
Liebe Leserinnen und Leser von Kompakt Ophthalmologie,
und schon wieder ist der erste Monat des neuen Jahres vorbei. Die Zeit rast und die ersten Kongresse wie die DGII, die AAD oder das ESCRS Winter Meeting stehen vor der Tür. Viele interessante Begegnungen mit Kollegen, neue Impulse für die Therapie und Diagnostik werden in diesem Jahr sicher unseren Alltag bereichern. Auch steht in diesem Jahr mit der Wahl zum neuen Bundestag ein wichtiges Ereignis bevor. Viele Menschen hoffen auf einen Ausgang der Wahl, welcher für die Menschen in unserem Land eine positive Veränderung mit sich bringt. Wir sind darauf alle gespannt.
Was wird die Wahl wohl für uns als Leistungsträger im medizinischen Bereich bringen?
Retrospektiv können wir nicht sagen, dass den Vorgängerregierungen bisher der große Wurf bzgl. konstruktiver Veränderungen gelungen ist. Auch die neue Regierung wird in einem Netz aus Lobbyismus, sinkenden Einnahmen und steigenden Kosten gefesselt sein. Wir alle müssen unsere Ansichten über die Berufsverbände und andere Interessensvertretungen lautstark artikulieren, um nicht zum Opfer der Umstände und politischen Entscheidungsträger zu werden. Dabei vertreten wir naturgemäß nicht nur unsere eigenen Interessen, sondern auch die unserer Patienten, die gegebenenfalls genau wie wir die Leidtragenden eines sich verschlechternden Gesundheitssystems sein werden.
Fokussieren wir uns jetzt aber wieder auf Medizin und unser wunderbares Fach. Die erste Publikation, über die wir berichten möchten, ist aber auch gleichzeitig ein politisches Statement. Hanson et al. berichten in einer kürzlich erschienenen Publikation über die Auswirkungen psychiatrischer Erkrankungen von Veteranen auf die Compliance bei medizinischen Therapien.
In Amerika werden ungefähr 9 Millionen Veteranen von der „Veterans Health Administration“ medizinisch versorgt. Besonders viele leiden unter psychiatrischen Erkrankungen, wobei der Anteil deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt. Das Posttraumatische Belastungssyndrom und Depression sind dabei sehr häufige Diagnosen, die zu Problemen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und chirurgischen Eingriffen führen. Die Autoren wollten untersuchen, inwieweit diese Faktoren im Bereich von Augenoperationen zu einem Abbruch der Therapie führen. Dazu führten Sie eine monozentrische retrospektive Kohortenstudie durch, wobei das Veteran Health Information Systems als Datenbank genutzt wurde, um augenärztliche Operationen zu analysieren. Die Datenerfassung zum Zwecke der Bewertung von Faktoren, die zum Abbruch einer Operation führen, bezog sich auf soziodemografische Informationen und Komorbiditäten. Im Jahr 2019 konnten 1115 geplante Augenoperationen ermittelt werden, wobei die Stornierungsrate bei 23% lag.
Die soziodemografischen Faktoren waren bei Patienten mit abgeschlossener und abgebrochener Therapie ähnlich, wobei das Vorliegen einer psychiatrischen Diagnose mit dem Abbruch der Operation korrelierte. Dabei war die Schizophrenie bei allen augenärztliche Subspezialitäten mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs der Therapie verbunden. Bei Netzhautoperationen war die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung erhöht. In der Gruppe der Glaukompatienten waren es Angstzustände und Depressionen. Die Autoren folgerten, dass es bei Veteranen mit psychiatrischen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für das Unterbleiben geplanter Augenoperation gibt. Dies führt zu einer weiteren Verschlechterung der Lebensqualität dieser ohnehin schon belasteten Patienten. In Deutschland ist die Zahl der Veteranen natürlich deutlich geringer als in Amerika, die Gruppe der kriegstraumatisierten Menschen steigt aber in Deutschland aufgrund der Migration immer weiter an. In den Medien wurde dies ja zuletzt immer häufiger thematisiert. Wir sollten also in unserem Praxisalltag bei entsprechenden Patienten eine erhöhte Aufmerksamkeit haben und auch das private Umfeld informieren, damit wir Therapieabbrüche reduzieren können.
Das private Umfeld spielt auch in der nächsten thematisierten Publikation eine entscheidende Rolle. Lu et al. berichten über eine spezielle Technik der Tarsorrhaphie, welche es Betreuern oder Angehörigen ermöglicht, diese zu eröffnen und auch wieder zu verschließen. In eine retrospektive Fallserie wurden 13 Patienten im Alter von 21- 95 Jahren eingeschlossen. Bei dem von den Autoren beschriebenen Verfahren wird mithilfe eines gekürzten Infusionsschlauches als Polster und eines 4–0‑Polypropylen-Fadens ein zu flexibler Verschluss der Lidspalte erreicht.
Der 4–0‑Nahtfaden wird zunächst durch und durch ein Ende des etwa 20 mm langen IV-Schlauches geführt. Beginnend am seitlichen Oberlid und ca. 4 mm oberhalb des Wimpernkranzes wird die Naht durch die Haut bis in den Tarsus gelegt. Die Naht tritt dann durch die Lidkante aus, und die Schritte werden in entgegengesetzter Richtung wiederholt am anderen Lidrand wiederholt. Oberhalb des Schlauches am Oberlid werden zwei leicht versetzte Luftknoten gebunden, welche es ermöglichen, die Spannung der Naht zur lockern oder anzuspannen. Die Operation wurde in der vorliegenden Studie bei Lagophthalmus unterschiedlicher Ursache wie narbige Lidfehlstellungen durch Verbrennungen und Tumoren und Facialisparesen und neurotrophem Ulcus sowie bei Keratouveitis eingesetzt. Die Anwendung der Tarsorrhaphie dauerte durchschnittlich acht Wochen, die maximale Dauer aber bis zu 19 Wochen. Komplikationen wurden nicht beobachtet und die Patienten tolerierten diese Technik der Vernähung sehr gut. Sowohl Angehörige als auch Pflegepersonal waren in der Lage, diese Caretaker-Tarsorrhaphie problemlos zu nutzen, um Medikamente zu verabreichen und den Zustand des Auges zu beurteilen. In Zeiten von Personalmangel im pflegerischen und ärztlichen Bereich kann diese äußert einfache Technik helfen, die Therapie zu erleichtern und die Notwendigkeit von Arztkontakten zu reduzieren. Dieses erleichtert den Alltag der Patienten sowie den der Betreuer und auch der behandelnden Ärzte. Die dargestellte Technik ist ein hilfreicher Baustein für eine Zukunft, in der medizinisches Hilfspersonal vermehrt in Teilbereichen der ärztlichen Betreuung sinnvolle Leistungen erbringen wird.Die nächste interessante Publikation bleibt anatomisch gesehen auch im Umfeld des Augenlides.
Im Bereich des Sicca-Syndroms kommen zunehmend Behandlungsmethoden wie Impuls-Lichttherapie bei Meibom-Drüsen-Dysfunktion zum Einsatz. In der Diagnostik werden immer häufiger Geräte wie das Idra oder Labordiagnostik durch TearLab angewendet. Manchmal geraten durch solche Neuerungen einfache, bekannte Behandlungsalternativen in den Hintergrund. Ranjan et. al untersuchten daher anhand einer Literaturstudie die Wirksamkeit und Rekanalisationsrate des Punctum-Verschlusses mittels Kauterisation und des chirurgischen Verschlusses bei Sicca-Syndrom. Dazu wurden in PubMed 9 passende Studien ermittelt und ausgewertet. Dabei fanden sich 150 Probanden mit thermischer Verödung des Tränenpunktes und 4 mit einem chirurgischen Verschluss.
Die Ursachen des Trockenen Auges waren zumeist schwerwiegender Natur, wie das Sjögren-Syndrom, vernarbendes Pemphigoid und Graft-versus-Host Reaktion und schwere KCS. Als Endpunkte wurde die Verbesserung des Schirmer-1-Tests und die BUT ermittelt, wobei das Kontrollinterval zwischen 3 und 24 Monaten lag. Die Rekanalisationsraten waren sehr schwankend und zeigten sich bei den chirurgischen Verschlüssen als deutlich niedriger. Die meisten Patienten berichteten über subjektive Verbesserungen, obgleich die objektiv messbaren positiven Effekte bei der BUT nur sehr gering waren. Beim Schirmer-1-Test war die Verbesserung mit 2,5 mm signifikant und Zeichen eines verbesserten Tränenvolumens. Da in allen Studien wenig Standardisierung und auch keine Kontrollgruppe vorhanden war, empfehlen die Autoren die Durchführung randomisierter Studien, um das positive Potential dieser einfachen chirurgischen Therapie besser beurteilen zu können.
Glücklicherweise sind schwerwiegende Komplikationen bei Augenoperationen sehr selten. Umso wichtiger ist dennoch, diese zu kennen und auch für seltenere Interventionen einschätzen zu können. Im Bereich der Hornhautchirurgie haben die unterschiedlichen Formen der Endotheltransplantation in den vergangenen Jahren einen wunderbaren Durchbruch in der Behandlung erreicht. Selten kommen schwerwiegende Komplikationen zumeist im vorderen Augenabschnitt vor, und in der Regel zeigen sich sehr gute funktionelle Ergebnisse. Im Bereich des hinteren Abschnitts sehen wir noch seltener Nebenwirkungen. Um dies besser einzuordnen, verglichen Schöneberger et al. retrospektiv mittels Datenbankanalyse die Häufigkeit einer rhegmatogenen Netzhautablösung bei DMEK und Triple-DMEK.
Man analysierte konsekutive Augen mit Fuchs-Dystrophie, die zwischen Juli 2011 und Januar 2021 an der Augenklinik der Universität Köln einer DMEK-Operation mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens einem Jahr unterzogen wurden. Eingeschlossen wurden nur Augen mit einer unkomplizierten Vorgeschichte. Von den 1961 berücksichtigten Patienten hatten 846 (43,1%) eine pseudophake DMEK, 91 (4,6%) eine phake DMEK und 1024 (52,2%) eine Kombination mit einer Kataraktoperation. Die Ablatio-Rate war mit ca. 0.5 % sehr niedrig und in beiden Gruppen nahezu gleich hoch. Die Rebubbling-Rate hatte keinen messbaren Einfluss auf das Auftreten einer Netzhautablösung. Eine Kurzsichtigkeit und ein jüngeres Patientenalter konnten als Risikofaktoren identifiziert werden. Die wichtige Arbeit eröffnet uns den Blick dafür, auch bei der DMEK an Risiken im hinteren Augenabschnitt zu denken und auch das Bewusstsein unserer Patienten dahingehend zu schulen. Dies kann helfen, dass Befunde früh erkannt werden und die operative Ausgangslage durch eine vorzeitige Therapieeinleitung optimiert wird.Ich hoffe, wir haben Ihre Neugierde mit diesen Beispielen geweckt und Sie nutzen Kompakt Ophthalmologie auch für weitere interessante Einblicke in Neuerungen auf unserem schönen Fachgebiet.
Und noch ein kleiner Reminder: Bitte gehen Sie im Februar wählen!
Ihr
Detlef Holland