Sehr geehrte Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
wieder neigt sich ein ereignisreiches Jahr dem Ende entgegen. Oftmals neigen wir in Deutschland dazu, uns auf die negativen Dinge zu fokussieren und dem Positiven zu wenig Beachtung zu schenken. Ich möchte daher kurz auf eine positive Veränderung in der medizinischen Versorgung in Deutschland, welche seit dem 1.1.2024 verpflichtend wurde, eingehen. Das E‑Rezept ist endlich mal eine Neuerung, welche sich positiv auf den Alltag in unseren medizinischen Einrichtungen auswirkt. Wir sind auf dem Weg zur Digitalisierung einen Schritt weitergekommen. Sparen Papier und machen es dem Patienten in vielen Belangen einfacher. So muss der Patient z.B. für weitere Verordnungen im Quartal nach einem erfolgten Besuch nicht extra in der Praxis erscheinen, sondern kann nach Verordnung des E‑Rezeptes direkt in die Apotheke gehen. Erstaunt war ich wirklich über die nahezu reibungslose Einführung ohne größere technische Probleme. Wir können also in Deutschland noch Dinge in die richtige Richtung verändern. Darauf müssen wir vertrauen und aufbauen. Die Mehrzahl der Leser wird mir sicher auch zustimmen, dass die wohl wichtigste Veränderung zum Ende des Jahres das Ende der Ampelkoalition gewesen ist. Für weitere positive Änderungen in der Gesellschaft und auch in unserem Gesundheitssystem brauchen wir sicher einen weitreichenden Ruck in der Politik und den Mut zu weitreichenden Veränderungen. Hätte dies die Ampel gekonnt? Ich glaube nicht. Die Daten insbesondere in Bezug auf die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem sind alles andere als rosig. Die akuten Finanzprobleme in Bereich der Pflegeversicherung sind sicher nur ein Vorgeschmack auf das, was uns alles erwartet, wenn nicht kraftvoll gehandelt wird. Hoffentlich bringen die Neuwahlen für uns alle eine positive Veränderung, die auch uns als Leistungserbringer positiv nach vorne schauen lässt. Wir dürfen gespannt sein.
Positiv sieht der Blick in die Zukunft auf jeden Fall im Bereich des medizinischen Fortschritts aus. Lassen Sie uns daher nun auf einige spannende aktuelle Veröffentlichungen schauen.
Tausende Patienten unterziehen sich täglich einer intravitrealen Medikamenteninjektion. In diesem Zusammenhang kann es vorkommen, dass z.B. bei Diabetikern oder auch nach Amotio retinae oder einer Endophthalmitis mit einer Silikonöl-Füllung behandelte Augen einer IVOM-Therapie unterzogen werden müssen. Es ist daher wichtig, über die Pharmakokinetik der Medikamente in diesen Augen Kenntnisse zu gewinnen. Deiseri et al. haben die pharmakologischen Eigenschaften und die Sicherheit intravitrealer Medikamente in Silikonöl-gefüllten Augen anhand der vorliegenden Literatur bewertet. Interessanterweise deuten präklinische Daten auf vergleichbare Halbwertszeiten von VEGF-Inhibitoren in Silikonöl-Augen hin. Eindeutige Studien fehlen jedoch und klinische Beweise stammen zumeist aus Fallberichten und kleinen Serien. Die vorliegenden Forschungsergebnisse priorisieren die herkömmlichen Standarddosierungen für die angewendeten Wirkstoffe wie für Bevacizumab (1,25 mg), Aflibercept (2 mg) oder Ranibizumab (0,5 mg). Intravitreale Steroide, insbesondere Dexamethason, wie z.B. Ozurdex in einer Dosierung von 0,7 mg, zeigen Wirksamkeit und Sicherheit, während die Evidenz für Fluocinolonacetonid in einer Dosierung von 0,19 mg nach der Literatur begrenzt ist. Seltener findet intravitreales Methotrexat für die intravitreale Injektion bei therapierefraktärem uveitischem Makulaödem in einer Dosierung von 250–400 μg Anwendung. Es fehlen hierzu folglich ausreichend Daten, um die Effektivität in silikonölgefüllten Augen zu bewerten. Als Nebenwirkung wurde jedoch das Auftreten von Keratitiden berichtet. Antivirale Medikamente kommen z.B. bei Retinanekrosen zur Anwendung. Fallberichte weisen auf die Verträglichkeit von Standarddosierungen für Foscarnet (1,2–2,4 mg/0,1 ml) oder Ganciclovir (4 mg/0,1 ml) hin. Auch bei Antibiotika wie z.B. der Kombination Piperacillin/Tazobactam (250 μg/0,1 ml) konnte die Wirksamkeit nach der vorliegenden Literatur nachgewiesen werden. Die Autoren schlussfolgern in ihrer Publikation, dass obwohl die vorliegende Literatur positiv zu bewerten ist, jeder Einzelfall sorgfältig abgewogen werden sollte und immer engmaschige Kontrollen erfolgen müssen. Da im Gegensatz zur Standard-IVOM-Therapie bei diesen komplexen Augen weniger Erfahrungen vorliegen, ist die individuelle Aufklärung natürlich auch von großer Bedeutung.
Als Beispiel für die größere Datenlage bei der Standard-IVOM-Therapie bei exsudativer altersbedingter Makuladegeneration, lässt sich z.B. eine aktuelle Arbeit von Hoven et al. zum Einfluss auf die Aderhautdicke heranziehen. Im „Survey of Ophthalmology“ berichtete die Arbeitsgruppe über die vorliegende Datenlage bzgl. des Einflusses von Inhibitoren des Wachstumsfaktors VEGF auf die Aderhautdicke. Mittlerweile ist die Anwendung von VEGF-Inhibitoren seit 2004 die State-of-the-Art-Therapie bei neovaskulärer AMD. Derzeit gibt es widersprüchliche Ergebnisse über die Wirkung auf die Aderhautdicke, welche ja die äußere Netzhaut mit Sauerstoff und anderen Nährstoffen versorgt. Die Autoren recherchierten daher nach Studien über behandlungsnaive Patienten, welche 12 Wochen mit einer VEGF-Inhibitor-Therapie behandelt wurden und für die Daten zur Aderhautdicke (CT) vorlagen. 43 Studien mit 1901 Augen von 1878 Patienten konnten eingeschlossen waren. Eine Metaanalyse von 35 Studien, die eine CT zu Studienbeginn und nach 12 Wochen erhoben haben, deutete auf einen signifikanten Rückgang der CT unter der Anti-VEGF-Behandlung hin. In Subgruppenanalysen der subfovealen CT bei Makulaneovaskularisationen vom Typ 1 und 2 wurde eine größere mittlere Veränderung unter Aflibercept im Vergleich zu Ranibizumab festgestellt. Diese Erkenntnisse werfen sicher Fragen auf, die zu weiteren Untersuchungen führen werden. Langfristige Folgen der reduzierten Aderhautdicke können noch nicht eingeschätzt werden, müssen aber aufgrund der großen Bedeutung der Aderhaut für eine funktionierende Netzhaut sehr aufmerksam evaluiert werden. Dies ist insbesondere in Hinblick auf die häufig langjährige Therapie mit wiederholten Injektionen von großer Bedeutung. Eine interessante Arbeit von Conner et al. wendet sich wieder einer kleineren Subgruppe einer heute zum klinischen Alltag gehörenden Therapie zu: der Hornhautvernetzung (CXL) bei Kindern und entwicklungsverzögerten Patienten. Diese stellt eine besondere Herausforderung dar und erfordert unsere besondere Aufmerksamkeit. Für die Publikation analysierte man retrospektiv die Daten von Behandlungen, welche am Children’s Hospital of Pittsburgh des University of Pittsburgh Medical Center (UPMC; USA) zwischen 2017 und 2021 durchgeführt worden waren. Es wurden neben demographischen Daten, präoperative, intraoperative und postoperative ophthalmologische Untersuchungsbefunde gesammelt. Die wichtigsten Endpunkte waren Hinweise auf postoperative Komplikationen und Sehschärfe (VA). 48 Augen von 34 Patienten (21 Patienten [30 Augen] mit Entwicklungsverzögerung [DD]) und 13 Patienten [18 Augen] ohne DD [NDD]) wurden einer Epithel-Off-Behandlung in Vollnarkose unterzogen. Bei allen Patienten mit DD und bei 7 Patienten mit NDD wurde eine vorübergehende Tarsorrhaphie durchgeführt. Alle anderen Patienten erhielten eine Verbandlinse. Erfreulicherweise traten keine postoperativen Komplikationen auf, und es konnte ein Trend zur Visusverbesserung festgestellt werden. Diese retrospektive Übersicht konnte folglich die Sicherheit von Crosslinking bei Kindern und entwicklungsverzögerten Menschen feststellen. Die Durchführung in Vollnarkose stellt dabei kein technisches Problem dar. Anders als bei vollständig kooperativen Patienten scheint die temporäre Tharsorrhaphie einen wichtigen Baustein zur Vorbeugung von Komplikationen und für eine schnelle Abheilung darzustellen. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind als sehr positiv zu bewerten, da durch das Crosslinking in dieser besonderen Patientengruppe die Notwendigkeit einer perforierenden Keratoplastik verringert werden kann, welche für Ärzte und Patienten natürlich noch eine viel größere Herausforderung darstellen würde.
Abschließend möchte ich noch auf eine Publikation von Grzybowki et al. eingehen, die mir besonders am Herzen liegt. Die Übersichtsarbeit befasst sich mit dem Einfluss unterschiedlicher Linsenmaterialien auf das postoperative Ergebnis nach Kataraktoperationen. Es ist dabei zu bedenken, dass Linsenmaterialien nicht nur Einfluss auf Parameter wie die Kapselstabilität oder die Nachstarrate haben, sondern auch die postoperative Entzündungsreaktion beeinflussen können. Unser klinischer Alltag wird heute primär durch 2 unterschiedlichen Materialien geprägt: hydrophil und hydrophob. Die Autoren konnten zeigen, dass die beiden Materialen bzgl. der Rotationsstabilität vergleichbar waren. Da die refraktiven Ergebnisse auch von der Schnittgröße beeinflusst werden, sind hydrophile Linsen mit kleineren Inzisionen begünstigt. IOL-Trübungen können bei beiden Materialien auftreten, wobei Oberflächenverkalkungen bei hydrophilem Material und klassisches Glistening bei hydrophobem Material auftritt. Insgesamt sind die visuellen Ergebnisse u.a. auch durch chromatische Aberrationen und Dysphotopsie beeinträchtigt, und auch die Nachstarentwicklung spielt eine entscheidende Rolle. Bei der Nachstarrate sind hydrophobe Linsen deutlich im Vorteil. Die Autoren empfehlen daher z.B. bei stark kurzsichtigen Augen, welche nach Yag-Kapsulotomie mit einem erhöhten Amotiorisiko verbunden sind, hydrophobe Kunstlinsen zu verwenden. Da auch nach Pars-plana-Vitrektomie und lamellärer Hornhauttransplantation das Risiko von IOL-Verkalkungen erhöht ist, sollten auch bei Patienten, bei denen in der Zukunft solche Eingriffe anstehen könnten, immer eine hydrophobe IOL bekommen. Der genaue Pathomechanismus für das höhere Verkalkungsrisiko der hydrophilen Kunstlinsen konnte dabei bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Hydrophile Kunstlinsen lassen sich im Vergleich aber einfacher handhaben und scheinen eine bessere Biokompatibilität bzgl. der Aderhaut aufzuweisen. Es zeigt sich also, dass kein Linsenmaterial dem anderen gegenüber in allen Punkten überlegen ist. Die Wahl des Materials sollte daher immer individuell abgewogen werden und im Einzelfall auf den Patienten und mögliche Risikofaktoren angepasst sein. Individuelle Medizin, welche auch mit Weitblick in die Zukunft des Patienten schaut, garantiert die bestmögliche Versorgung und sollte immer unser aller Ansporn sein.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit und alles Gute für das spannende neue Jahr 2025.
Ihr
Detlef Holland