation und gegebenenfalls vorbestehende psychische Erkrankungen. Besonders profitierten Männer mit stabilem Arbeitsverhältnis. Diese patientenzentrierte Perspektive belegt, das die Bewertung des Behandlungserfolgs nicht allein an objektiven Messgrößen festgemacht werden sollte, sondern auch anhand der subjektiven Erlebensqualität und gesellschaftlichen Integration der Patienten.
In der Vergangenheit galten Revisionseingriffe nach DMEK häufig als problematisch, da sie mit unsicherer Prognose und erhöhten Komplikationsraten behaftet schienen. Die aktuelle Arbeit von Laouani et al. in „Cornea“ zeigt jedoch, dass eine frühzeitige Re-DMEK unter strikter Patientenselektion signifikante funktionelle Verbesserungen ermöglicht. In die retrospektive Analyse wurden 49 Augen von 49 Patienten eingeschlossen, die nach technisch bedingtem Versagen (Graft Detachement/TV) und spätem Hornhaut-Endothelversagen (SHV) unterschieden wurden. Die initiale Hornhautendothelzahl war bei beiden Gruppen vergleichbar. Interessant sind die postoperativen Langzeitergebnisse. Das Fünf-Jahres-Transplantatüberleben war bei Re-DMEK nach TV besser als bei den Patienten mit SHV. Bei der letztgenannten Gruppe können immunologische Probleme angenommen werden. Die Autoren heben die Re-DMEK als effektive und risikoarme Alternative zur penetrierenden Keratoplastik hervor. Sie sehen gute Chancen dafür, dass der Wiederholungseingriff auch langfristig erfolgreich bleibt.
Bisher wurde häufig davon ausgegangen, dass das Spenderalter nur zweitrangig bedeutsam ist, solange die Endothelzellzahl ausreicht. Die Arbeit von Wolf et al. in der Juni-Ausgabe von „Cornea“ widerspricht dieser Annahme und stellt das Spenderalter als wichtigen Faktor für das langfristige Ergebnis heraus. Die Präparation der Transplantate von jungen Spenderhornhäuten (<60 Jahre) ist durch Doppelrollenbildung zwar schwieriger, ohne jedoch Einfluss auf intraoperative Komplikationen zu nehmen. Dagegen war die langfristige, postoperative Endothelzellzahl stabiler. Bei Patienten, die Transplantate der ältesten Spendergruppe (>80 Jahre) erhielten, war die Re-Bubbling-Rate und die Transplantat-Flip-Rate am höchsten. Diese Beobachtungen fordern eine Neubewertung der Donor-Auswahl und legen nahe, dass zukünftige Transplantationsstrategien noch stärker auf das Alter des Spendergewebes abgestimmt werden sollten.
Wie bedeutsam die „Qualität“ der Spenderendothelzellen ist, geht indirekt auch aus der letzten Arbeit hervor. Shigeru Kinoshita ist seit nunmehr zehn Jahren bekannt als Pionier eines völlig alternativen Weges. Ex-vivo werden Cornea-Endothelzellen kultiviert und expandiert, um anschließend als Suspension injiziert zu werden. In einer der jüngsten Ausgaben von „Ophthalmology“ werden die Langzeitergebnisse von 65 Patienten präsentiert. Als Erfolgskriterien wurden Zelldichte und zentrale Hornhautdicke herangezogen. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Nach 24 Wochen, fünf Jahren und zehn Jahren lag diese Rate bei 98,5 Prozent, 93,0 Prozent und 83,7 Prozent. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Möglichkeit, kultivierte Zellen anstelle von Spenderhornhäuten zu verwenden, könnte die Abhängigkeit von Spendergewebe erheblich reduzieren und die Wartezeiten für Patienten verkürzen. Zudem konnte zuletzt durch Kombination mit ROCK-Inhibitoren die Zellintegration und Funktion der injizierten Endothelzellen weiter verbessert werden. Es bleiben Herausforderungen. Die Langzeitstabilität der transplantierten Zellen muss weiterverfolgt werden, v.a. im Hinblick auf mögliche immunologische Reaktionen. Zudem sind weitere klinische Studien erforderlich, um die optimale Zellzahl, die injiziert werden sollte, zu bestimmen. Gelingt all dies, könnte die Zelltherapie eine vielversprechende Alternative zur traditionellen Hornhauttransplantation werden. Jetzt schon stellt dieses Vorgehen einen bedeutenden Fortschritt in der regenerativen Ophthalmologie dar.
Mit diesem sehr positiven Ausblick schließe ich den Reigen interessanter Arbeiten. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein interessantes Lesevergnügen und eine angenehme Sommerzeit.
Herzlichst
Ihr Uwe Pleyer und das gesamte Team von „Kompakt Ophthalmologie“