Altbe­währ­tes neu entdeckt

 

Dr. Detlef Holland, Heraus­ge­ber „Surgi­cal“ © privat

Liebe Lese­rin­nen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,

und schon wieder ist der erste Monat des neuen Jahres vorbei. Die Zeit rast und die ersten Kongres­se wie die DGII, die AAD oder das ESCRS Winter Meeting stehen vor der Tür. Viele inter­es­san­te Begeg­nun­gen mit Kolle­gen, neue Impul­se für die Thera­pie und Diagnos­tik werden in diesem Jahr sicher unse­ren Alltag berei­chern. Auch steht in diesem Jahr mit der Wahl zum neuen Bundes­tag ein wich­ti­ges Ereig­nis bevor. Viele Menschen hoffen auf einen Ausgang der Wahl, welcher für die Menschen in unse­rem Land eine posi­ti­ve Verän­de­rung mit sich bringt. Wir sind darauf alle gespannt.

Was wird die Wahl wohl für uns als Leis­tungs­trä­ger im medi­zi­ni­schen Bereich bringen?

Retro­spek­tiv können wir nicht sagen, dass den Vorgän­ger­re­gie­run­gen bisher der große Wurf bzgl. konstruk­ti­ver Verän­de­run­gen gelun­gen ist. Auch die neue Regie­rung wird in einem Netz aus Lobby­is­mus, sinken­den Einnah­men und stei­gen­den Kosten gefes­selt sein. Wir alle müssen unsere Ansich­ten über die Berufs­ver­bän­de und andere Inter­es­sens­ver­tre­tun­gen laut­stark arti­ku­lie­ren, um nicht zum Opfer der Umstän­de und poli­ti­schen Entschei­dungs­trä­ger zu werden. Dabei vertre­ten wir natur­ge­mäß nicht nur unsere eige­nen Inter­es­sen, sondern auch die unse­rer Pati­en­ten, die gege­be­nen­falls genau wie wir die Leid­tra­gen­den eines sich verschlech­tern­den Gesund­heits­sys­tems sein werden.

Fokus­sie­ren wir uns jetzt aber wieder auf Medi­zin und unser wunder­ba­res Fach. Die erste Publi­ka­ti­on, über die wir berich­ten möch­ten, ist aber auch gleich­zei­tig ein poli­ti­sches State­ment. Hanson et al. berich­ten in einer kürz­lich erschie­ne­nen Publi­ka­ti­on über die Auswir­kun­gen psych­ia­tri­scher Erkran­kun­gen von Vete­ra­nen auf die Compli­ance bei medi­zi­ni­schen Therapien.

In Ameri­ka werden unge­fähr 9 Millio­nen Vete­ra­nen von der „Veterans Health Admi­nis­tra­ti­on“ medi­zi­nisch versorgt. Beson­ders viele leiden unter psych­ia­tri­schen Erkran­kun­gen, wobei der Anteil deut­lich über dem Durch­schnitt der Gesamt­be­völ­ke­rung liegt. Das Post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­syn­drom und Depres­si­on sind dabei sehr häufi­ge Diagno­sen, die zu Proble­men bei der Inan­spruch­nah­me von Gesund­heits­leis­tun­gen und chir­ur­gi­schen Eingrif­fen führen. Die Autoren woll­ten unter­su­chen, inwie­weit diese Fakto­ren im Bereich von Augen­ope­ra­tio­nen zu einem Abbruch der Thera­pie führen. Dazu führ­ten Sie eine mono­zen­tri­sche retro­spek­ti­ve Kohor­ten­stu­die durch, wobei das Vete­ran Health Infor­ma­ti­on Systems als Daten­bank genutzt wurde, um augen­ärzt­li­che Opera­tio­nen zu analy­sie­ren. Die Daten­er­fas­sung zum Zwecke der Bewer­tung von Fakto­ren, die zum Abbruch einer Opera­ti­on führen, bezog sich auf sozio­de­mo­gra­fi­sche Infor­ma­tio­nen und Komor­bi­di­tä­ten. Im Jahr 2019 konn­ten 1115 geplan­te Augen­ope­ra­tio­nen ermit­telt werden, wobei die Stor­nie­rungs­ra­te bei 23% lag.

Die sozio­de­mo­gra­fi­schen Fakto­ren waren bei Pati­en­ten mit abge­schlos­se­ner und abge­bro­che­ner Thera­pie ähnlich, wobei das Vorlie­gen einer psych­ia­tri­schen Diagno­se mit dem Abbruch der Opera­ti­on korre­lier­te. Dabei war die Schi­zo­phre­nie bei allen augen­ärzt­li­che Subspe­zia­li­tä­ten mit einer erhöh­ten Wahr­schein­lich­keit eines Abbruchs der Thera­pie verbun­den. Bei Netz­h­aut­ope­ra­tio­nen war die Wahr­schein­lich­keit eines Abbruchs bei Pati­en­ten mit post­trau­ma­ti­scher Belas­tungs­stö­rung erhöht. In der Gruppe der Glau­kom­pa­ti­en­ten waren es Angst­zu­stän­de und Depres­sio­nen. Die Autoren folger­ten, dass es bei Vete­ra­nen mit psych­ia­tri­schen Erkran­kun­gen ein erhöh­tes Risiko für das Unter­blei­ben geplan­ter Augen­ope­ra­ti­on gibt. Dies führt zu einer weite­ren Verschlech­te­rung der Lebens­qua­li­tät dieser ohne­hin schon belas­te­ten Pati­en­ten. In Deutsch­land ist die Zahl der Vete­ra­nen natür­lich deut­lich gerin­ger als in Ameri­ka, die Gruppe der kriegs­trau­ma­ti­sier­ten Menschen steigt aber in Deutsch­land aufgrund der Migra­ti­on immer weiter an. In den Medien wurde dies ja zuletzt immer häufi­ger thema­ti­siert. Wir soll­ten also in unse­rem Praxis­all­tag bei entspre­chen­den Pati­en­ten eine erhöh­te Aufmerk­sam­keit haben und auch das priva­te Umfeld infor­mie­ren, damit wir Thera­pie­ab­brü­che redu­zie­ren können.

Das priva­te Umfeld spielt auch in der nächs­ten thema­ti­sier­ten Publi­ka­ti­on eine entschei­den­de Rolle. Lu et al. berich­ten über eine spezi­el­le Tech­nik der Tarsor­rha­phie, welche es Betreu­ern oder Ange­hö­ri­gen ermög­licht, diese zu eröff­nen und auch wieder zu verschlie­ßen. In eine retro­spek­ti­ve Fall­se­rie wurden 13 Pati­en­ten im Alter von 21- 95 Jahren einge­schlos­sen. Bei dem von den Autoren beschrie­be­nen Verfah­ren wird mithil­fe eines gekürz­ten Infu­si­ons­schlau­ches als Pols­ter und eines 4–0‑Polypropylen-Fadens ein zu flexi­bler Verschluss der Lidspal­te erreicht.

Der 4–0‑Nahtfaden wird zunächst durch und durch ein Ende des etwa 20 mm langen IV-Schlau­ches geführt. Begin­nend am seit­li­chen Ober­lid und ca. 4 mm ober­halb des Wimpern­kran­zes wird die Naht durch die Haut bis in den Tarsus gelegt. Die Naht tritt dann durch die Lidkan­te aus, und die Schrit­te werden in entge­gen­ge­setz­ter Rich­tung wieder­holt am ande­ren Lidrand wieder­holt. Ober­halb des Schlau­ches am Ober­lid werden zwei leicht versetz­te Luft­kno­ten gebun­den, welche es ermög­li­chen, die Span­nung der Naht zur lockern oder anzu­span­nen. Die Opera­ti­on wurde in der vorlie­gen­den Studie bei Lagoph­thal­mus unter­schied­li­cher Ursa­che wie narbi­ge Lidfehl­stel­lun­gen durch Verbren­nun­gen und Tumo­ren und Facia­li­s­pa­re­sen und neuro­tro­phem Ulcus sowie bei Kera­tou­vei­tis einge­setzt. Die Anwen­dung der Tarsor­rha­phie dauer­te durch­schnitt­lich acht Wochen, die maxi­ma­le Dauer aber bis zu 19 Wochen. Kompli­ka­tio­nen wurden nicht beob­ach­tet und die Pati­en­ten tole­rier­ten diese Tech­nik der Vernähung sehr gut. Sowohl Ange­hö­ri­ge als auch Pfle­ge­per­so­nal waren in der Lage, diese Caret­a­ker-Tarsor­rha­phie problem­los zu nutzen, um Medi­ka­men­te zu verab­rei­chen und den Zustand des Auges zu beur­tei­len. In Zeiten von Perso­nal­man­gel im pfle­ge­ri­schen und ärzt­li­chen Bereich kann diese äußert einfa­che Tech­nik helfen, die Thera­pie zu erleich­tern und die Notwen­dig­keit von Arzt­kon­tak­ten zu redu­zie­ren. Dieses erleich­tert den Alltag der Pati­en­ten sowie den der Betreu­er und auch der behan­deln­den Ärzte. Die darge­stell­te Tech­nik ist ein hilf­rei­cher Baustein für eine Zukunft, in der medi­zi­ni­sches Hilfs­per­so­nal vermehrt in Teil­be­rei­chen der ärzt­li­chen Betreu­ung sinn­vol­le Leis­tun­gen erbrin­gen wird.Die nächs­te inter­es­san­te Publi­ka­ti­on bleibt anato­misch gese­hen auch im Umfeld des Augenlides.

Im Bereich des Sicca-Syndroms kommen zuneh­mend Behand­lungs­me­tho­den wie Impuls-Licht­the­ra­pie bei Meibom-Drüsen-Dysfunk­ti­on zum Einsatz. In der Diagnos­tik werden immer häufi­ger Geräte wie das Idra oder Labor­dia­gnos­tik durch Tear­Lab ange­wen­det. Manch­mal gera­ten durch solche Neue­run­gen einfa­che, bekann­te Behand­lungs­al­ter­na­ti­ven in den Hinter­grund. Ranjan et. al unter­such­ten daher anhand einer Lite­ra­tur­stu­die die Wirk­sam­keit und Reka­na­li­sa­ti­ons­ra­te des Punc­tum-Verschlus­ses mittels Kaute­ri­sa­ti­on und des chir­ur­gi­schen Verschlus­ses bei Sicca-Syndrom. Dazu wurden in PubMed 9 passen­de Studi­en ermit­telt und ausge­wer­tet. Dabei fanden sich 150 Proban­den mit ther­mi­scher Verödung des Tränen­punk­tes und 4 mit einem chir­ur­gi­schen Verschluss.

Die Ursa­chen des Trocke­nen Auges waren zumeist schwer­wie­gen­der Natur, wie das Sjögren-Syndrom, vernar­ben­des Pemphi­go­id und Graft-versus-Host Reak­ti­on und schwe­re KCS. Als Endpunk­te wurde die Verbes­se­rung des Schirm­er-1-Tests und die BUT ermit­telt, wobei das Kontroll­in­ter­val zwischen 3 und 24 Mona­ten lag. Die Reka­na­li­sa­ti­ons­ra­ten waren sehr schwan­kend und zeig­ten sich bei den chir­ur­gi­schen Verschlüs­sen als deut­lich nied­ri­ger. Die meis­ten Pati­en­ten berich­te­ten über subjek­ti­ve Verbes­se­run­gen, obgleich die objek­tiv mess­ba­ren posi­ti­ven Effek­te bei der BUT nur sehr gering waren. Beim Schirm­er-1-Test war die Verbes­se­rung mit 2,5 mm signi­fi­kant und Zeichen eines verbes­ser­ten Tränen­vo­lu­mens. Da in allen Studi­en wenig Stan­dar­di­sie­rung und auch keine Kontroll­grup­pe vorhan­den war, empfeh­len die Autoren die Durch­füh­rung rando­mi­sier­ter Studi­en, um das posi­ti­ve Poten­ti­al dieser einfa­chen chir­ur­gi­schen Thera­pie besser beur­tei­len zu können.

Glück­li­cher­wei­se sind schwer­wie­gen­de Kompli­ka­tio­nen bei Augen­ope­ra­tio­nen sehr selten. Umso wich­ti­ger ist dennoch, diese zu kennen und auch für selte­ne­re Inter­ven­tio­nen einschät­zen zu können. Im Bereich der Horn­haut­chir­ur­gie haben die unter­schied­li­chen Formen der Endo­thel­trans­plan­ta­ti­on in den vergan­ge­nen Jahren einen wunder­ba­ren Durch­bruch in der Behand­lung erreicht. Selten kommen schwer­wie­gen­de Kompli­ka­tio­nen zumeist im vorde­ren Augen­ab­schnitt vor, und in der Regel zeigen sich sehr gute funk­tio­nel­le Ergeb­nis­se. Im Bereich des hinte­ren Abschnitts sehen wir noch selte­ner Neben­wir­kun­gen. Um dies besser einzu­ord­nen, vergli­chen Schö­ne­ber­ger et al. retro­spek­tiv mittels Daten­bank­ana­ly­se die Häufig­keit einer rheg­ma­to­ge­nen Netz­haut­ab­lö­sung bei DMEK und Triple-DMEK.

Man analy­sier­te konse­ku­ti­ve Augen mit Fuchs-Dystro­phie, die zwischen Juli 2011 und Januar 2021 an der Augen­kli­nik der Univer­si­tät Köln einer DMEK-Opera­ti­on mit einer Nach­be­ob­ach­tungs­zeit von mindes­tens einem Jahr unter­zo­gen wurden. Einge­schlos­sen wurden nur Augen mit einer unkom­pli­zier­ten Vorge­schich­te. Von den 1961 berück­sich­tig­ten Pati­en­ten hatten 846 (43,1%) eine pseu­do­pha­ke DMEK, 91 (4,6%) eine phake DMEK und 1024 (52,2%) eine Kombi­na­ti­on mit einer Kata­rak­t­ope­ra­ti­on. Die Abla­tio-Rate war mit ca. 0.5 % sehr nied­rig und in beiden Grup­pen nahezu gleich hoch. Die Rebubbling-Rate hatte keinen mess­ba­ren Einfluss auf das Auftre­ten einer Netz­haut­ab­lö­sung. Eine Kurz­sich­tig­keit und ein jünge­res Pati­en­ten­al­ter konn­ten als Risi­ko­fak­to­ren iden­ti­fi­ziert werden. Die wich­ti­ge Arbeit eröff­net uns den Blick dafür, auch bei der DMEK an Risi­ken im hinte­ren Augen­ab­schnitt zu denken und auch das Bewusst­sein unse­rer Pati­en­ten dahin­ge­hend zu schu­len. Dies kann helfen, dass Befun­de früh erkannt werden und die opera­ti­ve Ausgangs­la­ge durch eine vorzei­ti­ge Thera­pie­ein­lei­tung opti­miert wird.Ich hoffe, wir haben Ihre Neugier­de mit diesen Beispie­len geweckt und Sie nutzen Kompakt Ophthal­mo­lo­gie auch für weite­re inter­es­san­te Einbli­cke in Neue­run­gen auf unse­rem schö­nen Fachgebiet.

Und noch ein klei­ner Remin­der: Bitte gehen Sie im Febru­ar wählen!

Ihr
Detlef Holland

Gib hier deine Über­schrift ein

Aus rechtlichen Gründen (Heilmittelwerbegesetz) dürfen wir die Informationen nur an Fachkreise weitergeben.