Indi­vi­du­el­le Medi­zin ist die besse­re Medizin

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Sehr geehr­te Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

wieder neigt sich ein ereig­nis­rei­ches Jahr dem Ende entge­gen. Oftmals neigen wir in Deutsch­land dazu, uns auf die nega­ti­ven Dinge zu fokus­sie­ren und dem Posi­ti­ven zu wenig Beach­tung zu schen­ken. Ich möchte daher kurz auf eine posi­ti­ve Verän­de­rung in der medi­zi­ni­schen Versor­gung in Deutsch­land, welche seit dem 1.1.2024 verpflich­tend wurde, einge­hen. Das E‑Rezept ist endlich mal eine Neue­rung, welche sich posi­tiv auf den Alltag in unse­ren medi­zi­ni­schen Einrich­tun­gen auswirkt. Wir sind auf dem Weg zur Digi­ta­li­sie­rung einen Schritt weiter­ge­kom­men. Sparen Papier und machen es dem Pati­en­ten in vielen Belan­gen einfa­cher. So muss der Pati­ent z.B. für weite­re Verord­nun­gen im Quar­tal nach einem erfolg­ten Besuch nicht extra in der Praxis erschei­nen, sondern kann nach Verord­nung des E‑Rezeptes direkt in die Apothe­ke gehen. Erstaunt war ich wirk­lich über die nahezu reibungs­lo­se Einfüh­rung ohne größe­re tech­ni­sche Proble­me. Wir können also in Deutsch­land noch Dinge in die rich­ti­ge Rich­tung verän­dern. Darauf müssen wir vertrau­en und aufbau­en. Die Mehr­zahl der Leser wird mir sicher auch zustim­men, dass die wohl wich­tigs­te Verän­de­rung zum Ende des Jahres das Ende der Ampel­ko­ali­ti­on gewe­sen ist. Für weite­re posi­ti­ve Ände­run­gen in der Gesell­schaft und auch in unse­rem Gesund­heits­sys­tem brau­chen wir sicher einen weit­rei­chen­den Ruck in der Poli­tik und den Mut zu weit­rei­chen­den Verän­de­run­gen. Hätte dies die Ampel gekonnt? Ich glaube nicht. Die Daten insbe­son­de­re in Bezug auf die Kosten­ent­wick­lung im Gesund­heits­sys­tem sind alles andere als rosig. Die akuten Finanz­pro­ble­me in Bereich der Pfle­ge­ver­si­che­rung sind sicher nur ein Vorge­schmack auf das, was uns alles erwar­tet, wenn nicht kraft­voll gehan­delt wird. Hoffent­lich brin­gen die Neuwah­len für uns alle eine posi­ti­ve Verän­de­rung, die auch uns als Leis­tungs­er­brin­ger posi­tiv nach vorne schau­en lässt. Wir dürfen gespannt sein.

Posi­tiv sieht der Blick in die Zukunft auf jeden Fall im Bereich des medi­zi­ni­schen Fort­schritts aus. Lassen Sie uns daher nun auf einige span­nen­de aktu­el­le Veröf­fent­li­chun­gen schauen.

 

Tausen­de Pati­en­ten unter­zie­hen sich täglich einer intra­vit­rea­len Medi­ka­men­ten­in­jek­ti­on. In diesem Zusam­men­hang kann es vorkom­men, dass z.B. bei Diabe­ti­kern oder auch nach Amotio reti­nae oder einer Endo­ph­thal­mi­tis mit einer Sili­kon­öl-Füllung behan­del­te Augen einer IVOM-Thera­pie unter­zo­gen werden müssen. Es ist daher wich­tig, über die Phar­ma­ko­ki­ne­tik der Medi­ka­men­te in diesen Augen Kennt­nis­se zu gewin­nen. Deise­ri et al. haben die phar­ma­ko­lo­gi­schen Eigen­schaf­ten und die Sicher­heit intra­vit­rea­ler Medi­ka­men­te in Sili­kon­öl-gefüll­ten Augen anhand der vorlie­gen­den Lite­ra­tur bewer­tet. Inter­es­san­ter­wei­se deuten präkli­ni­sche Daten auf vergleich­ba­re Halb­werts­zei­ten von VEGF-Inhi­bi­to­ren in Sili­kon­öl-Augen hin. Eindeu­ti­ge Studi­en fehlen jedoch und klini­sche Bewei­se stam­men zumeist aus Fall­be­rich­ten und klei­nen Serien. Die vorlie­gen­den Forschungs­er­geb­nis­se prio­ri­sie­ren die herkömm­li­chen Stan­dard­do­sie­run­gen für die ange­wen­de­ten Wirk­stof­fe wie für Beva­ci­zu­mab (1,25 mg), Afli­ber­cept (2 mg) oder Rani­bi­zu­mab (0,5 mg). Intra­vit­rea­le Stero­ide, insbe­son­de­re Dexa­me­tha­son, wie z.B. Ozurd­ex in einer Dosie­rung von 0,7 mg, zeigen Wirk­sam­keit und Sicher­heit, während die Evidenz für Fluo­ci­no­lo­nace­tonid in einer Dosie­rung von 0,19 mg nach der Lite­ra­tur begrenzt ist. Selte­ner findet intra­vit­rea­les Metho­tre­xat für die intra­vit­rea­le Injek­ti­on bei thera­pie­re­frak­tä­rem uvei­ti­schem Maku­la­ödem in einer Dosie­rung von 250–400 μg Anwen­dung. Es fehlen hierzu folg­lich ausrei­chend Daten, um die Effek­ti­vi­tät in sili­kon­öl­ge­füll­ten Augen zu bewer­ten. Als Neben­wir­kung wurde jedoch das Auftre­ten von Kera­ti­t­i­den berich­tet. Anti­vi­ra­le Medi­ka­men­te kommen z.B. bei Reti­n­a­n­ekro­sen zur Anwen­dung. Fall­be­rich­te weisen auf die Verträg­lich­keit von Stan­dard­do­sie­run­gen für Foscar­net (1,2–2,4 mg/0,1 ml) oder Ganci­clo­vir (4 mg/0,1 ml) hin. Auch bei Anti­bio­ti­ka wie z.B. der Kombi­na­ti­on Piperacillin/Tazobactam (250 μg/0,1 ml) konnte die Wirk­sam­keit nach der vorlie­gen­den Lite­ra­tur nach­ge­wie­sen werden. Die Autoren schluss­fol­gern in ihrer Publi­ka­ti­on, dass obwohl die vorlie­gen­de Lite­ra­tur posi­tiv zu bewer­ten ist, jeder Einzel­fall sorg­fäl­tig abge­wo­gen werden sollte und immer engma­schi­ge Kontrol­len erfol­gen müssen. Da im Gegen­satz zur Stan­dard-IVOM-Thera­pie bei diesen komple­xen Augen weni­ger Erfah­run­gen vorlie­gen, ist die indi­vi­du­el­le Aufklä­rung natür­lich auch von großer Bedeutung.

 

Als Beispiel für die größe­re Daten­la­ge bei der Stan­dard-IVOM-Thera­pie bei exsu­da­tiv­er alters­be­ding­ter Maku­la­de­ge­ne­ra­ti­on, lässt sich z.B. eine aktu­el­le Arbeit von Hoven et al. zum Einfluss auf die Ader­haut­di­cke heran­zie­hen. Im „Survey of Ophthal­mo­lo­gy“ berich­te­te die Arbeits­grup­pe über die vorlie­gen­de Daten­la­ge bzgl. des Einflus­ses von Inhi­bi­to­ren des Wachs­tums­fak­tors VEGF auf die Ader­haut­di­cke. Mitt­ler­wei­le ist die Anwen­dung von VEGF-Inhi­bi­to­ren seit 2004 die State-of-the-Art-Thera­pie bei neovas­ku­lä­rer AMD. Derzeit gibt es wider­sprüch­li­che Ergeb­nis­se über die Wirkung auf die Ader­haut­di­cke, welche ja die äußere Netz­haut mit Sauer­stoff und ande­ren Nähr­stof­fen versorgt. Die Autoren recher­chier­ten daher nach Studi­en über behand­lungs­nai­ve Pati­en­ten, welche 12 Wochen mit einer VEGF-Inhi­bi­tor-Thera­pie behan­delt wurden und für die Daten zur Ader­haut­di­cke (CT) vorla­gen. 43 Studi­en mit 1901 Augen von 1878 Pati­en­ten konn­ten einge­schlos­sen waren. Eine Meta­ana­ly­se von 35 Studi­en, die eine CT zu Studi­en­be­ginn und nach 12 Wochen erho­ben haben, deute­te auf einen signi­fi­kan­ten Rück­gang der CT unter der Anti-VEGF-Behand­lung hin. In Subgrup­pen­ana­ly­sen der subfove­a­len CT bei Maku­la­neo­vas­ku­la­ri­sa­tio­nen vom Typ 1 und 2 wurde eine größe­re mitt­le­re Verän­de­rung unter Afli­ber­cept im Vergleich zu Rani­bi­zu­mab fest­ge­stellt. Diese Erkennt­nis­se werfen sicher Fragen auf, die zu weite­ren Unter­su­chun­gen führen werden. Lang­fris­ti­ge Folgen der redu­zier­ten Ader­haut­di­cke können noch nicht einge­schätzt werden, müssen aber aufgrund der großen Bedeu­tung der Ader­haut für eine funk­tio­nie­ren­de Netz­haut sehr aufmerk­sam evalu­iert werden. Dies ist insbe­son­de­re in Hinblick auf die häufig lang­jäh­ri­ge Thera­pie mit wieder­hol­ten Injek­tio­nen von großer Bedeu­tung. Eine inter­es­san­te Arbeit von Conner et al. wendet sich wieder einer klei­ne­ren Subgrup­pe einer heute zum klini­schen Alltag gehö­ren­den Thera­pie zu: der Horn­haut­ver­net­zung (CXL) bei Kindern und entwick­lungs­ver­zö­ger­ten Pati­en­ten. Diese stellt eine beson­de­re Heraus­for­de­rung dar und erfor­dert unsere beson­de­re Aufmerk­sam­keit. Für die Publi­ka­ti­on analy­sier­te man retro­spek­tiv die Daten von Behand­lun­gen, welche am Children’s Hospi­tal of Pitts­burgh des Univer­si­ty of Pitts­burgh Medi­cal Center (UPMC; USA) zwischen 2017 und 2021 durch­ge­führt worden waren. Es wurden neben demo­gra­phi­schen Daten, präope­ra­ti­ve, intra­ope­ra­ti­ve und post­ope­ra­ti­ve ophthal­mo­lo­gi­sche Unter­su­chungs­be­fun­de gesam­melt. Die wich­tigs­ten Endpunk­te waren Hinwei­se auf post­ope­ra­ti­ve Kompli­ka­tio­nen und Sehschär­fe (VA). 48 Augen von 34 Pati­en­ten (21 Pati­en­ten [30 Augen] mit Entwick­lungs­ver­zö­ge­rung [DD]) und 13 Pati­en­ten [18 Augen] ohne DD [NDD]) wurden einer Epithel-Off-Behand­lung in Voll­nar­ko­se unter­zo­gen.  Bei allen Pati­en­ten mit DD und bei 7 Pati­en­ten mit NDD wurde eine vorüber­ge­hen­de Tarsor­rha­phie durch­ge­führt. Alle ande­ren Pati­en­ten erhiel­ten eine Verband­lin­se. Erfreu­li­cher­wei­se traten keine post­ope­ra­ti­ven Kompli­ka­tio­nen auf, und es konnte ein Trend zur Visus­ver­bes­se­rung fest­ge­stellt werden. Diese retro­spek­ti­ve Über­sicht konnte folg­lich die Sicher­heit von Cross­lin­king bei Kindern und entwick­lungs­ver­zö­ger­ten Menschen fest­stel­len. Die Durch­füh­rung in Voll­nar­ko­se stellt dabei kein tech­ni­sches Problem dar. Anders als bei voll­stän­dig koope­ra­ti­ven Pati­en­ten scheint die tempo­rä­re Thar­sor­rha­phie einen wich­ti­gen Baustein zur Vorbeu­gung von Kompli­ka­tio­nen und für eine schnel­le Abhei­lung darzu­stel­len. Die Ergeb­nis­se dieser Arbeit sind als sehr posi­tiv zu bewer­ten, da durch das Cross­lin­king in dieser beson­de­ren Pati­en­ten­grup­pe die Notwen­dig­keit einer perfo­rie­ren­den Kera­to­plas­tik verrin­gert werden kann, welche für Ärzte und Pati­en­ten natür­lich noch eine viel größe­re Heraus­for­de­rung darstel­len würde.

Abschlie­ßend möchte ich noch auf eine Publi­ka­ti­on von Grzy­bow­ki et al. einge­hen, die mir beson­ders am Herzen liegt. Die Über­sichts­ar­beit befasst sich mit dem Einfluss unter­schied­li­cher Linsen­ma­te­ria­li­en auf das post­ope­ra­ti­ve Ergeb­nis nach Kata­rak­t­ope­ra­tio­nen. Es ist dabei zu beden­ken, dass Linsen­ma­te­ria­li­en nicht nur Einfluss auf Para­me­ter wie die Kapsel­sta­bi­li­tät oder die Nach­star­ra­te haben, sondern auch die post­ope­ra­ti­ve Entzün­dungs­re­ak­ti­on beein­flus­sen können. Unser klini­scher Alltag wird heute primär durch 2 unter­schied­li­chen Mate­ria­li­en geprägt: hydro­phil und hydro­phob. Die Autoren konn­ten zeigen, dass die beiden Mate­ria­len bzgl. der Rota­ti­ons­sta­bi­li­tät vergleich­bar waren. Da die refrak­ti­ven Ergeb­nis­se auch von der Schnitt­grö­ße beein­flusst werden, sind hydro­phi­le Linsen mit klei­ne­ren Inzi­sio­nen begüns­tigt. IOL-Trübun­gen können bei beiden Mate­ria­li­en auftre­ten, wobei Ober­flä­chen­ver­kal­kun­gen bei hydro­phi­lem Mate­ri­al und klas­si­sches Glis­tening bei hydro­pho­bem Mate­ri­al auftritt. Insge­samt sind die visu­el­len Ergeb­nis­se u.a. auch durch chro­ma­ti­sche Aberra­tio­nen und Dyspho­t­o­p­sie beein­träch­tigt, und auch die Nach­star­ent­wick­lung spielt eine entschei­den­de Rolle. Bei der Nach­star­ra­te sind hydro­pho­be Linsen deut­lich im Vorteil. Die Autoren empfeh­len daher z.B. bei stark kurz­sich­ti­gen Augen, welche nach Yag-Kapsu­lo­to­mie mit einem erhöh­ten Amotio­ri­si­ko verbun­den sind, hydro­pho­be Kunst­lin­sen zu verwen­den. Da auch nach Pars-plana-Vitrek­to­mie und lamel­lä­rer Horn­haut­trans­plan­ta­ti­on das Risiko von IOL-Verkal­kun­gen erhöht ist, soll­ten auch bei Pati­en­ten, bei denen in der Zukunft solche Eingrif­fe anste­hen könn­ten, immer eine hydro­pho­be IOL bekom­men. Der genaue Pathome­cha­nis­mus für das höhere Verkal­kungs­ri­si­ko der hydro­phi­len Kunst­lin­sen konnte dabei bisher noch nicht eindeu­tig nach­ge­wie­sen werden. Hydro­phi­le Kunst­lin­sen lassen sich im Vergleich aber einfa­cher hand­ha­ben und schei­nen eine besse­re Biokom­pa­ti­bi­li­tät bzgl. der Ader­haut aufzu­wei­sen. Es zeigt sich also, dass kein Linsen­ma­te­ri­al dem ande­ren gegen­über in allen Punk­ten über­le­gen ist. Die Wahl des Mate­ri­als sollte daher immer indi­vi­du­ell abge­wo­gen werden und im Einzel­fall auf den Pati­en­ten und mögli­che Risi­ko­fak­to­ren ange­passt sein. Indi­vi­du­el­le Medi­zin, welche auch mit Weit­blick in die Zukunft des Pati­en­ten schaut, garan­tiert die best­mög­li­che Versor­gung und sollte immer unser aller Ansporn sein.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine geseg­ne­te Weih­nachts­zeit und alles Gute für das span­nen­de neue Jahr 2025.

Ihr

Detlef Holland

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